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Hunter lag im Dunkeln und starrte an die Decke. Zu viele Gedanken gingen ihm durch den Kopf, als dass er hätte einschlafen können.
Suchte der Killer sich so seine Opfer aus – in Bars, Clubs und auf Partys?
Dieser Killer war nicht der Typ, der sich an eine bestimmte Routine hielt, und Hunter wurde das Gefühl nicht los, irgendetwas übersehen zu haben, doch er konnte einfach den Finger nicht darauflegen. Er fühlte sich erschöpft und ausgepumpt. Egal wie oft er es versuchte, er schaffte es nicht, länger als ein paar Sekunden an etwas anderes zu denken. Ihm war bewusst, dass er wieder auf denselben Abgrund zusteuerte wie schon einmal, und seinem Partner erging es nicht besser. Das durfte er nicht zulassen.
Im Zimmer war es still, nur die sanften Atemzüge der dunkelhaarigen Frau neben ihm waren zu hören. Ihr weiches glänzendes Haar, ihre wunderbar zarte Haut – ihre Gegenwart beruhigte ihn.
Nach dem Gespräch mit Rachel Blate waren Garcia und Hunter ins Büro zurückgekehrt. Hier hatte sich Hunter mit Patricia Phelps, der LAPD-Zeichnerin, getroffen, und zusammen waren sie zu Isabella gefahren. Garcia hatte beschlossen, noch im Büro zu bleiben, um ein paar Sachen zu überprüfen. Isabella hatte sich alle Mühe gegeben, sich so genau wie möglich an den Mann mit den Tätowierungen zu erinnern, dem sie vor ein paar Monaten begegnet war. Es hatte fünfundfünfzig Minuten und drei Tassen Tee gebraucht, doch dann hatte die Zeichnerin ein Phantombild erstellt, das nach Isabellas Aussage dem Mann, den sie gesehen hatte, ziemlich ähnlich sah.
Nachdem Patricia mit ihrer Arbeit fertig war, bat Isabella Hunter, die Nacht über zu bleiben. Die Erkenntnis, dass sie womöglich einem Serienkiller begegnet war, ängstigte sie nun doch ziemlich. Sie fühlte sich allein und verletzlich, und Hunter war der einzige Mensch, den sie jetzt bei sich haben wollte. Hunter brannte darauf, mit dem Fall voranzukommen und die neuen Informationen des heutigen Tages zu verarbeiten, aber er konnte Isabella nicht gut alleine lassen. Nicht heute Nacht.
»Kannst du nicht schlafen?« Hunter hatte gar nicht bemerkt, dass Isabella aufgewacht war. Er drehte sich zu ihr.
»Nein. Aber ich schlafe eigentlich nie viel. Das habe ich dir ja schon erzählt.«
»Bist du denn nicht müde?«
»Mein Körper ist müde. Mein Hirn ist hellwach. Und am Ende gewinnt immer mein Hirn.«
Sie rückte näher und küsste ihn sanft auf die Lippen. »Ich bin froh, dass du heute hiergeblieben bist.«
Hunter beobachtete lächelnd, wie sie mühsam versuchte, die Augen offen zu halten, während ihr Kopf auf seiner Brust lag. Es war ziemlich lange her, seit Hunter das letzte Mal zwei Nächte in Folge mit derselben Frau verbracht hatte. Er hatte keine Zeit für eine feste Beziehung und auch kein Interesse daran, sein Leben mit jemandem zu teilen. So wie jetzt war es ihm am liebsten.
Vorsichtig bettete er ihren Kopf wieder auf das Kissen und schlüpfte aus dem Bett, ohne sie erneut aufzuwecken. In der Küche fiel sein Blick auf das Glas Instantkaffee, das sie extra für ihn gekauft hatte, und ein Lächeln tanzte auf seinen Lippen. Hunter goss sich eine kräftige Tasse davon auf, ging damit ins Wohnzimmer und machte es sich auf dem Sofa bequem. In Gedanken ging er noch einmal die beiden Befragungen des vergangenen Tages durch. Wieder sah es so aus, als hätten sie eine Verbindung zwischen zwei Opfern hergestellt. Jenny und George kannten sich, da war er sich sicher. Sexpartys, überlegte er. Hatten die Morde vielleicht eine sexuelle Bedeutung? Hatte der Killer es auf Leute abgesehen, die häufig ihre Sexualpartner wechselten? Nach wie vor mehr Fragen als Antworten. Doch Hunter spürte, dass sie dem Killer näher kamen. Zum ersten Mal überhaupt verspürte er so etwas wie Aufregung bei diesem Fall. Zum ersten Mal hatten sie überhaupt etwas in der Hand, womit sie arbeiten konnten – ein Gesicht. Vielleicht.
Er trank noch einen Schluck Kaffee und dachte flüchtig daran, wie viele Tassen er wohl heute brauchen würde, um durch den Tag zu kommen. Er schaute auf seine Armbanduhr: sechs Uhr morgens. Zeit zum Aufbruch.
Langsam öffnete er die Tür zu Isabellas Schlafzimmer, um nach ihr zu sehen. Sie schlief ganz friedlich. Er weckte sie nicht, bevor er ging.