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Um acht Uhr am selben Abend machte sich Dr. Winston gerade fertig, um nach Hause zu gehen, als er einen Anruf von Hunter erhielt. Die Deo-Spraydose und die Haarbürste mussten auf Fingerabdrücke und DNA untersucht werden. Hunter wusste, dass es fünf Tage dauern würde, bis die Ergebnisse der DNA-Analyse eintrafen, vielleicht drei, wenn es als höchst dringlich eingereicht wurde, doch die Fingerabdrücke konnten noch an diesem Abend überprüft werden. Dr. Winston bot an, im Institut auf sie zu warten.
Hunter war froh, dass sie diesmal nicht in dem Kellerraum waren, wo die beiden ersten Leichen aufbewahrt wurden. Das rechtsmedizinische Institut war ohnehin kein Ort, wo er sich gerne aufhielt, aber von diesem Kellerraum bekam er eine Gänsehaut. Das forensische Labor lag im ersten Stock, und Dr. Winston hatte Ricardo Pinheiro, einen der Forensiker, gebeten, noch dazubleiben und ihm mit den Fingerabdrücken zu helfen. Hunter reichte Pinheiro die Dose und sah zu, wie er das Spurensuchpulver aus Titaniumdioxid auftrug, um die Fingerabdrücke sichtbar zu machen. Die hohe Kontrastwirkung des Pulvers auf der glatten, metallischen Oberfläche brachte sofort ein Resultat: Mehrere Fingerabdrücke wurden sichtbar.
Ricardo staubte das überschüssige Pulver ab und übertrug die Abdrücke auf Fingerabdruckfolie.
»Auf den ersten Blick und mit bloßem Auge würde ich sagen, wir haben hier drei verschiedene Abdrücke.« Ricardo lag selten falsch. Er ging mit den Folienobjektträgern zum Mikroskop und untersuchte sie genauer.
»Genau, dreierlei Abdrücke, aber einer ist vorherrschend«, sagte er, nachdem er eine Minute durchs Mikroskop gesehen hatte.
»Sehen wir uns den Vorherrschenden zuerst an«, wies Dr. Winston ihn an. »Können Sie die Abdrücke auf den Computer übernehmen?«
»Klar«, sagte Ricardo und ging mit den Folien zu einem der Videomikroskope, die bereits an die Laborcomputer angeschlossen waren. Er fotografierte die Abdrücke ab, und sofort erstellte die Fotoanalyse-Software ein vergrößertes Bild davon.
»Soll ich sie mit den Fingerabdrücken der polizeilichen Datenbank abgleichen?«, fragte Ricardo.
»Nein, mit dem hier.« Dr. Winston reichte ihm einen kleinen USB-Stick mit der digitalisierten Version der Fingerabdrücke des ersten Opfers.
Ricardo lud die Datei mit den Abdrücken auf die Festplatte und hatte im Nu beide Abdrücke nebeneinander auf dem Bildschirm. Er klickte auf »Vergleichen«, und die Software startete den Vorgang.
Auf den Digitalbildern der beiden Abdrücke erschienen mehrere rote Punkte, die Übereinstimmungen markierten. Es dauerte nicht einmal fünf Sekunden, bis unten an der Bildschirmansicht das Wort »Übereinstimmung« erschien.
»Ja, es ist dieselbe Person«, bestätigte Pinheiro.
»Dann ist es also offiziell, das Opfer ist identifiziert«, stellte Dr. Winston fest. »Wer war sie noch mal?«
»Sie hieß Victoria Baker. Kanadierin … lebte seit vier Jahren in L.A.«, gab Garcia zur Antwort.
Hunters Blick hing immer noch an den Fingerabdrücken auf dem Bildschirm. »Wir vergleichen die anderen Abdrücke sicherheitshalber noch mit der Polizeidatenbank«, sagte er schließlich. Etwas schien an ihm zu nagen. Doch er redete erst wieder, als sie in Garcias Wagen saßen.
»Was die Verbindungen zwischen den Opfern angeht, stehen wir jetzt wieder ganz am Anfang. Unsere Sex-Party-Theorie ist damit hinfällig. George Slater hatte vermutlich noch nie von Victoria Baker gehört.«
Garcia fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht und rieb sich die Augen. »Ich weiß.«
»Wir müssen herausfinden, wo sie entführt wurde. Vielleicht gibt uns der Ort irgendeinen Hinweis. Allerdings wird es bis morgen dauern, bis wir den Durchsuchungsbeschluss haben.«
Garcia stimmte zu. »Außerdem müssen wir ihre Familie in Kanada verständigen.«
Hunter nickte langsam. Das war eine der Aufgaben, auf die sie beide gerne verzichtet hätten.
»Ich erledige das im Lauf des Abends«, sagte Hunter.
Als Garcia beim Morddezernat seinen Wagen abstellte, fragte sich Hunter, ob er genauso mitgenommen aussah wie sein Partner.
»Ich rede gleich mit Captain Bolter über den Durchsuchungsbeschluss, hoffentlich haben wir ihn dann morgen früh«, sagte Hunter. »Treffen wir uns hier um halb elf. Ich will erst noch ins nächste Krankenhaus und eine Patientenliste von dort besorgen.«
Garcia legte den Kopf erschöpft an der Kopfstütze ab und holte tief Luft.
»Fahr nach Hause, Grünschnabel«, sagte Hunter und warf einen Blick auf seine Uhr. »Es ist noch nicht mal neun. Verbring den Abend mit deiner Frau. Du hast es dringend nötig, und deine Frau sicher auch. Es gibt nichts mehr, was wir heute Abend noch tun könnten.«
Im Büro gab es zwar immer irgendetwas zu tun, doch Hunter hatte recht. Sie würden an diesem Abend sowieso nichts mehr voranbringen. Garcia dachte an den vorherigen Abend mit Anna und fand selbst, dass er wenigstens einmal die Woche zu Hause sein sollte, bevor sie zu Bett ging. Seit Wochen arbeiteten sie jetzt schon, ohne auf die Uhr zu schauen. Eine Pause würde ihnen guttun, selbst wenn es nur eine kurze war.
»Ja, Anna wird es zu schätzen wissen, wenn ich mal ein wenig früher nach Hause komme.«
»Ganz sicher«, stimmte Hunter zu. »Kauf ihr doch ein paar Blumen auf dem Heimweg. Nicht irgend so einen Billigstrauß vom Supermarkt, sondern was richtig Schönes. Denk daran: Jemandem ein Geschenk zu machen zeigt, wie gut man diesen Menschen kennt. Also kauf ihr was, von dem du weißt, dass es ihr gefällt«, sagte er mit einem aufmunternden Lächeln.