11
Ein paarmal schaffte Hunter es im Lauf der Nacht, für einige Minuten wegzudösen, doch mehr war nicht drin. Um halb sechs stand er auf und fühlte sich wie von einem Laster überfahren; seine Augen waren verklebt, sein Mund ausgetrocknet, dazu quälte ihn ein bohrender Kopfschmerz, der ihn den ganzen Tag über begleiten würde – die typischen Symptome von Schlafmangel. Er goss sich eine Tasse starken Kaffee ein und überlegte, ob er sich einen Schuss Whisky gönnen sollte. Aber vermutlich würde er sich dann noch elender fühlen. Um halb sieben war er angezogen und wollte gerade aus dem Haus gehen, als sein Handy klingelte.
»Detective Hunter.«
»Hunter, hier ist Garcia.«
»Grünschnabel, du musst dir abgewöhnen, mich immer so verflucht früh anzurufen. Schläfst du eigentlich auch gelegentlich?«
»Manchmal, aber letzte Nacht war’s schwierig.«
»Dass kannst du laut sagen. Was gibt’s?«
»Ich habe gerade mit Dr. Winston gesprochen.«
Hunter warf einen raschen Blick auf seine Uhr. »So früh? Hast du den auch aufgeweckt?«
»Nein, er war sowieso fast die ganze Nacht auf. Jedenfalls sagte er, die Spurensicherung hat in dem Haus nichts gefunden.«
Hunter fuhr sich mit der Hand übers Kinn. »Tja, das habe ich fast erwartet«, erwiderte er enttäuscht.
»Außerdem meinte er, es gäbe da etwas, das er uns zeigen will, etwas Wichtiges.«
»Das gibt’s immer. Ist er jetzt in der Rechtsmedizin?«
»Genau.«
»Na gut, dann treffen wir uns dort in … einer halben Stunde?«
»Ja, das passt. Bis gleich.«
Das rechtsmedizinische Institut von Los Angeles liegt an der Mission Road im Norden der Stadt. Es ist eines der größten seiner Art in den ganzen Vereinigten Staaten und kann bis zu hundert Leichen an einem Tag aufnehmen.
Hunter parkte neben dem Hauptgebäude und traf Garcia am Eingang. Nach über zehn Jahren als Detective hatte er bereits eine Menge Leichen gesehen, doch noch immer überkam ihn ein mulmiges Gefühl, wenn er die Gänge der Rechtsmedizin entlangschritt. Es roch wie in einem Krankenhaus, nur irgendwie noch stechender – ein Geruch, der in den Nasenlöchern brannte und die Rachenschleimhäute reizte.
Die Frauenleiche aus dem Holzhaus war in einem kleinen separaten Raum im Keller des Instituts obduziert worden. Dr. Winston hatte bereits beim Kruzifix-Killer-Fall die Autopsien durchgeführt, wenn also jemand feststellen konnte, ob es sich bei dem neuen Fall um denselben modus operandi handelte, dann er.
»Warum gehen wir runter? Sind die Obduktionssäle nicht alle im Erdgeschoss?«, fragte Garcia verwundert, als sie die Treppe in den Keller hinunter einschlugen und einen leeren, unheimlichen Korridor erreichten.
»In dem Raum hier unten wurden auch die Obduktionen der Kruzifix-Killer-Morde durchgeführt. Wie der Captain schon sagte, soll die ganze Sache erst mal geheim bleiben, aber diese gottverdammten Reporter haben ja immer irgendwo einen Informanten, und das ist hier drin nicht anders. Solange wir nicht mit Sicherheit ausschließen können, dass der Alptraum wieder von vorne losgeht, will der Captain dieselben Vorsichtsmaßnahmen wie bei den Originalfällen. Das heißt, nur Dr. Winston selbst und wir haben Zugang zu der Leiche.«
Am Ende des engen, gut beleuchteten Flurs angelangt, drückte Hunter auf den Klingelknopf einer Gegensprechanlage und schnitt eine Grimasse in die Überwachungskamera über der Tür. Augenblicke später ertönte Dr. Winstons Stimme durch den knackenden Lautsprecher.
»Robert. Augenblick, ich lasse Sie gleich rein.«
Ein Summton hallte im Flur wider, gefolgt von einem klickenden Geräusch. Hunter schob die schwere Metalltür auf und trat, zusammen mit Garcia, in den Raum.
Vor der gegenüberliegenden Wand stand ein einzelner glänzender Edelstahltisch mit Waschbecken. Eine große OP-Lampe direkt über dem Tisch beleuchtete den ganzen Raum. Unweit des Beckens gab es die obligatorische Ablage für die Organe, die im Lauf der Obduktion entnommen wurden. Daran hing ein bräunlich verfärbter Schlauch, durch den Flüssigkeiten abfließen konnten. Der stechende Geruch war hier im Raum noch intensiver. Auf einem kleinen Tisch lagen, fein säuberlich aufgereiht, zwei große Sägen und mehrere Skalpelle verschiedener Formen und Größen. Die Leiche der gesichtslosen Frau lag auf dem Stahltisch.
»Kommen Sie nur herein«, forderte Dr. Winston die beiden Detectives auf.
Garcias Blick blieb an dem leblosen Frauenkörper hängen. Er spürte, wie sich ihm die Nackenhaare aufstellten.
»Und, was haben Sie für uns?«, fragte Hunter so leise, als fürchtete er, die Frau aufzuwecken.
»Leider nicht sehr viel«, antwortete Dr. Winston und zog sich ein frisches Paar OP-Handschuhe über. »Die Spurensucher haben nicht einen einzigen Fingerabdruck in dem ganzen Haus entdeckt, und angesichts dessen, womit wir es womöglich erneut zu tun haben, überrascht mich das nicht.«
»Ja, Garcia hat schon so was gesagt«, erwiderte Hunter mit einem frustrierten Seufzer. »Sonst irgendwas, womit wir anfangen könnten? Irgendwelche Fasern oder so?«
»Tut mir leid, Robert. Absolut nichts.«
»Aber wie ist das möglich?«, fragte Garcia. »Der Mörder hat die Frau doch stundenlang in dem Haus gefoltert. Wie kann es da sein, dass absolut nichts zurückgeblieben ist?«
»Du hast es doch selbst schon gesagt«, erklärte Hunter. »Ein völlig abgelegener Ort. Der Killer konnte die Frau ungestört stundenlang quälen. Und als sie dann tot war, hatte er alle Zeit der Welt, um das Haus von oben bis unten zu reinigen. Die Zeit war auf seiner Seite.«
Dr. Winston nickte.
»Wie sieht’s mit dem Opfer aus?«, fragte Hunter und nickte zu der Leiche hin. »Können Sie uns irgendetwas über sie sagen?«
»Dreiundzwanzig bis fünfundzwanzig vielleicht, und in Topform. Hat offenbar sehr auf ihren Körper geachtet. Ein Körperfettanteil von ungefähr 14,5 Prozent, das ist ein Wert für Sportler. Dazu gut geformte Muskulatur, das heißt, sie war vermutlich ein Dauergast im Fitnessstudio. Keine Operationen oder Implantate: Mandeln und Blinddarm noch da, und die Brüste waren auch echt. Ihre Haut fühlt sich selbst nach dem rigor mortis noch sehr weich an, und die Laboranalysen ergaben eine hohen Anteil an Weichhaltern, Feuchtigkeits- und Schmiermitteln.«
»Was heißt das?«, fragte Garcia stirnrunzelnd.
»Feuchtigkeitscremes«, warf Hunter erklärend ein.
»Das heißt, sie hat ihre Haut gepflegt. Das tun die meisten Frauen.«
»Davon kann ich ein Lied singen«, bemerkte Dr. Winston schmunzelnd. »Trisha gibt ein Vermögen für irgendwelche Cremes und Lotionen aus, die absolut keinen Effekt haben. Ist alles ein Riesenschwindel, wenn Sie mich fragen, allerdings haben die Tests ergeben, dass die Produkte, die das Opfer verwendete, von sehr hoher Qualität waren. Anders gesagt, sie hat sich das teure Zeug geleistet … genau wie Trisha. Ich würde also darauf tippen, dass sie recht wohlhabend war.«
»Warum? Nur weil sie teure Cremes verwendet hat?«, fragte Garcia.
»Haben Sie eine Ahnung, was das Zeug kostet?«
Garcia zog fragend die Augenbrauen hoch.
»Einen Haufen Geld, das kann ich Ihnen versichern. Außerdem, sehen Sie sich mal ihre Finger- und Zehennägel an.«
Hunter und Garcia folgten der Aufforderung. Die Nägel sahen bestens gepflegt aus.
»Ich musste ihren Nagellack abnehmen. Gehört zum üblichen Prozedere. Auch hier wieder ein sehr hochwertiges Produkt. Dem Schnitt der Nägel und der Nagelhaut nach zu urteilen, professionelle Arbeit. Nun sind zwar Maniküre und Pediküre keine wirklich teuren Behandlungen, aber zumindest zeigt es, dass die Frau großen Wert auf ihr Äußeres legte. Nach den Ergebnissen der Haaranalyse hat sie die Haare auch mit hochwertigen Pflegeprodukten bearbeitet, und dem Haarzustand nach zu urteilen, hatte sie mindestens einmal im Monat einen Friseurtermin.«
»Sind die Haare gefärbt?«, fragte Garcia.
»Nein, naturblond. Womit sie sich auch immer ihren Lebensunterhalt verdient hat, ich würde sagen, dass ihr Aussehen dabei eine große Rolle spielte.«
»Ein reicher Ehemann vielleicht?«, schlug Garcia vor.
»Es gibt keinen Hinweis auf einen Ehering oder darauf, dass sie je einen getragen hätte«, entgegnete Dr. Winston.
»Das heißt, sie muss selbst so viel verdient haben.«
»So sieht es aus, ja.«
»Wurde sie vergewaltigt?«, fragte Hunter.
»Nein, kein Geschlechtsverkehr seit mindestens achtundvierzig Stunden. Keine Gleitmittel in Vagina oder Anus, womit auch geschützter Geschlechtsverkehr ausgeschlossen wäre. Dem Killer ging es offenbar nicht um sexuelle Lust.«
»Irgendwelche Körpermerkmale, die zur Identifizierung beitragen könnten?«
»Nichts. Keine Tattoos, keine Muttermale, keine Narben.«
»Fingerabdrücke?«
»Die habe ich letzte Nacht schon Captain Bolter gefaxt, das heißt, Sie haben den Abgleich vorliegen, wenn Sie aufs Revier zurückkehren. Allerdings kann ich auch von hier auf die zentrale Fingerabdruck-Datenbank zugreifen, und da hat sich keine Übereinstimmung ergeben. Sie ist also nicht im System, und über die Zähne können wir auch keine Identifizierung mehr vornehmen, wie Sie wissen.« Dr. Winston ging rasch zu seinem Schreibtisch hinüber und suchte in ein paar losen Blättern herum. »Wie vermutet stand sie unter Einfluss von Drogen. In ihrem Magen habe ich Spuren von Gammahydroxybuttersäure gefunden. In Clubs ist das besser bekannt als GHB oder auch Liquid Ecstasy.«
»Davon habe ich gehört«, sagte Garcia. »Die neue Date-Rape-Droge, stimmt’s?«
»Also, neu ist das Zeug eigentlich nicht mehr, Grünschnabel. Manche Leute nehmen es in kleinen Dosen, um high zu werden, aber eine Überdosis ruft einen ähnlichen Effekt hervor wie Rohypnol«, erklärte Hunter.
»So eine Art Blackout?«
»Genau«, sagte Dr. Winston. »Wenn die Person wieder bei Bewusstsein ist, kann sie sich an nichts mehr erinnern, was während der Zeit passierte, als sie unter dem Einfluss der Droge stand.«
»Können wir es zurückverfolgen?«, fragte Garcia.
Hunter schüttelte den Kopf. »Kaum. GHB ist im Grunde nichts weiter als ein Lösungs- oder Abbeizmittel vermischt mit Abflussreiniger. Das kann sich jeder zu Hause anmischen, das richtige Mischverhältnis findet man im Internet.«
»Jugendliche mischen Lösungsmittel und Abflussreiniger und nehmen es als Droge?«, fragte Garcia verblüfft.
»Tja, die Jugend hat sich eben weiterentwickelt seit unseren Tagen, Detective«, bemerkte Dr. Winston und klopfte Garcia auf den Rücken.
»Wie sieht es mit der Todesursache aus?«, fragte Hunter.
»Herz-, Leber- und Nierenversagen. Ihr Körper konnte irgendwann einfach nicht mehr. Eine Kombination aus den immensen Schmerzen, dazu Dehydrierung und Hunger. Wenn sie nicht so fit gewesen wäre, hätte sie wohl nur ein paar Stunden durchgehalten.«
»Wie lange hat sie denn durchgehalten?«
»Irgendwas zwischen zehn und sechzehn Stunden. Der Tod muss zwischen zwanzig Uhr am Sonntagabend und ein Uhr am Montagmorgen eingetreten sein.«
»Sie wurde sechzehn Stunden lang gefoltert? Du lieber Gott«, stöhnte Garcia.
Einen Augenblick lang schwiegen alle drei. Schließlich fuhr Dr. Winston fort. »Wir haben auch die Schnüre untersucht, mit denen sie an die beiden Pfosten gefesselt war.«
»Und?«
»Auch nichts Auffälliges. Eine ganz gewöhnliche Nylonschnur, wie man sie in jedem Heimwerkerladen bekommt.«
»Was ist mit dem Spiegel auf der Schlafzimmertür? Er sah neu aus. Gibt’s da irgendwas?«
»Nicht wirklich. Wir haben nur alte Spuren von Chemikalien gefunden, die typischerweise in Spiegelklebern vorkommen.«
»Und das bedeutet?«, fragte Garcia.
»Dass der Killer den Spiegel nicht gekauft, sondern von irgendeiner Tür abgenommen hat. Ich glaube allerdings nicht, dass irgendwer eine gestohlene Spiegeltür melden würde. Diese Spur zu verfolgen wäre sinnlos«, sagte Hunter.
»Und der Essig in dem Schraubglas?«
»Ganz gewöhnlicher Essig. Gibt’s in jedem Supermarkt.«
»Im Klartext, wir haben absolut nichts«, stellte Hunter nüchtern fest.
»O doch, wir haben etwas, aber das wird Ihnen nicht gefallen … Kommen Sie, ich zeige es Ihnen.« Dr. Winston ging zu einem kleinen Tisch, auf dem einige Fotos ausgebreitet waren. Hunter und Garcia folgten ihm.
»Das ist das eingeritzte Symbol im Nacken des Opfers«, sagte Dr. Winston und deutete auf das erste Foto. »Alle anderen Fotos, die Sie hier sehen, sind von den Opfern des Kruzifix-Killers. Die Symbole stimmen überein. Ich lehne mich so weit aus dem Fenster, zu behaupten, dass sie nicht nur von derselben Person ausgeführt wurden, sondern vermutlich mit demselben scharfen Instrument.«
Das Quäntchen Hoffnung, an das Hunter sich geklammert hatte – dass es sich vielleicht doch um einen Nachahmer handelte –, war somit dahin. Die Fotos lösten einen Wirbelsturm von Erinnerungen in ihm aus.
Für Garcia war es das erste Mal, dass er Originalbeweismittel aus dem Kruzifix-Killer-Fall zu sehen bekam. Die Ähnlichkeit auf den Fotos war offensichtlich.
»Können Sie uns irgendwas über das Häuten sagen?«, fragte Garcia.
»Allerdings. Dabei zeigt uns der Täter, wie gut er ist. Das war chirurgische Präzisionsarbeit – wie er geschnitten hat, wie er dabei das Muskelgewebe und die Sehnen intakt ließ – phantastisch. Er muss einige Zeit mit ihrem Gesicht verbracht haben. Es würde mich nicht wundern, wenn der Täter Chirurg oder etwas in der Art ist. Aber so viel wussten wir bereits über den Kruzifix-Killer.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Garcia verwirrt.
»Der Kruzifix-Killer hat jedes Mal ein Körperteil an seinem Opfer entfernt, ein Auge, einen Finger, ein Ohr, so eine Art Trophäe aus Fleisch und Blut«, erklärte Hunter. »Das ist eine Art Unterschrift von ihm, wie auch die Gravur im Nacken der Opfer und dass er sie auszog. Laut Dr. Winston hat der Täter jeden dieser Körperteile chirurgisch perfekt entfernt, und zwar immer, während das jeweilige Opfer noch lebte.«
»Anscheinend hat sich der Killer in dieser Hinsicht noch verbessert«, schloss Dr. Winston.
»Und warum macht er so was? Dem Opfer ein Körperteil entfernen?«, fragte Garcia.
»Um sich an das Opfer zu erinnern«, erwiderte Hunter. »Das ist nicht ungewöhnlich bei Serienmördern. Ihre Opfer bedeuten ihnen viel. Meistens empfindet der Killer sogar eine Art von Bindung zwischen sich und seinen Opfern. Manche behalten ein Kleidungsstück, meist ein intimes. Manche eben einen Körperteil. Das sind gewöhnlich die grausameren und sadistischeren Täter.«
»Mannomann«, sagte Garcia, während er nachdenklich die Fotos betrachtete. »Ich nehme an, bei der damaligen Untersuchung wurden Ärzte als potentielle Täter ins Auge gefasst?«
»Nebst Medizinstudenten, Krankenschwestern und so weiter. Aber wir sind auf niemand Verdächtigen gestoßen«, antwortete Hunter.
Carlos ging zu der Leiche zurück. »Sie sagten, sie hat keine Muttermale, Tattoos oder dergleichen. Gibt es irgendwas, das uns helfen könnte, das Opfer zu identifizieren?«
es mit dem Gesicht versuchen.«
Garcia warf Dr. Winston einen unwilligen Blick zu. »Das soll wohl ein Scherz sein.«
»Wir können»Wir sind im einundzwanzigsten Jahrhundert, Detective«, erklärte Dr. Winston, und um seine Mundwinkel zuckte der Hauch eines Lächelns. »Mit Computern kann man heutzutage kleine Wunder vollbringen. Die arbeiten oben schon seit einer Stunde daran, und ich warte jeden Augenblick auf ein wie auch immer geartetes Computerbild. Wer weiß, wenn wir Glück haben, können Sie es gleich mitnehmen.«
»Wenn man bedenkt, wie viel Einsatz sie in die Pflege ihres Äußeren gesteckt hat, würde ich entweder auf ein Model oder eine Möchtegern-Schauspielerin tippen«, sagte Hunter.
»Oder eine Edelprostituierte, womöglich sogar eine Pornodarstellerin. Die können nämlich ganz nett verdienen«, spann Garcia Hunters Ansatz weiter.
»Woher weißt du das denn? Jüngst mit einem Pornostar ausgegangen?«, fragte Hunter grinsend.
»Ach … das ist doch allgemein bekannt.«
»Aber klar. Und, wer ist dein Lieblingsstar?«
»Ich bin verheiratet.«
»Ach soooo. Ja, dann ist natürlich alles ganz anders. Verheiratete Männer sehen sich ja niemals Pornos an, wie konnte ich das vergessen. Ich finde Briana Banks absolut stark.«
»Diese Zungennummer von ihr ist aber widerlich«, sagte Garcia – und erstarrte im nächsten Augenblick.
»Jetzt sind Sie ihm aber schnurstracks in die Falle getappt«, stellte Dr. Winston fest und klopfte ihm auf die Schulter.
Beide Detectives betrachteten eine Weile die Leiche vor ihnen. Sie sah jetzt anders aus als in dem Haus. Ihre Haut wirkte gummiartig und blass, und ihr verstümmeltes Gesicht wie eine Maske – eine perfekt hergerichtete Schauspielerin, die gleich eine Horrorszene in einem Hollywoodstreifen spielen würde, ein geradezu vollkommenes Sinnbild des Bösen.
»Dann sehen wir doch mal, ob dieses Computerbild schon fertig ist. Oder gibt es sonst noch etwas, was Sie uns zeigen möchten, Doc?«
»Nein, Robert, ich fürchte, das war schon alles, was ich Ihnen zu bieten habe.«
»Lassen Sie sie in dem Einzelzimmer hier?«
»Ja, so hat es der Captain angeordnet. Wir haben hier auch eigene Kühlzellen. Hoffen wir bloß, dass kein Mehrbettzimmer daraus wird.«
Hunter und Garcia verließen den Obduktionssaal und gingen schweigend hinauf ins technische Labor.
»Kann ich dich etwas fragen?«, hob Garcia schließlich an.
»Nur zu.«
»Wieso hat dir niemand geglaubt, dass Mike Farloe nicht der Kruzifix-Killer war?«
»Ich habe es nie so klar gesagt. Captain Bolter und mein Ex-Partner Scott kannten meine Argumente. Aber angesichts der ganzen Beweise in Farloes Wagen und dazu noch seines Geständnisses blieb uns nicht viel anderes übrig, als unsere Ermittlungen als beendet zu betrachten. Ab da lag es in den Händen der Staatsanwaltschaft. Und die wollte keine Einwände mehr hören.« Hunter blickte zu Boden und schien zu überlegen, ob er es bei dieser Antwort belassen sollte. »Vielleicht wollten wir einfach alle zu sehr, dass es endlich vorbei war«, entschied er sich schließlich dagegen. »Es hatte schon viel zu lange gedauert. Insgeheim wünschte ich mir wohl, dass Farloe unser Killer war. Und jetzt beginnt der Alptraum von neuem.« Für Garcia begann er zum ersten Mal. Für Hunter war es die schlimmste Sorte: die, die immer wiederkehrte.