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D-King zeigte wenig Verständnis dafür, wenn eines seiner Mädchen versuchte, sich aus dem Staub zu machen. Seit drei Tagen hatte er nichts von Jenny gehört, seit sie in jener Nacht im Vanguard Club von seinem Tisch aufgestanden und verschwunden war. Im Unterschied zu anderen Zuhältern in L.A. behandelte D-King seine Mädchen vollkommen gewaltfrei. Wenn eine beschloss, dass sie genug hatte, und rauswollte, konnte er damit leben, solange sie nicht für die Konkurrenz arbeitete oder mit seinem Geld durchbrannte.
Neue Mädchen zu finden war der leichteste Teil in seinem Geschäft. Jeden Tag landeten Hunderte hübscher Mädchen mit der Hoffnung auf ihr ganz persönliches Hollywood-Märchen in Los Angeles. Jeden Tag gingen Hunderte dieser Mädchenträume an der harten Realität zu Bruch. Man musste nur einen Blick dafür haben, welche man ansprechen konnte: die Verzweifelten, die, die völlig pleite waren – und dringend einen Schuss brauchten –, und die, die begierig auf den Lebensstil waren, den D-King ihnen bieten konnte. Wenn eine von ihnen aussteigen wollte, brauchte sie es nur zu sagen. Ihre Nachfolgerin wartete schon an der nächsten Ecke.
D-King schickte seinen ständigen Bodyguard, Jerome, los, um herauszufinden, was mit Jenny passiert war. Warum hatte sie sich nicht auf seine Anrufe gemeldet? Und vor allem, warum war sie letzte Nacht nicht zu ihrem Termin mit einem Kunden erschienen? Dass man einen Kunden versetzte, duldete D-King nicht. So was war schlecht fürs Geschäft, denn selbst in zwielichtigen Branchen war Zuverlässigkeit Trumpf. D-King wurde den Verdacht nicht los, dass da etwas faul war. Jenny war sein zuverlässigstes Mädchen, und er war sich sicher, dass sie ihn angerufen hätte, falls sie in Schwierigkeiten geraten wäre.
Er hatte tatsächlich eine Schwäche für Jenny. Sie war ein wirklich nettes Mädchen, hatte immer ein Lächeln auf den Lippen und einen tollen Humor – Qualitäten, die man in ihrer Branche lange suchen musste. Als Jenny bei D-King eingestiegen war, hatte sie ihm gleich gesagt, sie würde diesen Job nur so lange machen, bis sie auf eigenen Füßen stehen konnte. Er respektierte diesen Entschluss, doch im Augenblick war sie eines seiner profitabelsten Mädchen, hochbegehrt unter den fetten reichen Säcken, die seine Klientel bildeten.
Als Jerome von seinen Recherchen zurückkehrte, war D-King gerade bei seinem Frühsport – fünfundzwanzig Bahnen in seinem privaten Fünfundzwanzig-Meter-Schwimmbecken.
»Boss, ich fürchte, ich habe keine guten Neuigkeiten.« Jerome wirkte schon rein äußerlich wie ein Mann, mit dem man sich ungern anlegte. Der Afroamerikaner war eins neunzig groß und hundertfünfzig Kilo schwer, hatte kurzgeschorenes Kraushaar und eine krumme Nase, die so oft gebrochen worden war, dass er mit dem Zählen aufgehört hatte. Dazu kamen ein eckiger Kiefer und blendend weiße Zähne. Jerome war vor langer Zeit als kommender Schwergewichts-Boxweltmeister gehandelt worden, doch dann kam der Autounfall, nach dem er von der Hüfte abwärts nahezu gelähmt gewesen war. Erst vier Jahre später konnte er wieder normal gehen, mit seinen Titelhoffnungen war es da längst vorbei. So arbeitete er schließlich als Rausschmeißer für einen Nachtclub in Hollywood. Als D-King eines Abends mitbekam, wie Jerome allein mit einer Gruppe von sieben Footballspielern fertig wurde, die Ärger suchten, bot er ihm einen Job und eine satte Gehaltssteigerung an. Seither arbeitete Jerome exklusiv für ihn.
D-King stieg aus dem Pool, zog sich einen frischen weißen Bademantel über, auf dessen Rücken in großen goldenen Lettern der Schriftzug »King« prangte, und setzte sich an den kleinen Tisch neben dem Pool, auf dem sein Frühstück bereitstand.
»Das ist nicht das, was ich hören will, Jerome. Wer fängt den Tag schon gern mit schlechten Neuigkeiten an.« Er goss sich ein Glas Orangensaft ein. »Na los, Nigga, rück raus damit«, forderte er ihn auf. Sein Ton war so gelassen wie immer. D-King war nicht der Typ, der leicht seine Coolness verlor.
»Also, du wolltest, dass ich mal nach Jenny sehe, warum sie seit ein paar Tagen nicht aufgetaucht ist.«
»Genau.«
»Okay, also: Es sieht so aus, als wäre sie nicht nur neulich Nacht aus dem Club, sondern gleich komplett verschwunden.«
»Was zum Teufel soll das heißen?«
»Sie scheint in den letzten Tagen überhaupt nicht in ihrer Wohnung gewesen zu sein. Der Portier in ihrem Apartmenthaus hat sie auch nicht gesehen.«
D-King stellte seinen Orangensaft ab und sah seinen Leibwächter eine Weile nachdenklich an. »Was ist mit ihren Sachen? Sind die noch in der Wohnung?«
»Es ist alles noch da – Kleider, Schuhe, Handtaschen, sogar ihr Make-up. Ihre Koffer liegen alle aufeinandergestapelt im Schrank. Falls sie abgehauen ist, muss sie es verdammt eilig gehabt haben.«
»Sie hatte keinen Grund abzuhauen«, stellte D-King fest, während er sich eine Tasse Kaffee eingoss.
»Hat sie einen Freund?«
»Einen was?«, fragte D-King und schnitt dazu ein ungläubiges Gesicht. »Red keinen Scheiß, Nigga. Du weißt genau, dass keins meiner Mädchen eine Beziehung hat. Ist schlecht fürs Geschäft.«
»Vielleicht hat sie an dem Abend im Vanguard jemanden kennengelernt?«
»Und dann?«
»Was weiß ich. Ist sie mit zu ihm gegangen.«
»Nie im Leben. Jenny schiebt keine Gratisnummern.«
»Vielleicht mochte sie den Typ.«
»Sie ist eine Nutte, Jerome. Sie hatte gerade fünf Nächte durchgearbeitet. Mit einem freiwillig in die Kiste zu springen, wär das Letzte gewesen, wonach ihr der Sinn stand.«
»Private Kunden?«
»Wie bitte? Meine Mädchen wissen ganz genau, was ihnen blüht, wenn sie nebenbei ihr eigenes Geschäft aufziehen. Und Jenny wäre sowieso nicht der Typ dafür, sie ist nicht blöd.«
»Vielleicht ist sie bei ’ner Freundin«, schlug Jerome vor.
»Auch unwahrscheinlich. Sie ist jetzt wie lange bei mir – drei Jahre? Und nie gab’s irgendwelchen Ärger. Sie erscheint immer pünktlich zu ihren Terminen. Nein, Jerome, da stimmt was nicht. Die Sache stinkt.«
»Glaubst du, sie steckt vielleicht in Schwierigkeiten … ich meine Geldnöte, oder so? Vielleicht Spielschulden?«
»Wenn, wäre sie damit zu mir gekommen, ganz sicher. Sie ist nicht der Typ, der einfach wegläuft.«
»Was soll ich jetzt tun, Boss?«
D-King nahm einen Schluck Kaffee und dachte nach. »Versuch’s erst mal bei den Krankenhäusern. Wir müssen rausfinden, ob ihr was zugestoßen ist.«
»Glaubst du, irgendwer hat ihr was angetan?«
»Wenn ja … dann ist das Schwein so gut wie tot.«
Jerome fragte sich, wer wohl so dumm wäre, einem von D-Kings Mädchen was zu tun.
»Wenn bei den Krankenhäusern nichts rauskommt, müssen wir’s bei den Bullen versuchen.«
»Soll ich Culhane anrufen?«
Detective Mark Culhane arbeitete beim Drogendezernat – und stand außerdem auf D-Kings Gehaltsliste. Einer von den schmutzigen Cops.
»Er ist zwar nicht der Hellste, aber ich schätze, dann bleibt uns nichts anderes mehr übrig. Sag ihm aber, er soll nicht rumschnüffeln wie ein streunender Köter. Ich will die Sache erst mal nicht an die große Glocke hängen.«
»Verstanden, Boss.«
»Versuch’s zuerst bei den Krankenhäusern, und erst wenn dabei nichts rauskommt, rufst du ihn an.«
Jerome nickte und überließ D-King seinem Frühstück.
D-King nahm einen Bissen von seinem Eiweiß-Omelett, doch der Appetit war ihm vergangen. In seinen über zehn Jahren als Dealer hatte er einen Riecher für faule Sachen entwickelt, und die hier stank zum Himmel. D-King war in Los Angeles nicht nur wohlbekannt, sondern auch gefürchtet. Nur ein einziges Mal war es vorgekommen, dass ein Kunde eines seiner Mädchen ins Gesicht geschlagen hatte. Der Kunde wurde ein paar Tage später in einem Koffer aufgefunden – zerlegt in sechs Teile: Kopf, Torso, Arme und Beine.