SIEBENUNDVIERZIG

Blaue Wände stürzten auf ihn ein, auf Kopf und Schultern, und wichen wieder zurück. Der Flur war zu einem Ozean geworden. Peter bekam keine Luft mehr. Er wurde von einem Hustenanfall geschüttelt. Vornübergekrümmt hangelte er nach dem Geländer und hielt sich fest, damit der Teppich ihn nicht davonriss. Mit letzter Kraft ließ er sich auf die Treppe fallen. Sein Herz klopfte, als wollte es zerspringen. Er presste die Hand auf die Brust, um es zu beruhigen, und spürte, wie die Viren durch seine Venen strömten.

Dann beugte sich Ann über ihn. «Komm, trink das hier.»

Er blinzelte und war wieder allein. Richtig, er wollte sich ein Glas Wasser holen. Mühsam rappelte er sich hoch. Die Treppe wurde klein wie ein Stecknadelkopf und wuchs wieder in die Höhe. Er schlurfte über den kalten Küchenboden. Unter seinen Sohlen knirschte Sand.

Er schloss die Finger um den Griff am Wasserhahn. Nichts passierte. Er musste fester ziehen. Plötzlich schoss ein Wasserstrahl ins Becken.

Sein Blick ging mit. In genau so einem Nirostabecken hatte er Kate zum ersten Mal gebadet. Sie hatte überrascht geschaut, als er ihr mit der Hand vorsichtig warmes Wasser über den Bauch schippte. Er hatte sie auf die Stirn geküsst, und Ann hatte sie beide geknipst. Das Bild hatte sie gerahmt und eine Weile auf dem Nachttisch gehabt.

Williams erste Bäder waren ruhig und friedlich gewesen, in leise schwappendem Wasser, das Baby von Wärme umgeben, den winzigen Daumen im Mund. Wenn Peter seine kleine Glatze einseifte, fielen William die Augen zu. Peter hob ihn aus der Wanne und trug ihn in ein Handtuch gewickelt schlafend in das Zimmer, wo Ann Kate die Haare bürstete. Sie sahen sich über die Köpfe ihrer Kinder hinweg an. Ohne jede Ahnung davon, wie bald ihr Glück der Trauer weichen würde.

Peter hielt seine Hand unter den silbrigen Strahl. Das Wasser war kalt wie die Seen. Vor seinen Augen zogen Kanadagänse in einem perfekten V im Abendlicht über das Wasser. Alle im gleichen Takt, doch immer wieder scherte eine aus und flog in die falsche Richtung davon. Die anderen zogen unbeirrt weiter. Keiner von ihnen verließ das V, um den verlorenen Kameraden zurückzuholen.

Diesen Winter gab es keine Gänse. Dieses Jahr waren sämtliche Vögel ausgeschert.

Er betupfte sich die Stirn und die Wangen mit Wasser, ließ es sich in den Mund tröpfeln.

Auf ihrer Hochzeitsreise war Ann beinahe in einem Ozean ertrunken, der so warm war wie Badewasser. Sie war hinter ihm hinausgewatet, lachend durch die Wellen gestampft. Dann war sie plötzlich verschwunden. Eine rückfließende Welle hatte sie umgerissen und weggeschwemmt. Er war hinterhergesprungen und hatte sie noch an einem Arm erwischt. Sie hatte sich an ihn geschmiegt und ihn geküsst. «Mein Held», hatte sie lachend gesagt.

Er hörte Trommeln. Er drehte den Kopf. Das Zimmer kippte weg. Er hielt sich an der Küchentheke fest. Irgendwo bellte ein Hund. Einen Hund hatte er in ihrem Hotel noch nicht gesehen. Katzen ja. Zwei Stück, die durch die Zimmer schlichen. Aber keine Hunde.

Die Wände bebten bei jedem Schlag. Wo waren sie, diese ungeduldigen Trommler? Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen, ließ sich von dem Krach durch das Esszimmer ziehen. Seine Füße verfingen sich an der Teppichkante. Er hob sie drüber, stieß sich an Stühlen und der Tischecke. Ich komme, ich komme.

Gleich war er da. Er spürte die Trommeln bis in die Knochen. Auch das Licht wurde heller. Es flutete durch die Fensterscheiben, sodass der Fußboden funkelte und von der Decke ein Strahlen ausging. Die Wand hielt ihn aufrecht. Hinter dem Glas bewegten sich dunkle Gestalten. Da draußen waren Leute. Er ging dicht an die Scheibe und spähte hinaus. Es waren Fremde, und sie wollten herein.

Er blinzelte. Die Gestalten wurden hell. Er traute seinen Augen nicht.

Da stand sein Vater. Und da war Anns Schwester. Sie hatten sich zusammen auf den Weg gemacht. Glücklich streckte er die Hand nach dem Türknopf aus.

Carla Buckley - Die Luft die du atmest
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