SIEBEN

Peter stand mit der Hand am Ohr an der Tür zu seinem Labor. Ann hatte ihr Mobiltelefon noch immer nicht wieder angestellt.

Auf dem Flur eilten Leute mit Mappen, Büchern, Kisten vorbei und nickten einander im Vorbeigehen zu. Er fragte sich, wie viele von ihnen in einem Monat, einem Jahr noch am Leben sein würden. Keiner von ihnen sprach auch nur einen Satz zu Ende.

«Hast du …?»

«Da drüben …»

Drinnen wischte Shazia die Arbeitsflächen ab und schaltete die Geräte aus. Sie war mit den Neuraminidase-Tests fertig und hatte ihn mit der Nachricht empfangen, dass die Blauflügelenten mit H5N1 infiziert waren. Er hatte ihr seinerseits Bericht erstattet. Die Vogel-und die Menschensubtypen schienen gleichzeitig ihr Tempo verschärft zu haben. Beide Viren fielen in bislang ungekannter Geschwindigkeit über ihre Wirtsbevölkerungen her.

Peter probierte es auf dem Festnetz, aber es sprang nur der Anrufbeantworter an. Er legte auf, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Er würde es gleich noch einmal probieren. Ann hatte es bestimmt in den Nachrichten gehört. Wahrscheinlich holte sie die Mädchen ab. «Ist alles verstaut?»

Shazia schloss den Gefrierschrank. «Ja.» Ihr dunkelblauer Wollmantel hing ordentlich über einer Stuhllehne. Davor lehnte ihre Aktentasche. Auf dem Schreibtisch lagen einige Bücher in schwarzem Einband. Sie bemerkte seinen fragenden Blick. «Ich hoffe, es ist in Ordnung, wenn ich mir die hier ausleihe?»

«Natürlich, das ist gut.» Er sah sich die Titel an, trat ans Regal und gab ihr noch ein paar dazu. «Die wirst du auch brauchen.»

In seinem Büro begann er Bücher in eine Kiste zu packen, Papiere in eine zweite. Seinen Laptop würde er natürlich auch mitnehmen. Und sein Aufnahmegerät.

«Hast du meinen Rohentwurf bekommen?»

Lewis steckte den Kopf zur Tür herein. Seine blonden Locken waren noch widerspenstiger als sonst, er wirkte besorgt. «Ich werde ihn zu Hause lesen und mich per Mail bei dir melden.»

«In Ordnung. Wir können den Artikel online einschicken.»

Im Flur war eine laute Stimme zu hören: «Beeilung, Leute, auf geht’s.»

Lewis fluchte leise und zog sich zurück. «Bis dann, Peter.»

Klopfgeräusche näherten sich und wurden lauter. «In fünf Minuten wird abgeschlossen.»

Peter schob seinen Laptop in die Tasche und zog den Reißverschluss zu. Wo war die Mappe mit Liedermans Notizen?

«Sie auch, Dr. Brooks.»

Peter blickte zur Tür. Dort stand Hank, der bullige Sicherheitsbeamte.

«Klar», sagte Peter. «Nur noch eine Minute. Ich muss noch eine Sache finden.»

«Geht nicht. Ich sollte das Gebäude schon vor einer Viertelstunde geräumt haben.»

«Ich komm ja schon.» Er durchwühlte die Papiere auf seinem Schreibtisch. Da war das Protokoll von ihrem Strategietreffen letzte Woche. Die Einladung zur Weihnachtsfeier ihrer Abteilung. Seine Sekretärin verzweifelte regelmäßig wegen der Unordnung in seinem Büro und warnte ihn ständig, dass sie eines Tages heimlich alles aufräumen und wegwerfen würde. Jetzt wünschte Peter, sie hätte es getan, bevor sie in den Mutterschaftsurlaub gegangen war.

«Dr. Brooks.» Hank hatte seine Jacke geöffnet, sodass die Pistole an seinem Gürtel zu sehen war. War das eine unbewusste Geste, oder wollte er damit tatsächlich Druck machen? Peter sah dem Sicherheitsbeamten in die schmalen Augen. Der Mann hatte Angst. Angst konnte Leute zu Dummheiten verleiten.

«Ja.» Peter nahm den ganzen Stapel und schob ihn in seine Aktentasche. Das abgewetzte Leder beulte sich.

Hank trat beiseite, um ihn hinauszulassen, und zog die Tür zu. Seine Schlüssel klimperten, dann war die Tür fest versperrt.

Mit dem Gewicht seiner beiden Kisten und der vollgestopften Aktentasche kämpfend, eilte Peter durch den Flur. Shazia wartete mit ihrer eigenen Kiste und ihren Papieren auf ihn. Am Fahrstuhl blieben sie stehen. Missmutig starrte Shazia auf die Knöpfe, die nacheinander aufleuchteten.

«Du musst deine Familie anrufen, sobald du zu Hause bist.»

«Ja.» Sie verlagerte die Kiste auf ihrem Arm. «Meinst du, das H5, mit dem wir gearbeitet haben, hat den Sprung zum Menschen gemacht?»

«Das ist unwahrscheinlich. Aber selbst wenn, würde ich mir keine Sorgen machen. Wir haben alle Vorsichtsmaßnahmen getroffen.»

«Klar.»

Etwas in ihrer Stimme machte ihn stutzig. «Shazia.»

Sie sah ihn an.

«Du warst doch vorsichtig mit den Proben, oder?»

Die Fahrstuhltür glitt auf, und sie trat hinein. «Ja», sagte sie. «Natürlich.»

Carla Buckley - Die Luft die du atmest
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