ZWANZIG

Ann erhaschte im Spiegel einen Blick auf sich, als sie das Handtuch von der Stange im Bad zog, und bekam einen Schreck. Seit wann war sie so blass, mit so spitzen Wangenknochen und tief eingesunkenen Augen? Sie hatte abgenommen. Sie hatten alle abgenommen. Peters Hosen waren so weit, dass er jetzt immer einen Gürtel trug, und die Mädchen … Sie schüttelte den Kopf, um den Gedanken loszuwerden. Nein. Sie ertrug es nicht, über die Mädchen nachzudenken.

Im Hauswirtschaftsraum drehte sie den Hahn auf und spritzte Spülmittel ins Becken. Sie vermischte es mit der Hand, aber das Wasser war zu kalt. Zögernd bildeten sich Blasen und platzten, sobald sie Socken und Unterhosen hineinsteckte.

Ihre Lebensmittelvorräte waren bedrohlich geschrumpft. Alles Frische war längst aufgebraucht, jetzt vertilgten sie die stetig schwindenden Reste an Tiefkühlkost und Konserven. Sie machte sich Sorgen, dass die Mädchen nicht genug Kalzium bekamen. Milch und Joghurt hatten sie zuerst aufgegessen, übrig war nur noch ein einziges Stück Schweizer Käse, den die Mädchen überhaupt nicht mochten. Es war Zeit, ihre Vitaminpräparate hervorzukramen, um Mangelerscheinungen vorzubeugen, bis Peter oder sie irgendwo einkaufen gehen konnten. Sie konnten nicht ewig hier drinbleiben. Quarantäne hin oder her, irgendwann würden sie sich hinauswagen müssen.

Immerhin hatten sie noch Mehl und Zucker und Gewürze. Heute wollte sie versuchen, über dem Kaminfeuer Brötchen zu backen, möglichst, ohne sie anbrennen oder steinhart werden zu lassen. Es war alles furchtbar mühselig. Ihre ganze Energie schien dafür draufzugehen, die Minimalversorgung zu sichern: Essen, Wärme, ein Dach über dem Kopf. Sie staunte, wie man früher eigentlich noch Zeit gefunden hatte, Kleidung zu nähen, Möbel zu bauen, sich um das Vieh zu kümmern.

Peter kam pfeifend zur Hintertür herein und stapfte laut auf, um den Schnee von seinen Stiefeln zu schütteln. An einer Seite standen seine Haare in die Höhe, und am Kinn hatte er beim Rasieren eine Stelle vergessen. Seine Augen leuchteten strahlend blau, seine Wangen waren gerötet. Er brachte den Geruch nach kalter Luft und Frost mit herein. Er war mal wieder auf einer seiner geheimen Missionen gewesen. Es hatte ihr nichts ausgemacht, dass er sie nicht eingeladen hatte mitzukommen, weil sie spürte, dass er auch mal allein sein musste. Ihr ging es genauso. Manchmal zog sie sich nach oben in den großen Einbauschrank in ihrem Schlafzimmer zurück, hüllte sich in eine Decke und legte den Kopf auf die angewinkelten Knie. Dann saß sie frierend im Dunkeln und atmete in tiefen, langen Zügen ein und aus, bis die Angst in ihrem Innern so leise wurde, dass sie sich traute, wieder zu den Mädchen zu gehen.

«Die Post ist nicht gekommen», sagte sie zu ihm. «Und die Zeitung auch nicht.»

Sie hatten nur noch das Telefon und das Radio im Pick-up, in dem neuerdings weit mehr Musik als Nachrichten kamen.

«Und was noch viel schlimmer ist», sagte er, «der Müll nimmt allmählich überhand.»

«Ich weiß.» Ann wrang ein Paar Socken aus. Alle schleppten ihren Müll an den Straßenrand und ließen ihn dort einfach liegen. Er türmte sich in Ascheimern und steifgefrorenen Tüten.

«Wenn es taut, wird das ganze Zeug vergammeln, und dann kommt das Ungeziefer.» Er lehnte sich an den Türrahmen und verschränkte die Arme. «Klein und groß.»

Sie sah ihn scharf an. «Hier gibt es keine Ratten.»

«Das ist kein Scherz, Ann. Wenn keine Ratten kommen, dann andere wilde Tiere.»

«Und wenn schon. Dann machen wir eben ein Wildgehege auf. Vielleicht können wir Eintritt nehmen.» Sie wrang eine von Maddies Unterhosen aus und hängte sie über den Wäschekorb. «Würdest du Kate bitten, mir ihre Sachen zu bringen?»

«Klar.» Er ging nach nebenan.

Ann tunkte Maddies Nachthemd und einen ihrer Rollkragenpullover ins Wasser. Es färbte sich braun. Das lag an dem vielen Rauch vom Kamin. Er legte sich auf ihre Haut, auf ihre Schleimhäute und auf ihre Haare. Was würde sie dafür geben, sich unter die Dusche stellen, von oben bis unten einzuseifen und mit warmem Wasser abspülen zu können.

Kate kam hereingewirbelt und warf ihre Sachen in einem Haufen auf den Boden. «Da.»

Ann sah sich um. «Kann man die Sachen auch wirklich nicht mehr anziehen?»

«Auf keinen Fall. Es mieft alles total.»

«Dann ist gut.» Ann fischte Kates grünes Shirt aus dem Haufen und drückte es tief ins Wasser. Die eisige Kälte schoss ihr durch die dünnen Gummihandschuhe direkt in die Knochen. Ihre Hände pochten.

Kate sah ihr zu. «Ich verstehe das nicht. Wieso haben wir noch Wasser?»

«Das ist ein anderes Leitungssystem. Aber wir müssen darauf vorbereitet sein, dass auch das ausfällt. Deshalb lasse ich immer die Waschbecken und die Badewannen voll.» Und deshalb wusch sie jeden Tag einen Teil ihrer Sachen. Solange sie fließend Wasser hatten, würde sie waschen. «Deshalb darfst du nicht in meiner Wanne baden. Das ist Trinkwasser.»

Kate schüttelte sich. «Das Wasser würde ich niemals trinken.»

«O doch, mein Schatz.» Ann drückte das Shirt aus. Sie stellte das Wasser an und spülte es aus. «Hast du Michele erreicht?»

«Sie ist nicht rangegangen. Niemand ist rangegangen.»

Ein schlechtes Zeichen. Wer konnte, ging ans Telefon. Das war auch Kate klar. «Versuch dir keine Sorgen zu machen. Wahrscheinlich haben sie gerade mit jemand anderem telefoniert. Sie ruft dich bestimmt bald zurück.»

«Sie hat doch diese Party bei sich gemacht, weißt du noch? Vielleicht hattest du recht.» Sie sah Ann nicht an. «Vielleicht ist jemand gekommen, der krank war.»

Das einzugestehen war für Kate ungeheuer schwer. Ann hätte ihr gern tröstend einen Arm um die Schulter gelegt, aber damit würde sie nur ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigen. «Das war vor mehr als einer Woche», sagte sie also stattdessen möglichst leichthin. «Da würde Michele jetzt nicht noch krank werden.»

«Kann sein.» Kate klang nicht überzeugt.

«Du hast aber mit anderen Freunden geredet, oder? Und die sind alle gesund.»

Kate hob eine Schulter und ließ sie fallen.

«Wenn ich hier fertig bin, ruf ich mal bei ihnen an, okay? Ich hinterlasse eine Nachricht. Micheles Mutter ruft immer zurück, das weißt du.»

Das Telefon klingelte, und Kates Gesicht hellte sich auf. «Vielleicht ist sie das», sagte sie und lief los.

Ann hoffte es sehr. Sie zog den Stöpsel und sah zu, wie das schmutzige Wasser ablief. Dann füllte sie das Becken wieder und legte Jeans hinein.

«Mom», rief Kate. «Für dich.»

Sie hörte die Enttäuschung in ihrer Stimme. Seufzend zog sie die Handschuhe aus und hängte sie über den Hahn. Ihre Finger schmerzten. Sie zog ihre Pulloverärmel drüber. Shazia saß mit untergeschlagenen Beinen in einem Sessel und starrte ins Leere. Maddie hatte sich zu ihr gekuschelt und blätterte in einem Buch. Sie kannte es schon fast auswendig. Sie sah sich bloß nochmal die Bilder an.

Ann nahm den Hörer von Kate entgegen. Vielleicht war es Libby. Sie ging immer noch nicht ans Telefon, aber Ann hatte sie schon in der Küche hantieren sehen. Libby winkte nicht zurück, und sie kam auch nicht in den Garten, um mit ihr zu reden.

«Hallo?», sagte Ann.

Beth sagte: «Mom ist krank.»

Ann sank auf das Sofa neben Kate, als hätte sie plötzlich keine Knochen mehr. «Was hat sie?», fragte sie ihre Schwester. Obwohl sie es ganz genau wusste.

Shazia sah sie an.

«Was soll sie schon haben», gab Beth zur Antwort. «George Washington und Sibley sind voll, deshalb fahre ich mit ihr nach Charlottesville.»

Charlottesville war mehr als 150 Meilen vom Wohnort ihrer Eltern entfernt. Da gab es so viele Kliniken in und um die Hauptstadt, und sie mussten quer durch Virginia fahren? Ann wollte fragen, warum, aber dann bremste sie sich. Es war schlimm genug, sie wollte nicht unnötig darauf herumreiten. Beth hatte genug Sorgen.

«Ich muss mich beeilen, Ann, aber ich wollte dir wenigstens Bescheid sagen.»

«Was ist mit Dad?», fragte sie, aber Beth hatte bereits eingehängt. Kate saß da, mit dem Kinn auf der Brust, und klappte ihr Handy auf und zu. Ann legte ihr einen Arm um die Schultern und drückte sie an sich. Zu ihrer Überraschung ließ Kate es geschehen. Ann atmete tief durch. Sie roch Kates Duft und das fruchtige Parfüm, das sie sich immer noch jeden Morgen hinter die Ohren tupfte.

Vor Jahren, als sie noch in North Carolina wohnten, waren eines Abends bei einem Unwetter sämtliche Äste und Zweige, Telefonleitungen, Gehwege und Straßen mit Raureif überzogen worden. Am nächsten Morgen hatte sie mit Peter zusammen Kate auf einen Schlitten geschnallt und sie durch die Straßen gezogen. Nirgends regte sich etwas, kein Schornstein rauchte, kein Auto fuhr vorbei, keine Gardine bewegte sich, wenn sie vorbeigingen. Die ganze Welt schien in einem Zauberschlaf versunken, in Kristall erstarrt zu sein. Sie bestaunten die spitzenbesetzten Zweige und den Gehweg, der glitzerte, als wäre er aus Diamanten. Sie gingen um eine Ecke und entdeckten eine riesige umgestürzte Eiche mit ihrem großen Wurzelteller. Der dünne Mutterboden hatte die flachen Wurzeln nicht halten können. Noch die ganze Woche zerbrachen Bäume unter der Last des Eises. Es gab ein paar Auffahrunfälle und einen Hausbrand durch eine gerissene Leitung, aber die eigentlichen Opfer des Sturms waren die Ulmen und Eichen von Greensboro gewesen.

Damals war ihnen das als furchtbare Katastrophe erschienen. Peter hatte darüber geschimpft, dass der Verkehr wegen gesperrter Straßen umgeleitet wurde, aber im Grunde war das bloß ein kleines Ärgernis. Schon bald war wieder Normalität eingekehrt. Sie hatten es alle gewusst. Bald würde alles wieder gut sein. Es war nur eine Frage der Zeit.

Ann drückte ihrer Tochter einen Kuss auf die Schläfe und spürte das Pochen unter ihrer Haut. Tapfere Kate, die jeden Morgen ihr Parfümfläschchen aufschraubte und in den Spiegel schaute.

Eines Tages würden ihre Töchter ihren Kindern erzählen, dass sie die Pandemie überlebt hatten. Mit ein wenig Glück würde es dann nur noch eine ferne Erinnerung sein.

 

Es war keine Freude, die Sachen zu falten. Der Stoff war hart, die Oberfläche rau, und in einigen Kleidungsstücken hing noch der Geruch nach Rauch. Ann strich einen Ärmel glatt, legte ihn über und formte ein Rechteck. Das Shirt kam in Peters Korb. Das Schlimmste waren die Jeans. Sie beschwerte sie nach dem Zusammenlegen mit Büchern, um sie zu glätten. Dieses Paar wanderte in Kates Korb.

Ein leises Klappern sagte ihr, dass das Wasser kochte. Sie sah zum Kamin hin. Endlich stieg Dampf aus dem Topf. Es hatte fast eine Stunde gedauert. Auf dem Grill war es so viel schneller gegangen. Nächstes Mal würden sie das Wasser früher aufsetzen müssen.

«Peter», sagte sie und griff nach der Wäscheschüssel. «Es ist so weit. Shazia, würdest du bitte das Essen aufsetzen?»

Shazia stand auf und ging in die Küche, um den Topf zu holen, der dort schon bereitstand. Spaghetti und Hackklößchen. Ihre letzte Dose.

Peter hob den großen Topf aus den Flammen und trug ihn nach oben. Das Wasser schwappte über. Sie hatte Angst, dass er sich verbrühen würde, aber er las ihre Gedanken und zerstreute die Sorge mit einem Lächeln.

«He, ihr zwei», sagte Ann, «wir kommen jetzt rein.»

Kate und Maddie standen im Bademantel im Bad und machten beide saure Gesichter. Peter leerte den Topf in die Wanne, in der schon kaltes Wasser stand. Er nickte Ann zu und ließ sie allein.

«Warum kann ich nicht allein baden?», fauchte Kate.

Ann tat es leid, ihr auch das noch zu nehmen. Schon morgens hatte Kate mit Entsetzen die vier Stücke Klopapier entgegengenommen, die Ann ihr zuteilte. Dann hatte Ann vor der Tür gewartet, bis die Spülung ging, hatte die Tür aufgemacht und ihr einen Tropfen Seife auf die Hand gegeben.

«Wir müssen sparsam mit dem heißen Wasser umgehen.» Ann tauchte zwei Waschlappen ein. Das Wasser war warm und angenehm auf der Haut.

«Wir haben tonnenweise Wasser.»

«Aber nicht tonnenweise Holz. Nun kommt, meine Kleinen. Ihr badet doch sonst so gerne.» Ann rieb feste Seife auf die Waschlappen und drückte sie aus, damit die Seife schäumte. Sie sang: «Alle meine Entchen, quak, quak, quak, quak, quaaak …»

Kate stöhnte. «Hör auf, Mom, bitte. Wir sind doch keine Babys mehr.» Aber sie streifte den Bademantel ab und versetzte ihm einen Tritt, dass er über den Boden segelte.

«Nicht gucken.» Maddie zerrte an ihrem Gürtel.

«Als ob.» Kate zog sich die Socken aus.

«Du auch nicht, Mom.» Maddie begann schon vor Kälte zu zittern.

«Nein, natürlich nicht», versprach Ann, obwohl es unmöglich war, nicht hier und da einen Blick auf die blassen, schlanken Körper ihrer Töchter zu erhaschen. Schrecklich dünn waren sie geworden.

Sie hatte ihre Kinder seit einer Ewigkeit nicht mehr nackt gesehen. Vor mindestens zwei Jahren hatte Maddie verkündet, dass sie von nun an allein duschen würde, und bei Kate war es mindestens acht Jahre her. Ann wusste überhaupt nicht mehr, wann Kate sich das letzte Mal selbstvergessen ausgezogen hatte und in die Wanne gestiegen war, kindlich auf den Schaum fixiert und nicht auf ihre Mutter, die zum Aufpassen auf dem Rand hockte. Jetzt stand Kate abgewandt und vor Kälte zitternd da und hielt sich die Hände vor den Oberkörper und die Scham. Sie war dreizehneinhalb und hatte noch keine Periode gehabt. Der Kinderarzt hatte gesagt, es könne jederzeit so weit sein. Aber das war natürlich vorher.

Ann reichte Kate einen Waschlappen und wusch mit dem anderen Maddies Rücken. Ihre Schulterblätter standen hervor, und die Wirbel bildeten eine deutlich sichtbare Knochenkette. Jetzt der Bauch, der vollkommen flach war, und die Höhlungen um die Hüftknochen.

«Mom», sagte Maddie. «Guckst du?»

«Nein.»

Jetzt den Arm, so dünn zwischen ihren Fingern, die knochige Schulter, das zerbrechliche Handgelenk. «Dreh dich um», sagte sie zu Maddie. «Keiner guckt dich an.»

Sie wusch erst ein Bein, dann das zweite. Maddie hatte überall Gänsehaut, die goldenen Härchen standen zu Berge.

«Ich bin fertig», sagte Kate mit klappernden Zähnen. Sie stieg in die Wanne.

Ann gab Maddie den Waschlappen. «Seif dir die Zehen ein», sagte sie und stand auf. Sie tauchte die Schüssel ein und übergoss Kate mit einem Schwall warmen Wassers, erst auf der einen, dann auf der anderen Seite.

«Jetzt bin ich dran», sagte Maddie. «Mach schnell. Es wird schon dunkel.»

Kate stieg aus und wickelte sich in ein Handtuch.

«Morgen dürft ihr beide euch am Feuer waschen», sagte Ann. «Dad und Shazia können solange im Hobbyraum warten. Und vielleicht können wir euch die Haare im Spülbecken waschen.»

«Jippie.» Kate lief in ihr Zimmer und knallte die Tür zu.

«Ich bin fertig», sagte Maddie. «Du kannst jetzt gehen.»

«Deine Sachen liegen auf deinem Bett», sagte Ann.

Das war etwas, was sie nicht aufgeben würde. Sie faltete ihre Sachen ordentlich zusammen, sorgte für warme Bäder und legte ihre Nachthemden auf dem Bett für sie bereit.

Auf dem Weg nach unten sah sie aus dem Fenster. Draußen färbte sich der Himmel leuchtend orange. Am Horizont standen Federwolken in Dunkelblau und Violett. Wann hatte sie zuletzt einen Sonnenuntergang beobachtet? Um diese Zeit am Abend hatte sie immer so viel zu tun gehabt. Die Mädchen mussten zu ihren Nachmittagsaktivitäten gefahren und wieder abgeholt werden. Dann musste sie Essen kochen, E-Mails checken und Anrufe erledigen, die Schulmahlzeit für den nächsten Tag zusammenstellen und Hausarbeiten beaufsichtigen. Jetzt gab es nichts, was sie davon abhielt, in Gedanken zu versinken und in Erinnerungen. Sie nahm sich eine Wolldecke, die in der Küche über einer Stuhllehne hing, legte sie sich um die Schultern und ging nach draußen.

Zum Schutz vor der Kälte zog sie die Decke fester um sich. Aber die eisige Luft hatte auch etwas Gutes. Sie zeigte ihr, wie dünnhäutig sie war. War es ein Fehler gewesen, sich Peter gegenüber zu öffnen? Es tat weh. Immer noch.

Hinter ihr glitt leise die Tür auf, und plötzlich drang ein Lärmschwall zu ihr heraus – die Mädchen kabbelten sich, und Shazia griff besänftigend ein –, dann ging die Tür wieder zu, und in der Stille näherten sich Schritte. Es war Peter.

«Hast du was dagegen, wenn ich mich dazusetze?», fragte er. Er nahm neben ihr Platz, ohne sie zu berühren.

Zwischen den dunklen Silhouetten der Nachbarhäuser strahlte am Horizont ein schmaler Streifen Himmel lachsrot, und über ihnen schwebte ein zartes Wolkennetz. Die Baumwipfel waren von zartem Perlmutt umrissen, und noch weiter oben färbte sich alles tief violett.

«Beth hat nicht wieder angerufen.» Die Fahrt dauerte drei Stunden, und ihr letzter Anruf war schon sieben Stunden her. Beth wusste, dass Ann wartete. Beth wusste, dass Ann von ihr hören wollte, sobald sie in der Klinik waren.

«Vielleicht sind sie noch nicht angekommen.»

«Was können sie für Mom tun?»

«Sie beatmen und ihr antivirale Medikamente geben.»

Wenn sie überhaupt welche hatten. Und vielleicht nicht einmal dann. Ihre Mutter gehörte keiner der Gruppen an, die bevorzugt behandelt wurden. Sie war kein Erstversorger. Sie war keine Politikerin. Sie war keine Wissenschaftlerin, die Heilmittel erforschte. Sie war bloß eine pensionierte Lehrerin. Ein Niemand. Wie alle anderen Menschen, die Ann liebte.

Carla Buckley - Die Luft die du atmest
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