FÜNFZIG

Ann stand am Schlafzimmerfenster und schaute in den Garten. Der Mond war noch nicht aufgegangen. Alles war schwarz und grau, Himmel und Erde und Häuser. Die Nacht fühlte sich anders an, wenn sie nicht von künstlichem Licht und Lärm verdrängt wurde. Sie war länger und tiefer und viel gegenwärtiger. Man brauchte Kraft, um sie zu überstehen. Sie kannte dieses Gefühl von früher. Wie lange hatte sie an einem Abgrund gestanden und hinuntergestarrt. Am Ende war sie zurückgetreten und hatte sich abgewandt. Sie glaubte nicht, dass sie das noch einmal schaffen konnte.

Ein Windstoß rüttelte an der Fensterscheibe und pfiff unter dem Dachvorsprung. Was brachte er diesmal? Der Wind konnte gefährlich werden. Einmal hatte er den Tisch von der Terrasse gehoben und in Libbys Garten geweht. Smith hatte ihr geholfen, ihn zurückzutragen, und sie hatten darüber gelacht, was der Wind so alles anstellen konnte.

Der Wind heulte lauter. Er hielt durch den Garten direkt auf das Haus zu.

Peter lag mutterseelenallein da draußen in der Erde.

Ein Schatten bewegte sich über den Rasen und verschwand unter den schlanken Zweigen der Birke. Sie sah genauer hin, aber er kam auf der anderen Seite nicht wieder hervor.

Sie musste sich gegen die Haustür stemmen, um sie zu öffnen. Der Wind riss sie ihr aus der Hand und knallte sie gegen das Haus. Die Decke, die sie sich um die Schultern gelegt hatte, flatterte hoch. Sie verknotete die Enden um den Hals. Die Schüssel, die sie trug, hielt sie gegen den Körper gepresst und kämpfte sich die Stufen hinunter. Auf der Straße klapperten Sachen vorbei. Mülleimer vermutlich und alles, was sonst so rumlag.

Hinter der Hausecke drückte der Wind von hinten, und sie lief unsicher über den unebenen Boden. An der Birke blieb sie stehen und starrte in die Dunkelheit. War der Schatten noch da? Die Wolken teilten sich. Im Mondlicht sah sie ihn am Fuß des Baumes kauern.

«Barney.»

Seine Augen glänzten. Er sah sie unverwandt an.

«Komm mal her.»

Sie ging ein paar Schritte auf ihn zu und stellte die Schüssel hin. Sie sah ihn nicht kommen, aber dann war er da und machte sich gierig über das Essen her. Sie griff in die Tasche und holte ihr letztes Stück Trockenfleisch hervor. Das allerletzte. Sie wickelte es aus und brach ein Stück ab. Der Hund kam zu ihr und fraß ihr mit überraschender Behutsamkeit aus der Hand. Sie gab ihm ein zweites Stück. Wieder ein manierliches Knabbern. Sie hielt ihm das dritte und letzte Stück hin.

Barney schnüffelte an ihren Fingern. Er humpelte nicht mehr. Peter hatte seine Wunde mit Erfolg behandelt.

Sie leerte eine Wasserflasche in die Schüssel. Trinkend schob Barney sie auf dem Boden herum und nieste. Dann blickte er zu ihr auf und kehrte zum Fuß des Baums zurück. Sie nahm die Decke von den Schultern und legte sie auf die Erde. Er trat darauf, schnüffelte und drehte sich im Kreis. Dann ließ er sich mit einem Seufzer nieder und schloss die Augen.

Sie setzte sich neben ihn und lehnte den Kopf an den Stamm.

«Den Baum hat Peter gepflanzt.»

Der Mond glitt aus den Wolken, groß und gelb und voll.

«Zur Erinnerung an unseren Sohn. William.»

Der Name hatte einen vollen Klang in ihrem Mund. Der Hund rückte näher und legte seinen Kopf auf ihren Schoß. Dankbar für seine Zuneigung, kraulte sie ihm den Hals, das Fell kalt und borstig unter ihren Fingern.

Peter war nicht mehr allein.

Carla Buckley - Die Luft die du atmest
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