FÜNFUNDDREISSIG

Der Regen wurde stärker, er trommelte auf die Windschutzscheibe ein. Die Scheibenwischer sausten über das Glas. Peter beschleunigte auf der Ausfahrt und hielt an einer roten Ampel.

Er war ein Dieb.

Womöglich hatte sich der Verkäufer sein Kennzeichen aufgeschrieben. Die Polizei würde herausfinden, wo er wohnte, und an seine Tür poltern. Wie sollte er es Ann und den Mädchen erklären? Nein. Ann würde ihn verstehen. Und auf den Verkäufer wütend sein. Und die Mädchen brauchten nichts davon zu erfahren.

Es war nur sein schlechtes Gewissen, das den Teufel an die Wand malte. Die Polizei würde sich mit einer solchen Lappalie gar nicht erst abgeben. Sie hatten Wichtigeres zu tun. Vermutlich würde der Verkäufer schon deswegen nicht Anzeige erstatten, weil er sonst sein eigenes Verhalten erklären müsste. Peter musste sich einfach wieder beruhigen. Was hatte er denn schließlich gemacht? Die Sachen waren höchstens zehn Dollar wert. Später, wenn alles vorbei war, würde er die gestohlenen Sachen bezahlen. Seinetwegen doppelt.

Ebenso plötzlich, wie es zu regnen begonnen hatte, hörte es auch wieder auf. Die Scheiben im Auto beschlugen. Peter stellte die Lüftung hoch. Im Radio dudelte erneut ein Lied aus den Siebzigern, es ging um hoffnungslose Liebe. Er brauchte jetzt eher Rhythm and Blues oder einen von den schnellen Hip-Hop-Songs, die Kate so gern hörte. Energisch stellte Peter das Radio aus. Jetzt war nur noch das gleichmäßige Hin und Her der Scheibenwischer zu hören.

Die Ampel wurde grün, und er fuhr an. Er würde noch einmal am Supermarkt vorbeischauen. Nach diesem ganzen Theater konnte er nicht mit leeren Händen nach Hause kommen. Lieber noch ein bisschen länger ausbleiben und dafür Babynahrung mitbringen. Die Autouhr zeigte 8.23 an. Er war seit mehr als drei Stunden unterwegs. Ein Blick auf die Tankanzeige machte ihm klar, dass der Tank nur noch ein Viertel voll war. Nach dem Einkaufen würde er noch zu der Tankstelle fahren, die vorhin geöffnet war. Vielleicht waren die Schlangen kürzer geworden. Wie dumm, dass er Ann nicht anrufen konnte, um ihr Bescheid zu sagen. Hoffentlich war zu Hause alles in Ordnung.

Der Laden war nur noch ungefähr eine Meile entfernt.

Die Scheiben wurden allmählich wieder klar. Im Scheinwerferlicht tauchte plötzlich eine Gestalt vor ihm auf.

Was zum Teufel?

Peter stieg auf die Bremse. Die Reifen quietschten. Der Pickup schlingerte. Seine Scheinwerfer beschienen den Bürgersteig, ein paar Beine. Er umklammerte das Lenkrad. Endlich kam der Pick-up zum Stehen. Er starrte aus dem Fenster, ohne etwas zu sehen. Er hatte keinerlei Aufprall gespürt. Wo war der Mann hin? War er irgendwie unter den Pick-up gerutscht? Peter schaute aus dem Seitenfenster. Da stand ein Mann im Regen, ein Mann in dunklen Sachen, die blassen Hände in die Taschen gestopft.

Der Mann trat an sein Fenster. Er hatte seine Kapuze tief in die Stirn gezogen, sodass seine Augen nicht zu sehen waren. Warum schlenderte er so lässig? War ihm nicht klar, dass er beinahe überfahren worden war? Peter kurbelte die Scheibe herunter. Wasser tropfte herein.

«Herrje. Ich hätte Sie beinahe erwischt.»

Der Fremde hob das Kinn. Peter sah einen weichen Mund, eine weiche Nase, zarten Bartwuchs. Das war kein Mann. Eher noch ein Kind. Ein Halbstarker. «Steig aus.»

«Was?»

«Los, Mann.»

Peter sah ihn ungläubig an. Wollte er sein Auto kidnappen?

«Na los, mach schon.»

Der Junge wippte auf den Zehen. War er high? Jetzt tauchten hinter ihm zwei weitere Gestalten auf, schattenhaft, drohend.

Peter schüttelte den Kopf und begann die Scheibe hochzukurbeln. Er hatte keine Zeit für so was.

«Auf geht’s, Alter.» Die Stimme des Jungen war jetzt scharf.

Die Beifahrertür ging auf. Bevor Peter reagieren konnte, beugte sich ein Junge über den Sitz. Links von ihm klickte es leise. Peter guckte aus dem Fenster. Der erste Junge hielt ein Springmesser in der Hand.

Heute Abend war sich offensichtlich jeder selbst der Nächste.

Peter beugte sich zu dem Jungen hinüber. Wie aus Höflichkeit beugte sich auch der Junge näher zu ihm über den Sitz.

«Scheißkerl», sagte Peter.

Der Junge blinzelte. Dann hustete er. Es war ein tiefer, schleimiger Husten, der ihn so erschütterte, dass er sich den Bauch halten musste.

Über Peters Gesicht ergoss sich ein Sprühregen. Erschrocken wich er zurück.

Der Junge richtete sich auf, wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht. Und griente.

Carla Buckley - Die Luft die du atmest
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