Kapitel 2

Mehmood gürtete seinen Dolch, überprüfte seine Tasche und verließ sein Gemach. Er hatte Thanasis überzeugen können, mit ihm zu kommen. Auf der Insel Loros wollten sie den Versuch unternehmen, in den unterirdischen Hallen, aus denen die Maschinen hervorgeschossen waren, eine mögliche Schwachstelle zu finden, die sie im Kampf gegen die tödlichen Monster ausnutzen konnten. Sie würden mit den Kraindrachen fliegen und wollten sich in der Halle der Schwingen treffen. Er konnte den Minotaur, dessen Posten er überraschenderweise erhalten hatte, überhaupt nicht einschätzen. Er hoffte, sie kämen gut miteinander aus und er würde mehr über seine Aufgaben und Pflichten als zukünftiger Herr des Schwarzen Labyrinths erfahren. Der Ort war bestenfalls ein Mysterium für ihn.

Er schritt schneller aus. Die Korridore und Flure Idraks waren belebt, aber die Geschäftsinhaber und Händler zogen missmutige Grimassen. Der Handel war beinahe gänzlich zum Erliegen gekommen, seit die Bedrohung durch die Maschinenwächter und der Fall der Frostreiche bekannt geworden war. Untergangsstimmung lastete auf den Menschen.

Mehmood atmete tief ein und verließ den Tempel durch ein breites Portal. Auf der anderen Seite war eine finstere, aber titanische Höhle mit einem Spalt, dessen dunkler Abgrund tief hinab in die Fundamente des Gebirges reichte. Über ihnen war die Decke in dem Zwielicht der großen Ölfeuer kaum zu erkennen und nur die Echos von Schritten, Worten und dem Scharren der Kraindrachen gaben einen Eindruck von der gewaltigen Ausdehnung dieses Ortes. Mehmood starrte hinauf und erkannte die Kampfmagier, verwandelte Männer mit besonderen Fähigkeiten, die im Dienst des Ordens standen und die drehbaren Türme mit den magischen Geschossen bedienten. Sie überwachten den Eingang zur Höhle, der in einen ausgedehnten natürlichen Tunnel wies, und nach etlichen Windungen ins Tal Idrak führte. Eine große Anzahl Kraindrachen war gekommen. Der Größte von ihnen war die goldene Sora. Ein gewaltiges Biest mit Schwingen, die ausgebreitet hundert Schritt maßen. Faunus winkte zu Mehmood und warf sich in den Sattel. Mit einem Rauschen der ledernen Flügel erhob sich Sora in die Luft. Staub und Dreck wirbelten in Mehmoods Gesicht. Als Sora aus dem Höhleneingang in den Tunnel schoss, sah Mehmood die dunkle Silhouette des Minotaurs. Er sprach mit einem der Kraindrachen.

Thanasis musterte ihn, als er sich näherte. »Fertig?«

Mehmood nickte, eingeschüchtert von der Präsenz des Unsterblichen.

»Ich hatte vorhin kurz Gelegenheit, mit Mikar zu sprechen. Wir sollten einige Dinge beachten. Lass die Finger von Steinscheiben mit Schlangensymbolen drauf! Mikar hat am Tor dran rumgefummelt - typisch! - und die ganze vermaledeite … Scheiße verursacht. Scheinbar war eine Entität oder ein Geist vorhanden, der telepathischen Kontakt zu ihm aufgenommen hatte. Falls wir getrennt werden sollten, treffen wir uns hier oder hier.« Thanasis zeigte Mehmood eine gebraucht aussehende Karte und tippte auf zwei Orte. Er wies zunächst auf eine auffällige Formation an der Südküste, dann auf einen Binnensee, der von einem Flusslauf gespeist wurde, der das Regenwasser vom Vulkan abführte. »Beim See gibt es einen Wasserfall.«

»In Ordnung. Wo beginnen wir?«

»Hier hat Mikar die ersten Maschinenwächter aufgeweckt. Wir werden uns zunächst aus großer Höhe nähern, um eventuelle Feindbewegungen festzustellen. Dann sehen wir auch, ob der Ort überwacht wird.«

»Wo landen wir?«

»Gar nicht. Wir springen ab.«

Mehmood nickte. »Ich kann mich zur Not in ein Flugtier verwandeln, aber wie machst du das?«

»Mit den Hufen voran, wie sonst? Willst du die ganze Strecke selbst fliegen?«

»Ah, lieber nicht. Nach ein paar Minuten geht mir grundsätzlich die Puste aus.«

»Proviant? Waffen?«

Mehmood hielt seine Tasche hoch und beäugte den Minotaur. Er hatte ebenfalls eine Tragetasche über der mächtigen Schulter hängen.

»Auch kein Freund von Rucksäcken?«

Thanasis grunzte nur.

Na, das kann ja eine heitere Unternehmung werden.

Der Minotaur wies auf einen roten Kraindrachen, der Mehmood aus ebensolchen Augen musterte. »Muirmag hier ist bereit, deine Last zu tragen.«

Mehmood verneigte sich und der Drache neigte ebenfalls sein Haupt, dann ließ er eine Schwinge herab und half Mehmood dadurch, in den Sattel zu kommen. Thanasis bestieg einen blauen, auffällig dornenbewehrten Kraindrachen, dessen gelbe Augen unruhig blinzelten. Sie erhoben sich in die Luft und schossen durch den verwundenen Tunnel, und hinaus in das blendende Licht der Zwillingssonnen, die den lehmigen Boden des Idrak-Tals austrockneten. Nach der Dunkelheit im Tempel war das gleißende Licht beinahe schmerzhaft in den Augen. Doch nur für eine Schrecksekunde, dann hatte er sich daran gewöhnt. Er war überrascht.

Das Brennende Blut! Es gewährt offenbar eine ganze Reihe von Vorteilen.

Muirmag folgte Thanasis und seinem Kraindrachen ohne Mehmoods zutun, sodass er in Ruhe die Landschaft unter sich betrachten konnte. Sein Blick schweifte unwillkürlich nach Osten, wo in weiter Ferne der Namenlose Abgrund lag. Ein Ort, den er mittlerweile nicht mehr bewachte. Das Gefühl ließ eine eigenartige Leere in ihm entstehen. Er beschattete die Augen und versuchte im Westen etwas zu erkennen. Das schwarze Labyrinth lag dort, doch mehr als ein vages Bild davon, genährt von den Eindrücken eines Steinfreskos und einer Zeichnung auf einer verschimmelten Papyrusrolle hatte er nicht.

Von den vielen Orten auf Kabal und im Namenlosen Abgrund, die ich schon bereist habe, ist dies der eine Ort, den ich stets kannte und doch immer mied. Ich war zumindest ein halbes Dutzend Mal in seiner Nähe. Nie habe ich mich herangetraut. Warum nur?

Mehmood zog eine Grimasse und warf einen Blick auf den missmutigen Minotaur, dessen massige Gestalt auf dem Drachen vor ihm ruhte.

Hoffentlich taut er etwas auf und lässt mich an seinen Erfahrungen als Herr des Schwarzen Labyrinths teilnehmen.

Die nächsten Stunden verbrachten sie schweigend, landeten nur einmal auf einem Feld, um sich zu erleichtern und wechselten kaum ein Wort miteinander. Der Flug war so eintönig, dass Mehmood mehrmals die Augen zufielen, während seine Gedanken abwechselnd um die vor ihnen liegende Aufgabe und die Befreiung Cendrines kreisten. Muirmag schien es zu spüren, wenn er im Sattel schwankte, und stieß jedes Mal einen leisen Schrei aus, der Mehmood aufschreckte.

Am Abend fiel sein Blick auf das Meer zwischen der Küste Iidrashs und der Insel Loros. Der Vulkan beherrschte die reichlich begrünte Insel und schien die Existenz des Dschungels zu seinen Füßen nur vorübergehend zu dulden. Eine dräuende Stimmung ging von seinem scharfkantig gebrochen Gipfel aus. Schwer fiel sein Schatten auf den von Nebelschwaden durchzogenen Urwald. Sie kreisten mehrmals, den Blick auf der Umgebung ruhend.

Thanasis drehte sich zu ihm um. »Scheint alles ruhig zu sein. Da unten, bei dieser Straße werden wir uns treffen!« Er hatte die Worte kaum ausgesprochen, als er auch schon sein Bein über den Sattel schwang. Mehmood hatte ein flaues Gefühl, als der Minotaur mit ausgebreiteten Armen in die Tiefe stürzte. Eine Fontäne aus Sand spritzte hoch, als er in den Strand einschlug wie ein schweres Geschoss. Mehmood erschrak, doch einen Moment später sah er den schwarzen Umriss des Titanen in Richtung der Straße gehen.

Wir sind auf halber Höhe mit dem Vulkan! Wie hat er das gemacht?

Mehmood ordnete seine Sachen, um sie in den Verwandlungsprozess zu integrieren und wählte die Form eines Riesenadlers. Muirmag schrie verblüfft auf, doch Mehmood beruhigte ihn, dann warf er sich in die Luft. Die Drachen hatten schon vor dem Abflug Anweisungen von Thanasis erhalten und stiegen jetzt höher in die Luft, wo sie notfalls tagelang kreisen konnten. Mehmood ließ sich herabgleiten, landete neben Thanasis und verwandelte sich zurück.

»Dies ist der Weg, den Mikar mir beschrieben hat.« Thanasis warf einen abfälligen Blick auf die Steinskulpturen der Reptilien. »Verdammte Schlangen.«

Mehmood begutachtete die Schlangenstatuen neben der Straße mit Misstrauen. Die Hufe des Minotaur klapperten auf dem schlecht gepflegten Pflaster. Der Dschungel rückte näher, während die Straße sie tiefer in den Schatten unter dem Vulkan brachte. Der Verlauf der Straße glich dem Bewegungsmuster von Schlangen, wie Mehmood wenig begeistert feststellte. Die Statuen wurden in ihrer Haltung immer bedrohlicher, die Kiefer weit aufgerissen, sahen sie aus, als wollten sie nach jedem schnappen, der sich in ihre Nähe wagte. Nebel lag über der Straße, doch Mehmood erkannte deutlich die Spuren der Maschinenwächter, die sich hier zu Tausenden entlang bewegt hatten.

Thanasis nickte. »Dort. Das flache Bauwerk mit dem runden Eingang. Wir haben Glück, er steht offen.«

Sie näherten sich bedächtig dem finsteren Schlund und starrten in seinen Rachen. Mehmood leckte sich über die Lippen und warf Thanasis einen Blick zu. Der Minotaur schnaubte unwillig.

»Was hat den dämlichen Pferdeknaben bloß dazu bewogen, hier seine Hufe abzuwetzen? Er hasst enge Räume. Bei seinem Hinterteil würde es mir allerdings nicht anders gehen. Nun, vom Abwarten werden wir nicht schlauer.«

Thanasis bewegte sich vorwärts und Mehmood folgte ihm. Bald war es stockfinster, doch wie schon beim Verlassen des Tempels spürte er, wie sich seine Augen anpassten. Er konnte mehr erkennen, als er gedacht hatte, und folgte dem Minotaur. Der Boden wurde immer schräger, sie schlitterten vorwärts, rutschten aus und polterten hinab. Thanasis überschlug sich und landete auf dem Bauch in einer großen Halle. Nur Mehmood hatte seinen Körper blitzschnell angepasst und war auf den Füßen geblieben. Er sondierte die Umgebung, während sich Thanasis leise neben ihm erhob.

»Wie ist der Kerl hier wieder rausgekommen?«

»Womöglich hätten wir ein Seil anbinden sollen? Ich kann immer noch hinausfliegen und das nachholen.«

»Damit beschäftigen wir uns später.«

Thanasis ließ seinen Blick schweifen. Er ging langsam, so leise es seine Hufe zuließen, in die Halle hinein.

Mehmood tippte ihm auf die Schulter. »Halt mal! Ich werde eine Runde drehen.«

Thanasis nahm ihm die Sachen ab und er verwandelte sich in eine Fledermaus. Er flog durch eine leere Halle, die mittels seltsamer Lampen erleuchtet wurde. Hier und da waren auffällige Strukturen in den Wänden, von denen Rohre und Leitungen abzweigten. Als er einen beachtlichen Schacht mit einer schmalen Brücke darüber erreichte, sah er das Ende der Halle. Die Decke war teilweise zusammengebrochen, ein Wasserlauf hatte sich gebildet und nährte einen Wasserfall, der in die Tiefe des Schachtes stürzte. Es war kein Feind zu sehen und Mehmood kehrte zu Thanasis zurück. Er nahm seine Sachen entgegen, nachdem er sich verwandelt hatte.

»Scheint ruhig zu sein.«

Blicke in die Tiefe werfend, überquerten sie die Brücke. Thanasis schürzte die Lippen und wies auf die vielen Öffnungen in den Schachtwänden.

»Da sind die Maschinenwächter rausgekommen. Wir sollten irgendwo am Ende der Halle einen Tunnel finden, der sich nach unten windet und in eine Art Kontrollraum führt.«

»Kontrollraum?«

»Ein Ort, von dem aus man Maschinen kontrollieren kann.«

Mehmood nickte. Er hatte nur eine vage Vorstellung von Maschinen. Sie waren ihm rätselhaft. Magie verstand er wenigstens so weit, dass er sie benutzen konnte, ihr Konzept war einleuchtend. Sein Gefühl leitete ihn dabei an und sein Wille formte die Elemente, die er kontrollieren konnte. Maschinen waren eigenartig und rätselhaft in seinen Augen. Sie folgten nur dem Willen und der Absicht ihres Erbauers, mussten auf bizarre Art bedient werden und waren meistens so kompliziert, dass niemand verstand, was er damit anfangen sollte. Und waren sie erstmal defekt, war es ohnehin aus oder endete sogar in einer Katastrophe. Mehmood hoffte, dass Thanasis mehr Ahnung von Maschinen hatte, als er, denn nun kamen sie am Grund des Schachtes an, wo der Tunnel endete.

»Ein MA-Reaktor. Er ist die Energiequelle. Das ganze Wasser hier unten ist nicht gut. Möglicherweise wird es abgepumpt. Keine Ahnung, was passiert, wenn die Pumpen ausfallen. Wahrscheinlich läuft das Ding aber auch unter Wasser weiter.«

Sie umrundeten eine Galerie oberhalb des Wasserspiegels und gelangten an eine Tür. Ein ehemals sehr hell eingerichteter, runder Raum war Schauplatz eines Kampfes gewesen, der große Teile seiner Einrichtung zerstört hatte.

»Hier hat Mikar gegen diese Sidaji aus Metall gekämpft, wie er sie beschrieben hat.«

»Die da?«, fragte Mehmood und wies auf die zerstörten Metallkörper neben ihm.

Thanasis nickte und sie fanden weitere der Maschinen. An einer Stelle war die Wandverkleidung stark beschädigt und offenbarte, dass es sich um eine Tür handelte.

»Sieh mal!«

Thanasis packte das verbeulte Metall und riss es mit einer mühelosen Bewegung ab. Der Durchgang war zu schmal, aber zwei Fausthiebe und einen Tritt später standen sie in einer weiteren Halle. Angefüllt mit einer unüberschaubaren Vielzahl von ineinander verschlungenen Konstrukten und Maschinen, bot sich kein Anhaltspunkt für das Auge, das suchend von Rohrleitungen über Schläuche und Kabel weiter zu rätselhaften Mechanismen und geheimnisvollen Apparaten wanderte. Kaltes Licht fiel aus tausenden leuchtender Röhren und erhellte jeden Winkel des halb überfluteten Ortes, der noch tiefer lag, als der Boden des Schachtes. Stege und Leitern führten sie hinein in das Maschinenlabyrinth. Thanasis untersuchte alles und nahm einzelne Teile in die Hand.

»Woran erinnert dich das?«

Mehmood nahm das handtellergroße Metallstück entgegen, das aus einer ihm unbekannten Legierung bestand. Es war leicht, aber so hart, dass er es nicht mit der gehärteten Klinge seines Dolches ritzen konnte.

»Das könnte eine der Metallschuppen von den Maschinenwächtern sein!«

Thanasis nickte und wies auf die anderen Vorrichtungen, entnahm weitere der Teile, die dort lagen. Es handelte sich um Gelenke aus Metall, Schläuche aus einem zähen Gewebe und komplexere Gebilde. »Dies ist die Geburtsstätte der Maschinenwächter. Hier entstehen die Monster.«

Mehmood rieb sich über den Mund. »Dieser Ort sieht runtergekommen aus. Die Hälfte der Halle befindet sich unter uns und ist überflutet. Viele der Maschinen sehen nicht so aus, als würden sie noch ihre Arbeit verrichten können.«

»Unser Glück.«

Sie untersuchten den Rest der Halle. Thanasis den oberen Teil, Mehmood den unteren Bereich, indem er sich in einen Fisch verwandelte. Nach einigen Stunden der Suche hatten sie einen zweiten Eingang gefunden, der in einen Tunnel zu führen schien. Thanasis folgte Mehmood ins Wasser, da er behauptete, es machte ihm nichts aus, lange Zeit keine Luft zu bekommen. Mehmood glaubte ihm das, warnte aber dennoch davor, dass er nicht wusste, wo sie wieder auftauchen könnten. Thanasis winkte ab und tauchte unter. Er war ein langsamer Schwimmer, aber sie kamen schneller voran, als er Mehmoods Rückenflosse ergriff. Sie tauchten durch ein tintenschwarzes Wasser, in dem Teile umherschwammen oder ihr Vorankommen durch versperrte Türen blockiert wurde. Dank der Kraft des Minotauren überwanden sie jedoch jede Hürde und gelangten bald in einen See. Mit kräftigen Bewegungen seiner Schwanzflosse brachte Mehmood sie an die helle Oberfläche. Im Tunnel war es so finster gewesen, dass ihnen die Nacht wie der sonnigste Tag erschien. Mehmood staunte über die neue Anpassungsfähigkeit seines Körpers.

Sie sahen sich um. Eine breite Rampe führte in einen niedrigen und trockenen Bereich, der sich einer ausgedehnten Anlage anschloss, die über zahlreiche Gebäude, Straßen und Vorrichtungen unbekannter Funktion verfügte. Der See entpuppte sich als ein ursprünglich tiefer gelegener Platz, der dem Tunnel zugeordnet war. Sie stiegen aus dem Wasser und betraten die ehemals breiten Straßen. Überwuchert, der Stein aufgeplatzt und zerrissen durch Wurzelwerk und Witterung, waren sie kaum mehr als die Erinnerung an einen ehemals sehr belebten Ort. Die ganze Anlage lag in einer Art Tal, die Überschwemmung war durch eine Aufstauung von Wasser in einem künstlich angelegten Kanal entstanden. Sie durchstöberten die Anlage, bis sie sicher waren, dass sie verlassen und außer Funktion war. Bei einer Pause in der Nähe eines halb zerfallenen Turms besprachen sie ihre Beobachtungen.

Thanasis nahm einen Schluck Wein aus einem Schlauch, den er seiner großen Tasche entnahm. »Es muss sich um den Ort handeln, wo Erz und Rohstoffe verarbeitet wurden. Man hat diese dann über den Tunnel an den Ort gebracht, wo man die Maschinenwächter angefertigt hat. Im Augenblick würde ich vermuten, dass dies der einzige Ort dieser Art ist, aber wir können erst sicher sein, wenn wir mehr von der Insel gesehen haben.«

Mehmood nahm seinen Mut zusammen. »Was erwartet mich beim Schwarzen Labyrinth?«

Thanasis musterte ihn. »Du hast nicht die geringste Ahnung, oder?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich habe nur gehört, dass jeder, der das Labyrinth meistert, eine große Belohnung, einen Schatz erhält. Das klingt jedoch wie das Gewäsch Betrunkener alter Männer.«

Thanasis seufzte. »Ein Kern Wahrheit liegt darin. Das Schwarze Labyrinth in der Oase Sabec ist ein Ort der Kontemplation. Die Belohnung für das Durchschreiten des Schwarzen Labyrinths ist Unsterblichkeit, der Preis für Versagen, der Tod. Viele kommen und denken, sie müssten mit Waffen kämpfen, Fallen überwinden und dergleichen Unsinn mehr. In Wirklichkeit sind die Prüfungen des Labyrinths erheblich schwerer. Wenn sich die Nacht über die Wüste senkt und die Tore zum Labyrinth geöffnet werden, lässt es nur einen einzigen Besucher zu. In dem Moment, wo dieser Besucher das Labyrinth betritt, wachsen in seinem Inneren die Mauern empor, die das Muster bestimmen, das man beschreiten muss. Jedem stellt sich das Labyrinth anders dar, es ist niemals gleich.«

»Und was ist in dem Labyrinth?«

»Angst und Selbstzweifel. Begierden und der Durst der Seele. Die inneren Dämonen, die uns plagen und in uns leben, manchmal unerkannt, zuweilen wie alte Bekannte, selten so nah an der Oberfläche, dass sie die vollständige Kontrolle übernehmen. Ihnen gilt es, gegenüberzutreten. Die meisten haben eine tiefsitzende Furcht vor dem Tod - sie überleben das Labyrinth grundsätzlich nicht. Andere begegnen ihrer dunklen Seite. Sie verzweifeln und sterben angesichts der Erkenntnis, dass eine Bestie in ihnen lauert.«

»Überlebt das überhaupt irgendjemand?«

»Oh ja. Du wirst es überleben müssen, sonst bleibt meine alte Stelle unbesetzt.«

Mehmood schluckte.

Ein ganzes Pandemonium tobt in meiner Seele. Wie soll ich das bewältigen?

Thanasis sah ihm in die Augen. »Du wirst dich dieser Prüfung stellen müssen! Du kannst es schaffen. Kassandra und Mikar und ich haben es auch geschafft.«

»Und Cendrine? Charna? Jenara? All die anderen Unsterblichen? Verdammt, ich weiß nicht einmal, wie Seral unsterblich geworden ist.«

»Seral war im Labyrinth. Vor meiner Zeit. Er ist sehr alt, wenn auch wenig bekannt außerhalb des Namenlosen Abgrunds. Ich habe in den Archiven von ihm gelesen. Charna ist von Geburt an unsterblich, wenn man so will. Wie sollte es auch anders sein, als Tochter einer Göttin und des Drachenherrschers von Krain. Cendrine hat ihren Status auf andere Weise erworben. Das ist im Dunkel der Zeit begraben. Wer weiß, ob sie sich selbst überhaupt noch daran erinnern kann?«

»Was ist meine Aufgabe?«

»Du wirst den heiligen Ort vor Missbrauch schützen und diejenigen, die nach Unsterblichkeit suchen auf ihre Aufgabe vorbereiten. Viele werden nach einer Zeit im Tempel, die sie mit den Priesterinnen und in innerer Einkehr verbringen, darauf verzichten, sich dem Labyrinth zu stellen. Diese Männer und Frauen sind dennoch oft interessant für den Orden. Du wirst einige von ihnen auswählen, Aufgaben zu erledigen. Sie werden daran wachsen und dem Orden ist ebenso gedient, wenn sie ihre Aufträge zu unserer Zufriedenheit erledigen. Die Natur dieser … Missionen ist oft pikant, nicht selten geheim. Ein Teil der Macht des Ordens beruht darauf. Ich werde dich einweisen, wenn die Zeit reif ist.

Tasacet ist die ranghöchste Priesterin und Vorsteherin des Tempels in Sabec. Du kannst ihr ebenfalls vertrauen. Und lass dich nicht von ihrem Äußeren täuschen, sie ist extrem kompetent.«

»Was ist so seltsam an ihrem Äußeren?«

»Sie kam vor langer Zeit von Kitaun. Sie ist so gelb, wie sie fröhlich ist und ringt jedem, der sie erblickt sofort ein Lächeln ab. Lass dich nicht von ihrer sonnigen Art berauschen. Sie weiß alles von jedem in Iidrash - ihr Wissen ist eine Quelle der Macht. Sie hat das Labyrinth gemeistert, wie kaum ein anderer vor oder nach ihr. Ich habe großen Respekt vor ihr und du bist gut beraten, wenn du ihr diesen ebenfalls zollst.«

Mehmood nickte und schwieg erwartungsvoll, doch Thanasis schien für den Augenblick nicht mehr sagen zu wollen. Ihr Gespräch schien vorerst beendet zu sein.

Sie verzichteten auf ein Feuer, denn die schwüle Wärme auf Loros war ihnen bereits zu viel. Thanasis schlug vor, bis zur Dämmerung zu schlafen und dann erneut einer vielsprechenden Straße zu folgen, die aus der Anlage hinaus in den Dschungel führte. Zur Sicherheit hielten sie abwechselnd Wache, doch die Nacht blieb ereignislos und Mehmood schlief unruhig und traumlos.

Im Tal war es noch dunkel, als die Wolken über ihnen mit leuchtenden Farben vom Aufgang der Sonnen kündeten. Eine kurze Erfrischung im See, ein schmales Frühstück. Danach packten sie ihre Taschen und machten sich auf den Weg, die zerbröckelte Straße hinauf, deren gegossener Belag von der grünen Masse des Dschungels allmählich zurückerobert wurde. Gegen Mittag erreichten sie eine Siedlung. Dies war offenbar ein Ort, der zum Wohnen gedient hatte. Wieder näher an der Küste, aber verborgen durch den dichten Bewuchs des Waldes, hatten einige hundert Sidaji hier offenbar lange Zeit gelebt. Thanasis machte eine Reihe interessanter Beobachtungen.

»Die Architektur ist erheblich aufwändiger, als man es von den Siedlungen der Sidaji gewohnt ist. Hier wurden seltene und kostbare Materialien verwendet, auch viel Metall. Der Ort sieht alt aus.«

Mehmood wies auf ein größeres Gebäude, dessen Gestaltung einen offiziellen Charakter vermuten ließ. »Womöglich finden wir Karten oder andere Hinweise auf weitere der Maschinenwächter-Verstecke. Wollen wir uns aufteilen?«

»In Ordnung. Ich nehme mir die Häuser auf dieser Seite des Platzes vor.«

Sie nickten einander zu und strebten in entgegengesetzte Richtungen. Mehmood fühlte sich nicht übermäßig wohl in der Nähe des Minotaurs. Es lag weniger an seiner Person, sondern vielmehr an seiner Laune. Die Ereignisse im Tempel hatten ihn sichtlich frustriert. Er war die meiste Zeit in Gedanken und abwesend, obwohl seiner Aufmerksamkeit kaum etwas zu entgehen schien. Für Worte schien er jedoch zurzeit nicht viel übrig zu haben.

Mehmood seufzte und trat vor das große Bauwerk, das er für eine Ratshalle oder etwas Ähnliches hielt. Eine breite Tür versperrte den Zugang. Er umrundete das Gebäude und fand eine zerstörte Fensterscheibe, deren Glassplitter auf dem Boden verstreut waren. Er zögerte. Etwas an dem Bild erschien ihm eigenartig. Vorsichtig trat er vor die Fensteröffnung und betrachtete die Splitterstücke. Einige der Kleineren ruhten auf Blättern und drückten junge Pflanzenhalme nieder. Der Schaden war neu. Er untersuchte den Boden und fand Fußspuren.

Diese eigentümliche Zehenteilung der Sohlen … Das sieht nach Sidaji-Stiefeln aus! Kann es sein, dass einige von ihnen überlebt haben? Nur eine leichte Person hinterlässt jedoch solche flachen Eindrücke.

Mehmoods Neugier war geweckt. Er schlich ins Gebäude, folgte den Spuren und stellte nebenbei fest, dass hier eine Menge Material und Gegenstände gelagert worden waren. Hohe Regale säumten die Wände doch fast alle waren leer. An einer Stelle, wo die Fußspuren verrieten, dass sich die Person, der er folgte, eine Weile aufgehalten haben musste, untersuchte er das Regal genauer. Hier hatte etwas gelegen, das er nach den Umrissen im Staub für eine Armbrust hielt.

Ich muss mich vorsehen.

Er zog seinen Dolch und folgte schleichend den Fußspuren. Sie schienen keiner spezifischen Richtung zu folgen, sondern führten mal in die eine, dann wieder in die andere Richtung. Wer auch immer hier eingedrungen war, hatte den Ort ebenfalls untersucht. In einem großen Raum voller eigentümlicher Tische mit gläsernen Scheiben darauf hielt er inne. Er ging in die Knie und einen Moment später hörte er ein Geräusch. Es war ein Knacken und Bersten, dann das Splittern von Glas. Vorsichtig lugte er um eine Ecke.

Nichts zu sehen.

Gebückt schlich er von einem Tisch zum nächsten, nutzte jede Deckung aus und lauschte immer wieder. Es war jetzt still und er verfluchte das kleinste Geräusch, dass seine Bewegungen machten. Dann hörte er eine Stimme, die leise vor sich hinmurmelte. Die Sprache war hart und unmelodisch.

Die Hochsprache der Frostreiche!

Mehmood schlich angespannt weiter und blieb wie angewurzelt hocken, als sein Blick auf eine dürre Gestalt fiel, die eine Art Karte in der Hand hielt, und konzentriert darauf blickte. Er sah lange in das Gesicht und versuchte das Rauschen seines Blutes in den Ohren zu ignorieren. Doch sein Herz pochte. Er steckte den Dolch fort und erhob sich langsam. Sie hatte ihn noch nicht bemerkt und Mehmood sah, dass die Armbrust auf einem Tisch in seiner Nähe lag. Er würde also keinem Bolzen zum Opfer fallen, wenn er sie erschrecken sollte.

»Julana?«

Die dürre Gestalt wirbelte mit einem Aufschrei herum. In einer anderen Sprache drang ein Singsang von ihren Lippen und leuchtende Kugelblitze formten sich in ihren Händen. Sie wirkte zu Tode erschrocken und streckte die Arme von sich, bereit Mehmood mit der Gewalt des Luftelementes zu vernichten. Er hob die Hände beschwichtigend und ließ sich auf die Knie fallen.

»Julana! Bitte! Hör mir zu!«

Sie sah ihn verblüfft an, als er auf die Knie ging. Mit ihrem kahlen Schädel und den eingefallenen Wangen machte sie einen zerbrechlichen Eindruck. Sie wirkte aber kräftiger und gesünder, als das Bild, das Mehmood von ihr gewonnen hatte, als er sich im Tempel Idrak in ihre Gestalt verwandelt hatte.

Sie erkennt dich nicht, du Schwachkopf! Rede!

Er wechselte in die Hochsprache der Frostreiche. »Warte, Julana! Ich weiß, du kennst mich nicht, doch ich kenne dich! Wir waren beide beim Thronsaal der Sidaji. Du bist gestürzt und hast dich verletzt!«

Julana ließ einen der Kugelblitze vergehen und griff wie in Erinnerung an eine Stelle auf ihrer Stirn, wo die Haut rosig wirkte. »Wer bist du?«

»Mein Name ist Mehmood. Ich bin … war Serals Torwächter. Nun bin ich der Herr des Schwarzen Labyrinths, auch wenn ich es noch nie gesehen habe.«

Julana legte die Stirn in Falten. »Du gehörst zum Orden des Brennenden Blutes?«

Mehmood schluckte und versuchte nicht auf die Blitze zu achten, die gierig aus Julanas rechter Hand nach Tischen und und anderen Gegenständen in ihrer Nähe leckten. Das beißende Geräusch ihrer Entladungen machte ihn äußerst nervös. »Kannst du den nicht wieder wegnehmen, ich knie hier vor dir …«

Julana betrachtete Mehmood mit einem eigentümlichen Blick und zögerte. Sie beobachtete ihn.

»Bitte?«

Endlich ließ sie den letzten Kugelblitz in ihrer Faust verschwinden und Mehmood atmete auf. Er wollte aufstehen.

»Bleib, wo du bist!«

Mehmood ignorierte seine würdelose Stellung auf dem Boden und zog eine Grimasse. »Wenn es sein muss. Hör zu! Ich weiß, das klingt jetzt komisch, aber ich kenne dich. Ich weiß, dass du dich nicht freiwillig ins Reich der Sidaji begeben hast.«

Julana verengte ihre Augen zu gefährlichen Schlitzen. »Wie kannst du auch nur im Geringsten eine Ahnung davon haben, wer ich bin?«

Mehmood zögerte. »Ich … habe deine Gestalt angenommen, um die Königin des Frostturms auszuspionieren, als du bewusstlos warst.«

Julana musterte ihn verständnislos, als ob irgendetwas an seinem Körper seine Worte erläutern half. »Wovon redest du da?«

Mehmood konzentrierte sich. Er nahm Julanas Gestalt an und sie zuckte augenblicklich zurück, starrte gleichermaßen entsetzt und fasziniert auf ihr Spiegelbild, das keines war.

»Wie kann das sein? Bist du ein … Gestaltwandler?«

Statt einer Antwort verwandelte sich Mehmood zurück und nickte.

Julana warf ihm einen verärgerten Blick zu. »Was hast du gemacht, als du dich in meine Gestalt verwandelt hast? Was weißt du über mich? Sprich!«

Mehmood setzte sich und nahm eine entspanntere Haltung an. »Ich habe Wiras Machenschaften ausspioniert. Sie hat mich jedoch in eine Falle gelockt und die Äbtissin der Flammengrube, Cendrine, mithilfe eines Artefaktes entführt. Das Zepter gibt ihr die Macht, jeden hilflos in eine Blase purer Energie zu bannen. Offenbar ein schmerzhafter Vorgang.«

»Weiter!«

»Ich starb durch Goraks Schwert. Die Seherin des Ordens, Kassandra, holte mich aus der Unterwelt und brachte mich zurück ins Reich der Lebenden. Sie injizierte mir das Brennende Blut, um meine tödliche Verwundung zu heilen.«

Julana hatte seinen Worten aufmerksam gelauscht.

»Du hast meine Frage nicht beantwortet. Was hast du gemacht, als du in meiner Gestalt Wira begegnet bist?«

Mehmood neigte den Kopf. »Wir führten eine unangenehme Unterhaltung. Ich nehme an, eure … Beziehung zueinander war bestenfalls einseitig.«

Julana sah zu Boden und wirkte augenblicklich sehr verletzlich. Mehmood sah den Ausdruck in ihren Augen und schluckte. Er suchte nach Worten des Trostes und wusste nicht warum. Er spürte das Verlangen, einen schützenden Schild um Julana zu legen und wunderte sich über die seltsame Gefühlsregung.

»Warum bist du hier?«

»Die Maschinenwächter sind ausgebrochen und verwüsten das Land.«

Julanas Kieferknochen mahlten. »Ich weiß.«

»Wir haben den Auftrag der Hohepriesterin des Ordens, hier nach weiteren Verstecken der Maschinen zu suchen.«

Julana musterte Mehmood und sah einen kurzen, aber intensiven Moment lang in seine Augen. Er hatte das Gefühl, eine Verbindung zu ihr zu spüren, ein tiefverwurzeltes Leid zu entdecken. Dann war der Augenblick vorbei.

Julana bückte sich und hob die Karte auf, die sie zuvor begutachtet hatte. Sie warf einen Blick darauf und trat ein paar Schritte vor, reichte Mehmood vorsichtig die eigentümlich feste Folie, die knisternde Geräusche von sich gab. »Das könnte dich interessieren … Mäh-hemut?«

»Mehmood.«

Julana zog eine Grimasse und nickte. »Bist du allein unterwegs?«

Mehmood sah unbewusst aus einem der Fenster. Er hatte Thanasis fast vergessen.

»Nein.«

Die tiefe Stimme ließ Julana herumwirbeln. Thanasis lehnte an einem Durchgang und musterte die Eishexe, die Arme überkreuzt, seine Haltung entspannt. Julana wirkte jedoch wie ein sprungbereites Tier auf der Flucht. Sie entfernte sich langsam von Mehmood und dem Minotaur.

Mehmood räusperte sich. »Das ist Thanasis. Bleibt bitte alle ruhig! Was ist das hier?« Er wies auf eine markierte Position auf der Karte.

Julana war von der Sachlichkeit, die aus Mehmoods Stimme drang scheinbar verwirrt. Sie war äußerst unsicher und konnte den Blick nicht von Thanasis nehmen.

Mehmood stöhnte. »Thanasis, bitte warte draußen, ja. Ich habe eventuell gefunden, wonach wir suchen aber ich möchte mit …«

»Julana sprechen? Warum plötzlich so fürsorglich? Im Thronsaal hättest du sie am liebsten tot gesehen.«

Mehmood schloss die Augen und schüttelte den Kopf, als Thanasis das Gebäude verließ. Julana sah entrückt aus. Jedes Gefühl war aus ihrem Gesicht gewichen, als sie ihn wieder ansah.

»Hör zu! Das war eine andere Situation! Wir nahmen an, die Eish… ihr seid für den Nebel verantwortlich gewesen. In der Verwirrung und dem Chaos sah ich einen Feind in dir. Ich lernte erst später, dass du nicht freiwillig anwesend warst, bitte glaub mir!«

»Warum? Was willst du von mir? Du siehst mich an, wie ein treu-dummer Hund. Du schuldest mir nichts und ich kenne dich nicht, also lass mich zufrieden! Nehmt die verdammte Karte und geht, lasst mich allein!«

Julana wandte sich ab, aber Mehmoods Gedanken und Gefühle überschlugen sich. Alles in ihm schrie danach, sie vom Gehen abzuhalten, aber er wusste nicht, warum.

Er stand auf und sprach, als sie den Raum beinahe verlassen hatte. »Wir werden sie töten.«

Julana hielt unvermittelt inne. Sie sprach leise über die Schulter. »Wann und wo?«

»Bald. Ein Späher ist bereits in den Frostreichen unterwegs. Ich kenne einen geheimen Weg in den Frostturm.«

Julana drehte sich um, Misstrauen sprach aus ihrer Stimme. »Woher kennst du Wira?«

»Ich habe sie erst kennengelernt, als ich ihr in deiner Gestalt begegnet bin. Ich begleitete jedoch Seral einmal in den Frostturm. Er war misstrauisch ob Wiras eigentümlichen Verhaltens geworden und zeigte mir einen geheimen Weg hinein und hinaus, für den Fall, dass wir flüchten müssten. Was dann auch der Fall war. Ich hatte mich in einen Diener seines Gefolges verwandelt und blieb in den Dienstbotenquartieren. Eigenartige Stimmung da. Gefiel mir nicht sonderlich. Und verdammt kalt war es auch.«

Mehmood hoffte, dass jedes Wort, was er sprach, Julana zum Bleiben motivierte. Sie sah ihm direkt in die Augen und ihre Stimme war eiskalt, als sie antwortete. »Ich will dabei sein, wenn Wira stirbt!«

»Wenn du mir hilfst, an sie heranzukommen, wäre das eine willkommene Unterstützung.«

Julana blinzelte. Offenbar gingen ihr die möglichen Konsequenzen ihrer impulsiv geäußerten Forderung durch den Kopf. Doch ihr Blick verhärtete sich. Schließlich nickte sie langsam. »Das wäre möglich. Ein Pakt dann?«

»Ein Pakt!«, sagte Mehmood und streckte die Hand aus, machte ein paar Schritte auf Julana zu und sie kam ihm zögernd entgegen.

Ihre Hände berührten sich im selben Moment, als ihre Blicke sich trafen. Mehmood spürte die kleine Hand der Eishexe und sah in ihre blauen Augen, ein Gefühl der Verbundenheit spürend, das er noch nie erlebt hatte. Es war, als ob ihre Berührung etwas auslöste, eine Brücke zu ihrer Seele baute. Er sah deutlich, dass Julana es ebenfalls fühlte.

Sie zog ihre Hand so schnell zurück, als hätte sie sich verbrannt. »Was war das?«

Mehmood stammelte. »Ich … ich habe keine Ahnung! Es war eigenartig.«

Julana runzelte die Stirn, warf ihm einen misstrauischen Blick zu. »Wenn du einen Zauber auf mich …«

Mehmood hob abwehrend die Hände. »Nein! Habe ich nicht! Ich habe keine Ahnung, warum, aber ich spüre seit einiger Zeit eine eigenartige Verbindung zu dir.«

Julana rieb sich die Hand und sah unsicher aus. »Das hat nichts mit unserem Pakt zu tun. Sobald Wira tot ist, werden wir getrennte Wege gehen. Bis dahin sind wir Verbündete im Kampf. Hintergeh mich nicht, Feuerteufel!«

Mehmoods Gemüt kühlte angesichts der Beleidigung ab. Was auch immer diese eigenartige Verbindung zu Julana herstellte, er war nicht gezwungen, jede Kränkung hinzunehmen. »Das Gleiche gilt für dich, Eishexe

Julana nickte. »Wir verstehen uns endlich.«

Sie verließen gemeinsam das Gebäude und trafen auf Thanasis, der einige Gegenstände auf einer steinernen Bank angeordnet hatte und auf eine Karte blickte, nicht unähnlich jener, die Mehmood ihm nun zeigte. Thanasis sah auf Julana und warf ihm einen langen, fragenden Blick zu.

»Wir haben einen Pakt geschlossen. Julana wird mir helfen, Wira zu töten.«

Thanasis schwieg und sah Julana mit dem durchdringenden Blick seiner roten Augen an, bis sie unruhig wurde.

»Rache«, sie sprach das Wort in der Hochsprache Iidrashs, mit schwerem Akzent. Thanasis hatte sie jedoch verstanden. Er musterte sie einen Augenblick länger, nickte und richtete seine Aufmerksamkeit auf die Karten.

»Sie gehören zusammen. Es gibt eine größere Anzahl dieser Landkarten. Ich habe alle gesammelt und mitgenommen, die ich finden konnte. Diese Karte zeigt das erste Versteck, dass wir gefunden haben.« Thanasis wies auf ein auffälliges Schlangensymbol. »Diese Karten decken die ganze Insel bis einige tausend Schritt in das Meer hinein ab. Ich konnte zwei weitere Orte finden, die auf den Karten vermerkt sind, jedoch mit unterschiedlichen Symbolen. Sonst nichts.«

Mehmood sah Thanasis an. »Wenn in jedem die gleiche Anzahl Maschinenwächter steckt, sind das rund 36.000 dieser Monster.«

Julana hatte intensiv zugehört und wiederholte ungläubig die Zahl in der Hochsprache der Frostreiche. Sie verstand offenbar ein wenig von der Hochsprache Iidrashs, dem Qirama. Sie glaubte sich verhört zu haben, doch Mehmood bestätigte sie. Sie wurde blass und setzte sich, rieb sich abwesend über die Schienbeine. Mehmood sah die Narben, als sie die Hosenbeine hochzog. Er fragte sich, was mit ihr geschehen war, doch jetzt war nicht der Zeitpunkt, danach zu fragen.

Thanasis zeigte auf die beiden anderen Verstecke, die alle in ähnlicher Entfernung zu der überschwemmten Halle lagen, in denen die Maschinenwächter »geboren« wurden. »Wir haben womöglich Wege übersehen, die zu den Nestern führen. Entweder Tunnel oder Straßen auf der Oberfläche, die überwachsen sind. Wir könnten uns aufteilen, aber …«, er warf einen vielsagenden Blick auf Julana.

Mehmood sah ihn an. »Das geht in Ordnung. Ich werde mit ihr reisen.«

»Was? Wer hat gesagt, wir reisen ab sofort zusammen?«, fragte Julana ihn in ihrer Muttersprache.

Scheinbar verstand sie Qirama besser, als er angenommen hatte.

Er zuckte mit den Schultern. »Ich werde nicht in die Frostreiche aufbrechen, bevor ich meinen Auftrag hier erfüllt habe. Und, bei allem Respekt, du musst noch ein bisschen mehr in Form kommen, bevor du die Königin des Frostturms bekämpfen kannst.«

Julana schlang die Arme um sich, einen verletzlichen Ausdruck in den Augen. Mehmood sah es und fühlte eine Woge der Zuneigung über sich hinwegschwappen.

Isobe … sie erinnert mich an Isobe. Noch ein Dämon, der in mir sein Unwesen treibt.

Das Gefühl hinterließ einen faden Beigeschmack, als er Julanas abweisenden Blick wahrnahm. Dennoch schwieg sie, und ihr Verhalten sagte ihm, dass sie ihn begleiten würde.

Sie ist eine eigenartige Person. Ich weiß überhaupt nicht, wie ich sie einschätzen soll, obwohl ich gleichzeitig stets den Eindruck habe, ihre intimsten Sorgen und Nöte zu kennen. Aber das bilde ich mir nur ein. Das Chaos der Widersprüche, das in ihr tobt, ist undurchschaubar.

Thanasis ordnete die Karten in zwei Stapel und übergab Mehmood einen. »Dies ist das Gebiet, in dem ihr unterwegs sein werdet, mit dem Versteck hier. Wir treffen uns spätestens übermorgen unten am Strand in der Nähe der Straße mit den Schlangenskulpturen.« Er tippte nochmal auf die Karte. »Wenn irgendetwas schiefgeht, werden die Kraindrachen in den nächsten Tagen über der Stelle kreisen. Pass auf dich auf!«

Thanasis nickte Julana zu, nahm seine Karten und einige Fundstücke und machte sich auf den Weg. Mehmood sah Julana an, die aufstand und dem Minotaur hinterhersah. Er musterte sie. Sie war dünn wie eine Heuschrecke. Rote Stoppeln wuchsen auf ihrer schlecht rasierten Kopfhaut. Sie hatte sich kürzlich gewaschen, er roch den frischen Duft parfümierter Seife an ihr. Ein eigenartiger Widerspruch zu ihrer Erscheinung und doch schien es passend.

»Hunger?«, fragte er.

Julana bemerkte den Ausdruck in seinen Augen. Sie packte die verstaubte Armbrust und ihren Rucksack. »In welche Richtung müssen wir gehen?«

Mehmood seufzte, nahm die Karte zur Hand und wies in die Richtung. Sie verließen wortlos die Siedlung und drangen in den Dschungel vor, einer Straße folgend, die bald von der Vegetation verschlungen wurde.

»Geht das Ding überhaupt?«, fragte er und deutete auf die Waffe in ihren Händen.

Julana sah ihn an, legte einen Hebel um, zielte und schoss einen Bolzen auf einen nahegelegenen Baum. Der Bolzen drang mit einem dumpfen Geräusch tief in das Holz. Mehmood blickte verwundert auf die surrende Waffe und sah, wie der Bogen sich selbsttätig spannte und ein neuer Bolzen aus dem Lauf befördert wurde, unter dem ein Metallkasten hing.

Er schluckte. »Das beantwortet meine Frage hinreichend.«

Julana zwinkerte nervös und nahm wie zur Erklärung den Metallkasten ab. Mehmood erkannte mehr der Metallbolzen darin.

»Das ist eine gute Waffe.«

»Ich habe eine Menge Munition in der Siedlung gefunden. Sollte eine Weile reichen.«

»Hast du Übung damit?«

Julana hängte sich die Armbrust um. »Ich hatte zuvor bereits eine gefunden und benutzt. Ich habe sie … verloren.«

Mehmood nahm an, dass es mehr als ein alltägliches Missgeschick war, das ihr den Verlust der ersten Waffe eingetragen hatte, doch er wollte sie nicht mit Fragen bedrängen. Ihr instinktiver Zugriff auf die Mächte der Sjögadrun sagte ihm, dass sie als Eishexe wusste, wie man sich verteidigte. Ihre Entscheidung, eine Armbrust zu tragen musste jedoch bedeuten, dass sie nicht zu den mächtigsten Sjögadrun gehörte und sich nicht ausschließlich auf Magie verlassen wollte.

Sie folgten der Straße, deren Belag teilweise unter dicken Strängen von Wurzeln und peitschenartigen Ästen sowie schwammigen Schichten Laubs verborgen war. Anhand der Karte orientierten sie sich problemlos, schwitzten jedoch bald aus jeder Pore und legten nach vier Stunden eine Pause ein. Ein freies, aber schattiges Stück des schwarzen Straßenbelages wurde zu ihrem Rastplatz. Die Mittagshitze war unerträglich, die Luft so dick, dass man sie nur mit Mühe in die Lungenflügel saugen konnte. Fliegendes Getier und Stechmücken machten ihnen das Leben schwer.

»Verdammte Blutsauger!«, sagte Mehmood und schlug sich klatschend auf den Nacken, wo er ein juckendes Gefühl verspürt hatte. Das zermalmte Insekt fiel von seiner Hand. Er bemerkte Julanas Blick.

»Verwandel dich nochmal! Ich habe lange keinen Spiegel gehabt«, sagte sie und legte ihr Kinn auf die angezogenen Knie.

Mehmood fühlte sich eigenartig dabei, doch er wollte ihrem Wunsch entsprechen. Er verwandelte sich und betrachtete seine Hände, legte sie auf die Schienbeine und befühlte die Narben. »Wie ist das geschehen?«

Julana lächelte. »Ein Maschinenwächter hat sie abgebissen, sie sind nachgewachsen.«

Mehmood lachte einmal kurz, dann sah er ihren Blick und schluckte. »Bei den neun Höllen des Namenlosen Abgrunds! Du meinst es ernst? Dein Kurakpor … ich verstehe.«

Julanas Blick schweifte ab. Sie berichtete von ihrer Suche nach Proviant und nützlichen Dingen in einer größeren Stadt der Sidaji, während ihrer Flucht aus dem Thronsaal. Sie schilderte den Kampf gegen den Maschinenwächter mit emotionsloser Stimme. Es klang, als wäre nicht sie Opfer der Maschine gewesen, sondern jemand anders. Mehmood schauderte bei dem Gedanken daran, wie sie tagelang neben ihren eigenen Gliedmaßen gelegen hatte, den tödlichen Maschinenwächter in direkter Nähe.

Sie sieht so zart und schwach aus, aber sie ist viel stärker, als es den Anschein hat! Was für eine Frau! Wie Isobe.

»Und das Monster wollte nur wissen, ob sie nachwachsen? Wegen des Kurakpor?«

Julana nickte und biss sich auf die Lippen, ein Glitzern in den Augen. Mehmood wandte den Blick ab, plötzlich den Eindruck gewinnend, ihr zu Nahe zu kommen. »Ich habe frische Vorräte dabei. Probier mal, schmeckt lecker!«, sagte er, um sie abzulenken.

Sie nahm das in festes Tuch eingewickelte Kuchenstück entgegen und roch daran. »Was ist das?«

Mehmood zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, aber es schmeckt gut.«

Er biss von seinem eigenen Stück ab und Julana probierte das Gebäck zurückhaltend. Dann steckte sie sich immer größere Stücke in den Mund und leckte sich schließlich die Finger ab. Mehmood wühlte in seiner Tasche und holte seine restlichen beiden Kuchenpakete hervor.

»Hier. Nimm!«

Julana sah ihn lange an und ignorierte die eingewickelten Kuchenstücke. »Warum benimmst du dich so?«

»Was meinst du?«

»Du wirkst wie jemand, der schuldbewusst ist. Was willst du wirklich von mir?«

Mehmood fühlte sich ertappt, doch Julana irrte sich. Er fühlte keine Schuld. Er fühlte … etwas anderes, wenn er in ihre Augen sah. Er verwandelte sich in seine eigene Gestalt zurück.

»Vergiss es!«, sagte er und stand auf, seine Sachen packend und zur Karte greifend. Er folgte der Straße. Julana blieb noch eine Weile sitzen, doch er spürte ihren Blick auf dem Rücken. Einige Minuten später hörte er ihre Schritte und hielt inne, bis sie ihn eingeholt hatte. Schweigend setzten sie ihren Weg fort. Am frühen Abend gelangten sie an das Ufer eines Sees.

»Hier sollte die Straße noch lange Zeit geradeaus gehen. Die Karte muss falsch sein!«

Sie überprüften die Umgebung, versuchten sich zu orientieren und waren ratlos.

»Diesen See dürfte es laut Karte nicht geben«, murmelte Mehmood und schüttelte den Kopf.

»Seen sind doch nie absolut kreisrund.«

Er sah auf. Julana hatte recht. Dieser See sah mehr aus wie ein Krater, der sich mit Wasser gefüllt hatte.

»Es muss vernichtet worden sein. Das Versteck der Maschinenwächter meine ich.«

Julana zuckte mit den Schultern. »Möglicherweise ist etwas kaputtgegangen. Eine Explosion. Wer weiß? Es scheint lange her zu sein, dass das passiert ist.«

Mehmood seufzte. »Wir können unser Lager hier aufschlagen, oder uns auf den Rückweg machen.«

Julana begutachtete die Umgebung, warf einen Blick in das grünlich klare Wasser des Sees und schwieg. Sie ließ ihren Rucksack müde auf den Überrest der Straße gleiten, die wie ein abgerissenes Stück Band ein Stück vor dem Ufer endete.

»Dieser Ort ist ruhig. Ich war die ganze Nacht unterwegs, bevor wir uns getroffen haben, und würde lieber hier übernachten, als irgendwo in diesem verdammten Wald.«

Mehmood nickte. »Meinetwegen.«

Sie sprangen von der Straße auf die Uferzone hinab, wo der Sand unter dem Straßenbelag eine Art kleinen Strand gebildet hatte. Der Untergrund war weich genug, um gut darauf schlafen zu können und sie bereiteten sich ein Lager. Mehmood übernahm die erste Wache und lehnte sich mit dem Rücken an die sandige Wand unterhalb der zerstörten Straßenoberfläche. Julana breitete eine Decke aus und legte sich auf die Seite, den Rücken ihm zugewandt. Er sah die Knochen ihres Rückgrats unter dem dünnen Stoff ihrer Bluse hervortreten. Sie hatte die Beine angezogen und sah aus, wie ein verlorenes Kind. Er ließ sie schlafen und blieb die Nacht über wach. Am nächsten Morgen erwachte sie und rieb sich die Augen, als Mehmood ein Feuer entfachte. Er kochte Wasser in einem kleinen Kessel und hatte zwei winzige, mit buntem Glas verzierte Teegläser bereitgestellt.

Julana betrachtete die gläsernen Kunstwerke, als würde sie nicht glauben können, dass diese existierten. »Trägst du die Dinger immer mit dir rum?«

Mehmood lächelte. »Wann immer ich kann. Tee?«

Julana nickte und Mehmood seufzte erleichtert. Endlich trank jemand einen Tee mit ihm. Julana verschwand kurz im Wald und nahm ein paar Dinge aus ihrem Rucksack, als sie zurück war. Sie ließ völlig ungeniert die Kleidung fallen und tauchte in den See. Mehmood hantierte mit den Teegläsern und dem Kessel herum, seinen Blick stur auf das Feuer gerichtet. Er hatte genug nackte Frauen gesehen, um davon nicht überrascht zu sein, aber er war es trotzdem. Er hörte das Plätschern des Wassers und warf einen unschuldigen Blick in den Himmel und ließ seine Augen wie zufällig in ihre Richtung wandern. Julana wusch sich, schaumiges Wasser mechanisch über ihren dürren Körper schrubbend. Der Anblick ernüchterte Mehmood. Es war etwas Eigenartiges in der Art, wie sie sich ohne Feingefühl reinigte. Beinahe, als ob sie ihren Körper verachtete. Er fühlte sich unwohl dabei, sie zu beobachten und setzte sich mit dem Rücken zum See in den Sand. Als Julana fertig und wieder bekleidet war, setzte sie sich neben ihn. Das Wasser kochte inzwischen und Mehmood ließ es noch einen Augenblick abkühlen, bevor er zwei Kügelchen der getrockneten Teekräuter in die Gläser warf. Er goss langsam das Wasser darauf, jede Bewegung mit großer Sorgfalt ausführend. Julana beobachtete ihn stirnrunzelnd und verharrte abwartend. Nach geraumer Wartezeit, die sie schweigend verbrachten, ergriff er das Glas mit beiden Händen, drehte es einmal in seiner ausgestreckten Handfläche und übergab es mit der traditionellen Grußformel seines Stammes.

Julana neigte unsicher das Haupt und nahm behutsam das zierliche Glas in die Finger. Sie wartete, bis Mehmood einen unbedeutenden Schluck genommen hatte, und nippte dann selbst daran. Er lächelte zufrieden.

»Es ist gleichgültig, an welchem Ort man ist, etwas Friede und Zivilisation begleiten einen, wenn man einen gepflegten Tee trinken kann«, sagte er mit einem glücklichen Seufzer.

Julana starrte ihn an und lachte los, hielt sich dann die Hand vor den Mund, einen erschrockenen Ausdruck auf dem Gesicht, weil sie wohl annahm, sie hatte ihn beleidigt. Mehmood musterte sie missmutig. Sie biss sich auf die Lippen, die sich immer noch amüsiert verzogen. Er setzte zu einer Erklärung an, die sie von den Jahrtausende alten Teeriten seiner Vorfahren überzeugen würde, und wurde jäh von einem eigentümlichen Lärm unterbrochen. Sie sprangen auf und sahen in den morgendlichen Himmel hinauf. Der Tee tropfte aus ihren Gläsern.

»Bei den Zitzen der Wolfsmutter!«, rief Julana und verschüttete den Rest des heißen Getränks.

Mehmood starrte mit offenem Mund durch die dünne Wolkendecke. Ein titanisches Gebilde, in gelbe Flammen gehüllt und einem bizarren Gerippe gleichend, schwebte über ihnen dahin. Ein Brummen und ein dumpfer Lärm gingen von dem unmöglichen Objekt aus, das über die Insel Loros glitt. Der Dschungel und alle Tiere darin schwiegen, doch der Boden vibrierte unter ihren Sohlen. Der Spiegel der Wasseroberfläche trübte sich, als das Wasser des Sees von den Schwingungen in der Luft ergriffen wurde. Ihre Augen folgten der schwarzen Masse, die immer tiefer sank, aber sich allmählich in Richtung Süden entfernte.

»Es zieht nach Iidrash! Was war das?«

Julana schüttelte den Kopf, um alle Worte verlegen.

Mehmood wirbelte herum. »Wir brechen augenblicklich auf! Ich muss sofort nach Iidrash.«

Julana packte zögernd ihre Sachen.

Mehmood starrte immer wieder in den Himmel und zeigte aufgeregt rufend in die Ferne, als ein weiteres der riesenhaften Gebilde zu erkennen war. Es war weit entfernt, aber das Geräusch drang bis zu ihnen.

»Was sind das für Dinger? Was passiert?«

Dann sah er die Gestalt.

Ein Titan aus Metall glitt durch die Wolken, groß genug, um ihn aus der Entfernung gut zu erkennen. Seine großen Hände hatten lange, in gefährlichen Krallen endende Finger. Sein Antlitz, eine regungslose Maske aus poliertem Metall, zeigte das Gesicht eines Sidaji.

 


Das Feuer Kabals
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