Kapitel 3
Faunus zog seine Inkarnationen zurück und verblieb in Seraphias Gemächern. Zwei Heiler, ein Mann und eine Frau mit umfangreicher Erfahrung, bemühten sich ununterbrochen, ihren Zustand zu verbessern. Sämtliche Mittel, die man anwenden konnte, um jemanden aus der Bewusstlosigkeit zu holen, blieben jedoch ohne Auswirkungen. Tische mit den Utensilien der Heiler standen neben ihrem Bett und im Empfangsraum lagen Schlafrollen auf dem Boden, damit die Heiler hier über Nacht bleiben und ihr jederzeit zur Hilfe eilen konnten. Thanasis hatte Grond, den gehörnten Hauptmann, persönlich dazu verpflichtet, für Seraphias Sicherheit zu sorgen.
Faunus ging zu ihrem Bett und setzte sich auf die Kante. Schweiß stand auf der Stirn der jungen Priesterin und Faunus nahm ein Tuch, um vorsichtig ihr Gesicht abzutupfen. Er zupfte ihre schwarzen Strähnen zur Seite und streichelte ihr zärtlich über die Wange.
»Wer auch immer dir das angetan hat, wird für seine Tat büßen. Halte durch!«, flüsterte er in ihr Ohr und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
Er stand auf und nickte den Heilern zu, als er Seraphias Gemächer verließ. Grond redete mit den zehn Wachen vor der Tür und gab eine Zeichnung der unbekannten Frau aus, die in einem Zusammenhang mit Seraphias Situation stand. Als der Hauptmann fertig war, wandte er sich an Faunus.
»Mein Herr!«
»Grond! Lass uns unter vier Augen sprechen!«, sagte Faunus und sie zogen sich in seine Gemächer zurück, die nicht weit entfernt lagen.
Faunus schloss die Tür und bot dem Hauptmann ein Getränk an.
»Kein Wein. Nur Wasser«, sagte er und Faunus entsprach seinem Wunsch.
»Du siehst müde aus, alter Freund. Wie läuft es?«
Grond leerte den Becher geräuschvoll und stellte ihn auf einer Anrichte ab. Er schüttelte den entfernt menschlichen Kopf, wobei die Goldringe an seinen Hörnern glitzerten. »Keine Ergebnisse. Ich treibe meine Männer an ihre Leistungsgrenze, aber das kann ich nicht mehr länger machen. Wir müssen die Garde auf einen Angriff vorbereiten. Dazu müssen sie auch ausgeruht sein. Ich kann die Sicherheit des Tempels nicht für …«
Faunus nickte und legte Grond eine Hand auf die Schulter. »Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen. Ich werde die Suche selbst in die Hand nehmen. Es reicht, wenn deine Männer ruhig bleiben und die Augen offen halten. Der Tempel geht vor. Ich habe nur den dringenden Verdacht, dass das Vorgehen gegen Seraphia nicht persönlicher Natur ist, sondern sich gegen den ganzen Orden richtet. Wir müssen sehr vorsichtig sein! Es könnte sich auch um Wiras Machenschaft handeln.«
»Hat sie wirklich die Äbtissin überwältigt?«
Faunus nickte.
Grond schüttelte den Kopf. »Ich kann das gar nicht glauben. Diese verdammten Artefakte der Sidaji!«, grollte er.
»Es ist nur ein Jammer, dass wir uns aus dem Reich der Echsen zurückziehen mussten, bevor wir selbst ein oder zwei der mächtigen Artefakte sichern konnten. Solange Wira dieses Zepter oder was auch immer es sein mag, besitzt, sind wir unterlegen.«
»Aber was ist mit der Hohepriesterin? Ich hörte Gerüchte von einer angeblichen Verwandlung. Ein Feuerdrache oder irgendetwas in der Art«, Grond schnitt eine Grimasse, um seine Meinung dazu zum Ausdruck zu bringen.
»Ich weiß es nicht. Ich war bei Mikar, als die alten Maschinenwächter anfingen, sich gegen ihn zu wenden. Ein Teil von ihnen gehorchte ihm weiterhin, doch immer mehr wandten sich gegen uns. Sie verfielen in eine Raserei und griffen sich schließlich gegenseitig an. Eine schreckliche Schlacht. Wären das Lebewesen gewesen, hätten wir knietief in ihrem Blut gebadet. Wir konnten nur zusehen, wie sie sich gegenseitig zerfetzten. Mikar wehrte einmal einen Angriff ab. Er wäre beinahe draufgegangen …«
»Mikar?«, rief Grond verblüfft.
»Ja, unser mächtiger Kentaur. Diese alten Maschinenwächter sind wirklich schrecklich. Ich spaltete mich in tausend Verkörperungen und lenkte sie ab, verwirrte sie, bis Mikar aus der unmittelbaren Gefahr war. Aber sie sind verflucht intelligent! Sie durchschauten mich in kurzer Zeit und bald fielen sie von Neuem über uns her. Dann sah ich eine Schrecksekunde lang etwas am Himmel aufblitzen und einen Lidschlag später waren wir hier. Das war ein ungeheuerlicher Teleportationsvorgang. Tausend meiner Verkörperungen auf einmal? Das wäre Sarinaca gelungen, aber Charna? Ich weiß nicht. Womöglich hat sie sich verwandelt … oder es ist etwas anderes.«
Grond stöhnte. »Ich sollte froh sein, endlich eine Herausforderung in meiner Arbeit zu finden, aber was zurzeit geschieht, bereitet mir Angst. Nackte Angst, Faunus.«
Faunus sah Grond an. »Wir haben schlimmere Zeiten überstanden. Du warst noch nicht geboren, als Sarinaca verschwand, oder?«
Grond schüttelte den Kopf.
»Die Verwirrung und Not, die ganz Kabal befielen, und ich meine auch die Frostreiche und das Reich der Sidaji, waren ungeheuerlich. Volksstämme zerfielen. Neue Kulte und solche aus alten Tagen wucherten wie Schimmelpilze und das Ende aller Zeiten wurde prophezeit. Krieg überall. Es ist Charna zu verdanken, dass sie den Rest Kabals in dieser Zeit zusammenhielt. Die anderen sehen das manchmal nicht, doch Kampf ist nicht das Allheilmittel. Sie gab den Menschen Halt. Und Hoffnung. Jenara erkennt das trotz ihres fortgeschrittenen Alters einfach nicht.«
Grond verzog das Gesicht bei der Nennung des Namens der Gottkaiserin.
»Ich weiß, Grond, du magst sie nicht, doch sie ist im Kern kein schlechter Mensch. Sie hat viel Gutes getan.«
»Fällt mir schwer, das zu glauben.«
»Sie ist nicht für die Entführung Cendrines verantwortlich. So viel habe ich erfahren, als ich sie belauscht habe. Wira, dieses kranke Miststück! Sie hintergeht Jenara und hat sich mit dem Barbarenkönig zusammengetan.«
Grond bleckte die Zähne. »Dieser Schlächter ist Abschaum! Er hat die Kinder seiner Frau töten lassen, als ihre Affäre mit einem seiner Hauptmänner bekannt wurde, aus lauter Angst, es könnten nicht seine eigenen sein! Ich würde es auch nicht begrüßen, wenn meine Frau fremdginge, aber das? Er hat seine Frau und den Hauptmann in aller Öffentlichkeit mit eigenen Händen zerhackt. Die Familien des Hauptmanns und seine eigenen Schwiegereltern verrotten in irgendeinem Gewölbe und es heißt, er besucht sie von Zeit zu Zeit. Selbst die barbarischen Nomaden waren von diesen Grausamkeiten schockiert, erzählen die Händler. Doch keiner wagt es, seine Herrschaft herauszufordern, insbesondere seit er sich mit der Königin des Frostturms zusammengetan hat.«
»Der Frostturm! Wenn wir Cendrine irgendwo finden können, dann mit Sicherheit dort. Die Macht des Firahun-Sees umgibt den Ort und Wira wird sich im Frostturm sogar gegen Jenara behaupten können«, überlegte Faunus.
»Wird die Gottkaiserin Jenara sich denn überhaupt trauen, auch nur einen Schritt aus Tojantur zu tun?«
Es klopfte an der Tür und Faunus bat die Person herein. Es war ein Mann der Tempelgarde, er wirkte aufgebracht.
»Meine Herren! Ich habe Neuigkeiten! Unsere Männer von Kli‘Karan haben per Fernmeldung von sich hören lassen.«
»Ein Angriff?«, fragte Grond.
»Nein, mein Herr! Ein Feuerdrache! Er ist auf dem Weg hierher und die Kraindrachen kreisen über dem Tal. Alle! Sie singen!«
Faunus und Grond sahen sich kurz an, bevor sie aus der Tür stürmten.