Kapitel 9
Charna versetzte sich nach Tlotol, tief in das Gebirge hinein, das sich inmitten des Festlandes des Sidaji-Reiches erhob.
Sie atmete die eiskalte Bergluft ein und sah auf das Land hinab, das sich weit unter ihr erstreckte. Ein Gewitter zog aus dem Norden heran, es blitzte in der Schwärze des Nachthimmels. Irians Licht fiel vor ihr in ein finsteres Tal, das von einem Bauwerk dominiert wurde, das wie ein gläserner Monolith in die Höhe strebte. Es reflektierte in nahezu unwirklicher Perfektion das Bild der umliegenden Gipfel und Wolken.
Charna wusste, dass dieser Ort eine essentielle Rolle für die Sidaji spielte. Sie vermutete, dass die Artefakte einen wesentlichen Teil ihrer Macht aus dem bezogen, was im Inneren dieses eigenartigen Monumentes ruhen mochte. Sie nahm auch an, dass Jenara und ihre Gefolgsleute keine Ahnung hatten, dass dieser Ort existierte. Es war unmöglich, ihn aus der Ferne zu erspähen. Die spiegelnde Oberfläche zeigte zwar die Umgebung, verschluckte aber auf rätselhafte Weise jeden helleren Lichtstrahl, der auf die polierten Mauern des Bauwerks traf, wie sie bei früheren Besuchen erfahren hatte. Dabei hatte sie auch beobachten können, dass sich kein Vogel über die Spitzen des Sioraan-Massivs wagte und selbst die intelligenten Kraindrachen machten einen instinktiven Bogen um die Gipfel.
Etwas beschützte und hütete diesen Ort.
Ein Bewusstsein, das heute zum ersten Mal seit Charna diesen Ort gesehen hatte, nicht mehr anwesend war. Sie versetzte sich an den Fuß des Bauwerks aus Glas und stand vor einem Portal, das halb von Schnee und Eis begraben war. Ein einziges Schriftzeichen schimmerte in dem zwanzig Schritt hohen Tor, das aus einem harten, weißen Gestein bestand, das Charnas Spiegelbild reflektierte. Das Zeichen war ihr bekannt, es war das Symbol der Unendlichkeit, der gewundenen Schlange, die sich selbst in den Schwanz biss. Sie fegte den Schnee und das Eis mit einem telekinetischen Befehl hinfort und hob die Hand in Richtung des Durchgangs. Sie erfühlte die Struktur des Materials, spürte seine Verflechtungen mit der Konstruktion des Bauwerks und löste kraft ihrer Gedanken die Sicherungen der Pforte. Lautlos hob sich die massive Tür in die Höhe und gewährte ihr dadurch Einlass. Der Korridor dahinter war ein kalter Ort aus Glas, Stein und künstlichem Licht, das grell in jeden Winkel drang. Ebenso lautlos wie zuvor schloss sich das Tor selbsttätig hinter Charna und die Beleuchtung nahm einen Augenblick an Intensität zu, bevor sie auf ein angenehmeres Maß herabfiel.
Eine Art Schleuse? Dieser Ort ist sehr sauber. Und muss es unter Umständen auch sein.
Sie folgte dem Korridor, der unter einer hohen Decke verlief und in einer Spirale durch das gesamte Gebäude aufwärts führte. Sie ging an Maschinen und Konstrukten vorbei, die sich links und rechts erstreckten, in ihrer Machart aber mehr Ähnlichkeit mit gewachsenen Strukturen hatten, als mit erbauten Geräten und Apparaten. Hier war eine Technologie verborgen, die Charna unbekannt war. Ein Summen und Wispern drang aus den Maschinen, die sie passierte. Sie gelangte schließlich in einen Abschnitt, der gänzlich unbeleuchtet war und selbst ihre alles durchdringenden Augen konnten nichts sehen. Für eine Schrecksekunde ergriff sie ein Schwindelgefühl, ganz so als ob urplötzlich die Schwerkraft verloren gewesen wäre. Sie spürte, dass der Korridor sie wie ein Portal an einen fernen Ort gebracht hatte. An seinem Ende zeichnete sich jetzt einer schwache Lichtquelle ab. Sie ging mit Vorsicht darauf zu und gelangte an das Ende des Ganges. Eine gigantische Halle mit umlaufenden Fenstern, die von Säulen gestützt wurden, die wie die Rippen eines gestrandeten Wals in die Höhe ragten, umgab sie. Die Decke des Raums war in Finsternis gehüllt, sie erkannte Rohrleitungen und Strukturen ähnlich jenen des Gebäudes, von dem sie jetzt ganz genau wusste, dass sie es verlassen hatte. Charna sah auf Kabal herab, aus einer Höhe, die den Planeten in seiner runden Form offenbarte. Um sie herum funkelten Myriaden Sterne im All.
Sie sah sich in der Halle um, die leer und einsam vor ihr lag. Der Stil, den die Sidaji bevorzugten, wurde anhand zahlreicher Ruheplätze und Wandelgänge offenbar, die vor langer Zeit mit Büschen und Hecken abgegrenzt worden waren. Jetzt jedoch standen die Pflanzen tot und verdorrt in ihren Behältern, wie bizarre Skulpturen. Sie spürte, dass die Atmosphäre nicht genug Sauerstoff enthielt, um zu atmen. Die Temperatur war so niedrig, dass sie für gewöhnliche Sterbliche den Tod bedeutet hätte. Charna wurde davon natürlich nicht bedroht. Dieser Ort gehorchte denselben Naturgesetzen wie Kabal. Hier war sie daher ebenso unverwundbar und trotzte ohne Anstrengung den widrigen Umgebungsbedingungen.
Was ist das für ein Ort?
Die Zwillingssonnen des Systems tauchten hinter Kabal auf und der gleißende Schein ließ das Kristall des Eises glitzern, das auf allem in der Halle lag. Die flammende Korona, die sich um Kabals Form wie eine brennende Sichel legte, verführte Charna innezuhalten. Der Anblick war atemberaubend.
»Ist es nicht wunderbar?«
Die Stimme des Sidaji ertönte neben ihr. Charna drehte vollkommen überrascht den Kopf zur Seite. In wenigen Schritt Entfernung stand ein Wesen, das sie zuvor für eine Statue gehalten hatte. Sein Metallleib war wie der eines Sidaji geformt.
»Wer seid Ihr?«
Das Wesen drehte sich zu ihr um. Eiskristalle, losgelöst vom Metall, flogen durch die dünne Restatmosphäre. Die Anziehungskraft an diesem Ort war geringer als auf Kabal. Die Kristalle segelten in unnatürlich wirkender Langsamkeit im Raum umher.
»Ich stand hier für lange Zeit. Womöglich habe ich auf Euch gewartet? Ich … weiß nicht … wer ich bin.«
Das Wesen sah auf seine Hände und zögerte einen Moment, als ob es etwas erblickte, das ihm unlösbare Rätsel aufgab. »Ich weiß … es ist etwas geschehen. Etwas, das nicht hätte passieren dürfen. Wir strandeten hier. Ich … dieses Schiff. Es wird sich nicht mehr fortbewegen und ich muss an Bord bleiben. Es ist, als ob ein Teil meines Wesens dort unten ist, auf der Oberfläche des Ortes, von dem Ihr soeben zu mir gekommen seid. Ich hatte eine Aufgabe … ich habe versagt.«
Charna musterte das Wesen mittels ihrer Aurasicht und erkannte, dass es sich um eine bloße Maschine handelte. Das Bewusstsein, dass durch den Metallkörper zu ihr sprach, war nicht in diesem verankert. Es war aber auf eine ungewöhnliche Weise an diesen Ort gebunden.
»Was war Eure Aufgabe?«
Das Wesen setzte einen Fuß vor den anderen. Dann noch einen. Es war, als müsste es sich an das Gehen erinnern. Unter Umständen, schoss es Charna intuitiv durch den Kopf, war die Maschine aber auch nicht mehr vollständig intakt.
»Schutz. Evolution. Expansion.«
»Welche Eurer Aufgaben ist gescheitert?«
»Alle. Die Abkömmlinge sind tot oder fort. Meine Integrität ist kompromittiert. Ich kann viele Orte nicht mehr wahrnehmen. Teile meines Ichs sind … abgesplittert, irren ruhelos umher.«
Charna beunruhigten die letzten Worte des Wesens.
»Was meint ihr damit?«
Die Maschine gestikulierte und sie waren an einem anderen Ort. Es war jedoch nicht real, vielmehr eine Illusion, mit der es ihr etwas zeigen wollte. Sie befanden sich in einer unterirdischen Halle von enormen Ausmaßen. Charna erkannte zahlreiche der alten Wächter, die in Ruhestellung auf dem Boden lagen. Plötzlich näherte sich jemand. Es war Mikar. Er überquerte eine schmale Brücke, kaum mehr als ein Steg, der über einen sehr tiefen und großen Schacht im Grund hinwegführte, und betrat kurze Zeit später einen Tunnel. Die Sicht wechselte und Charna sah einen runden Raum, in dessen Mitte fünf Liegen montiert waren. Wesen, gleich jenem, welches mit ihr sprach, lagen darin. Mikar betrat den Raum durch eine Tür und trat näher an eine der Liegen. Eine Art leuchtendes Feld erschien über dem Leib des Metall-Sidaji.
»Nein, nicht, das darf nicht passieren … muss es verhindern … kann nicht … anderen Weg suchen …«
Das Wesen sprach so schnell und leise, dass Charna es kaum verstehen konnte. Es war jedoch offensichtlich, dass es in Eile und Not war. Mikar war im Begriff, etwas zu tun, das nicht richtig war, doch er zögerte noch, einen Augenblick lang abwesend. Er wischte schließlich mit der Hand über das leuchtende Feld. Die Wesen erwachten und Mikar griff nach Maraks Speer. Die fünf Metall-Sidaji attackierten ihn sofort und der Kentaur kämpfte gegen sie. Charna war versucht, sich mit einem Gedankenbefehl zu ihm zu teleportieren, doch Mikar behielt die Oberhand und besiegte die Wesen in wenigen Minuten.
»Ich kann es nicht aufhalten … sie erwachen.«
Charna sah, wie die Schlangenleiber der alten Maschinenwächter zu neuem Leben erwachten. »Mikar, nein! Verschwinde da!«
Charna versuchte sich an den Ort zu versetzen, aber das Wesen hielt sie mit einem Wort zurück.
»Wartet! Es findet eine Neukonditionierung statt.«
Charna sah, wie die Maschinenwächter riesenhaften Schlangen gleich auf Mikar zuglitten. Dieser warf einen Blick auf den Metallschädel, den er auf Maraks Speer gespießt hatte und lachte.
Er glaubt nicht, dass er das überlebt. Sieht ihm ähnlich, darüber zu lachen.
Die Maschinen hielten inne und Mikar sah sich überrascht um. Der Metall-Sidaji neben Charna sprach.
»Die Neukonditionierung wurde abgeschlossen. Es ist unwahrscheinlich, dass dieser Vorgang zu einer vollständigen Kontrolle über meine Wächter führen wird.«
»Was soll das heißen?«
»Sie folgen dem Kentauren für eine Weile, aber ich weiß nicht, für wie lange.«
»Können wir den Vorgang rückgängig machen, die Wächter abschalten?«
»Negativ. Die Wächter verfügen über ein Bewusstsein, dass sich eigenständig weiterentwickelt, wenn es nicht von mir kontrolliert wird. Die Neukonditionierung ist ein Protokoll, das ausschließlich für den Notfall geschaffen worden ist. Sobald die Wächter zu eigenem Bewusstsein erwacht sind, werden sie unkontrollierbar.«
»Können wir irgendetwas tun, um das zu verhindern?«
»Mein Geist … ist … gestört. Etwas ist grundlegend falsch, ich spüre weite Teile meines … Körpers nicht mehr. Viele Maschinen auf und über Kabal entziehen sich meiner Kontrolle. Ihre Struktur wird dazu führen, dass sie wie die Wächter dort ein eigenes Bewusstsein entwickeln, einen eigenen Willen. Ich kann nichts dagegen tun.«
Charna starrte entsetzt auf ihren Heimatplaneten. Würde sie die Maschinen der Sidaji kontrollieren oder bekämpfen können? Sie musste zu Mikar und gemeinsam mit ihm einen Weg finden, die alten Maschinenwächter zurück in die unterirdische Halle zu bringen, aus der sie gerade hervorschossen.
»Gibt es einen Weg, wie man diese Wächter ausschalten kann? Die Kleinen sind keine Gegner für mich.«
»Diese Wächter haben, anders als die kleineren Varianten, kaum Schwachpunkte. Eine physikalische Gewalteinwirkung muss von großer Potenz sein, um einen Schaden zu verursachen. Es ist nicht unmöglich sie zu zerstören, aber die hohe Anzahl an sich macht sie sehr gefährlich.«
»Hohe Anzahl? Wie viele Wächter sind das dort?«
»Mehr als zwölftausend, selbst bei Annahme einer überdurchschnittlich hohen Ausfallquote.«
Charna sah hilflos auf die Illusion der unterirdischen Halle, in der Mikar stand. Eine Maschine nach der anderen schoss über die Rampe aus der Tiefe. Silberfarbene Ungeheuer halb so lang wie eine Galeere, mit einer undurchdringlichen Haut aus Metallschuppen. Das mächtige Haupt wies Zähne aus unzerbrechlicher Legierung und von beachtlicher Länge auf in der Form krummer Säbel nicht unähnlich.
Sie erinnerte sich mit Schrecken an die Zeit, als die Sidaji die Wächter benutzt hatten, um den Frieden auf Kabal zu sichern. Die Frostreiche hörten erst mit ihren Angriffen auf, als die Maschinenwächter eine ganze Stadt dem Erdboden gleichgemacht hatten. Die Soldaten hatten hilflos danebengestanden. Es hatte nicht nur Jenara gezeigt, wie nutzlos selbst das stärkste Heer gegenüber einer Horde der Maschinenwächter war. Charna hatte gegen das Vorgehen der Sidaji protestiert, aber das Einrücken des Heers der Frostreiche auf das Festland der Sidaji war für die Echsen auch nicht ohne Verluste gewesen. Damals hatte es Iidrash vor einem Krieg mit den Frostreichen gerettet.
In endloser Folge schossen die Maschinen jetzt an Mikar vorbei an die Erdoberfläche. Charna fühlte sich ohnmächtig. Was sollte sie gegen diese Monster ausrichten? Doch es half nichts. Sie musste etwas unternehmen. Sofort.
»Wächter? Wie lautet Euer Name?«
Der Metall-Sidaji drehte seinen Kopf zu Charna um. »Mein Name lautet Kukulkan.«
Ich erinnere mich an diesen Namen. Ich habe von ihm gehört. Ein Gott …
»Kukulkan, können die Maschinen, die Ihr noch kontrollieren könnt, uns in dieser Situation helfen?«
»Ich fürchte nicht. Ich kann beobachten, aber nicht mehr einschreiten. Zu viele Maschinen entziehen sich meiner Kontrolle. Ich muss etwas dagegen unternehmen. Ich muss … gesund werden. Dieser Ort … er ist tot. Ich muss auf den Planeten hinab. Ich brauche Energie, Rohstoffe. Dann kann ich neue Maschinen bauen, mit denen wir die alten Wächter bekämpfen können.«
»Ich kann Euch alles geben, was Ihr benötigt. Wenn Ihr mir helft, diese Plage loszuwerden, sollt Ihr alles bekommen, was Ihr braucht.«
Kukulkan sah lange auf die vorüberziehenden Wächter in der Illusion. Er ließ die Hand durch die Luft fahren und das Bild änderte sich. Sie blickten auf die Insel Loros hinab, aus großer Höhe. Hunderte der Maschinen fluteten aus der Erde und strömten über den Strand. Ihre Metallschuppen glitzerten im morgendlichen Licht der Zwillingssonnen.
»Ich werde mit Euch kommen.«
»Müsst Ihr etwas mitnehmen? Ist dieser Körper nur eine Hülle, die Ihr belebt?«
»Dieser Körper ist unzulänglich. Ich werde die restlichen Energiereserven und Rohstoffe dieses Schiffes nutzen, um einen neuen Körper zu bauen, der meinen Geist mit sich auf die Erde tragen kann.«
»Ich kann nicht mehr warten. Ich muss zu meinen Gefährten hinab und etwas gegen die Maschinenwächter unternehmen.«
»Ich werde zu Euch kommen, wenn ich so weit bin.«
»Kennt Ihr den Ort namens Flammengrube, auf dem Kontinent Iidrash?«
»Ja, ich kenne diesen Ort. Er wäre ideal, um neue Maschinen zu erschaffen.«
»Kommt, sobald Ihr könnt, doch gebt mir noch einen Tag, um die Schwestern im Kloster auf Eure Ankunft vorzubereiten.«
»Es wird voraussichtlich sieben Tage dauern, einen neuen Körper zu erschaffen. Dann werde ich zu Euch kommen. Ich beginne sofort mit den Vorbereitungen.«
In der Halle, in der sie standen, setzte ein Brummen ein. Charna spürte Vibrationen im Boden und hörte mechanische Geräusche sowie ein dumpfes, unrhythmisches Klopfen aus großer Entfernung.
»Ich werde auf Euch warten. Lasst Euch nicht von Jenara oder ihren Gefolgsleuten vereinnahmen.«
»Ich erinnere mich jetzt an Euch. Ich kenne Eure Mutter. Jenara wird ihren Fehler erkennen müssen, wenn sie mit ihrem Vater spricht.«
Charna erstarrte.
Es kennt mich? Doch es weiß nicht, was mit meiner Mutter und Ihadrun geschehen ist.
»Ihadrun ist gestorben. Meine Mutter … ist fort.«
Kukulkan schien einen Augenblick abwesend und sie spürte ein Unbehagen, eine Schwäche in ihren Gliedern. Dann sah er sie aus seinen Maschinenaugen an.
»Sarinaca ist fort, wie die Abkömmlinge. Ihadrun lebt.«
»Was meint ihr damit? Ihadrun ist zusammen mit meiner Mutter gegen einen unbekannten Eroberer vorgegangen, der Kabal für sich beanspruchen wollte. Wir wissen kaum etwas darüber, es ging damals alles sehr schnell. Jenaras Vater und meine Mutter sind gemeinsam verschollen, als sie Kabal vor einer Bedrohung retten wollten, die keiner von uns sehen konnte.« Charna schluckte und spürte die Perle in ihrer Hand, das Artefakt, das sie aus dem Namenlosen Abgrund mitgebracht hatte und das sie an den Schmerz erinnerte, der tief in ihrer Seele brannte.
»Meine Mutter ist tot.«
»Das ist nicht korrekt. Ich habe aktuelle Informationen, die eine andere Annahme aller Wahrscheinlichkeit nach plausibler erscheinen lassen.«
Charna trat näher an das Maschinenwesen heran. »Was für Informationen?«
»Ich kenne den letzten Aufenthaltsort Ihadruns und Eurer Mutter.«
Charna schluckte. »Wo ist sie?«
Kukulkan legte den Kopf schief. »Eure Mutter und Ihadrun befinden sich im Pergard-Sektor. Der Eroberer, den Ihr nanntet, ist das Volk der Subrada, aber die Quelle, aus der ich meine Informationen schöpfe, spricht von einer gegenwärtigen Neuordnung alter Machtverhältnisse im gesamten Pergard-Sektor. Dies könnte auf den Membrium-Sektor, in dem sich Kabal befindet, Auswirkungen haben.«
Charna wurde etwas schwindelig und sie schwankte.
»Was ist los mit mir?«
»Verzeiht. Ich habe Eure Anwesenheit genutzt um die Energievorräte des Schiffes zu regenerieren und die Informationen zu beziehen, die ich Euch nannte. Ich fühle mich jetzt schon wesentlich besser.«
»Ein Hinweis darauf wäre willkommen gewesen«, sagte Charna und schüttelte das Schwindelgefühl ab.
»Ihr hattet Eure Hilfe zugesagt und ich nahm an …«
»Es ist schon in Ordnung. Wie kann ich zu meiner Mutter finden?«
»Im Moment überhaupt nicht. Der Pergard-Sektor wurde abgeriegelt, das Portal-System wurde blockiert.«
»Ich bin nicht unbedingt auf die Portale angewiesen, um einen anderen Sektor zu erreichen.«
»In diesem Falle hättet ihr eine Chance, doch die Abwehrmechanismen der Subrada sind Euren Möglichkeiten gegebenenfalls überlegen. Ohne Vorbereitung wäre dies ein Vorgehen ohne Erfolgsaussicht.«
Meine Mutter lebt! Ich muss sie finden! Doch Kabal braucht meine Hilfe jetzt mehr, denn je zuvor. Kukulkan hat recht, ich darf nicht überstürzt handeln.
»Ich muss zu Mikar hinab. Wenn Ihr ins Kloster der Flammengrube kommt, müsst ihr mir erklären, wer diese Subrada sind. Es gibt einiges, das ich in Erfahrung bringen muss.«
»Ihr habt mich aus meinem … Winterschlaf geweckt. Ich muss wissen, welche Ursache hinter dem Versagen meiner Maschinen steckt. Ich will wissen, wo die Abkömmlinge sind und der Frieden auf Kabal muss gesichert werden, bevor die Subrada in diesen Sektor vordringen. Wir haben gemeinsame Ziele und ich schulde Euch bereits jetzt Dank.«
»Wir sehen uns in sieben Tagen. Wenn ich nichts von Euch höre, kehre ich hierher zurück.«
Kukulkan neigte das Haupt. »Bitte geht durch das Portal zum Planeten.«
Charna lief sofort in den Korridor, der in absoluter Finsternis vor ihr lag. Sie durchquerte ihn und gelangte dadurch zurück auf die Oberfläche Kabals. Sie eilte aus dem Gebäude, in den Schnee des Sioraan-Massivs und konzentrierte sich auf die Insel Loros. Sie griff hinaus und sammelte die Energie des Gebirges, sorgfältig darauf achtend, dem Bauwerk hinter sich keinen Schaden zuzufügen. Sie versuchte, sich auf die Insel in Mikars Nähe zu versetzen, doch etwas hielt sie zurück, blockierte ihre Anstrengungen. Sie erreichte nicht jenen Punkt, von dem sie wusste, dass sie Mikar dort antreffen musste. Sie zerrte mehr Energie aus dem Gebirge, das Element der Erde gebrauchend und hielt inne, als sie ein Rumpeln hörte und eine Schneelawine auslöste, die in der Ferne glitzernd niederging. Es war, als ob der südliche Strand der Insel Loros von einem Schatten verschlungen wurde, den Charna nicht durchdringen konnte.
Es muss an den Maschinenwächtern liegen.
Sie versuchte, den nächstgelegenen Punkt zu finden und erreichte einen Ort, der auf einer kleinen Halbinsel lag, die wie ein ausgestreckter Arm ins Meer hineinragte. In einiger Entfernung sah sie die glitzernden Metallschlangen auf den Strand hinausströmen. Ihr Zug hatte noch kein Ende gefunden und Mikar war am Waldrand auf eine Düne geklettert, um den Überblick zu behalten. Charna hoffte darauf, dass er zu ihr kam. Sie wollte nichts tun, das von den Maschinen als Bedrohung ausgelegt werden konnte. Daher winkte sie Mikar eine Minute lang zu, doch er war so damit beschäftigt, die Maschinenwächter zu beobachten, dass er sie nicht wahrnahm. Erst als einige der Metallschlangen sie beobachteten, wandte Mikar sich zu ihr um. Er galoppierte über den Strand und den felsigen Arm zu ihr hin, zwei der massiven Maschinenwächter an seiner Seite. Er gestikulierte und sie blieben zurück, bevor er Charna erreicht hatte.
»Meine Hohepriesterin, ich bringe Euch die Armee, die Euren Planeten zurückerobert!«, sagte Mikar lachend und deutete auf den Strand, wo sich die alten Maschinenwächter bis weit außerhalb der Sichtweite aneinanderreihten.
»Mikar, ich muss mit dir sprechen. Unter vier Augen.«
Mikar wirkte enttäuscht. »Hör zu, ich hatte keine Gelegenheit, das mit dir abzusprechen. Ich sollte Artefakte der Sidaji …«
»Das ist nicht das Problem. Ich habe gesehen, wie du die fünf Maschinen-Sidaji besiegt hast. Es gibt einige Dinge, die du dringend erfahren musst.«
Mikar machte einen ernsten und etwas enttäuschten Gesichtsausdruck und wandte sich zu den Maschinenwächtern um. Diese richteten ihren Blick auf ihn und Charna nahm an, dass er wortlos mit ihnen kommunizieren konnte, denn sie drehten sich zögernd um und gesellten sich zu den anderen Maschinen.
»Jetzt können wir sprechen.«
»Ich nehme an, wir sind noch nicht außerhalb der Hörreichweite. Ist Maraks Speer imstande, dich von hier fortzubringen?«
»Etwas in den Maschinen scheint ihn zu blockieren. Wir haben das schon öfter beobachtet, damals …«
»Ich erinnere mich noch gut daran.« Charna atmete tief ein und nahm Mikar beim Arm. Sie führte ihn an das Ufer der kleinen Insel, das am weitesten vom Strand entfernt war.
»Ich mache es kurz. Diese Maschinen gehorchen dir nur unbestimmte Zeit. Wir können das Risiko, sie für unsere Zwecke einzusetzen, nicht eingehen.«
»Woher willst du das wissen?«
Charna erhob sich in die Luft, um Mikars Stirn erreichen zu können und hielt ihre geöffnete Hand darauf. Er schloss seine Augen und Charna tat es ihm gleich. Sie verflocht die zarten Wellen der Strömungen die Mikars Geist und ihrem eigenen entsprangen und nährte sie mit dem Wissen, das ihr zwischen den Sternen weit über Kabal zuteilgeworden war. Als sie eine Minute später ihre Hand fallen ließ und ihre Füße den Boden berührten, sah der Kentaur ernst auf sie herab.
Er wischte sich über den Mund und sah zum Strand hinüber. »Scheiße.«