Das Übel ausmerzen
Und ich sah das Tier und die Könige der Erde und ihre Heere versammelt, Krieg zu führen gegen den, der auf dem Pferd sitzt, und gegen sein Heer. Und das Tier wurde überwältigt und mit ihm der falsche Prophet, der die Zeichen vor ihm getan und durch sie alle in die Irre geführt hatte, die das Mal des Tieres empfangen und ihre Knie gebeugt hatten vor seinem Bild. Bei lebendigem Leib wurden die beiden in den Feuersee geworfen, der im Schwefel brennt.
Offenbarung 19, 19-20
Am Tag nach der Beerdigung laden sich Moses Callaghan und seine Apostel bei Pamela zum Mittagessen ein. Vielleicht ist es auch eher so, dass sie die Räumlichkeiten in Besitz nehmen, denkt Pamela angesichts ihres Verhaltens. Sie besichtigen die Villa vom Speicher bis zum Keller, notieren sich, welche Möbel umgestellt und welche Zimmer neu eingerichtet werden müssen, werfen Nippessachen und Deko-Artikel, die sie für das Haus des Herrn als ungeeignet erachten, ohne große Umstände auf den Boden - darunter auch ein gerahmtes Porträt von Pamelas Eltern, das sie aber im letzten Moment vor dem Autodafé retten kann. Anschließend schlendern sie durch den Park und beschließen Veränderungen, ohne sie auch nur zu fragen. Um ausreichend Erwählte aufnehmen zu können - natürlich nur handverlesene Individuen, die in der Lage sind, ihrem Glauben durch eine großzügige Spende Ausdruck zu verleihen -, denen es gestattet wird, den Geheiligten Geist zu besuchen, muss selbstverständlich ein Parkplatz eingerichtet werden, außerdem sollten Stände aufgebaut werden; dort drüben könnte man vielleicht eine Kapelle errichten, der Weiher müsste natürlich zugeschüttet werden, die Bäume auf der Anhebung da vorn werden abgeholzt, um Platz für ein großes Kruzifix zu schaffen, und den Pool könnte man in ein überdimensionales Weihwasserbecken verwandeln … Robert Nelson führt die Gruppe herum, als gehöre das Anwesen ihm persönlich und als hätte er längst alles geplant. Unterwürfig und servil stimmt er allen Vorschlägen zu, nickt, bestätigt und lobt. Einigermaßen verwirrt folgt Pamela ihnen durch den Park. Wie soll sie das verstehen? Handelt es sich um eine Ehrenbezeigung, die man ihr erweist, oder verletzen diese Leute ihr Heim und ihr Privatleben?
Nach der Hausbegehung versammeln sich alle um den großen Tisch, den Pamela im Esszimmer hat aufstellen lassen. Da sie keine Zeit gehabt hat, eine dem Reverend würdige Mahlzeit für so viele Teilnehmer vorzubereiten, hat sie das Essen bei Feinkost Greenbaum bestellt, der alle Veranstaltungen und Empfänge in Eudora beliefert. Natürlich weiß sie, dass sie sich nicht von einem Juden hätte beliefern lassen dürfen (»sie sind alle Verräter und Feinde Christi«, wettert Callaghan immer über sie), aber Greenbaum ist wirklich der beste Partyservice von Eudora. Außerdem hätte sie sonst nach Lawrence oder Kansas City fahren müssen.
Einer der Apostel flüstert dem Reverend etwas zu. Callaghan hebt den Kopf und hebt die dichten Augenbrauen.
»Salome, ich zähle dreizehn Gedecke auf dem Tisch. Willst du etwa Unheil auf uns herabbeschwören? Willst du, dass der Satan sich mit an den Tisch setzt? Willst du Gott lästern?« Mit seinen langen Armen wischt er einen Porzellanteller vom Tisch. Scheppernd zerklirrt das edle Geschirr auf den Fliesen. »Eine Frau hat in der Küche zu essen, wo ihr Platz ist.«
Pamela errötet unter der Demütigung. Tief in ihrem Herzen spürt sie das Aufkeimen einer aufmüpfigen Regung, doch Nelson lässt sie nicht zu Wort kommen.
»Meister, darf ich Sie in aller Bescheidenheit daran erinnern, dass diese Frau die unbefleckte Mutter des Geheiligten Geistes und damit ebenfalls heilig ist? Sie vom Mahl auszuschließen würde bedeuten, dass wir ihre Heiligkeit nicht zu schätzen wissen. Bieten wir lieber ihrem Sohn an, sich uns anzuschließen; auf diese Weise wird die Unglückszahl neutralisiert.«
Der gute Robert, denkt Pamela lächelnd. Ihr Herz zerschmilzt und wird von einer wohligen Welle überrollt, die sie erzittern lässt. Ist das Liebe? Wieder spürt sie dieses warme Gefühl zwischen ihren Schenkeln … Schamhaft wendet sie sich ab. Sie fühlt sich schuldig, weil sie in einem solch feierlichen Moment unreine Gedanken und den Wunsch nach Wollust verspürt. Ihr fällt der flüchtige Augenblick wieder ein, als Nelson sie bei seinem letzten Besuch in Anthonys Arbeitszimmer auf den Mund küsste. Zwar musste sie heftig gegen ihre eigenen Begierden ankämpfen, doch sie wehrte ihn ab, nahm die Hand des jungen Anwalts von ihrem Knie und zog sich in eine würdige Witwenhaltung zurück, obwohl ihr ganzer Körper brannte und schrie: Nimm mich! Nimm mich! Bruder Ezechiel ließ (leider!) sofort von ihr ab, entschuldigte sich und rechtfertigte sein Verhalten, indem er das Hohelied Salomos zitierte und ziemlich wortreich erklärte, dass Pamela als Witwe nicht mehr durch die heiligen Fesseln der Ehe gebunden sei und dass die Göttliche Legion die Wiederverheiratung von Witwen gestatte, dass es notwendig sei, die Herde des Herrn zu vergrößern, und dass der Herr Mann und Frau mit Fortpflanzungsorganen ausgestattet habe, damit man sich ihrer bediene, ohne selbstverständlich in ein ausschweifendes Leben oder gar die Prostitution abzugleiten … Unglücklicherweise jedoch war der gnädige Augenblick verstrichen, und Bruder Ezechiel wiederholte seine Annäherungsversuche nicht.
Callaghan akzeptiert Nelsons Argument und geht sogar selbst ins Wohnzimmer, um den frisch gebadeten und ganz in Weiß gekleideten Tony Junior zu holen. Das faltige Gesicht des Klons bleibt trotz der vielen Menschen in seinem sonst so leeren Haus starr und ausdruckslos. Nur die grauen Augen, das einzig Bewegliche in seinen eingefrorenen Zügen, mustern jeden einzelnen Anwesenden bis ins Detail und sezieren ihn mit der Genauigkeit eines Laserstrahls. Moses schiebt Juniors Rollstuhl an das eine Ende des großen Tisches, Pamela deckt den vierzehnten Teller auf und setzt sich an die Seite ihres Sohnes, um ihn zu füttern. Nach dem üblichen Tischgebet setzen sich alle. Nur der Reverend, der den Platz gegenüber dem Geheiligten Geist am anderen Ende des Tisches eingenommen hat, bleibt in seiner vollen Zweimetergröße stehen. Er breitet die Arme über Teller und Bestecke aus, nimmt eine dicke Scheibe Brot aus dem Korb, dankt Gott, bricht das Brot in vier Teile, reicht diese an seine Tischnachbarn weiter und sagt:
»Nehmet und esst alle davon: Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird.«
Anschließend schenkt er sich ein Glas Wein ein, hebt es hoch über seinen Kopf und deklamiert:
»Nehmet und trinket daraus: Das ist der Kelch des neuen und ewigen Bundes, mein Blut, das für euch und für alle vergossen wird zur Vergebung der Sünden.«
Wie alle anderen erhält auch Pamela ein Stück Brot und einen Schluck Wein, die sie nur zögernd schluckt. Mag ja sein, dass Moses Callaghan ein Auserwählter ist, aber gibt ihm dies das Recht, sich Jesus gleichzusetzen? Nelson bemerkt ihre Unsicherheit, streicht ihr über die Hand und flüstert ihr zu:
»Essen und trinken Sie, Schwester Salome. Heute sitzt der auferstandene Christus mit uns am Tisch. Da er jedoch nicht in der Lage ist, selbst Brot und Wein mit uns zu teilen, tut der Reverend es an seiner Stelle.«
Gegen Ende der Pseudo-Abendmahlsfeier heftet Callaghan den Blick auf Tony Junior, der ihn seinerseits mit seinen grauen Augen fixiert. Moses nickt, breitet die Arme erneut aus und verkündet mit donnernder Stimme:
»Brüder, ich sage euch - er ist auf dem Weg. Der Abgesandte des Teufels, der Gefolgsmann Satans ist nicht mehr fern und wird erneut versuchen, dem Leben des Auferstandenen ein Ende zu setzen. Gerade jetzt ist er dabei, die Waffen zu wetzen und die Dämonen zu rufen.« Die Anwesenden werfen sich fragende Blicke zu. »Nein«, fährt Callaghan fort, »unter uns ist kein Verräter. An diesem Tisch sitzt kein Judas. Die Gefahr kommt von draußen, aus dem Ausland, von Negern und Ungläubigen! Wir müssen doppelt wachsam sein! Aber jetzt lasst uns essen.«
Die gesamte Tischrunde hält Callaghans Aufruf für eine Parabel oder eine generelle Warnung. Seit jeher ist der Reverend schnell bei der Hand, Schwarze, Juden oder Ungläubige anzuprangern, und nimmt gern jede Gelegenheit dazu wahr. Und so speisen sie mit gutem Appetit und loben die Hausherrin für ihre Kochkunst, woraufhin sie tief errötet. Soll sie gestehen, dass dieses Essen von unreinen Händen zubereitet wurde? Nein, keinesfalls! Sie würden sofort in ihr die Verräterin sehen, einen neuen, weiblichen Judas! Ihre Verwirrung wird für Schüchternheit gehalten, und glücklicherweise wirft Callaghan ihr keinen seiner schrecklich durchdringenden Blicke zu. Er ist dabei, sich mit seinen engsten Vertrauten viel trivialeren Problemen zu widmen - nämlich Pamelas Erbe auseinanderzudividieren. Sie rechnen durch, wie viel Prozent von Fullers Vermögen man ihr zugestehen kann, überlegen, wie man die Besitzurkunden am besten auf die Göttliche Legion überschreibt und wie Pamelas Status und Vorrechte bei Resourcing dabei ins Gewicht fallen, denken darüber nach, wie die unterschiedlichen Tochtergesellschaften zusammenhängen, versuchen herauszufinden, wen man schmieren oder bedrohen muss und wie man Druck auf den Verwaltungsrat ausüben kann, damit er die Treuhänderschaft von Capital Investments akzeptiert. Auch der Jahresumsatz und die Möglichkeit einer Übernahme werden besprochen. Bei alledem wird Pamela weder zu Rate gezogen noch zu ihrer Ansicht befragt: Ihre Rolle beschränkt sich darauf, den Geheiligten Geist zu füttern …
Der jedoch weigert sich zu essen und wird von Minute zu Minute unruhiger. Er stöhnt, stößt unzusammenhängende Laute aus, presst die Lippen zusammen und verschmäht die Nahrung, die Pamela ihm reicht. Es gelingt ihm sogar, sich keuchend vor Anstrengung aufzubäumen. Plötzlich stößt er einen so durchdringenden Schrei aus, dass alle aufmerksam werden.
»O Herr … Liebling, was ist mit dir? Bist du krank?«
Noch nie hat Pamela Tony so erlebt. Er schwitzt, und sein sonst so unbewegliches Gesicht zuckt krampfhaft. Er sabbert, murmelt Unverständliches und heult auf vor Schmerz - vielleicht auch vor Angst, denn seine blutunterlaufenen Augen sind voller Entsetzen aufgerissen. Mit einer hektischen, unkontrollierten Geste wischt er den Teller von seinem Rollstuhltablett. Platte samt Inhalt scheppern auf den Boden. Er biegt und windet sich so sehr, dass man den Eindruck hat, er mache Anstalten aufzustehen.
»Ist es möglich, dass der Geheiligte Geist seiner fleischlichen Hülle zu entrinnen versucht?«, überlegt einer der Apostel.
»Bekämpft er vielleicht eine Anfechtung Satans?«, schlägt ein anderer vor.
»Oder werden wir Zeuge eines Wunders? Vielleicht steht er gleich auf und spricht zu uns«, sagt ein Dritter.
»Vielleicht kämpft er, um sein Übel auszumerzen«, fügt der Erste hinzu. »Er könnte seine Heilkunst bei sich selbst anwenden.«
Alle Blicke richten sich auf den Reverend, um ihn nach seiner Ansicht zu fragen - der einzigen, die wirklich zählt. Doch Callaghan äußert sich nicht. Er sitzt hoch aufgerichtet am Ende der Tafel und beobachtet Tony, der sich am anderen Ende in Krämpfen und Schmerzen windet.
»Hat er seine Medikamente genommen?«, erkundigt sich Nelson bei Pamela. »Vielleicht hat er einen Anfall.«
Sie schüttelt ratlos den Kopf.
»Er weigert sich, etwas einzunehmen. Ich rufe lieber Doktor Kevorkian an.«
»Salome, du mischst dich da nicht ein!«, poltert Callaghan.
Er steht so hastig auf, dass sein Stuhl umfällt, geht mit großen Schritten um den Tisch herum zu Tony und nimmt sein kleines, von Angst und Schmerz verzerrtes Gesicht in seine großen Hände.
»Auferstandener, Geheiligter Geist, Sohn Gottes, sieh mich an und sage mir, ob es die Dämonen sind, die dich angreifen. Sind es die Gesandten dieses Gegners, von dem du eben zu mir gesprochen hast? Antworte, ich beschwöre dich!«
Er zwingt Tonys Kopf in seine Richtung. Man hört die Nackenwirbel knacken. Pamela will zu ihrem Sohn, doch Nelson hält sie fest und drückt sie eng an sich. Von Callaghans Händen wie von einer Schraubzwinge festgehalten, wendet Junior ihm seine unruhigen, tränenden Augen zu, in denen Moses mit seinem durchdringenden Blick liest. Beide verharren einen angespannten Moment lang auf diese Weise. Die Anwesenden sind wie elektrisiert. Plötzlich lässt Callaghan Tony los und hebt die Arme zum Himmel.
»Aaah! Ich wusste es! Vade retro, Satanas!« Er stürzt sich wieder auf Tony und schwenkt das große, goldene, mit Diamanten besetzte Kruzifix vor seiner Nase. »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Dämon, ich befehle dir, dieses Kind zu verlassen. Kehre zurück in die Abgründe deiner Hölle. Herr, geheiligt werde dein Name, erlöse uns von dem Übel und der Versuchung. Hinaus mit euch, ihr Hunde, ihr Zauberer, ihr Unkeuschen, ihr Mörder, ihr Götzendiener und Lügner! Weicht, ihr Dämonen! Lob, Preis und Ehre sei dir, allmächtiger Herr, der du warst und bist. Verbanne Satan in die Höllenqual, in den Feuersee, der im Schwefel brennt!«
Callaghans Beschwörungen zeigen nicht die geringste Auswirkung auf Junior, der nach wie vor krampft und zuckt, als würde er von unsichtbaren Kräften geschüttelt. Sein Gesicht verzerrt sich weiter zu den schrecklichsten Grimassen. Pamela versucht erneut, zu ihrem Sohn zu eilen, doch Nelson hält sie mit fester Hand zurück. Callaghan ruft seinen Leibwächter zu sich.
»Luke, da draußen ist jemand. Ich weiß zwar nicht, wo, aber weit kann er nicht sein. Nimm deine Leute mit, finde ihn und leg ihn um.«
»Wie sieht er aus?«
»Er ist Ausländer. Soviel ich weiß, hat er halblanges, glattes schwarzes Haar und einen hängenden Wikingerschnurrbart. Er darf nicht herkommen - auf gar keinen Fall. Hast du mich verstanden?«
Luke nickt und macht drei ebenfalls bewaffneten Aposteln ein Zeichen. Zu viert verlassen sie die Villa.
Tony hat sich inzwischen ein wenig beruhigt und ist in seinem Rollstuhl zusammengesunken. Moses kniet vor ihm nieder und fragt leise:
»Sohn Gottes, kannst du jetzt mit mir reden? Kannst du mir mehr darüber mitteilen?«
Juniors Kopf wendet sich langsam und stockend dem Reverend zu, als drehe er sich zögernd auf einer schlecht gefetteten Achse. Er sieht ihn mit seinen grauen Augen an, die aufgewühlt sind wie ein stürmischer See. Plötzlich bäumt er sich mit seinem ganzen kleinen Körper auf, wirft den Kopf nach hinten und schreit:
»Zindamba! Zindamba! Zindamba!«
Es sind die ersten Worte, die er je gesprochen hat. Aber auch die letzten.