Staatsstreich
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<NSA.org>
Anthony Fuller lehnt die Stirn an die große Scheibe aus speziell gehärtetem Anti-Tornado-Glas. Er steht in seinem Büro im 27. Stockwerk des Resourcing Head Tower an der State Line Road mitten in Kansas City und beobachtet die Rauchwolken am Horizont, die den gelblichen Himmel mit grauen Schwaden überziehen und die Stadt in ein trübes, stickiges Licht tauchen. Seit fünf Tagen brennt die Prärie. Das Feuer hat bereits mehrere Dörfer zerstört und die Stadt Lawrence eingeschlossen. Auch die Enklave Eudora ist bedroht. Einige Familien haben schon ihre Habseligkeiten zusammengepackt und sind mit dem Auto oder per Hubschrauber geflüchtet. Fuller schert sich nicht darum. Fast wünscht er sich, dass alles in einem riesigen, reinigenden Feuer verglüht, dass man anschließend die rauchenden Ruinen abträgt und auf dem sauberen, sterilen, von menschlichen und anderen Parasiten befreiten Boden eine neue Welt errichtet. Als neuer Chef der Kansas Water Union hat er es abgelehnt, dass die Feuerwehrleute sich der ohnehin kümmerlichen Wasserreserven bedienen, um die sich immer weiter in die Landschaft fressende Glut zu löschen. Er verlässt sich lieber auf den Wetterbericht, der für die nächsten Tage sintflutartige Regenfälle angekündigt hat. Natürlich weiß er, dass sein Entschluss äußerst unpopulär ist, doch das kümmert ihn nicht weiter. Sein Wasser wird jedenfalls nicht dazu benutzt, Horden ausgehungerter Outers und sowieso zum Tode verurteilte Dörfer zu retten. Und was Felder und Herden angeht, so sind sie schon längst nur noch Erinnerung … Das Einzige, was Fuller wirklich stört, sind die Tausende Tonnen Kohlenstoff, die von den Präriefeuern in die Atmosphäre geschleudert werden, denn eigentlich ist es eine der Aufgaben von Resourcing, mit ihren Töchtern AirPlus, Deep Forest und Carbon Traps gegen die Umweltverschmutzung anzukämpfen. Die Luft in der Stadt ist inzwischen so verraucht, dass die Menschen Masken mit Sauerstoffkartuschen tragen müssen (ein Produkt der AirPlus™). Die letzten grünen Oasen von Kansas City fallen der extremen Hitzeentwicklung zum Opfer, die überdies für den Tod vieler gesundheitlich weniger widerstandsfähiger Personen verantwortlich ist. Die Aschepartikel, die alles bedecken, sehen aus wie Schnee im Negativ. Natürlich könnte Clean Up (@ Resourcing) die Verschmutzungen beseitigen, doch wer würde dafür bezahlen?
Das Läuten des internen Telefons reißt ihn aus seinen Gedanken. Fuller dreht sich vorsichtig um - er hegt ständig die Befürchtung, es könne wieder einmal Wilbur sein - und knurrt ein barsches »Ja bitte?« in den Apparat. Der Bildschirm zeigt das hübsche, eurasische Gesicht seiner Sekretärin Amy - die er übrigens niemals angemacht hat, weil er Geschäft und Sex grundsätzlich voneinander trennt.
»Mr. Cromwell ist jetzt da. Soll ich ihn in Ihr Büro schicken?«
Cromwell? Ach ja, Cromwell, der Direktor der NSA! Fuller hat das Meeting völlig vergessen, obwohl er eigens aus diesem Grund nach Kansas City gekommen ist. Himmel, jetzt wirkt nicht einmal mehr das Neuroprofen! Sein Gedächtnis wird immer lückenhafter. Ob er es einmal mit Memoryl versuchen soll?
»Danke, Amy. Bringen Sie ihn rein.«
Cromwell erobert Fullers Büro im Sturmschritt. Er macht den Eindruck, als wolle er die Doppeltür einrennen, die sanft vor ihm aufgleitet. Er hat das Benehmen und die Statur eines ehemaligen Boxers, ein wenig verweichlicht zwar, aber immer noch fähig, einen ausgewachsenen Ochsen umzuwerfen.
»Ihre Sicherheitssysteme sind lächerlich und hoffnungslos veraltet«, verkündet er grußlos mit heiserer, aggressiver Stimme.
»Ich habe Sie nicht wegen eines neuen Sicherheitssystems für mein Büro kommen lassen«, gibt Fuller pikiert zurück. »Ich glaube außerdem nicht, dass das Sache der NSA ist, oder aber Sie sind tiefer gesunken, als ich befürchtet hatte.«
Anstatt angesichts dieser Spitze mit Verärgerung zu reagieren, hebt Cromwell die buschigen Augenbrauen und grinst Fuller breit an.
»Okay, Fuller. Der Punkt geht an Sie.«
Er reicht Anthony eine schaufelartige Pranke, die dieser unvorsichtigerweise ergreift. Als er anschließend seine zermalmten Finger wieder zurechtschüttelt, kann er seine schmerzverzerrte Miene nicht ganz beherrschen.
»Setzen Sie sich, Cromwell. Möchten Sie etwas trinken?«
»Nicht bei der Arbeit. Wo genau liegt Ihr Problem?«
»Ich will einen Staatsstreich anzetteln.«
Die Augenbrauen des NSA-Direktors werden zu einem düsteren Strich.
»Nicht mit uns! Da wenden Sie sich besser an die CIA.«
»Schon geschehen. Die Agenten haben sich hochnehmen lassen wie blutige Anfänger. Außerdem sind mir bezüglich ihrer Treue zu den Interessen der Vereinigten Staaten erhebliche Zweifel gekommen.«
»Das wundert mich nicht. Schließlich hat der Staat die Organisation schnöde verramscht, und im Gegensatz zu uns hat es bei der CIA mit der Privatisierung gehapert. Deren Angestellte haben doch weniger Geld in der Tasche als ein durchschnittlicher puerto-ricanischer Drogendealer. Was ist mit dem Pentagon? Haben Sie es dort schon probiert?«
»Ich habe mit dem Präsidenten höchstpersönlich gesprochen. Aber die Idee, außerhalb der Landesgrenzen einen Krieg anzuzetteln, gefällt ihm absolut nicht.«
»Was wollen Sie genau, Fuller? Einen Krieg oder einen Staatsstreich?«
»Ein Krieg käme vermutlich zu teuer.«
»Nicht unbedingt. Ein paar Männer und das entsprechende Material zu mobilisieren ginge ganz schnell. Ein Staatsstreich hingegen braucht möglicherweise eine lange Vorbereitung. Wir müssten Leute an den richtigen Stellen einschleusen und dicke Bestechungsgelder zahlen. Wo soll die Sache steigen?«
»In Burkina Faso.«
Cromwells Augenbrauen schieben sich nach oben.
»Was soll das sein?«
»Ein afrikanisches Land.«
»Sie wollen in Afrika einen Staatsstreich organisieren? Wozu, um alles in der Welt? Die Leute dort sterben doch ohnehin wie die Fliegen. Geht es um Bodenschätze?«
»Um Wasser.«
»Verstehe. Haben Sie schon versucht, die Regierung zu korrumpieren? Die werden beim Anblick von Dollars doch immer noch geil!«
»Unmöglich. Burkina trägt den Namenszusatz ›Land der Unbescholtenem, und die Präsidentin scheint absolut nicht korrupt zu sein.«
»Eine Frau? Aha. Die können ganz schön hinterhältig sein.«
»Das dürfen Sie laut sagen.«
»Haben Sie Kontaktleute im Land?«
»Den Botschafter der Vereinigten Staaten, Gary Jackson.«
»Nicht gerade toll. Was ist mit der Regierung? Minister vielleicht? Generäle?«
»Ich kenne dort niemanden.«
Cromwells Blick drückt einen leisen Zweifel aus.
»Wir stark ist die Armee? Sind die Militärs der Regierung ergeben? Wissen Sie etwas darüber?«
»Nichts.«
»Scheiße, Fuller, was haben Ihre CIA-Leute da unten eigentlich getan?«
»Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass sie fast unmittelbar nach ihrer Ankunft verhaftet worden sind. Ich habe kaum Auskünfte erhalten.«
»Blödmänner! Ihr Problem ist wirklich nicht sehr leicht zu lösen.«
Fuller windet sich in seinem Sessel. Liebend gern hätte er eine Neuroprofen genommen, um etwas klarer denken zu können, doch er möchte nicht, dass Cromwell etwas bemerkt. Immerhin könnte er es ihm als Zeichen von Schwäche auslegen.
»Stört es Sie, wenn ich mir etwas zu trinken nehme? Dieser Rauch dörrt einem die Kehle aus!«
»Tun Sie, was Sie nicht lassen können. Schließlich sind Sie hier der Boss.«
Fuller nimmt eine Dose australisches Bud aus dem Kühlschrank im Büro und lässt diskret eine Neuroprofen hineingleiten. Als sich die Tablette auflöst, beginnt das Bier heftig zu schäumen, läuft über und tropft in langen Geiferfäden auf den Kaschmirteppich. Wieder hebt Cromwell die buschigen Augenbrauen.
»Was trinken Sie denn da für eine Schweinerei?«
»Australisches Bud.«
»Die Australier können eben kein Bier brauen.«
»Trotzdem haben Sie die Brauerei Budweiser aufgekauft«, gibt Fuller zu bedenken.
Er nimmt einen Schluck und hält angeekelt die Luft an. Die Neuroprofen verleiht dem Bier einen schauderhaften Geschmack.
»Nichts bleibt, wie es war«, sinniert Cromwell. Dann bemerkt er Anthonys angewiderten Gesichtsausdruck. »Nun zwingen Sie das Zeug doch nicht in sich rein. Haben Sie denn nichts anderes?«
»Weiter im Text, Cromwell. Wie gedenken Sie vorzugehen?«
Anthony zwingt sich, das Gespräch fortzuführen, während das Bier weiter aus der Dose schäumt.
»Zunächst sollten wir Informationen besorgen. Solange wir nichts wissen, kann ich Ihnen auch nichts weiter sagen. Wir müssen alles über die Militärs und die Möglichkeiten von Widerstand herausfinden, wir müssen das schwächste Glied in der Kette finden, wir müssen wissen, wer korrumpierbar ist und welche Hebel wir in Bewegung setzen müssen - solche Dinge eben.«
»Dann müssen wir also jemanden hinschicken.« Fuller erstickt einen Rülpser. Blinzelnd und mit viel Mühe versucht er, sich zu konzentrieren.
»Nicht sofort. Sind die Wilden dort unten eigentlich vernetzt?«
»Äh, ich glaube schon … ja, ja doch. Natürlich!« Rülps.
»Dann werden wir zunächst diese Quelle anzapfen. Wir haben gerade über NetSurvey einen ganz pfiffigen Kerl eingestellt. Er ist Franzose und hat eine Menge Ahnung.«
»Ach ja?« Hilf Himmel, in meinem Kopf dreht sich alles.
»Ja, einen ehemaligen Hacker. Das sind mit Abstand die Besten. Angeblich wollte irgendein Bekloppter ihn bis ans Ende seiner Tage hinter schwedische Gardinen bringen.«
Cromwells Worte erinnern Anthony von Ferne an irgendetwas, doch seine Gedanken schwimmen davon, sein Kopf dreht sich, und ihm wird plötzlich schwindelig. Krampfhaft greift er nach der Sessellehne, um nicht umzukippen. Eisiger Schweiß perlt über seine Stirn, sein Herz klopft unregelmäßig.
»Alles in Ordnung, Fuller? Sie sind ja ganz weiß!«
»Mir … mir geht es nicht gut. Könnten Sie bitte meine Sekretärin rufen?«
»Soll ich nicht lieber gleich einen Doc holen?«, fragt Cromwell mit gerunzelten Augenbrauen.
»Nein … meine Sekretärin … weiß, was zu tun ist. Holen Sie sie … bitte.«
»Schon gut. Schließlich sind Sie der Boss.«
Der Direktor der NSA verlässt in seinem üblichen Sturmschritt Fullers Büro. Dabei rempelt er die Gleittür an.
Als er endlich allein ist, gestattet sich Fuller, sich gehen zu lassen. Er lässt sich vom Sessel auf den mit Neuroprofen-Bier getränkten Teppich gleiten. Alle Gegenstände im Zimmer scheinen zu vibrieren und einen roten, pulsierenden Heiligenschein anzunehmen. Eine Hand über dem rasenden Herzen verkrampft, bemüht er sich, trotz heftigen Aufstoßens zu Atem zu kommen, und ruft tonlos nach Amy, die ihm ein oder zwei Calmoxan einflößen soll. Seine zittrigen Finger finden die Schachtel nicht mehr.
Endlich taucht eine Gestalt in seinem rot vernebelten Blickfeld auf. Sie ist groß, schlaksig, hat ungekämmte Haare, ein kariöses Lächeln und farblose Augen. Das ist keinesfalls Amy!
»Du bist tot, Papa!«, erklärt Wilbur, schwenkt ein großes, glänzendes Messer und sticht es Anthony bis zum Heft ins Herz.