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Die Strecke zwischen Ouagadougou und Kongoussi kommt Laurie und Rudy vor, als reisten sie mitten durch die Hölle. Sicher, es ist nicht der Tanezrouft mit seinen unfruchtbaren Regs, und es handelt sich auch nicht um sechshundert Kilometer, sondern lediglich um hundertfünfzehn, doch in gewisser Weise ist es schlimmer. Das Buschland, von der Sonne verbrannt und vom Harmattan mit Sand bedeckt, stirbt qualvoll vor sich hin, am Weg finden sich Autowracks und von Geiern und Schakalen zerfetzte Leichen. Die sterbenden Dörfer, durch die sie fahren, sind von apathischen Zombies bevölkert, deren Kinder mit ihren aufgetriebenen Bäuchen immer noch die Kraft finden, zum Auto zu laufen und die spindeldürren Ärmchen auszustrecken. Ein sterbendes Gebiet zu durchqueren ist ungleich schrecklicher, als durch eine seit langer Zeit tote Wüste zu fahren.
Laurie und Rudy wappnen sich mit viel Mühe gegen das Entsetzen und die Verzweiflung, denn sie müssen über das sprechen, was sie in Kongoussi erwartet.
»Weißt, du, was merkwürdig ist?«, fragt Laurie. »Ich freue mich richtig darauf, nach Kongoussi zu fahren. Nein, freuen ist vielleicht nicht das richtige Wort. Ich sollte besser sagen: Ich bin erleichtert. Als wäre mir ein Stein vom Herzen gefallen.«
»Liegt es vielleicht an deinem Gewissen, dass du dich erleichtert fühlst?« Rudy kann die kleine sarkastische Spitze nicht unterdrücken. »Immerhin kannst du dich endlich wieder nützlich machen.«
»Damit hat es überhaupt nichts zu tun. Ich fühle etwas ganz Sonderbares.« Sie zögert und sucht nach Worten. »Es ist, als würde ich … gerufen! Es ist schon seit einigen Tagen so. Ich muss ständig daran denken, träume nachts davon und verspüre eine Art Ziehen in meinem Bauch. Und dabei fällt mir absolut nichts ein, was mich dort hinlocken könnte.«
»Abou«, erklärt Rudy.
»Wie kommst du ausgerechnet auf Abou?« Sie wirft ihm einen misstrauischen Seitenblick zu. »Ich kenne ihn doch kaum.«
»Er ist in dich verliebt. Das hat er mir klar und deutlich zu verstehen gegeben.«
Laurie zuckt die Schultern.
»Das ist doch lächerlich. Wir haben keine drei Worte miteinander geredet. Ich weiß nicht einmal mehr, wie er aussieht. Wie könnte er so etwas mit mir machen? Nein, es muss etwas anderes sein.«
»Ja, und zwar seine Magie. Er nennt es Bangré.«
»Aha, dann hat er mich also verhext. Meinst du das? Mit Amuletten, abgeschnittenen Fingernägeln und Hühnerblut? Das ist doch Humbug! Es funktioniert höchstens bei Leuten, die daran glauben.«
»Jetzt klingst du aber geringschätzig, Laurie. Du vergleichst Äpfel mit Birnen. Es gibt Menschen, die eine wirkliche Macht besitzen, und andere, die damit Geld verdienen wollen. Normalerweise handelt es sich nicht um die gleichen.«
In Kongoussi begeben sie sich sofort auf die Baustelle, die sie leer und verlassen vorfinden, mit Ausnahme einer Abteilung des 4. Infanterieregiments, die das Gelände voller Selbstverleugnung in der glühenden Hitze bewacht. Der Bohrturm ragt wie das Metallskelett eines unerfüllten Traums in den farblosen Himmel. Die Baracken aus Plastik und Blech, in denen die Ausrüstung untergebracht ist, wellen sich in der überhitzten Luft, in der ununterbrochen kleine Lateritwirbel tanzen. Die Einzelkämpfer unter den Wassersuchern scheinen endlich die Sinnlosigkeit ihres Unternehmens begriffen zu haben. Die improvisierten Zelte stehen allerdings noch, weil viele dieser Menschen alles hinter sich gelassen haben, um herzukommen, und nicht wissen, wohin sie jetzt gehen sollen.
Als die Soldaten die beiden Weißen bemerken, machen sie ihnen ein Zeichen, dass sie im Rathaus erwartet werden. Laurie sucht nach Abou, doch der ist offenbar nicht im Dienst. Bei der Fahrt über die hügelige Straße, die früher mitten durch Gemüsefelder führte, erkennt Rudy, dass einige Felder wieder gepflügt worden sind. Die Parzellen sind instand gesetzt und die Bewässerungskanäle in der Erwartung des versprochenen Mannas freigeräumt worden. Er sieht sogar einige Bauern, die mit Hacken dem festgebackenen Staub auf ihren Feldern zu Leibe rücken und Sand aus den Rinnen schaufeln.
Das Rathaus ist zum Hauptquartier umfunktioniert worden. Im Hof haben sich die Soldaten der Garnison und die abkommandierten Polizeikräfte versammelt. Sie entdecken auch Abou, der gerade verhört wird. Der Bürgermeister und seine Frau freuen sich von Herzen, die Gesandten der Präsidentin bei sich begrüßen zu dürfen - ihre Tochter Félicité weitaus weniger. Hauptmann Norbert Yaméogo sieht Rudy mit ganz anderen Augen an, seit er erfahren hat, dass der Niederländer in einem Kommando gedient hat; interessiert erkundigt er sich nach Waffengattung und Einheit.
»Ich war in Deutschland in einer besonderen Abteilung, die auf Überlebenstaktik in feindlicher Umgebung spezialisiert war.«
Es gibt noch jemanden, dem die Ankunft der beiden Weißen keine Freude bereitet: Es handelt sich um Kommissar Ouattara, der, wie er nachdrücklich betont, die Ermittlungen leitet und ausschließlich dem Innenminister untersteht.
»Ich werde diese Untersuchung so führen, wie ich es gewohnt bin«, warnt er Rudy. Dabei funkelt er mit großen, rot geäderten Augen sein Gegenüber ärgerlich an, und seine Wurstfinger fuchteln vor Rudys Nase herum. »Ich lasse nicht zu, dass mir jemand ins Gehege kommt! Schon gar nicht ein Ausländer, der absolut nichts mit der Polizei zu tun hat.«
»Machen Sie sich keine Sorgen, Herr Kommissar. Wir sind lediglich hier, um sicherzustellen, dass auf der Baustelle weitergearbeitet wird. Nicht wahr, Laurie?«
»Allerdings!«, nickt sie. »Immerhin haben wir die Bohrausrüstung hergebracht und sind dafür verantwortlich. Die Präsidentin hat die Leitung der Baustelle während der Abwesenheit ihres Sohnes in meine Hände gelegt, und Rudy unterstützt mich, das ist alles. Kein Mensch will Ihnen ins Gehege kommen. Dazu sind wir nicht beauftragt.«
Der Kommissar wird ein wenig zugänglicher, beobachtet Rudy aber nach wie vor mit einem gewissen Misstrauen.
»Keine Ahnung, was Fatimata oder der Minister ihm gesagt haben«, raunt Rudy Laurie zu, als gerade niemand hinhört. »Jedenfalls ist jetzt klar, dass ich von der Polizei keinerlei Unterstützung zu erwarten habe.«
»Du solltest diese alberne Idee fallen lassen«, gibt Laurie leise zurück. »Ich glaube nicht, dass du Moussa wiederfindest, indem du ein Huhn opferst oder sein Foto auspendelst. Mag sein, dass Abous Großmutter kranke Menschen mit Kräutern und Tinkturen zu heilen versteht, mag auch sein, dass sie ihren Enkel in der Kunst der traditionellen Medizin unterweist. Das finde ich okay und völlig plausibel. Aber dass sie die Geister dazu bringen kann, ihr Moussas Aufenthaltsort zu verraten, das glaube ich einfach nicht. Tut mir leid!«
Rudy sucht noch nach einer beißenden Antwort, etwa in der Art: »Es gibt immer ein paar Bekloppte, die Tomaten auf den Augen haben und nur glauben, was sie selbst sehen«, doch in diesem Augenblick tritt Abou auf den Hof. Er hat sein Verhör hinter sich. Rudy winkt ihm zu. Abou geht ihnen mit unentschlossenen Schritten und einem ebensolchen Lächeln entgegen.
»Guten Tag, Rudy. Meine Ehrerbietung, Laurie. Friede sei mit euch. Wie geht es euch?«
»Besser als dir«, antwortet Rudy. »Haben die Bullen dich nicht zu sehr in die Mangel genommen?«
»In die Mangel genommen?«
»Viele Fragen gestellt«, übersetzt Laurie.
»O ja, sehr viele«, nickt Abou. »Über meinen Bruder, die Baustelle, die Leute, die er eingestellt hat … sogar über euch.«
»Über uns?«, wiederholt Rudy verblüfft. »Was wollten sie denn wissen?«
»Wo ihr herkommt, warum ihr gekommen seid, was ihr als Nächstes plant - solche Dinge. Sie wollten auch wissen, was ich von euch halte.«
»Und was hast du geantwortet?«, erkundigt sich Laurie.
Abou lässt seine funkelnden Augen auf ihr ruhen. Sie spürt seine ganze Liebe mitten im Herz, so klar, als hätte er »Ich liebe dich« gesagt und ihr Blumen geschenkt. Unwillkürlich weicht sie einen Schritt zurück. Abou senkt die Augen auf seine vom Staub geröteten Springerstiefel.
»Ich habe gesagt, dass ihr nette Leute seid«, murmelt er. »Dass ihr gekommen seid, um dem Land Wohlstand und Selbstachtung zurückzugeben, und dass eure Hilfe sehr wichtig für uns ist.« Erneut heftet er die Augen auf Laurie. »Ich habe gesagt, dass ich euch aus tiefstem Herzen liebe und euch unendlichen Respekt entgegenbringe.«
Na gut, die Botschaft ist ja wohl klar, grinst Rudy innerlich und weidet sich an Lauries Unruhe, die sie kaum verbergen kann. Dennoch zieht er es vor, das Gespräch auf eine neutralere Ebene zu bringen.
»Und du? Was hältst du von den Polizisten? Glaubst du, dass sie schon eine Spur haben? Oder Beweise?«
Abou presst die Lippen zusammen und verneint.
»Im Augenblick scheinen sie ein wenig den Überblick verloren zu haben. Natürlich wissen sie längst, dass es die vier Ausländer waren, die Moussa eingestellt hat, und die den Coup mit ihrem Chef durchgeführt haben - diesem Großen, der immer Schwarz trug und nur Englisch sprach. Sie haben die Adressen auf den Lebensläufen überprüft - alles Schwindel. Sie haben sich auch bei den Baustellen erkundigt, wo sie angeblich Erfahrung gesammelt haben, aber dort kennt sie niemand. Sie haben sich falsche Namen gegeben und sind mit Moussa im Buschland verschwunden.«
Er schluckt schwer. Seine Augen wirken verhangen. Sein Herz ist schwer.
»Ach ja…« Rudy zieht ein Stück Stoff aus seiner Tasche, rollt es in der Hand auseinander und zeigt Rudy den inzwischen steif gewordenen Ringfinger auf der Gaze. »Könntest du dir vorstellen, Abou, dass das der Finger deines Bruders ist?«
Laurie erschrickt und schlägt eine Hand vor den Mund.
»Hast du den geklaut?«
»Klar. Kein Mensch hat sich mehr dafür interessiert. Und, Abou?«
Abou untersucht das verstümmelte Glied. Kopfschüttelnd richtet er sich auf.
»Das ist zwar sein Ring, aber nicht sein Finger. Der Finger da gehörte einem Bauern. Moussa hatte lange, schmale Hände.«
»Sag doch nicht hatte«, fordert Rudy ihn auf. »Ich bin sicher, dass dein Bruder nicht tot ist. Wir werden ihn wiederfinden.«
Kommissar Ouattara kommt im Sturmschritt auf die drei zu und zielt mit seinem dicken Zeigefinger auf Rudy.
»Sie da, was zeigen Sie dem Zeugen? Was wollen Sie der Polizei verheimlichen?«
»Gar nichts, Herr Kommissar. Ich habe ein Beweisstück mitgebracht, das Ihre Kollegen in Ouaga keiner näheren Inspektion für nötig erachtet haben. Aber ein Mann von Ihrem Scharfsinn kann sicher etwas damit anfangen…«
Der Kommissar greift nach dem Ringfinger und fuchtelt damit vor Rudys Nase herum.
»Was soll das sein? Ich erwarte eine Erklärung!«
»… falls er nicht die Fingerabdrücke verwischt, die sich darauf befinden«, fährt Rudy fort und verbeißt sich mühsam ein Lächeln. »Es ist der Finger, der dem Brief an die Präsidentin beigefügt war. Ich nehme doch an, dass Sie auf dem Laufenden sind?«
»Selbstverständlich bin ich auf dem Laufenden. Übrigens konfisziere ich dieses Objekt, das Ihnen nicht gehört.«
Der Kommissar stopft den Finger ohne Weiteres in die Brusttasche seines Hemdes und kehrt zu seinen Kollegen zurück, vermutlich, um einen Plan zur Durchkämmung des Geländes auf die Beine zu stellen.
»Bei solchen Polizisten wäre ich nicht einmal sicher, ob sie Eier in einem Hühnerhaus fänden«, grinst Rudy. »Was sagst du dazu, Abou? Sind das wirklich die besten Ermittler des Landes?«
»Ich weiß es nicht«, antwortet Abou. Seine Stimme zittert vor Hoffnungslosigkeit.
Rudy beschließt, nicht länger um den heißen Brei herumzureden. Er legt einen Arm um Abous Schulter und zieht ihn in eine abgelegene Ecke unter einer vertrockneten Tamarinde.
»Ich denke an eine andere Methode, aber du musst mir ehrlich sagen, ob du sie für anwendbar hältst.« Abou nickt. »Ich habe gehört, dass du dich unter Anleitung deiner Großmutter der Magie widmest.«
»Nicht der Magie. Dem Bangré. Das bedeutet … in eine andere Welt sehen zu können. In die Welt der Geister und Toten. Man sieht sozusagen das Unsichtbare.«
»Gut. Könntest du sehen, wo sich dein Bruder befindet?«
»Das habe ich bereits versucht«, gesteht Abou zerknirscht. »Aber ich habe nicht genügend Macht …«
»Und deine Großmutter? Könnte sie es tun?«
»Sie? Oh, ganz sicher! Sie hat mir schon Leute gezeigt, die sehr weit weg waren.«
»Und warum bist du dann nicht bei ihr? Worauf wartest du noch?«
»Ich habe kein Fahrzeug. Félicité weigert sich, mir ihren Motorroller zu leihen.«
»Aber ich habe ein Auto. Ruf sie am besten gleich an, dann fahren wir los.«
»Sie hat kein Telefon.«
»Ach! Können wir denn sicher sein, dass sie da ist, wenn wir hinfahren?«
»Aber natürlich. Sie weiß immer, wann ich komme.«
»Okay, dann lass uns losfahren.«
»Kann Laurie mitkommen?«
»Klar, wenn dir das so wichtig ist. Frag sie einfach.«
Abou geht zu Laurie, die sich gerade mit Alimatou unterhält. Die Frau des Bürgermeisters leidet so, als hätte man ihren eigenen Sohn entführt. Rudy zieht es vor, ein wenig abseits zuwarten. Er sieht, wie Laurie die Augen zum Himmel erhebt, den Kopf schüttelt und Abou etwas erklärt. Niedergeschlagen kehrt der junge Soldat zu Rudy zurück.
»Sie will nicht. Sie sagt, dass sie die Verantwortung für die Baustelle übernommen hat, und außerdem, dass …«
»Dass was?
Abou senkt den Kopf, doch er spricht es trotzdem aus.
»Dass ich nicht auf dich hören soll. Dass du mich in falschen Hoffnungen wiegst.«
»Und wie denkst du selbst darüber?«
»Ich glaube - bei allem Respekt, den ich ihr schulde -, dass sie sich irrt.«
»Das glaube ich auch. Lass uns fahren, Abou!«