Heldenspiele
Lève-toi, bats-toi … Va revendiquer tes droits
Lève-toi, bats-toi … La vie, c’est ton droit
Quatre-vingts pour cent de nos présidents
Sont des marionnettes
L’occident tire sur les ficelles
Les marionnettes font du zèle
Le pouvoir leur monte à la tête
Moi j’ai peur des mitraillettes
Mal en pis, les choses vont de mal en pis
Mal en pis, les choses vont de mal en pis
Quel que soit ce qu’on leur dit,
Ces abrutis n’ont rien compris
Steh auf und wehr dich - fordere deine Rechte ein,
Steh auf und wehr dich - du hast ein Recht auf Leben.
Achtzig Prozent unserer Präsidenten
Sind Marionetten.
Der Westen zieht an den Schnüren.
Die Marionetten sind eifrig,
Die Macht steigt ihnen zu Kopf.
Ich aber habe Angst vor Maschinengewehren.
Es wird immer schlimmer.
Ganz gleich, was man ihnen sagt,
Diese Idioten verstehen nichts.
Alpha Blondy, »Politruc«, (Merci, 2002)
Abou schreckt aus dem Schlaf auf. In der Hütte ist es schon sehr warm; die Sonne streckt ihre Feuerzungen durch die Schlitze der Fensterläden. Er sieht auf die Uhr: neun Uhr! Er müsste seit drei Stunden unterwegs sein! Was ist geschehen? Warum hat Hadé ihn nicht geweckt?
Hastig zieht er sich an und läuft in den Hof, wo alles ist wie immer: Hadé sitzt unter der Tamarinde und tastet den Hals einer Frau ab, die vor ihr hockt; wartende Patienten drängen sich auf der Bank; Magéné kommt mit einem mit grauer Flüssigkeit gefüllten Fläschchen aus dem »Labor«; Bana sitzt vor ihrer Hütte und zerstößt Hirse zum Klang eines kleinen Transistorradios, das an der Mauer hängt. Es ist, als hätte man Abou völlig vergessen und als wäre der Vortag nichts als ein schrecklicher Albtraum gewesen.
Abou läuft zu Hadé.
»Großmutter! Warum hast du mich nicht geweckt? Ich hätte in der Morgendämmerung aufbrechen müssen.«
»Du brauchst nicht mehr fortzugehen, Sohn.«
»Warum?«
»Geh zu Bana. Sie hat das Radio eingeschaltet. Und lass mich bitte arbeiten.« Sie wendet sich wieder der Frau zu und fragt: »Wenn ich hier drücke, tut das weh?«
»Ja, m’boyo. Es strahlt bis in die Schulter aus.«
Abou weiß, dass es nichts nützt, weiterzubohren. Er unterdrückt seinen Ärger und geht zu Bana, die ihren Mörser weglegt und ihn lächelnd empfängt.
»Grüß dich, Abou. Hast du gut geschlafen?«
»Viel zu lang, Bana. Großmutter hat gesagt, dass ich nicht mehr nach Mali zu gehen brauche, aber dass ich Radio hören soll. Gibt es Neuigkeiten?«
»Warte, ich schalte La Voix des Lacs wieder ein.«
Sie nimmt das Radio von der Wand, drückt einen Programmwahlknopf und hält Abou das Gerät hin.
»… des Flughafens und des Senders, welche die ersten Ziele waren, wird im Augenblick der Präsidentenpalast von der regulären Armee befreit. Seit der Festnahme von General Kawongolo leisten die Aufrührer kaum noch Widerstand. Nach Angaben des Innenministers Dramane Bako, der vorläufig die Regierungsgeschäfte übernommen hat, wird, so wörtlich, ›noch vor Ende dieses Tages die Ordnung im Land wiederhergestellt sein‹. Auch Oberst Barry, der Befehlshaber der Gegenoffensive, versichert, dass die Putschisten bereit sind, sich zu ergeben…«
Abou sieht Bana verblüfft an.
»Der Putsch ist also misslungen? Habe ich das richtig verstanden?«
»Ich denke schon. Seit einer Stunde ist La Voix des Lacs wieder auf Sendung.«
»Aber … meine Mutter kommt doch erst heute Nachmittag in Bamako an. Ich sollte sie eigentlich informieren.«
»Na ja, sie ist eben von jemand anders informiert worden.«
»Von Großmutter?«
»Das glaube ich eigentlich nicht«, lacht Bana. »Deine Großmutter verfügt über viel Macht, aber ein Telefon kann auch sie nicht ersetzen.«
»In Kongoussi allerdings hat sich die Situation bisher noch nicht verändert. Das Bohrgelände befindet sich nach wie vor in der Hand der Rebellen. Sie haben sich auf der Baustelle verschanzt und scheinen sie um jeden Preis halten zu wollen. Die reguläre Armee ist noch nicht nach Kongoussi vorgedrungen…«
»Ich denke, ich muss aufbrechen«, erklärt Abou.
»Nach Mali?«
»Nein, nach Kongoussi. Ich muss zurückkehren und die Baustelle befreien.«
»Du ganz allein?«
»Mein Regiment sollte inzwischen befreit sein und wird sicher zurückkehren. Ich muss an die Seite meiner Kameraden eilen, um nicht als Feigling dazustehen. Außerdem ist es meine Pflicht.«
»Nun, wenn es deine Pflicht ist…«
Kommentarlos beginnt Bana, wieder ihre Hirse zu mahlen. Abou kehrt zu Hadé zurück und teilt ihr seinen Entschluss mit. Sie nickt ihm wortlos zu, denn sie ist damit beschäftigt, ihre Hände auf den Körper eines Greises mit weißen Augen zu legen. Abou weiß, dass sie sich nicht aus Mangel an Interesse so verhält - wahrscheinlich ist sie zur gleichen Schlussfolgerung gekommen und versucht daher nicht, ihn zurückzuhalten.
Anderthalb Stunden später versteckt Abou den Motorroller hinter einem dicken Baobab in den Hügeln neben der Straße nach Djibo und nimmt seinen Beobachtungsposten vom Vortag wieder ein.
Auf dem Bohrgelände wird wieder gearbeitet, und zwar unter der Aufsicht von Soldaten, die allgegenwärtig zu sein scheinen. Sie sind auf dem Bohrturm, in der Nähe der Zisternen, bei den Pipelines, die in die Stadt führen, vor den Kompressoren, den Baracken für die technische Ausrüstung und in den Arbeiterunterkünften. Die beiden gepanzerten Fahrzeuge - eine Schnellfeuerwaffe und eine Kanone - sind rechts und links vom Eingang positioniert, der Mörser befindet sich vor dem Militärlager. Die Ordonnanzen stehen sich vor der zur Offiziersmesse umfunktionierten Funkerbaracke die Beine in den Bauch. Das muss der neuralgische Punkt sein, denkt Abou. Wenn ich es schaffe, die verräterischen Obersten umzulegen, würde das Bataillon wie ein aufgeregtes Huhn kopflos herumrennen. Dann braucht das 4. Infanterieregiment nur noch zuzuschlagen. Aber wie soll er das anstellen? Und wie soll er überhaupt auf die Baustelle gelangen? Der Eingang ist gut gesichert, und die frisch reparierten und mit Stacheldraht verstärkten Zäune werden ständig bewacht. Wäre es nicht sinnvoller, zu warten, bis die reguläre Armee anrückt, und sich gemäß seinem Dienstgrad einzuordnen? Doch Abou hat große Lust, einmal richtig auf eigene Faust durchzugreifen und den Helden zu spielen, um Lauries Liebe zu gewinnen.
Nachdem er ausgiebig nachgedacht hat, kommt ihm eine Idee. Sie ist verrückt, aber sie könnte funktionieren - vielleicht gerade, weil sie verrückt ist. Und immerhin hat sie schon einmal geklappt. Er geht zurück zu seinem Motorroller, wühlt im Topcase und findet ein schmutziges Tuch, das er sich um den Kopf wickelt. Es ist voller Ölflecke, aber von Weitem sieht es fast wie echt aus.
Die beiden Wachen vor dem Haupteingang sehen einen stotternden Motorroller ankommen, der nicht ganz gerade fährt und von einem erschöpften Soldaten mit einem improvisierten Verband um den Kopf gesteuert wird. Der Kamerad ist sichtlich am Ende seiner Kräfte. Zwar legen sie ihre Gewehre an, weil es der Vorschrift entspricht, doch der Junge auf dem Roller stellt sichtlich keine Gefahr dar. Sie lassen ihn absteigen und sich nähern, bleiben aber vorsichtig. Mit gesenktem Kopf zieht er das Bein nach.
»Grüßt euch, Freunde«, sagt er mit rauer, müder Stimme. »Ich komme aus Ouaga und habe eine Nachricht für euren Kommandanten.«
»Für Hauptmann Balima?«, erkundigt sich einer der Wachleute.
»Äh … ja, das ist er wohl. Wo kann ich ihn finden?«
»Komm mit.«
Der Wachhabende hängt sein Gewehr über die Schulter und begleitet Abou zur Fernmeldebaracke.
»In Ouaga scheint ganz schön die Post abzugehen, was?«, erkundigt er sich unterwegs.
»Es ist die Hölle. Die anderen belagern uns und stören unsere Fernmeldeanlagen. Nur mit Müh und Not ist es mir gelungen, mich durchzuschlagen, um die Meldung zu überbringen.«
»Ach, deswegen bekommen wir also keine Nachrichten! Allerdings besitzt mein Neffe Ernest ein Radio. Angeblich soll der Putsch gescheitert sein. Ist das wahr?«
»Keine Ahnung. Jedenfalls kämpfen wir wie die Löwen.«
»Glaubst du, dass wir hier auch kämpfen müssen?«
»Schon möglich.«
»Scheiße!« Der Wachmann verzieht das Gesicht.
Dann wendet er sich an die Ordonnanzen vor der Fernmeldebaracke.
»Ist Hauptmann Balima hier?«
»Ja, aber er ist im Gespräch. Worum geht es?«
Der Soldat zeigt auf Abou.
»Eine Nachricht aus Ouaga.«
Die Ordonnanz klopft an die Metalltür, öffnet sie und streckt den Kopf hinein.
»Herr Hauptmann, hier ist ein Bote aus Ouaga.«
»Ach ja? Lassen Sie ihn eintreten.«
Die Ordonnanz tritt zur Seite, um Abou einzulassen. In dem kleinen Raum, der trotz eines nach Norden geöffneten Fensters stickig heiß ist, befinden sich drei Personen: Hauptmann Balima, der sich über Moussas Computer beugt, ein Leutnant, der mit einem Funkgerät kämpft, und ein anderer, der gerade ein Feldtelefon installiert. Niemand achtet auf Abou, der die Situation ausnutzt und klammheimlich die Tür der Baracke verriegelt.
»Es will einfach nicht funktionieren, Herr Hauptmann«, jammert der Untergebene, der das Telefon zu installieren versucht. »Ich bekomme keine Verbindung.«
Balima, ein dicker Kerl, reißt seine Augen vom Bildschirm los und bemerkt Abou.
»Nun, die Nachrichten sind ja schon auf dem Weg zu uns. Wer hat Sie geschickt?«
»Mein Hass!«
»Wie bitte?« Der Hauptmann reißt die Augen auf. »Aber Sie sind doch…«
Mit einer raschen Bewegung reißt Abou sein Gewehr von der Schulter und schießt eine Salve im Halbkreis. Die Kugeln durchdringen das Feldtelefon, Moussas Computer, die Barackenwände und die drei Männer, die getroffen zusammenbrechen und die Überraschung auf ihren Gesichtern mit in eine andere Welt nehmen.
Draußen entsteht Unruhe. Man ruft und rüttelt an der Tür. Jetzt muss Abou sehr schnell handeln. Er springt auf den Schreibtisch, wo Balima mit blutigem Kopf zusammengebrochen ist, und von dort auf das Fensterbrett. Ein Soldat, der um die Baracke herumgelaufen ist, sieht ihn. Abou streckt ihn nieder, ehe er ein Wort hervorbringen kann. Vom Fenster aus zieht er sich auf das mit Antennen gespickte Dach hoch. Gerade noch rechtzeitig kann er sich hinter einer Satellitenantenne flach auf den Bauch werfen. Einige Soldaten, die ebenfalls um das Gebäude herumgelaufen sind, haben ihren Kameraden gefunden und bemerkt, dass das Fenster offen steht. Einer von ihnen stellt sich auf die Zehenspitzen und späht ins Innere der Baracke.
»Er hat den Hauptmann und die Leutnants erschossen!«
»Er muss aus dem Fenster geflohen sein.«
»Sucht ihn. Er kann noch nicht weit sein.«
Die Soldaten rennen in unterschiedliche Richtungen davon. Wie kopflose Hühner … Abou liegt flach auf dem glühenden Dach und lacht sich ins Fäustchen. Er geht davon aus, dass er die einzigen Offiziere erschossen hat, die in der Lage sind, Befehle zu erteilen. Damit verfügt das Bataillon über keine Vorgesetzten mehr, keine Taktik, keine Befehle und keinen Gefechtsplan. Trotzdem befindet sich Abou in höchster Gefahr. Früher oder später wird sicher jemand auf die Idee kommen, auf dem Dach nachzuschauen, oder man wird ihn von einem anderen erhöhten Punkt aus entdecken. Hoffentlich ist die Armee bald da. Hier liegt die Unwägbarkeit seines Plans. Wenn er stundenlang warten muss, wird er nicht durchhalten, so viel ist sicher. Doch wenn die Befreiung von Ouaga tatsächlich so weit fortgeschritten ist, wie die Radioberichte glauben machen, dürfte die von Kongoussi nicht mehr lange auf sich warten lassen.
Währenddessen rennen unten alle durcheinander, schreien und rufen sich gegenseitig zu:
»Die Arbeiterbaracken! Geht dort nachsehen.«
»Bestimmt hat er sich bei den Arbeitern versteckt.«
»Passt auf, er ist bewaffnet.«
»Wo sind seine Komplizen?«
»Zweite Abteilung - alles hört auf mein Kommando! Wir müssen ausschwärmen.«
Abou kocht auf dem fast weißglühenden Dach langsam gar. Sein Schweiß fließt in Strömen, und er hat schrecklichen Durst. Wenn es nicht die Rebellen sind, die ihn töten, dann könnte es die Sonne sein. Er wagt nicht, sich in den Schatten der Satellitenschüssel gleiten zu lassen. In der Baracke sind Soldaten, die nach dem Tod ihres Vorgesetzten versuchen, sich mit Ouaga in Verbindung zu setzen. Wenn Abou sich bewegt, riskiert er daher, gehört zu werden. Wann kommst du, 4. Infanterieregiment? Bitte, komm schnell. Ich werde hier oben bei lebendigem Leib gegrillt… Aus reiner Unaufmerksamkeit hat er die Hand auf das Blechdach gelegt und nur mit Mühe einen Schmerzensschrei zurückgehalten. Jetzt ist seine Handfläche mit Brandblasen übersät. Noch schützen ihn seine Uniform und die Ströme von Schweiß, in denen er badet, doch er spürt, wie die Hitze unerbittlich durch seine Kleidungsstücke kriecht und seine Haut röstet.
Plötzlich verändern sich die Rufe auf dem Gelände. Das Klappern von Hubschrauberrotoren ist in der Ferne zu hören und kommt schnell näher. Abou hebt den Kopf und entdeckt drei schwarze Punkte, die sich gegen den weißen Himmel abheben. Sie kommen!
Endlich! Wendé sei Dank!, seufzt er erleichtert.
Es sind schwere Truppentransporter, die das Bohrgelände in niedriger Höhe überfliegen und aufs Geratewohl schießen. Alle versuchen, sich in Sicherheit zu bringen. Einige Männer werden von den Salven getroffen und fallen, andere suchen jeden nur erdenklichen Schutz. Zwei Soldaten erklimmen die Kanone, doch einer der Hubschrauber schießt eine Rakete ab, die das Gerät zerstört und die Männer tötet. Eine weitere Rakete trifft den Mörser, den einer der Männer sich zu laden bemühte. Die dritte Rakete schlägt unmittelbar neben der Automatikwaffe ein; der Sog wirft das Panzerfahrzeug einfach um.
Die Hubschrauber landen in einer wirbelnden roten Staubwolke auf dem freien Gelände zwischen der Bohrstelle und dem Militärlager. Die Türen gleiten auf und geben Soldaten frei, die sich mit Uzis und M16 im Anschlag sofort verteilen und bereit sind, auf alles zu schießen, was sich bewegt. Doch nichts bewegt sich, abgesehen von den Staubwirbeln, die langsam wieder zu Boden sinken. Schließlich trauen sich die Aufständischen einer nach dem anderen aus ihrer Deckung, werfen ihre Waffen auf den Boden und heben die Hände.
Abou kriecht zum Rand des Daches und lässt sich hinuntergleiten. Auch er legt sein Gewehr ab, denn natürlich will er nicht für einen Rebellen gehalten werden. Langsam geht er auf das 4. Infanterieregiment zu. Er entdeckt seinen Hauptmann, der dabei ist, mit großen Gesten Befehle zu erteilen.
»Hauptmann Yaméogo!«
Der Hauptmann wirbelt herum. Abou nimmt den Verband ab.
»Ich bin es, Abou Diallo!«
»Du liebe Zeit, was machen Sie denn hier? Ich muss Sie wegen unerlaubten Verlassens der Truppe festnehmen.«
»Warten Sie, Herr Hauptmann. Schauen Sie sich erst einmal an, was in der Funkerbaracke da drüben liegt. Und dann können Sie sich überlegen, ob Sie mich noch immer festnehmen wollen.«
Yaméoto wirft dem jungen Mann einen misstrauischen Blick zu und schickt einen seiner Männer zum Nachsehen. Während sie auf seine Rückkehr warten, löst sich Salah plötzlich aus der Reihe, rennt auf Abou zu und fällt ihm um den Hals.
»Abou, du lebst! Ich hatte solche Angst, dass sie dich getötet hätten.«
»Ich hatte auch Angst um dich, Salah.«
»Soldat Tambure - keine Privatgespräche mit dem Gefangenen.«
»Du bist Gefangener?«
»Aber nicht für lange, glaube ich«, lächelt Abou.
Der zum Nachsehen geschickte Soldat kommt völlig perplex aus der Fernmeldebaracke.
»Herr Hauptmann«, meldet er atemlos, »da drinnen befinden sich Hauptmann Balima und zwei Leutnants. Sie sind tot. Erschossen.«
Hauptmann Yaméogo wendet sich mit nach wie vor strenger Miene an Abou.
»Haben wir das etwa Ihnen zu verdanken, Gefreiter Diallo?«
»Jawohl, Herr Hauptmann. Ich dachte mir, dass die Rebellen sich schneller ergeben, wenn sie keinen Vorgesetzten mehr hätten.« Abou zeigt auf die in der Mitte des Geländes zusammengetriebenen Gefangenen. »Ich glaube, ich hatte recht.«
Yaméogo nickt widerwillig.
»Das glaube ich allerdings auch. Nun, trotzdem muss ich den Gefreiten Diallo wegen seiner unentschuldigten Abwesenheit beim gestrigen Gefecht mit Arrest bestrafen. Allerdings muss ich Sergeant Diallo zu seiner Heldentat beglückwünschen. Ihnen ist zu verdanken, dass wir heute hier so schnell gewonnen haben. Sie haben sich drei Tage Sonderurlaub redlich verdient. Sobald ich wieder ein Büro habe, kommen Sie vorbei und holen sich Ihre Tressen und die Ehrenmedaille ab.«
»Vielen Dank, Herr Hauptmann. Übrigens sterbe ich vor Durst. Dürfte ich etwas trinken gehen?«
»Sie haben meine Einwilligung.«
Abou läuft zu den Sammelzisternen, öffnet einen der Schieber, hält den Kopf unter das frische, klare Wasser und trinkt in großen Schlucken. Schließlich zieht er die Uniform aus, kauert sich im Slip unter das geöffnete Ventil und lässt das Wasser wohlig stöhnend über sich hinwegsprudeln. Mein Gott, wie schmutzig er doch gewesen ist! Doch jetzt werden Schweiß, Staub und Stress einfach im fröhlich gluckernden Wasser weggeschwemmt, das Abou ohne Gewissensbisse verschwendet. Er wäscht Körper und Haar und tobt im Wasserstrahl herum wie ein kleiner Junge.
Plötzlich tritt Salah lächelnd zu ihm.
»Abou, du musst dich anziehen. Jemand fragt nach dir.«
»Wer?«
»Das wirst du schon sehen.«
Abou schlüpft in seine schmutzige Uniform, und Salah profitiert von der Wartezeit, um ebenfalls den Kopf unter das Wasser zu halten. Hand in Hand kehren beide zu den Hubschraubern zurück.
Neben den Maschinen parkt ein kleiner, grauer Hyundai, den Abou nur allzu gut kennt. Laurie unterhält sich mit Hauptmann Yaméogo. Sie ist ganz in Weiß gekleidet. Ihre blonde Mähne leuchtet in der Sonne.
»Ich gehe dann mal«, sagt Salah und zwinkert dem Freund zu. »Wir sehen uns ja sicher später. Du hast mir vermutlich eine ganze Menge zu erzählen.«
Abou nickt, antwortet aber nicht. Er hat einen dicken Kloß im Hals und bleibt wie angewurzelt stehen. Endlich wendet Laurie den Kopf und bemerkt ihn. Sofort läuft sie auf ihn zu, bleibt aber zwei Schritte vor ihm mit einem zögernden Lächeln stehen.
»Ich … ich weiß nicht recht«, stammelt sie. »Dürfen wir uns jetzt küssen?«
Sehnsucht und Glück fegen Abous Schüchternheit mit einem Mal weg. Er nimmt Laurie in seine langen, muskulösen Arme, zieht sie an sich und drückt einen feurigen Kuss auf ihre bebenden Lippen. Als er schließlich Atem holt, verschränkt sie die Hände in seinem Nacken und gibt ihm seinen Kuss langsam und voll unendlicher Zärtlichkeit zurück.
Die Soldaten um sie herum applaudieren und stoßen fröhliche »Juhu«-Rufe aus.