Alternative
Sie sind ausspioniert worden.
Man hat sich in Ihr System eingeloggt, Daten gestohlen oder zerstört, vielleicht auch einen Virus eingeschleust. Dieses Mal konnten Sie sich noch wehren - doch wie sieht es beim nächsten Mal aus?
Entscheiden Sie sich für NetSurvey.
Sobald Sie Opfer eines unerlaubten Zugriffs werden, informieren Sie NetSurvey. Mit Ihrer Unterstützung kann NetSurvey noch wirksamer gegen Hacker und den Datenterrorismus ankämpfen.
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NetSurvey braucht Sie.
<NetSurvey.net> ist eine Dienstleistung der NSA.
Yann hat nicht sehr lange den Widerstandskämpfer, Maquisard und gejagten Rebellen spielen können. Sehr bald schon wurde er bei einer Freundin verhaftet, die in den Bergen in der Nähe von La Preste lebt, zwischen Prats-de-Mollo und der spanischen Grenze. Carole wohnt in einem alten Bauernhof, den sie ganz allein renoviert hat. Sie züchtet Ziegen und verkauft den Käse auf den Märkten in der Umgebung. Sie besitzt nicht einmal ein Telefon; der Gipfel der Technologie in ihrem Haushalt ist ein alter Radiowecker. Wie Yann, der drei Viertel seiner Zeit in der virtuellen Realität verbringt, und Carole, die drei Viertel ihrer Zeit mit ihren Ziegen auf der Alm verbringt, sich je haben treffen können, ist eine andere Geschichte … Jedenfalls schliefen sie gerade eng umschlungen den Schlaf der Gerechten, als die Polizei um 6.37 Uhr morgens an die Türe klopfte. Ohne auf Caroles Protest zu achten, nahmen sie Yann sowie seine gesamte unter einer Plane in der Scheune versteckte Hardware ohne jede Erklärung mit.
In Handschellen wurde Yann in einem zivilen Fahrzeug zur zentralen Polizeiwache in Toulouse gebracht, wo er Mr. Smith und Mr. Jones, den Cyberpolizisten von NetSurvey, überstellt wurde. Während der Fahrt, die in tiefstem Schweigen verlief, hatte Yann Zeit, sich darüber klar zu werden, was hier geschah und welch unglaubliche Dummheit er in seiner Naivität begangen hatte.
In einen Satelliten wie Mole-Eye einzudringen ist für jeden Hacker ein Erfolgserlebnis. Etwa so wie die Besteigung des Mount Everest für einen Bergsteiger oder die Umsegelung von Kap Horn für einen Seemann. Natürlich möchte man es anschließend publik machen und sich an die Brust klopfen dürfen. Yann hätte sich darauf beschränken können, in seiner unsichtbaren und weitestgehend verschlüsselten Welt mit seinen Erfolgen zu prahlen. Man hätte ihm applaudiert, ihn bewundert und ihm die Stirn geboten. Und das Bild, das wunderbare Satellitenfoto, wäre von Hacker zu Hacker weitergereicht worden, ehe es irgendwann die Öffentlichkeit und früher oder später sein Ziel Burkina Faso erreicht hätte. Im Siegestaumel jedoch wollte Yann weitergehen und gezielter zuschlagen - er wollte das Bild an einer Stelle veröffentlichen, wo es die meisten Chancen hatte, gesehen zu werden. Doch auch wenn Yann als erfahrener und vorsichtiger Hacker in der virtuellen Realität kaum greifbar ist, sind die Spielregeln in der Wirklichkeit ganz anders, und davon hat er nicht sehr viel Ahnung. So hat er nicht daran gedacht, dass er als Webmaster von SOSEuropa sofort verdächtigt würde. Dabei hat er sich sogar schon eine Antwort zurechtgelegt, falls man ihn verhören wollte: »Na, ich habe das Bild auf der und der Seite (natürlich Schwindel) gefunden und geglaubt, es könnte nützlich sein. Ich konnte doch nicht ahnen, dass es illegal ist.« Im schlimmsten Fall wäre er mit einer Mahnung vonseiten des Administrators davongekommen, weil er seine Quellen nicht gründlicher überprüft hatte. Zumindest hatte er sich das so zurechtgelegt. Als er feststellen musste, dass GeoWatch sofort mit juristischen Waffen zuschlug, wurde er unruhig. Als Markus ihm fristlos kündigte, verlor er den Kopf. Und als in seiner geheimen Mail immer mehr Hinweise auftauchten, dass NetSurvey ihm auf der Spur war, reagierte er panisch. Ziel-und planlos setzte er sich in sein uraltes, noch mit Ethanol betriebenes Vehikel und machte sich auf den Weg zu Carole, die ihn mit offenen Armen aufnahm.
Yann hatte nicht einmal Zeit zu lernen, wie man Ziegen melkt.
In Toulouse verfrachteten ihn die beiden Herren in Schwarz in ein Flugzeug nach Brüssel, dem europäischen Sitz von NetSurvey. Yann flog zum ersten Mal in seinem Leben - Fliegen ist sehr teuer geworden, weil die Wasserstoffzellen für Flugzeuge noch nicht den Standard erfüllen - und hätte es gern unter anderen Voraussetzungen genossen. Doch er durfte nicht einmal am Fenster sitzen.
Bei NetSurvey schloss man ihn in eine winzige, unterirdische Zelle ein, die weder eine Öffnung nach draußen noch irgendeine Kommunikationsmöglichkeit bot, und unterzog ihn einer psychischen Folter. Das Licht ging ohne Vorwarnung plötzlich an oder aus, Weckerklingeln riss ihn grundlos aus dem Schlaf, Schritte kamen und entfernten sich wieder, der Wasserhahn des Waschbeckens tropfte und tropfte, es gab weder ein Bett noch etwas zu essen, keine Zeit, weder Tag noch Nacht - absolut nichts, woran er sich halten konnte. Als sie nach drei Tagen die Tür öffneten, mussten sie ihn tränenüberströmt vom Boden auflesen. Er wurde in einen sehr hellen, mit Mess-und anderen elektronischen Geräten vollgestopften Raum gebracht, wo Mr. Smith und Mr. Jones ihn abwechselnd und ohne Pause mehrere Stunden lang verhörten. Sie wollten wissen, ob er für die Chinesen, die russische Mafia oder den islamischen Dschihad arbeitete, wie er bezahlt wurde, wie er seine Informationen weitergab und wer seine Komplizen waren. Yann gab eine ganze Menge Hacks und Piraterien zu, von denen einige sie ehrlich überraschten. (»Ach wirklich, auch das Pentagon. Davon wussten wir ja noch gar nichts.«) Doch das, was sie hören wollten, war nicht dabei. Aus gutem Grund - Yann hat immer nur für sich selbst gearbeitet. Seine Fundstücke behielt er entweder für sich oder gab sie an die weiter, die es betraf, und zwar umsonst. Niemals hat er auch nur eine Sekunde daran gedacht, aus seinem Hobby eine lukrative Einnahmequelle zu machen, ganz zu schweigen davon, in Richtung Spionage oder Sabotage abzugleiten. Natürlich bekam er Angebote, die er jedoch immer ablehnte. Für Yann war Hacking eine Leidenschaft, keine Waffe.
Doch damit konnte er den paranoiden, auf die Suche nach einem Komplott getrimmten Cyberpolizisten nicht kommen. Sie verstanden ihn nicht und sperrten ihn für weitere drei Tage in die Minizelle. Doch seine Aussagen änderten sich nicht - er war lediglich noch ausgemergelter und verwirrter. Yann beschränkte sich darauf, immer wieder das herunterzubeten, was er schon zugegeben hatte. Aus Beweismangel und gestützt auf Gigabytes elektronischer Analysen, mussten Mr. Smith und Mr. Jones schließlich einräumen, dass Yann, auch wenn es unwahrscheinlich klang, offenbar die Wahrheit sagte. Er war ein echter Hacker - voller Leidenschaft und absolut desinteressiert.
Ab diesem Zeitpunkt veränderte sich ihre Haltung von Grund auf. Yann durfte sich waschen, bekam zu essen, wurde in ein Zimmer mit einem richtigen Bett, einem Fenster und einem Fernseher verlegt und später in ein modernes Büro mit Blick über den Park von Brüssel eingeladen. Man nahm ihm die Handschellen ab und bot ihm einen bequemen Sessel an. Und nun wartet er, ohne auch nur das Geringste zu verstehen.
Ein Mann tritt ein. Er ist mindestens sechzig, aber perfekt geliftet und hat eine fantastische Figur. Er erinnert an ein männliches Model für Parfümwerbung und schüttelt Yann voller Herzlichkeit die Hand.
»Wie geht es Ihnen? Ich hoffe, man hat sie nicht zu hart behandelt.« Der Mann hat eine singende, sehr angenehme Stimme mit einem winzigen italienischen Akzent.
»Wie Sie sehen können, habe ich es überlebt. Aber ich würde gern verstehen, worum es hier eigentlich geht.«
»Sie werden es sehr bald verstehen. Doch zunächst gestatten Sie, dass ich mich vorstelle: Mein Name ist Silvio Fini. Ich bin Direktor von NetSurvey Europa.«
»Yann Prigent, Hacker. Ich nehme an, Sie kennen mich bereits.«
»O ja.« Der Mann wirft einen kurzen Blick auf den in den Schreibtisch eingelassenen Touchscreen. »Ihre Erfolge klingen wirklich beeindruckend.«
»Vielen Dank.«
»Und das alles aus … wie soll ich mich ausdrücken? … aus Liebe zur Kunst? Zumindest steht es hier so.«
»Das ist richtig.«
»Wissen Sie, Yann, dass man sie dafür lebenslang ins Gefängnis stecken könnte? Datenpiraterie wird heute ebenso streng bestraft wie Sabotage.«
»Über solche Feinheiten habe ich mich mit Ihren Agenten nicht unterhalten.« Er wirft einen Seitenblick auf Mr. Smith und Mr.Jones, die sich unbeweglich und schweigend im Hintergrund halten. »Allerdings gehe ich davon aus, dass Sie das Thema nicht angeschnitten hätten, wenn es keine Alternative gäbe.«
»Sehr richtig.« Fini räuspert sich und berührt flüchtig den Bildschirm. »Um ganz ehrlich zu sein, hat es einige … sagen wir, private Interessenten gegeben, die Sie gern lebenslang hinter Gittern gesehen hätten. Doch wir von NetSurvey verfolgen anderweitige Ziele.«
»Die da wären?«
»Wir wissen den Wert Ihrer Arbeit zu schätzen. Und wir brauchen ständig begabte und dynamische junge Leute wie Sie, um den Angriffen Ihrer Kollegen immer um eine Nasenlänge voraus zu sein.«
»Wie bitte?« Yann ist wie benommen. »Sie wollen mich einstellen?«
»Richtig. Wir bieten Ihnen eine interessante und vielseitige Position an, hervorragend bezahlt und mit vielen Vorteilen und Privilegien. Natürlich hätten Sie kaum noch ein Privatleben, aber ich versichere Ihnen, dass es unseren Agenten ausgezeichnet ergeht, solange sie auf dem rechten Weg bleiben.«
»Warten Sie - fordern Sie mich etwa gerade auf, mich an den Feind zu verkaufen? Alles infrage zu stellen, woran ich glaube?«
»Wir bitten Sie lediglich, Ihre Kunst auszuüben. Natürlich mit einer geringfügig veränderten Zielgruppe. Doch das Aussehen der Flasche ist nicht wichtig, solange man zu trinken bekommt, habe ich recht?«
»Aber ich … Das ist doch Verrat! Und wenn ich ablehne?«
»Dann bringen wir Sie vor Gericht, Sie werden verurteilt und schmoren für den Rest Ihres Lebens im Gefängnis, wo Sie Plastikspielzeug herstellen dürfen. Sie müssen doch zugeben, dass das ziemlich schade wäre, oder?«
»In Wahrheit habe ich gar keine Wahl.«
»Aber natürlich haben Sie die. Einige überzeugte Terroristen entscheiden sich für das Gefängnis. Doch bei Ihnen ist es keine Überzeugung, sondern Leidenschaft, daher dürfte Ihnen die Entscheidung leichter fallen. Ich lasse Ihnen jetzt ein wenig Zeit zum Nachdenken.« Fini druckt ein Blatt aus und reicht es Yann. »Hier finden Sie alle Einzelheiten zu der vorgeschlagenen Stelle - Bedingungen, Besonderheiten, Gehalt und Vorteile. Lesen Sie es sich genau durch. Ich schlage vor, dass wir uns morgen wiedersehen. Einverstanden?«
Yann wirft einen Blick auf das Blatt. Als er das Gehalt sieht, zuckt er zusammen. Die monatliche Summe entspricht etwa dem, was er als Webmaster bei SOS in einem Jahr verdiente. Doch auch der Name des Arbeitgebers jagt ihm einen Schrecken ein. Es handelt sich nämlich nicht um NetSurvey, sondern um die NSA, den amerikanischen Geheimdienst. Mechanisch schüttelt er Silvio Fini die Hand, antwortet ebenso mechanisch auf sein heiteres »Bis morgen« und lässt sich wie in Trance in seine luxuriöse Zelle zurückbegleiten. In seinem Kopf ist nichts als ein riesiges Fragezeichen.