Zombie
Boeing Business Jet BBJ 3-A
Reisegeschwindigkeit: Mach 2 (2100 km/h)
Reisehöhe: 41000 ft (12 500 m)
Reichweite: 13 800 km
Startstrecke: 1200 m
Landestrecke: 800 m
Außenmaße: 32,4 m Länge, 10,7 m Höhe, 34,3 m Spannweite,
1111,3 m2 Flügelfläche
Passagierraum: 78,6 m2
Anzahl Sitzplätze: max. 50
Innenausstattung: auf Anfrage lt. Katalog
Antrieb: 2 Turboreaktoren mit doppelter Strahlleistung und
Rauchgasreinigung (Post-Combustion) von General Electric/
Cathay Dynamics CFM 72-8 mit jeweils 400 kN Schubkraft
Hersteller: Boeing (@ Resourcing)
Inbetriebnahme: Juni 2018
Rudy beobachtet Fuller seit geraumer Zeit. Der Mann wurde zunächst aschfahl, dann brach ihm kalter Schweiß aus. Die Augen traten aus ihren Höhlen. Mit vor Entsetzen offen stehendem Mund starrte er die Hyänenmaske an, ohne sie jedoch aus der Hand zu legen. Inzwischen hängt sein Blick wie festgeschweißt an den runden, gelb umrandeten Augen des Tiergesichts, als hätten ihn die beiden schwarzen Löcher in einen infernalischen Abgrund gezerrt. Gerne hätte Rudy zumindest einen winzigen Teil von Abous Seherfähigkeiten besessen, um zu erfahren, was sich zwischen Fuller und dem geschnitzten Holzstück tatsächlich abspielt. Hadé hat Rudy keine genaue Anweisung gegeben. Muss Fuller die Maske aufsetzen? Und wenn ja, wann und für wie lang? Wirkt die Maske auch aus der Entfernung? Oder darf Fuller sie nicht mehr aus der Hand legen? Hier liegen die Unwägbarkeiten von Rudys Plan, der vorsieht, Fuller auf dem Rückweg mit nach Burkina Faso zu nehmen. Der Flug startet morgen früh und geht von Nassau über Dakar nach Bamako. Aber wie soll er das bewerkstelligen, wenn Fuller die Maske während der ganzen Zeit halten oder gar tragen muss? Oder wenn er derart hypnotisiert ist, dass er nicht einmal in der Lage ist, auf die einfachsten Fragen zu antworten? Oder wenn im Gegenteil die Faszination nur eine gewisse Zeit andauert und Fuller zu früh seine Klarsicht wiederfindet?
Rudy beschließt, einen Vorstoß zu wagen.
»Mr. Fuller, hören Sie mich?«
Fuller nickt langsam, ohne den Blick von der Maske zu wenden.
»Setzen Sie die Maske jetzt auf. Legen Sie sie über Ihr Gesicht.«
Anthony gehorcht mit langsamen, zögernden Bewegungen. Rudy verknotet die Schnüre aus brüchigem Leder in seinem Nacken. Er arbeitet sehr vorsichtig, um auf keinen Fall mit der Maske in Berührung zu kommen, und tritt sofort wieder einen Schritt zurück. Ist eine Wirkung zu erkennen?
Eine Weile geschieht gar nichts. Fuller sieht mit der hölzernen Maske, ihren großen, runden Augen, den vorstehenden Fangzähnen und der bürstenartig gesträubten Mähne lediglich ziemlich grotesk aus. Doch plötzlich stößt er einen Entsetzensschrei aus. Er reißt die Hände hoch, als wolle er versuchen, sich die Maske vom Gesicht zu reißen, stöhnt vor Qual, windet sich, rollt sich auf dem Boden. Rudy wirft sich über ihn und bemüht sich, die Lederbänder aufzuknüpfen, schafft es jedoch nicht, weil Fuller so tobt, und reißt sie schließlich einfach durch. Die Maske fällt zu Boden.
Anthonys Gesichtszüge sind ebenfalls zur Maske erstarrt - zu einer Maske blanker Panik. Er ist totenbleich, seine Augen quellen aus den Höhlen, die Lippen zittern, und seine Wange blutet. Rudy begutachtet die Verletzung: zwei blutige Löcher zeichnen sich deutlich auf der Wange ab.
Vorsichtig inspiziert er die Maske mit der Fußspitze. Ihre Innenseite besteht aus normalem, mehr oder weniger poliertem Holz; er findet weder Nägel noch vorstehende Metallteile. Woher mag diese Verletzung rühren?
»Mr. Fuller, sind Sie in der Lage, aufzustehen?«
Fuller liegt noch immer abgestumpft und mit gesenktem Kopf auf dem Teppich und besudelt ihn mit seinem Blut. Rudy hilft ihm auf, führt ihn ins Bad und reinigt die Wunde mit einem Waschlappen. Wie erstarrt lässt Fuller alles mit sich geschehen. Rudy findet ein Erste-Hilfe-Etui, sprüht ein Wunddesinfektionsmittel auf die Verletzung und verpflastert sie. Dann bringt er Anthony wieder in sein Zimmer.
Die Maske ständig zu tragen kommt nicht infrage, entscheidet Rudy. Und sie gar nicht mehr in die Hand zu nehmen? Sie in den Koffer zu packen? Würde das genügen?
Er nimmt einen Koffer aus dem Wandschrank, stellt ihn mitten ins Zimmer und sucht nach etwas, womit er die Maske einwickeln kann. Ein Handtuch wäre genau das Richtige … Rudy geht erneut ins Bad. Anthony sitzt auf dem Bettrand und sieht ihm zu. Zunächst bleibt sein Gesicht ausdruckslos, doch nach und nach formt sich eine Frage in seinen Zügen.
»Was … ist hier los?«, murmelt er.
Rudy, der neben der Maske auf dem Teppich kauert und sich bemüht, sie einzupacken, ohne sie dabei zu berühren, sieht Anthony an. Fullers Augenlider flattern.
»Gar nichts, Mr. Fuller. Hier, Ihre Maske. Sie gehört Ihnen.«
Mit dem Handtuch bewaffnet, hebt Rudy die Hyänenmaske auf und reicht sie ihm. Fuller nimmt sie - und fällt sofort in seinen Trancezustand zurück.
Der Minicomputer an seinem Handgelenk beginnt zu piepsen. Er reagiert nicht. Ein gutes Zeichen, denkt Rudy. Jetzt ist er mir ausgeliefert. Als Nächstes meldet sich das Zimmertelefon mit einer netten, kleinen Melodie. Rudy hebt ab, ohne den Bildschirm einzuschalten.
»Ja? … Nein, Mr. Fuller geht es nicht gut. Er kann das Gespräch nicht annehmen … Ich bin sein Leibarzt … Ja, ziemlich schlecht … Nein danke, ich habe alles Nötige bei mir … Nein, er möchte niemanden sehen … Ja, vielen Dank, dass Sie sie informieren … Ja, danke.«
Rudy legt auf. Natürlich kennt Fuller hier Gott und die Welt, denkt er beunruhigt. Er wird bis zur Abreise in seinem Zimmer bleiben müssen. Eine ganz schön lange Zeit! Aber vielleicht könnte man die Abreise ja vorverlegen …
»Hören Sie mich, Mr. Fuller?«
»Ja.«
»Wo ist Ihr Flugticket?«
»Ich habe mein Privatflugzeug.«
Donnerwetter! Man gönnt sich ja sonst nichts! Während des Hinflugs konnte Rudy sich ausgiebig mit den Prospekten über das Forum beschäftigen, die Fatimata zusammen mit den Tickets erhalten hatte. Besonders interessierte ihn der Prospekt der Resourcing. Er erinnert sich, dass er in der ellenlangen Liste der Tochtergesellschaften auch Boeing gesehen hat, das ehemalige Flaggschiff der amerikanischen Luftfahrt. Damit besitzt Fuller nicht nur ein einziges Flugzeug, sondern gleich eine ganze Flotte. In jedem Fall aber dürfte dieser Umstand das weitere Vorgehen erheblich erleichtern, denn Rudy kann sofort mit seiner Geisel aufbrechen, ohne sich den Gefahren einer langen Wartezeit und möglichen Unannehmlichkeiten beim Zoll und am Flughafen auszusetzen. Falls es sich bei Fullers Flugzeug um einen Langstreckenflieger handelt, könnten sie sogar ohne den Umweg über Dakar und Bamako direkt in Ouagadougou landen.
»Ich gehe davon aus, dass Sie nicht selbst fliegen, nicht wahr? Haben Sie die Nummer, unter der ich Ihren Piloten erreichen kann?«
Fuller gibt sie ihm. Rudy telefoniert vom Zimmertelefon aus. Der Pilot macht gerade mit dem Kopiloten einen Zug durch die Kasinos und Spielhallen des Atlantis, ist ein wenig beschwipst und zeigt sich äußerst erstaunt über die vorgezogene Abreise, die eigentlich erst für den Spätnachmittag des folgenden Tages vorgesehen war. Rudy gibt sich zum zweiten Mal an diesem Tag als Fullers Leibarzt aus, doch der Pilot glaubt ihm nicht ganz und verlangt, Fuller persönlich zu sprechen.
»In Ordnung, ich gebe das Gespräch weiter«, räumt Rudy ein. »Aber wundern Sie sich nicht, wenn er ein wenig steif wirkt.« Er unterbricht Bild und Ton und wendet sich an Anthony. »Ich gebe Ihnen jetzt Ihren Piloten. Alles, was Sie ihm sagen werden, ist: ›Ich fühle mich sehr schlecht und möchte sofort nach Hause. Seien Sie bitte in einer Stunde abflugbereit.‹ Haben Sie verstanden?«
Fuller nickt bestätigend. Nicht ganz ohne Bedenken reaktiviert Rudy das Zimmertelefon und reicht es ihm. Fuller wiederholt Rudys Satz Wort für Wort mit tonloser Stimme. Doch es ist eher sein verstörtes Aussehen als die Worte, die den Piloten überzeugen.
»Es scheint ihm wirklich nicht gut zu gehen«, gibt er zu, als Rudy das Gespräch wieder übernimmt. »Was hat er?«
»Er hatte einen schweren epileptischen Anfall. Sein Blutdruck ist extrem hoch, und ich befürchte die Ruptur eines Aneurysmas. Aus diesem Grund halte ich eine schnellstmögliche Rückführung für unabdingbar.«
»Wir sind bereit, Sir. Wir treffen uns in einer Stunde am Flughafen.«
Prima!, frohlockt Rudy, als er auflegt. Er wendet sich an Fuller, der keinen Mucks gemacht hat.
»Ziehen Sie sich an, Fuller. Wir verreisen.«
Er wirft ein paar willkürlich aus der Garderobe geholte Kleidungsstücke auf das Bett. Während Fuller sich mit langsamen, mechanischen Bewegungen anzieht, stopft Rudy alle seine Habseligkeiten rasch in die Koffer. An der Hotelrezeption sorgt Fullers Zombie-Aussehen für die beste aller Erklärungen: »Aber selbstverständlich haben wir Verständnis, Sir. Alles ist geregelt, machen Sie sich keine Sorge. Gute Besserung, Mr. Fuller …«
Die Taxifahrt zum Flughafen dauert nur eine Viertelstunde. Es ist immer noch sehr windig. Ein sintflutartiger Regen prasselt nieder, die Straße ist teilweise überflutet und mit Ästen und Trümmern übersät. Doch der Taxifahrer kennt sich mit solchen Dingen aus. Gelassen fährt er im Slalom zwischen den Trümmern durch die Nachwehen des Zyklons. Am Flughafen muss Rudy feststellen, dass alle Flüge bis zum nächsten Tag annulliert sind. Mit der Sicherheit der VIPs ist nicht zu spaßen, und auch der Ausläufer eines Zyklons kann noch sehr gefährlich sein. Rudy wiederholt seine Geschichte von der ernsthaften Erkrankung und der dringend erforderlichen Rückführung; sie wird auf der hierarchischen Leiter weitergegeben und landet schließlich bei der Flughafenleitung. Der Direktor ist längst in sein Haus in der Enklave zurückgekehrt und lehnt jede Verantwortung ab.
»Wenn Mr. Fuller uns eine schriftliche Vereinbarung unterzeichnet, dass er auf eigenes Risiko startet, kann er das meinetwegen tun. Er ist über die Gefahren informiert. Letztlich ist es seine Sache, wenn er einen Absturz in Kauf nimmt. Haben wir uns verstanden?«
Rudy nickt, und die Vereinbarung wird aufgesetzt. Gerade ist er dabei, sie von Fuller unterzeichnen zu lassen, als der Pilot und der Kopilot am Flughafen eintreffen. Es sind zwei echte Texaner, tragen beide einen Stetson und geben sich amerikanisch bis auf die Knochen. Sie begrüßen ihren Chef, der jedoch nicht antwortet.
»Alles klar, Boss? Halten Sie das durch?«, erkundigt sich der Pilot.
Fuller nickt, ohne die Augen von der Maske zu wenden.
»Warum lässt er das Ding nicht los?«, fragt der Kopilot an Rudy gewandt.
»Ein häufiges Symptom im Fall schwerer Epilepsie«, doziert Rudy in doktorhaftem Tonfall. »Der Patient versucht, sich auf jede nur mögliche Weise ans Leben zu klammern. Ganz gleich, um was es sich handelt - das jeweilige Objekt dient sozusagen als Rettungsanker. Wenn Sie es ihm wegnehmen, fällt er sofort um.«
»Ach ja? So etwas habe ich noch nie gehört«, zweifelt der Kopilot.
»Weißt du, bei all dem Zeug, das er immer schluckt, wundert mich nicht, dass ihm schließlich die Sicherung durchgeknallt ist«, flüstert der Pilot dem Kopiloten vertraulich zu.
Rudy schnappt die Information auf und nutzt sie sofort für seine Zwecke.
»Sie haben völlig recht. Sein Medikamentenmissbrauch ist auch der Grund für die drohende Ruptur des Aneurysmas. Also, Jungs - seid ihr bereit?«
»So gut es eben geht«, nickt der Kopilot.
»Bei dem Sturm da draußen wird es kein Zuckerschlecken«, warnt der Pilot. »Aber da haben wir schon ganz andere Sachen gesehen, was, Hank?«
»Klar, Bill. Kriegen wir denn wenigstens eine Starterlaubnis?«
Hank wendet sich an den obersten Fluglotsen, der auf die von Fuller unterzeichnete Vereinbarung wartet. Rudy reicht sie ihm.
»Jetzt ja! Allerdings auf eigene Verantwortung«, setzt er noch hinzu.
Sie spazieren durch den zu dieser späten Nachtstunde verwaisten Zoll und die unbesetzte Sicherheitskontrolle und gehen zu Fuß über das vom Regen gepeitschte Flugfeld bis zu dem Hangar, wo Fullers Flugzeug untergestellt ist, ein Boeing Business Jet 3-A mit frühlingsgrünen Leitwerken und dem riesigen, smaragdgrünen Logo Resourcing auf beiden Seiten. Das Innere ist unglaublich luxuriös - Teakholztische, üppige Ledersessel, eine in Marmor und Kupfer gehaltene Küche, ein Schlafzimmer mit Kaschmirteppich und angegliedertem Bad, alles mit neuesten technischen Raffinessen wie einem riesigen Holo-Bildschirm mit Surroundsystem, einem komplett vernetzten Arbeitsplatz und dem besten zurzeit auf dem Markt befindlichen Quantum Physics ausgestattet. Während Pilot und Kopilot das Flugzeug durchchecken - alles ist in Ordnung, alle Anzeigen leuchten grün, und die Tanks sind zu drei Vierteln voll -, denkt Rudy intensiv nach. Wie soll er Hank und Bill ohne Waffe dazu bringen, Burkina Faso anzusteuern?
Die zündende Idee kommt ihm, als die Maschine auf der Startbahn steht und die Turboreaktoren hochfährt. Hatten nicht islamistische, lediglich mit Messern und Cuttern bewaffnete Luftpiraten zu Beginn des Jahrhunderts vier amerikanische Linienmaschinen entführt und zwei von ihnen gezwungen, in die Türme des World Trade Centers zu fliegen? So etwas sollte in der Küche sicher zu finden sein. Außerdem besitzt er selbstverständlich eine Waffe - zumindest, wenn die Piloten ihren Chef schätzen.
Die Boeing hebt donnernd ab. Die beiden Reaktoren arbeiten mit voller Kraft. Trotzdem wird die Maschine im Steigflug auf ihre Reisehöhe von Turbulenzen wie von Riesenfäusten geschüttelt. Die geübten Piloten spielen geschickt mit den heftigen Luftströmungen, die der Zyklon hinterlassen hat. Trotzdem wird Rudy ordentlich durchgerüttelt und muss sich auf seinem Weg in die Küche immer wieder festhalten. Er durchwühlt die ordentlich einsortierten Küchenutensilien, findet ein langes, sehr scharfes Messer, das eigentlich dazu dient, Knochen aus Fleisch auszulösen, und lässt es unter seinem Lederblouson verschwinden. Dann kehrt er zu Fuller zurück, der sich in einen der Sessel hat sinken lassen und immer noch die Maske auf den Knien hält.
Rudy wartet, bis das Flugzeug die Reisehöhe erreicht hat, ehe er Fuller befiehlt:
»Setzen Sie die Maske auf.«
Fuller schüttelt seine Benommenheit ab und wirft ihm einen entsetzten Blick zu.
»Nein. Ich … ich habe Angst.«
»Ich habe gesagt, Sie sollen die Maske aufsetzen.«
Anthony hebt sie mit zitternden Händen vor sein Gesicht. Mit seinem Messer zerschneidet Rudy einen Sicherheitsgurt, wickelt ihn um die Maske und bindet ihn in Fullers Nacken zusammen. Fuller brüllt wie ein Tier, wirft sich zu Boden und krallt sich mit seinen klauenartigen Fingern in den Teppich.
Beunruhigt kommt der Kopilot nach hinten.
»Was ist denn hier los?«
»Hier ist los, dass die afrikanische Maske, die Ihr Chef auf dem Gesicht trägt, ihn verhext hat. Deswegen fliegen wir auch jetzt nicht nach Kansas City, sondern nach Ouagadougou in Burkina Faso. Nur dort kann er von dem Zauber erlöst werden.«
Hank runzelt die Stirn.
»Was ist denn das für eine wilde Geschichte?«
»Leider Gottes ist sie wahr, Hank. Und hier ist Not am Mann. Am besten, Sie gehen jetzt ins Cockpit zurück und sagen Ihrem Kollegen, dass sich der Bestimmungsort geändert hat.«
»Sie haben ja nicht alle Tassen im Schrank! Ich habe eben schon daran gezweifelt, dass Sie wirklich Arzt sind. Wir müssen ihm das Ding da abnehmen.«
Hank beugt sich über Fuller, der sich auf dem Boden wälzt und heiser röchelt. Ein feiner Blutfaden läuft unter der Maske hervor und sickert seinen Hals hinunter. Rudy wirft sich auf Hank, reißt seinen Kopf zurück und drückt ihm das Messer an die Gurgel.
»Hier wird gehorcht, Hank. Und zwar ein bisschen plötzlich. Wenn nicht, dann schlachte ich euch beide ab, und wir stürzen alle zusammen ins Meer. Noch kannst du es dir aussuchen.«
»Schon gut«, presst Hank mit erstickter Stimme hervor.
Rudy schiebt ihn vor sich her ins Cockpit.
»Und? Was war los? Hörte sich ja an, als würde man eine Sau abstech …«
Bill unterbricht sich und starrt mit offenem Mund seinen Kopiloten an, der von Rudy festgehalten und mit einem langen Messer bedroht wird. Rudy wiederholt, was er Hank gesagt hat.
»Setz dich an deinen Platz«, herrscht er dann den Kopiloten an. »Und keine Sperenzchen! Ich bleibe hier und passe auf. Falls ich höre, dass ihr irgendwelche unklaren Dinge durchgebt, oder spüre, dass das Flugzeug eine andere Richtung einschlägt, bringe ich euch um. Ganz bestimmt! Ich habe nichts zu verlieren, aber ihr alles zu gewinnen. Kapiert?«
Die beiden Cowboys versinken in ihren Sitzen. Noch nie haben sie eine derartige Situation erlebt. Eine Privatmaschine zu fliegen ist ein einigermaßen ruhiger Job, denn man muss höchstens die Launen des Chefs ertragen.
»Trotzdem müssen wir die Zieländerung durchgeben und den Flughafen von - wie hieß das noch? - informieren«, wagt Hank schüchtern einzuwerfen.
»Ihr gebt überhaupt nichts durch! Fuller ist nicht der Präsident der Vereinigten Staaten, man wird euch also keine Abfangjäger auf den Hals hetzen. Was den Flughafen angeht - okay, das ist in Ordnung. Die Stadt heißt Ouagadougou und liegt in Burkina Faso. Das ist in Afrika. Geschnallt?«
»In Afrika?«, hakt Bill beunruhigt nach. »Ich weiß nicht, ob wir dafür genügend Treibstoff haben.«
»Als ihr eben das Flugzeug gecheckt hat, habe ich genau gehört, dass die Tanks zu drei Vierteln voll sind.«
»Ja eben…«
»Bill«, unterbricht Rudy ihn mit gefährlich ruhiger Stimme, »hier an Bord gibt es jede nur denkbare Möglichkeit, ins Internet zu gelangen. Ich brauche nur auf die Homepage von Boeing zu gehen, BBJ 3-A anzuklicken und habe sofort alle Flugzeugdaten auf dem Bildschirm. Dazu gehören auch Tankkapazität, Verbrauch und Reichweite. Willst du mir noch mehr solchen Mist erzählen?«
»Schon gut«, seufzt Hank. »Unsere Reichweite beträgt etwa zehntausend Kilometer.«
»Das reicht dicke! Also los, nimm Kontakt mit Ouagadougou auf.«
Hank gehorcht. Keine Antwort. Versucht es erneut. Schweigen.
»Der Flughafen antwortet nicht«, informiert er Rudy.
»Dann versuch es eben noch einmal.«
»Flughafen von Ouagadougou, BF. Identifizieren Sie sich.«
»Na siehst du«, lächelt Rudy.
»Privatflug 107-4, BBJ 3-A, kommend aus Nassau, Bahamas. Wir bitten um Landeerlaubnis in etwa … vier Stunden.«
»Sie können nicht in Ouagadougou landen.«
»Warum?«
»Weil… der Flughafen ist geschlossen.«
»Warum?«
Nach einem kurzen Schweigen übernimmt eine strenge, sehr autoritäre Stimme.
»Wer sind Sie? Warum wollen Sie in Ouagadougou landen?«
Beunruhigt sieht sich Hank zu Rudy um.
»Was soll ich ihm antworten?«
»Sag ihm, dass ihn das nichts angeht und die Flugnummer genügt, dass es einen verteufelt guten Grund geben muss, um einen internationalen Flughafen zu schließen, und dass wir, wenn er diesen Grund nicht nennen kann, die IATA informieren werden; aber dann hätte er nichts mehr zu lachen.«
Hank wiederholt Rudys Worte, erzielt aber nicht den gewünschten Erfolg.
»Falls Sie hier zu landen versuchen, schießen wir Sie ab. Ende!«
Na, das kann ja heiter werden, denkt Rudy beunruhigt. Was mag da unten los sein?
Er kehrt in den Salon zurück, hebt Fuller, der noch immer auf dem Teppich herumstöhnt, brutal auf und reißt ihm die Maske vom Gesicht. Schon der kurze Kontakt lässt ihn erzittern. Während der Sekunde, in der er die Maske in Händen hält, empfindet er entsetzlichen Ekel, als berühre er ein widerliches Aas, hat den entsprechenden Gestank in der Nase, und vor allem überfällt ihn eine namenlose, grauenhafte Angst, eine Angst, für die es keinen Grund gibt und die aus den Tiefen der Zeit zu stammen scheint … Eine böse Erfahrung, die Fuller da machen muss, gesteht er sich widerwillig ein. Aber er hat es verdient.
Fullers untere Gesichtshälfte blutet. Auf seinem Kinn, der Nase und den Lippen sind neue Verletzungen aufgetreten, die merkwürdig an … ja, an Bisswunden erinnern.
Doch Rudy ist viel zu wütend, um sich davon beeindrucken zu lassen. Er packt Anthony am Hemdkragen und schreit ihn an:
»Was hast du in Burkina Faso gemacht, Fuller? Was spielt sich da unten ab?«
»Ein … ein Putsch …«, stößt Fuller undeutlich zwischen seinen zerfetzten Lippen hervor.
»Du Arschloch!«
Rudy versetzt ihm einen harten Faustschlag auf die Schläfe, der Anthony auf dem Sofa in sich zusammensinken lässt. Dann rennt er ins Cockpit.
»Hank! Du meldest dich jetzt noch einmal in Ouaga und sagst diesen Blödmännern, dass Fuller im Flugzeug sitzt. Wenn ihnen am Leben ihres Geldgebers liegt, wäre es nicht die schlechteste Idee, die Kanonen wegzuräumen und stattdessen den roten Teppich auszurollen.«