Strategie
Exklusivbericht
Wasser in Kongoussi!
Ein Satellit hat in unmittelbarer Nähe der Stadt Kongoussi auf dem Gebiet des seit zehn Jahren ausgetrockneten Bamsees ein großes Vorkommen des »blauen Goldes« lokalisiert. Das Volumen des unterirdischen Sees wird auf etwa 13 Milliarden Kubikmeter geschätzt. In Regierungskreisen geht man davon aus, dass mit dieser Wassermenge das Land vor der Dürrekatastrophe gerettet werden könnte.
Ganzen Artikel lesen (Autorin: Sabine Zongo)
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Die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit.
»… und aus diesem Grund bin ich überzeugt, dass wir eine für beide Seiten zufriedenstellende Lösung finden werden. In Erwartung Ihrer Antwort verbleibe ich, verehrter Herr Präsident, Ihr sehr ergebener …« Unterschrieben ist der Brief mit: Anthony Fuller, Vorstandsvorsitzender der Resourcing ww.
Yéri Diendéré legt den Brief vor Fatimata auf den großen, ovalen Tisch, nachdem sie ihn vor dem versammelten Rat der Minister aus dem Amerikanischen übersetzt hat. Graziös lässt sie sich zur Linken ihrer Chefin nieder, nimmt Schreibblock und Stift zur Hand und macht sich bereit, alles mitzuschreiben, was von jetzt an geäußert wird. Der Stenograf, dem diese Aufgabe bisher oblag, leidet an Aids und liegt im Sterben. Fatimata bedankt sich mit einem Lächeln bei ihrer Sekretärin. Sie hält große Stücke auf die junge Frau, die nicht nur schön, intelligent und kultiviert ist, sondern obendrein tüchtig und ausgesprochen ergeben. Vielleicht ein wenig zu ergeben; in ihrem Alter sollte eine Frau nicht mehr ledig sein. Fatimata würde sich freuen, wenn Yéri das Interesse ihres jüngeren Sohnes Abou wecken könnte, allerdings ist er noch sehr jung, und außerdem absolviert er gerade seinen Militärdienst. Später vielleicht, wenn Yéri bis dahin nicht einen ihrer zahlreichen Verehrer erhört hat … Nun gut. Zurück zur Tagesordnung!
Fatimata blickt in die Ministerrunde und versucht zu ergründen, inwieweit jede und jeder von ihnen die Tragweite des Problems und die Art des sich anbahnenden Konflikts erfasst hat. Ein Drittel des Kabinetts ist nicht anwesend, meist aufgrund von Krankheiten, die auf Wassermangel und schlechte Ernährung zurückzuführen sind und unter denen entweder sie selbst oder ihre Familien leiden. Sie versucht, die unterschiedlichen Gefühle zu ergründen, die von Unverständnis über Fatalismus, Überraschung und kühle Berechnung bis hin zu dumpfem Zorn reichen. Sie erhebt sich. Die Ministerrunde unterbricht ihre Gespräche.
»Ich fasse zusammen: Dieser Fuller, der nicht einmal den Anstand besitzt, sich zu informieren, ehe er mich mit ›Herr Präsident‹ anredet, geht also davon aus, dass er da drüben im fernen Amerika Eigentümer unseres unterirdischen Bamsees ist, weil wir das Wasservorkommen seiner Ansicht nach ohne seinen Satelliten nie entdeckt hätten. Außerdem wirft er uns vor, dass wir ein als geheim eingestuftes Satellitenbild ausgewertet und verbreitet hätten. Dieses Vorgehen sei illegal, weil wir ohne Zustimmung und unter Missachtung der Eigentumsrechte gehandelt hätten, was unter normalen Umständen eine Anklage vor dem Internationalen Handelsgerichtshof zur Folge hätte. Mr. Fuller jedoch zeigt sich konziliant und schlägt uns eine freundschaftliche Einigung unter Wahrung der beiderseitigen Interessen‹ vor.« Fatimata malt die Anführungszeichen in die Luft. »Wie diese Einigung allerdings aussehen soll, darüber lässt er sich nicht weiter aus. So weit dieser Brief. Die Frage ist jetzt: Wie sollen wir reagieren? Ich erwarte eure Vorschläge.«
Sie setzt sich. Claire Kendo, Ministerin für Wasser und Ressourcen - eine kleine, vertrocknete Frau mit großen, hervortretenden Augen hinter ihren Brillengläsern - hebt die Hand.
»Was hast du geantwortet, Fatimata?«
»Bisher noch gar nichts. Es handelt sich um ein offizielles Schreiben, das als Einschreiben mit Rückantwort von einer Anwaltskanzlei kam. Ich habe lediglich den Rückschein abgeschickt.«
»Mit anderen Worten: Fuller weiß, dass wir seinen Brief erhalten haben«, bemerkt Amadou Dôh, Minister für Verkehr und Infrastruktur, der von Statur und Schweißmenge her mit dem Premierminister rivalisieren könnte, jedoch zurückhaltender wirkt und einen dicken Schnurrbart hat.
»Ja, natürlich. Worauf willst du hinaus, Amadou?«
»Vielleicht hätten wir einfach nicht antworten sollen. So tun, als ob der Brief verloren gegangen wäre. Damit hätten wir Zeit gewonnen.«
Fatimata runzelt die sorgfältig gezupften Augenbrauen.
»Du weißt ebenso gut wie ich, Amadou, dass es nichts nützt, den Kopf in den Sand zu stecken. Die Probleme werden dadurch nur schlimmer. Es war doch genau diese von den Militärs ausgeübte Vogel-Strauß-Politik, die uns in unsere derzeitige Misere hineinmanövriert hat.«
»Ich wäre dafür, den Kerl zum Teufel zu schicken«, erklärt General Victor Kawongolo, der Verteidigungsminister, dem die Hitze nichts auszumachen scheint. Seine Uniform sitzt so korrekt wie immer. »Dieser Amerikaner hat uns gegenüber keinerlei Rechte, und ich wüsste nicht, wie er uns zu Verhandlungen zwingen könnte. Wegen einiger Liter Wasser werden uns die Vereinigten Staaten wohl kaum den Krieg erklären.«
»Es handelt sich um eine ganze Menge Liter Wasser«, wendet Fatimata ein. »Die Vereinigten Staaten haben wegen unwesentlich mehr Erdöl ein ganzes Land in Schutt und Asche gelegt.«
»Das ist lange her. Heutzutage haben sie nicht mehr das Geld, ihre GI’s und ihre Bomber hinzuschicken, wo es ihnen gerade in den Kram passt.«
»Aber sie haben andere Mittel«, sagt Aissa Bamory, Justizministerin und Siegelbewahrerin. Sie ist eine schöne Frau mit üppigen Formen, sinnlichen Lippen und Mandelaugen, die Issa Coulibaly beinahe einmal wegen sexueller Nötigung vor Gericht gebracht hätte. »Zum Beispiel den Internationalen Handelsgerichtshof. Meines Erachtens handelt es sich dabei durchaus nicht um eine leere Drohung. Und der IHG steht nicht unbedingt im Ruf, den ärmsten Ländern besonders zugetan zu sein.«
»Ein Embargo wäre eine Katastrophe. Uns geht es ohnehin schon schlecht genug«, stimmt ihr der Außenminister Ousmane Kaboré zu. Er ist klein, zart, schwitzt stark und wirkt kränklich.
»Das ist nicht mein Fach«, ereifert sich General Kawongolo. »Ich denke an eine andere Bedrohung, die viel konkreter und unmittelbarer ist.«
»Und zwar?«
»Unsere Nachbarn. Mali, Niger und Benin. Vielleicht sogar unsere eigenen Landsleute. Das viele Wasser wird zwangsläufig Begehrlichkeiten wecken. Bereits jetzt gibt es Leute, die in der Nähe von Kongoussi graben. Wenn wir nicht aufpassen, werden wir schnell die Kontrolle verlieren.«
»Absolut richtig. Was schlagen Sie vor?«
»Wir sollten eine Einheit hinschicken, das Gelände abriegeln und jeden Zugang untersagen, bis wir eine Entscheidung gefällt haben. Außerdem sollten wir für den Fall von Aufständen oder einer Invasion die gesamte Truppe mobilisieren.«
»Hast du das, Yéri? Endlich einmal ein konkreter Vorschlag. Wir werden uns noch genauer damit beschäftigen, Victor, aber Sie sollten sofort die nötigen Vorkehrungen treffen.«
»Zu Befehl, Madame.« Kawongolo salutiert.
Fatimata lächelt leise. Zwar ist Victor Kwangolo ein Held der Zweiten Révolution, durch und durch Demokrat und überzeugter Sozialist - trotzdem kann er manchmal unglaublich altmodisch sein.
»Dabei fällt mir ein«, wendet sich Fatimata an Désirée Barry, Ministerin für Post und Kommunikation und Prototyp der großen Mutter in Boubou und Turban, die man sich eher mit einer Kalebasse auf dem Kopf als mit einem Handy am Ohr vorstellen kann, »waren wir nicht übereingekommen, die Information geheim zu halten, bis wir uns auf einen offiziellen Standpunkt geeinigt haben? Wie ist es möglich, dass der Indépendant bereits Bescheid weiß? Wo ist da etwas durchgesickert?«
Schweigend und ein wenig angespannt schauen sich die Minister gegenseitig an. Schließlich erklärt Désirée in heiterem Ton: »Es heißt, dass die Chefredakteurin des Indépendant sehr hübsch und wenig zurückhaltend ist…«
Alle Augen wenden sich dem peinlich berührten Issa Coulibaly
»Also ehrlich, ich kenne sie doch kaum«, stammelt er schweißüberströmt.
»Ach, Issa, deine Libido wird dir eines Tages einen bösen Strich durch die Rechnung machen«, seufzt Fatimata. »Aber nachdem das Kind nun mal in den Brunnen gefallen ist - was schlägst du vor? Immerhin hast du dich bisher noch nicht geäußert.«
Issa Coulibaly windet sich auf seinem Stuhl, wischt sich den Schweiß von Stirn und Wangen, wirft einen schuldbewussten Blick in die Runde und stützt sein Doppelkinn ab. Allen ist klar, dass er dem Gespräch nicht gefolgt ist, sondern wie üblich ein Nickerchen gemacht hat.
»Ich schlage vor, dass wir Fuller nach Burkina Faso einladen«, sagt er schließlich. »Und zwar hochoffiziell, mit Botschaft und dem ganzen Hickhack. Wir empfangen ihn mit den Ehren eines Staatschefs, zeigen ihm aber wirklich alles: die sich ausbreitende Wüste, die vertrocknete Saat, unsere Herden, die nur noch aus spindeldürren, sterbenden Tieren bestehen, Kinder mit aufgetriebenen Bäuchen, die verdorbenes Wasser trinken, Frauen, die sich an den Zisternen prügeln, den beginnenden Krieg im Süden und den Sand, der aus den Wasserhähnen rinnt. Er wird großen Durst bekommen, riesengroßen Durst, das verspreche ich euch. Und schämen wird er sich auch. Zumindest hoffe ich das. Und wenn er dann seine schönen Burton-Schuhe vollgekotzt hat, können wir mit den Verhandlungen beginnen. So sieht mein Vorschlag aus.«
»Was haltet ihr davon?«, erkundigt sich Fatimata bei den anderen.
»Ich lehne jegliche Art von Verhandlungen mit Dieben ab«, knurrt General Kawongolo.
»Ich auch«, ruft Lacina Palenfo, die ungestüme Bildungsministerin, dazwischen. »Mit dem Norden zu verhandeln bedeutet doch nur, dass wir uns wieder einmal unterwerfen und uns wieder einmal ausnutzen lassen. Dieses Wasser gehört unserem Volk, genau wie Straßen oder Schulen. Man verhandelt ja auch nicht über Straßen oder Schulen - man baut sie, weil man sie braucht. Mit dem Wasser ist es ganz genauso. Wir werden es uns nehmen, weil wir es brauchen. Im Grunde ist es doch völlig egal, wer es gefunden hat.«
»Gut gesprochen, Lacina«, lobt Claire Kando.
»Ich bin nicht einverstanden«, wendet Ousmane Kaboré ein. »Es gibt internationale Gesetze, die sich mit Dingen wie Fundort und Ausbeutung von Ressourcen beschäftigen - Gesetze, die wir ratifiziert haben und die wir beachten müssen. Allerdings sollten wir uns bemühen herauszufinden, ob unser Fall überhaupt unter die Kompetenz des IHG fällt.«
Nun wagt auch Adama Palenfo, der schüchterne Finanz-und Wirtschaftsminister und Ehemann von Lacina, leise das Wort zu ergreifen.
»Wir müssen zudem an die Kosten der Erschließung denken. Wenn wir verhandeln, bekommen wir vielleicht in der Folge finanzielle Unterstützung…«
»Papperlapapp!«, trumpft Lacina auf. »Wenn man diesen Leuten den kleinen Finger reicht, dann nehmen sie nicht nur die ganze Hand, sondern sie fressen sie einem gleich mitsamt dem Arm weg.«
»Am besten ist wirklich, sie ganz und gar zu ignorieren«, murmelt Amadou Dôh.
Fatimata lässt die Debatte weiterlaufen. Mit halblauter Stimme hebt sie für Yéri die Argumente hervor, die ihr wichtig erscheinen. Bald schon entstehen im Ministerrat zwei Lager - für und gegen Verhandlungen mit Fuller. Als schließlich alle nur noch ihre eigenen Argumente wiederkäuen, schlägt Fatimata mit der flachen Hand auf den Tisch und bittet um Ruhe.
»Schön. Ich habe mir die Argumente angehört, die zumeist wirklich Hand und Fuß haben. Jetzt werden wir einen Beschluss fassen, über den wir anschließend abstimmen werden. Und zwar bitte mit erhobener Hand, denn Yéri hat mich gerade informiert, dass wir nicht mehr genügend Papier für eine geheime Abstimmung haben. Wer ist für Verhandlungen mit Fuller? Bitte die Hände heben!« Yéri zählt und hält das Resultat auf ihrem Notizblock fest. »Wer ist dagegen?« Gleiches Prozedere. »Vielen Dank. Yéri, wie lautet das Resultat?«
»Sechs dafür, fünf dagegen, zwei Enthaltungen«, liest die Sekretärin vor.
»Schön«, nickt Fatimata. »Wir werden also diesem Mr. Fuller eine offizielle Einladung zukommen lassen. Hat jemand etwas dagegen?«
»Ja, ich«, meldet sich Lacina Palenfo. »Während wir darauf warten, dass Mister Fuller geruht, unsere Einladung zu beantworten, werden Hunderte von Menschen vor Durst sterben. Und was noch schlimmer ist - sie sterben in dem Wissen, dass sich unter ihren Füßen Wasser für zig Jahre befindet.«
»Wir werden selbstverständlich nicht warten, meine liebe Lacina«, lächelt Fatimata. »In diesem Augenblick müsste bereits ein Konvoi mit Bohrmaterial nach Burkina Faso unterwegs sein.«
»Wie bitte?« Issa Coulibaly springt entrüstet auf. »Hattest du deine Entscheidung etwa schon längst getroffen, Fatimata? War unser Palaver ganz umsonst?«
»Absolut nicht. Es hat dazu gedient, ganz demokratisch eine Strategie festzulegen - etwas, das heutzutage durchaus nicht mehr selbstverständlich ist. Aber auch wenn ich so etwas sage, bin ich nicht bereit, die vitalen Interessen unseres Landes auf dem Altar der Demokratie zu opfern. Wir brauchen dieses Wasser, und wir werden es bekommen - koste es, was es wolle.«