Die Welt vor dem Chaos retten
»Seine Leiche? Sie schicken uns seine Leiche?«
»Ja, Mr. President. Es heißt, dass Fuller bei einem Fluchtversuch von Banditen angegriffen wurde.«
»Man sollte sie ausrotten! Das Land muss im Krieg ertrinken! Einen solchen Affront können wir doch nicht durchgehen lassen!«
»Ich fürchte, ein Krieg kommt nicht infrage, Mr. President.
China hat erklärt…«
»Ich weiß, ich weiß!« Bones seufzt. »Welche anderen Möglichkeiten bleiben uns? Ein Handelsembargo vielleicht?«
»Daran haben wir auch schon gedacht. Allerdings machen amerikanische Wirtschaftsgüter nicht einmal ein Prozent ihres Imports aus. Außerdem würde sich nur England uns anschließen.«
Gespräch zwischen Präsident Bones und einem seiner Berater, abgehört im Weißen Haus durch die NSA
Auf dem Rückweg von Ouahigouya fahren Laurie und Abou an der Baustelle vorbei, um Rudy abzuholen, doch er ist nicht da. Erfolglos suchen sie ihn in der ganzen Stadt. Seit regelmäßig Wasser fließt, erwacht Kongoussi zu neuem Leben; viele Cafés und Bars haben wieder geöffnet. Doch auch dort können sie ihn nicht finden. Abou ist enttäuscht, denn er wollte Rudy sofort in den Auftrag einweihen, den seine Großmutter ihm gegeben hatte. Laurie hingegen fühlt sich eher erleichtert, denn sie hat nur ein Ziel: schnell ihre Tasche bei Étienne und Alimatou zu holen, sie in Abous Zimmer zu bringen und sich dann bis zur völligen Erschöpfung mit ihm der Liebe hinzugeben - umso mehr, als sie ab morgen vierzehn Tage auf ihn verzichten muss. Sie hat fast geweint, als Abou ihr auf dem Rückweg von der Strafmaßnahme erzählt hat. Ihre Liebe steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Bei anderen Menschen ruft ihr Anblick oft ein verständnisvolles Lächeln hervor, doch es gibt auch Eifersüchteleien … Eifersüchtig sind zum Beispiel diejenigen Regimentskameraden von Abou, die ihre Liebste zu Hause zurücklassen mussten, vor allem aber Félicité, die Laurie mit so viel Hass verfolgt, dass diese nicht länger beim Bürgermeister und seiner Frau wohnen kann. Étienne und Alimatou sind darüber sehr enttäuscht und schämen sich für das Verhalten ihrer Tochter. Hadé hat sogar festgestellt, dass Laurie von einem wackman aus Kongoussi - es ist derjenige, der auf dem Markt seine Amulette verkauft - »verhext« wurde; er hat eine schwere Krankheit auf sie herabbeschworen. Laurie war wie vor den Kopf geschlagen, doch Hadé hat nur darüber gelacht.
»Keine Sorge, Abou ist Ihr bester Schutz. Das, was er jede Nacht in Ihnen hinterlässt, immunisiert Sie besser als irgendetwas, das ich Ihnen geben könnte.«
Abou errötete tief, doch Laurie musste sich zusammennehmen, um nicht laut herauszuprusten. Allerdings kühlte Hadé ihre Heiterkeit schnell ab.
»Solange Sie bei ihm bleiben, sind Sie gegen den bösen Zauber geschützt.«
Laurie findet Rudy schließlich bei Étienne Zebango. Er lehnt im abgedunkelten Hof unter einem verdorrten, von einer Horde lärmender Geckos belagerten Nerebaum in einem Liegestuhl. Auf seinem Schoß sitzt Félicité und hat den Arm um seine Schultern gelegt. Ihr Kopf ruht an seiner Schulter. Als Laurie auftaucht, richtet sie sich abrupt auf und erdolcht sie mit Blicken.
»Ups! Entschuldigt bitte die Störung. Rudy, wir haben dich überall gesucht, aber wenn du anderweitig beschäftigt bist…«
»Nun ja…«
Félicité läuft über den Hof nach Hause und lässt die Tür lautstark hinter sich ins Schloss fallen. Rudy breitet in einer gottergebenen Geste die Arme aus. »Jetzt nicht mehr. Brauchst du mich, Laurie?«
»Wir sind gerade von Abous Großmutter zurückgekommen. Abou wollte dich sprechen. Aber sag mal, du und Félicité … ich wusste ja nicht…«
»Ich auch nicht.« Rudy steht auf und streckt sich. »Sie kam völlig verheult auf die Baustelle und wollte unbedingt Abou sprechen. Ich habe ihr erklärt, dass er nach Ouahigouya gefahren ist, ohne ihr allerdings zu sagen, dass er mit dir unterwegs war. Daraufhin wollte sie sofort mit dem Motorroller hinter ihm herfahren. Sie hat ein echtes Faible für ihn.«
»Ich weiß.« Laurie seufzt. »Sie hat mich sogar durch einen wackman verhexen lassen.«
»Ach nee!«
»Abou schützt mich mit seinem … Na ja, er schützt mich eben. Und du hast Félicité getröstet, sie nach Hause gebracht, und ich habe euch im entscheidenden Augenblick gestört, richtig?«
»So entscheidend nun auch wieder nicht. Ich glaube kaum, dass wir viel weiter gegangen wären. Sie ist noch ein Kind und für meinen Geschmack ein wenig zu pummelig … Und du? Alles in Ordnung mit Abou?«
»Mit uns läuft es einfach super! Übrigens wollte ich gerade meine Sachen holen, weil ich ab jetzt bei ihm wohne.«
»Geht das nicht ein bisschen schnell? Ich meine, natürlich geht es mich nichts an…«
»Du hast es erfasst!«
»Aber seit du mit ihm vögelst, wirkst du wie ein kleines Mädchen, das gerade erst die Freuden der Liebe entdeckt. War es vorher wirklich so schlimm?«
»Ich habe absolut keine Lust, darüber zu reden, Rudy. Abou wartet im Auto auf dich. Am besten, du gehst gleich zu ihm. Er hat dir ein paar ganz interessante Dinge zu erzählen.«
Damit lässt sie Rudy stehen. Er schüttelt den Kopf und seufzt. Überrascht stellt er fest, dass er so etwas wie einen kleinen, eifersüchtigen Stich empfindet. Wenn ich gewollt hätte, hätte ich sie auch vögeln können, denkt er machohaft. Dabei ist das Thema Sex niemals zwischen ihnen aufgetaucht, noch nicht einmal als spontanes Begehren in den schönsten Saharanächten. Ich sollte mir vielleicht auch ein Mädchen suchen … zumindest, falls ich mich entschließen kann hierzubleiben. Flüchtig denkt er an Yéri Diendéré, Fatimatas hübsche junge Sekretärin, die er zwei-oder dreimal gesehen hat. Ein wirklich charmantes Lächeln … Bestimmt ist sie verheiratet und hat einen Haufen Kinder. Hör auf zu fantasieren, Rudy! Deine Trauer ist noch nicht beendet. Seine Trauer … Er hatte sie fast vergessen. Aneke… Kristin … Wo seid ihr?
»Rudy?« Erschrocken sieht Abou ihn auf sich zukommen. »Was ist los mit dir? Stimmt etwas nicht?«
»Nicht weiter schlimm. Mich hat nur gerade meine Vergangenheit eingeholt.« Rudy öffnet die Autotür und lässt sich auf die hintere Bank fallen. »Ich habe gehört, du hättest mir interessante Dinge zu erzählen. Was war bei Hadé los?«
»Ich habe ihr Laurie vorgestellt. Meine Großmutter findet sie sehr nett. Freundlich, gesetzt, offen und mit vielen Qualitäten begabt. Außerdem hat sie entdeckt, dass Félicité sie hat verhexen lassen…«
»Das hat mir Laurie eben schon erzählt.«
»Überleg mal! Ich habe nichts bemerkt. Sie hätte krank werden können, und ich hätte nicht einmal gewusst, warum!«
»Angeblich beschützt du sie.«
»Ja, aber ich hätte es selbst sehen müssen. Ich mache mir ernsthafte Vorwürfe. Ich bin zu blöd für das Bangré … Übrigens haben wir beide eine ziemliche Dummheit begangen, Rudy.«
»Und zwar?«
»Dass wir Fuller in die Wüste gebracht haben. Es waren nämlich nicht die zindamba, die es uns befohlen haben. Es war der Feind.«
»Welcher Feind?«
Abou berichtet von seinem Gespräch mit Hadé, wird aber von Laurie unterbrochen, die mit ihrer großen Tasche kommt. Er steigt aus, um ihr zu helfen, das Gepäckstück im Kofferraum zu verstauen. Als er seinen Platz auf dem Beifahrersitz wieder einnimmt, fällt sein Blick zufällig auf den Hofeingang des Bürgermeisters. Dort steht Félicité. Trotz der Dunkelheit erkennt er ihre wutflammenden Augen. Mit verzerrtem Gesicht führt sie in einer knappen Geste den Zeigefinger über ihren Hals, dreht sich um und verschwindet im Hof. Abou zuckt die Schultern und lässt die Autotür hinter sich ins Schloss fallen.
Während der Fahrt schweigt er angespannt. An jeder Kreuzung beobachtet er die Passanten und versucht, einen Blick in überholende oder kreuzende Fahrzeuge zu werfen. Seine Unruhe bleibt Laurie natürlich nicht verborgen.
»Worüber machst du dir Sorgen?«
Abou erzählt ihr von Félicités drohend gegen ihn gerichteten Geste. Laurie muss lächeln.
»Was kümmert es dich? Sie ist doch noch…«
Sie unterbricht sich. Eigentlich hat sie sagen wollen: »Sie ist doch noch ein halbes Kind«, ohne daran zu denken, dass Félicité annähernd genauso alt ist wie Abou.
»Ach, weißt du«, fährt sie fort, »sie hat mich doch auch verhexen lassen. Es funktioniert nicht.«
»Immerhin ist sie die Tochter des Bürgermeisters. Sie hat Verbindungen und kann Leute beeinflussen.«
Sie erreichen das ganz in Dunkel getauchte, kleine Mietshaus mit den Dienstwohnungen. Laurie parkt den Wagen auf dem Hof. Alle drei steigen aus. Während sie sich über den Kofferraum beugt, um nach ihrer Tasche zu greifen, bleibt Abou wachsam neben ihr stehen.
Und das rettet sie.
»Achtung«, schreit er mit einem Mal.
Aus der Dunkelheit stürzen drei Gestalten mit gezückten Messern auf sie zu. Abou schleudert dem Ersten Lauries Tasche vor die Füße. Der Mann stolpert. Der Zweite wirft sein Messer und verfehlt Abou um Haaresbreite. Der Dritte wirft sich auf Laurie, rollt mit ihr über den Boden und versucht, sie zu erstechen. Blitzschnell zieht Rudy seine Luger, lädt und schießt. Der Angreifer zuckt zusammen. Ein roter Fleck breitet sich auf seinem Rücken aus. Rudy zielt auf den Ersten, der sich wieder aufgerappelt hat, und schießt ihn mitten in den Kopf. Der Messerwerfer will fliehen. Abou hebt das Messer auf und jagt hinter ihm her.
»Lass ihn mir!«, ruft er Rudy zu, der schon auf den Mann zielt. Er erreicht den Flüchtenden mit wenigen Sprüngen, zerrt ihn zu Boden und hält ihm das Messer an die Kehle.
»Wer hat euch geschickt? Antworte, oder ich steche zu.«
»Eine junge Frau«, stammelt der Auftragsmörder mit dem Gesicht auf dem aufgesprungenen Boden.
»Der Name?«
»Kenne ich nicht.«
»Wie viel hat sie dir bezahlt?«
»Fünftausend CFA und viel Wasser.«
»Teufel noch mal, das sind nicht mal acht Euro. Ein Leben ist hier nicht gerade viel wert«, bemerkt Rudy, der hinzugetreten ist. »Hast du erfahren, was du wissen wolltest, Abou?«
»Ja. Zumindest das meiste.«
»Gut, dann geh beiseite.«
Rudy zielt sorgfältig auf den Kopf des ausgemergelten Mannes, der panisch mit den Augen rollt.
»Töten Sie mich nicht! Bitte!«
»Das passt mir aber gar nicht.«
»Nein, Rudy, lass ihn leben«, geht Abou dazwischen. »Ich möchte, dass er zu Félicité geht und ihr sagt, dass es schiefgegangen ist, dass seine beiden Kumpel tot sind und dass sie, sollte sie noch ein einziges Mal auf die Idee kommen, mir Totschläger auf den Hals zu schicken oder jemanden verhexen zu lassen, als Nächste dran glauben muss - ganz gleich, ob sie die Tochter des Bürgermeisters ist oder nicht. Sie sollte immer daran denken, dass ich im Bangré unterwiesen bin.«
»Hast du verstanden, du Pimpf?«, raunzt Rudy den Mann an und versetzt ihm einen Fußtritt in die Rippen. »Wiederhole, was du ausrichten sollst.«
Der Mann wiederholt Abous Worte mit bibbernder Stimme. Abou tritt beiseite und lässt ihn aufstehen.
»Und jetzt verschwinde«, schnauzt Rudy ihn an. »Und wehe, du lässt dich noch einmal hier blicken! Meine Knarre hat ein ausgezeichnetes Gedächtnis.« Er fuchtelt ihm mit der Luger vor der Nase herum.
Der Mann macht, dass er wegkommt. Abou und Rudy gehen zu Laurie, die am ganzen Leib zitternd neben ihrer Tasche wartet. Fürsorglich erkundigt sich Abou:
»Hat er dir wehgetan, Schatz?«
»Nein, nein, es geht schon.«
Mit gesenktem Kopf und über der Brust gekreuzten Händen vermeidet Laurie den Blick auf die beiden im Staub liegenden Leichen. Während Abou sie wie eine Schwerkranke stützt und in seine Wohnung bringt, verscheucht Rudy die Schaulustigen, die aus allen Ecken herbeiströmen.
»Weg da! Hier gibt es nichts zu sehen.«
»Mein Gott, galt das euch?«, will Moussa wissen, der ihnen im Flur entgegenkommt und sieht, wie aufgelöst und schmutzig Laurie ist, dass sein Bruder vor Aufregung zittert und Rudy immer noch die Waffe in der Hand hält. »Ich habe die Schüsse gehört. Seid ihr angegriffen worden?«
Abou erzählt seinem Bruder von dem Scharmützel.
»Dürfte ich bitte duschen?«, unterbricht ihn Laurie. »Vielleicht beruhigt mich das ein wenig.«
»Aber natürlich«, sagt Moussa. »Du brauchst nicht zu fragen - schließlich bist du hier zu Hause.«
»Wenn du magst, komme ich mit«, schlägt Abou vor.
»Heute nicht, Liebster. Ich möchte gern einen Augenblick allein sein.«
Sie verschwindet mit ihrer Tasche. Abou bleibt enttäuscht zurück. Rudy versucht, eine Erklärung zu liefern.
»Sie ist schockiert, dass ich Menschen töte. Sie glaubt, dass ich es gern tue.«
»Du hast jemanden getötet, Rudy?«, wundert sich Moussa.
»Manchmal geht es nicht anders. Es war Notwehr!«
Abou beendet seinen Bericht, in dem er Rudy in den höchsten Tönen lobt: Wäre er nicht da gewesen, gäbe es Laurie und ihn nicht mehr, behauptet er.
»Ich glaube, wir sollten lieber die Polizei rufen«, meint Moussa. »Im Viertel geht so etwas schnell herum, und ich habe keine Lust, Ärger zu bekommen.«
»Den kriegst du aber garantiert, wenn du die Bullen rufst.«
»Rudy, wir sind die Söhne der Präsidentin!«
»Okay, mach, was du willst.«
Moussa ruft auf der Wache an und wiederholt die Geschichte, die sein Bruder ihm erzählt hat. Abou hält es für notwendig, Laurie über den bevorstehenden Besuch der Polizei zu informieren. Sie steht unter der Dusche und ist dabei, sich energisch abzuseifen. Abou hat noch Zeit, ihren eingeschäumten Körper zu bewundern, ehe sie seine Anwesenheit bemerkt. Sie stößt einen kleinen Schrei aus und bedeckt hastig ihre Scham, ehe sie ihn erkennt und anlächelt.
»Ach du bist es. Du hast mich erschreckt.«
»Entschuldige. Die Polizei ist gleich hier. Moussa hat angerufen.«
»Ich habe keine Lust, mit ihnen zu reden. Ich brauche heute nur noch Ruhe und Einsamkeit.«
»Und was soll ich sagen, wenn sie nach dir fragen?«
»Sag ihnen, der Angriff hätte mich schockiert und so erschöpft, dass ich mich ausruhen muss. Das entspricht übrigens der Wahrheit.«
»Aber Laurie, willst du etwa die ganze Nacht allein bleiben?«
Laurie lacht über seine bestürzte Miene, steigt aus der Dusche, presst sich nass, wie sie ist, an ihn und küsst ihn leidenschaftlich.
»Ich habe nicht vergessen, dass heute unsere letzte Nacht vor der langen Trennung ist. Wir machen etwas ganz Besonderes daraus, das verspreche ich dir. Ich warte in unserem Zimmer auf dich. Komm bald nach!«
Zwanzig Minuten später stehen die Polizisten auf der Matte. Kommissar Ouattara höchstpersönlich hat es sich nicht nehmen lassen, sie zu begleiten. Verblüfft blinzelnd stellt er fest, dass Rudy gemütlich mit einer Büchse Bier im Wohnzimmer auf der Couch sitzt.
»Sie schon wieder! Sie sind wohl immer da, wo es Ärger gibt!«
»Tja, so ist nun mal das Leben!«, antwortet der Holländer stoisch.
»Haben Sie die Banditen da draußen erschossen?«
»In Notwehr.«
»Dann sind Sie also bewaffnet. Haben Sie überhaupt einen Waffenschein?«
»Kommissar«, geht Moussa dazwischen. »Bitte keine Haarspaltereien. Rudy hat den Sohn der Präsidentin vor einem Angriff geschützt. Verwechseln Sie nicht Täter und Opfer.«
Ouattara grummelt zunächst, dann raunzt er in unfreundlichem Ton, dass er Aussagen braucht und Verhöre führen muss, um eine Ermittlung in die Wege leiten zu können. Abou zieht sich einigermaßen gut aus der Affäre, vermeidet es, Félicité zu erwähnen, und führt den Angriff auf einen versuchten Diebstahl zurück. Der Kommissar gibt sich damit zufrieden, zumal es sich bei den beiden Toten um Banditen handelt, die bereits wegen mehrerer Raubüberfälle von der Polizei gesucht wurden. Moussa entspannt die Atmosphäre zusätzlich dadurch, dass er eine Runde kühles Bier ausgibt, das die Polizisten freudig annehmen. Dennoch mustert Ouattara Rudy nach wie vor misstrauisch mit seinen hervorquellenden Kuhaugen.
»Eines Tages kriege ich Sie an den Hammelbeinen«, droht er.
»Man könnte fast meinen, dass der Kommissar dich nicht gerade in sein Herz geschlossen hat!«, stellt Abou fest, nachdem die Polizisten gegangen sind.
»Er verabscheut mich«, grinst Rudy. »Vor allem, seit Abou und ich dich sozusagen vor seiner Nase befreit haben. Er hält mich für einen Flugzeugentführer und ist wütend darüber, dass ich unter dem Schutz der Präsidentin stehe…«
»Aber nicht mehr lang. Erst heute Nachmittag habe ich mit meiner Mutter telefoniert. Sie ist ziemlich wütend auf dich und beschuldigt dich, Fuller getötet und ein Riesendurcheinander verursacht zu haben. Stimmt das?«
Abou und Rudy wechseln einen kurzen Blick, den Moussa nicht sieht.
»So ein Quatsch! Fuller ist abgehauen, hat sich in der Wüste verirrt und ist offenbar von Wegelagerern getötet worden.«
»Das ist die offizielle Version, aber die glaube ich nicht. Du hast den Mann in die Wüste gebracht, nicht wahr?« Er wendet sich an Abou. »Und du warst dabei, richtig?«
Abou verzieht das Gesicht und zuckt die Schultern.
»Weißt du, Rudy, Moussa ist mein Bruder. Ich finde, er darf es erfahren. Außerdem müssen wir darüber reden, wie es jetzt weitergeht.«
Rudy nickt zustimmend. Abou beginnt zu erzählen, und zwar vom ersten Auftauchen des Targi-Gespenstes im Militärlager bis hin zu Hadés Erklärung und dem Auftrag, den sie Rudy und ihm mehr oder weniger dringend ans Herz gelegt hat, nämlich den Feind in seinem Unterschlupf aufzustöbern und unschädlich zu machen, um die Welt vor dem Chaos zu retten. Moussa hört stumm zu. Nur manchmal reißt er erschrocken die Augen auf.
»Das ist doch verrückt!«, seufzt er, als Abou fertig ist. »Einfach … einfach unglaublich! Wenn ich dich richtig verstehe, willst du jetzt einzig auf die … na ja, Hirngespinste von Großmutter Hadé hin nach Amerika fahren und den geklonten Sohn von Anthony Fuller ermorden? Denn darauf läuft es ja wohl hinaus, oder?«
»Schon, allerdings mit einer Ausnahme. Nicht ich fahre, sondern er.«
Abou zeigt auf Rudy, der wieder nickt.
»So habe ich es auch verstanden«, stimmt er zu. »Gleichzeitig erlöse ich eure Mutter von meiner peinlichen Anwesenheit. Schließlich bin ich hier nicht mehr erwünscht…«
»Sag mal, glaubst du etwa auch an diesen Zauberkram?«, ruft Moussa ehrlich entsetzt.
»Natürlich glaube ich daran. Ich halte weder deine Großmutter für geistig zurückgeblieben noch deinen Bruder für einen leicht zu beeinflussenden Spinner. Außerdem hat Fuller uns das, was Hadé gesagt hat, selbst bestätigt - nämlich dass sein Klon von Grund auf bösartig ist. Und du darfst mir ruhig glauben, dass die Göttliche Legion keine Gemeinschaft sanftmütiger Erleuchteter ist. Sie haben meine Frau und meine Tochter auf dem Gewissen - einmal abgesehen von dreihunderttausend weiteren Opfern -, und sie haben mein Land verwüstet.«
»Du gehst also wirklich?« Moussa kann es noch immer nicht ganz glauben.
»Ja, ich gehe. Der Auftrag gefällt mir. Erstens kann ich mich endlich rächen, und zweitens hilft es mir vielleicht dabei, mit meiner Trauer fertig zu werden.«
»Wo willst du hingehen?« Laurie steht in eine leichte Tunika gehüllt schlaftrunken auf der Schwelle. »Entschuldigt bitte, ich muss eingeschlafen sein.«
»In die Vereinigten Staaten.«
»Und was willst du da?«
»Leute umbringen.«