Sechsundzwanzig
Drei volle Tage, eingesperrt mit Mr Robison und David.
Zum Hausaufgabenmachen.
Oder um so zu tun.
Zeit für böse Blicke.
Am ersten Tag hatte David viel böser geguckt als Tamani. Aber wenn man bedachte, dass Tamani gewonnen hatte, passte das.
Gewissermaßen gewonnen, musste man sagen.
Einen herrlichen Tag lang war Tamani vor Glück fast zersprungen. Es war noch schöner als in seinen kühnsten Träumen, mit Laurel zusammen zu sein und sie in den Armen zu halten, wenn sie ihn anlächelte. Im Vergleich dazu verblasste alles andere in seinem Leben. Der jüngste kommandierende Wachposten seit drei Generationen zu sein? Ein geringer Erfolg. Training als führender Experte auf dem Gebiet der angewandten Kommunikation mit Menschen? Ein Mittel zum Zweck. Doch das Zusammensein mit Laurel war seine größte Leistung, und er war selbst überrascht, wie leicht er in diese Rolle geschlüpft war. Wie perfekt sie in seine Arme passte. Diese überwältigende Freude, wenn sie ihn anlächelte. Alles andere war vergessen.
Das wollte er wiederhaben. Er hatte sich schon vorher für entschlossen gehalten, dabei hatte er nur einem Traum nachgejagt. Jetzt wusste er, was ihm fehlte, und war zu allem fähig, wenn er dafür noch so einen Tag mit ihr wie den auf dem Grundstück erringen konnte.
Als Tamani merkte, dass er lächelte, räusperte er sich und setzte wieder einen verärgerten Blick auf, während er so tat, als würde er sich auf Davids Erklärung des Satzes des Pythagoras konzentrieren. Was für eine Zeitverschwendung!
»Meine Herren, wie ich sehe, sind Sie mit der Bearbeitung dieser Aufgabe gut beschäftigt. Ich muss mal kurz vor die Tür.« David hätte beinahe gelacht. Die »Aufsicht« war ein Witz. Mr Robison war schon vierzehn Mal vor die Tür gegangen – doppelt so oft wie gestern. Und sobald er das tat, gab David keinen Muckser mehr von sich. Er reagierte auf nichts, das Tamani sagte. Er saß nur da und starrte Löcher in die Tafel. Kaum kehrte Mr Robison zurück, fuhr David mit der halbherzigen Nachhilfe fort, wo sie stehengeblieben waren. Mr Robison merkte das anscheinend nicht.
Tamani war ziemlich erstaunt, dass David diese Strafe genauso zu schaffen machte wie die Trennung von Laurel. Für Tamani gehörten Strafen eben zum Leben dazu. Man ließ sie über sich ergehen und machte weiter – ohne darüber nachzudenken oder etwas zu bereuen.
Das galt jedenfalls für Tamani.
Vielleicht lag es am ewigen Eingesperrtsein, dass die Menschen ihren Ängsten nicht entfliehen konnten. Es musste schwer sein, sich dem Leben zu stellen, wenn man keine frische Luft atmen und die Dinge nicht konstruktiv mit ehrlicher körperlicher Arbeit angehen konnte. Als Tamani noch keine zehn Jahre alt war, hatte er mit seinem Vater schon auf dem Feld gearbeitet, mit dem Gefährten seiner Schwester Dämme instandgesetzt oder Botengänge für seine Mutter in der Akademie erledigt. Die Menschen dagegen mussten sich in einer Reihe aufstellen und wurden wie Vieh in kleine Ställe getrieben. Möglicherweise war es gut für sie – vielleicht wurden Tiere gerne eingepfercht, auch wenn Tamani das bezweifelte.
Mr Robison war jetzt schon fünf Minuten weg. In einer Stunde war der Schultag gelaufen. Tamani fragte sich, ob der Lehrer überhaupt noch einmal auftauchen würde.
»Du kämpfst einen aussichtslosen Kampf, weißt du das eigentlich?«, sagte Tamani. »Das war noch nie anders.«
Wie zu erwarten war, schwieg David dazu. »Elfen und Menschen passen nicht zusammen. Du hattest eine schöne Zeit und ehrlich gesagt, bin ich froh, dass du für sie da warst, als ich verhindert war. Aber es funktioniert einfach nicht. Ihr seid zu verschieden. Wir sehen uns vielleicht ähnlich, aber im Grunde genommen haben Menschen und Elfen wenig gemeinsam.«
Immer noch keine Antwort.
»Ihr könnt keine Kinder bekommen.«
Jetzt drehte David sich um und sah Tamani an. Das war die erste Reaktion, die er David entlocken konnte, seit sie gezwungenermaßen hier saßen. Er öffnete sogar den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn dann aber wieder und wandte sich erneut ab.
»Sag’s doch. Wir sollen schließlich unsere Meinungsverschiedenheiten klären, oder?« Tamani kicherte. »Obwohl Mr Roster wahrscheinlich etwas anderes im Sinn hatte als das hier.«
David warf Tamani einen kritischen Blick zu, ohne auf den Scherz einzugehen.
Auf einmal traf es Tamani wie ein Schlag, wie jung David aussah. Hin und wieder vergaß er, dass David, Laurel und ihre Freunde jünger waren, auf mancherlei Weise sogar viel jünger als Tamani. Er spielte seine Rolle als menschlicher Schüler, aber in Wirklichkeit war er ein hochgestellter Wachposten. Er kannte seinen Platz, er wusste, wo er stand, mit einer Sicherheit, die Menschen unbekannt war. Die ungeheure Freiheit, die Menschenkinder genossen, musste sie ja lähmen. Kein Wunder, dass sie so lange brauchten, bis sie endlich erwachsen waren.
»Ich will dir nur helfen, es zu verstehen, das ist alles«, sagte Tamani.
»Auf deine Hilfe kann ich verzichten.«
Tamani nickte. Er mochte David nicht, aber es war schwer, ihn weiter zu hassen, seit er ihm nicht mehr im Weg stand. In vielerlei Hinsicht waren sie sogar einer Meinung. Und gegen Davids Geschmack ließ sich nun wirklich nichts sagen.
Eine Viertelstunde verging in vollkommener Stille. Eine halbe Stunde. Tamani überlegte schon, wie er unbemerkt die letzte halbe Stunde schwänzen könnte, als David auf einmal den Mund aufmachte.
»Wir sind nicht die einzigen, die keine Kinder bekommen können – nimm zum Beispiel Laurels Eltern.«
Tamani hatte das mit den Kindern längst vergessen. Schon merkwürdig, dass David nach fast zwei Tagen des Schweigens ausgerechnet darauf ansprach. »Das stimmt, aber …«
»Dann adoptiert man eben ein Kind. Oder bleibt zu zweit. Man muss nicht unbedingt Kinder haben, um glücklich zu sein.«
»Kann sein«, gab Tamani zu. »Dazu kommt aber, dass sie hundert Jahre länger lebt als du. Willst du wirklich, dass sie dir beim Sterben zusieht? Du willst Kinder adoptieren, die ebenfalls vor ihr sterben würden? Und zwar im hohen Alter, während sie keinen Tag älter als vierzig aussieht?«
»Glaubst du etwa, darüber hätte ich nicht nachgedacht? So ist Leben. Für dich natürlich nicht, ihr habt ja diese perfekten Arzneien, nicht wahr?« Er machte sich über Tamani lustig, der sich darüber ärgerte – hatte David nicht auch schon von der Elfenmedizin profitiert? »Hier ist es aber anders. Man weiß eben nicht, ob man im nächsten Monat stirbt oder nächste Woche oder in achtzig Jahren. Man geht das Risiko ein, und es ist es wert, solange man sich wirklich liebt.«
»Manchmal reicht Liebe nicht aus.«
»Das redest du dir doch nur ein.« David sah Tamani direkt in die Augen. »Weil du dich dann in der Sicherheit wiegen kannst, am Ende zu gewinnen.«
Das war ein feiner Nadelstich. Tamani hatte es sich in den letzten Jahren wirklich immer wieder vorgesagt, und zwar oft. »Ich habe von Anfang an daran geglaubt, dass ich gewinne«, sagte Tamani leise. »Die Frage war nur, wann.«
David gab ein verächtliches Geräusch von sich und senkte den Blick.
»Weißt du noch, was ich über Lancelot gesagt habe?«
»Er war Guineveres Elfenwächter«, antwortete David. »Jedenfalls in deiner Version der Geschichte.«
Tamani seufzte. Der Junge war schwierig, doch immerhin hörte er zu. »Fear-Gleidhidh bedeutet tatsächlich Wächter, aber nicht unbedingt so, wie du glaubst. Fear-Gleidhidh heißt viel mehr Aufpasser oder noch besser Beschützer. Es gehörte zu Lancelots Aufgaben, Guineveres Leben zu schützen, aber er musste auch Avalon beschützen und alles tun, damit Guinevere mit ihrer Mission Erfolg hatte und nicht etwa aufgab.«
»Und du bist Laurels Fear-Gleidhidh.«
»Ich weiß nicht, wie viel Laurel dir darüber erzählt hat, aber ich kannte sie … schon vorher. Von dem Tag an, als Laurel Avalon verließ, habe ich alles getan, um ihr persönlicher Wächter zu werden. Jede Entscheidung in meinem Leben, jede Minute meiner Ausbildung war darauf ausgerichtet. Denn ich wollte unbedingt, dass sie von jemandem bewacht wird, der sie liebt, und nicht von jemandem, der gleichgültig seine Aufgabe erledigt. Wer könnte sie besser anleiten und beschützen als ich, der ich sie so sehr liebe?«
David schüttelte kläglich den Kopf und wollte etwas sagen.
Tamani schnitt ihm das Wort ab. »Doch ich habe mich geirrt.«
Interesse und Misstrauen funkelten in Davids Blick. »Was meinst du damit?«
»Die Liebe hat mein Urteilsvermögen getrübt. Ich wusste, wie wichtig ihr das Privatleben war, und auch wenn sie von unserer Bewachung nie etwas bemerkt hatte, fuhr ich die Beobachtung des Häuschens herunter. Sie zog mit ihrer Familie um, während ich ihr rücksichtsvoll den Rücken zugekehrt hatte. Bis sie endlich zurückkehrte, hatte ich Angst, ich hätte bei Laurel und Avalon versagt. Wir stellten unsere Wachposten hier auf, und ich wollte herkommen – doch ich wollte um meinetwillen in Laurels Nähe sein, nicht nur, um sie zu beschützen. Das war vielleicht sogar mein Hauptziel. Deshalb hielt ich Abstand, weil ich aus den falschen Gründen herkommen wollte, und redete mir ein, ein schlechtes Motiv wäre das Gleiche wie eine schlechte Entscheidung. Und jetzt bin ich hier und ich muss wirklich sagen, es war schrecklich, sie mit dir zu sehen. Wegen meiner grenzenlosen Liebe habe ich meine Aufgaben schmählich vernachlässigt. Zum Beispiel in der Nacht mit den Orks. Ich hätte sie verfolgen müssen, aber ich konnte sie nicht allein lassen.«
»Und wenn Orks an der nächsten Ecke gelauert hätten? Wenn die erste Gruppe nur dazu gedient hätte, dich fortzulocken?«
Tamani schüttelte den Kopf. »Ich hätte meinen Hintermännern vertrauen müssen. Versteh mich nicht falsch, ich habe durchaus vor, meine Aufgaben zu erledigen. Doch die Gründe für meine Anwesenheit haben mit meinen ehemals betont noblen Absichten nicht mehr viel zu tun. Ich würde mein Leben dafür opfern, sie in Sicherheit zu bringen, und habe mich deswegen immer für etwas Besonderes gehalten. Aber die anderen Wachposten würden dasselbe tun. Und manchmal frage ich mich, ob Laurel mit einem anderen Fear-Gleidhidh nicht besser bedient wäre.«
»Warum lässt du es dann nicht sein?«, fragte David.
Tamani lachte und schüttelte den Kopf. »Das geht nicht.«
»Jetzt im Ernst. Wenn du wirklich glaubst, sie wäre andernfalls sicherer, wäre es dann nicht deine Pflicht, jemand anderem die Arbeit zu überlassen?«
»So funktioniert das nicht. Ich habe einen Schwur abgelegt, der mich bei meinem Leben an Laurel bindet. Diese Aufgabe endet erst mit meinem Tod.«
»Und sonst geht es ewig so weiter?«
Tamani nickte. »Sobald Laurel Avalon verlässt, bin ich für sie verantwortlich. Falls sie also beschließt, bei dir zu bleiben und ihr zwei marschiert aufs College – drei Mal darfst du raten, wer mitkommt.« Tamani zeigte zur Decke, ließ den Finger kreisen und zeigte auf sich selbst.
»Was!«
»So oder so. Ich beobachte sie aus der Ferne, unauffällig und wenn nötig ohne ihr Wissen. Und egal wie lange du lebst, ich werde da sein, wenn du tot bist. Ich werde mein ganzes Leben entweder mit Laurel verbringen oder ihr dabei zusehen, wenn sie mit einem anderen zusammen ist. Segen oder Fluch – dazwischen gibt es nichts.«
»Du wirst mir verzeihen, wenn ich dir den Fluch an den Hals wünsche«, sagte David trocken.
»Oh, das verstehe ich«, sagte Tamani. »Ich nehme dir deine Gefühle nicht übel. Doch ich bin in der ganzen Zeit, während ich darauf hingearbeitet habe, ihr Fear-Gleidhidh zu werden, nie auf die Idee gekommen, dass meine Gefühle für Laurel einen schlechten Beschützer aus mir machen würden. Und manchmal komme ich nicht dagegen an und tue Dinge, ich die lieber lassen sollte.« Er zögerte. »Wie zum Beispiel Unschuldige zu verprügeln, damit es mir besser geht. Das war sehr unprofessionell von mir. Ich entschuldige mich dafür.«
David zog eine Augenbraue hoch. »Unprofessionell?«
»Ja.«
David kicherte, hustete und lachte dann laut los. »Unprofessionell«, murmelte er.
Die Menschen haben einen sonderbaren Humor.
»Ich muss sagen, mir tut es nicht leid«, sagte David, aber er grinste freundlich. »Ich wollte dich schlagen, du wolltest, dass ich dich schlage – ich denke, wir haben beide bekommen, was wir wollten.«
»Dagegen kann ich nichts sagen.«
Sie saßen da und sahen sich an. Dann fingen sie an zu lachen.
»Nicht zu fassen«, sagte David. »Wir machen uns so was von lächerlich. Unser Leben kreist nur um sie. Ich …« Er hielt inne und sah verlegen nach unten. »Ich dachte, ich sterbe, als sie Schluss gemacht hat.«
Tamani nickte ernst. »Das Gefühl kenne ich.«
»Leider warst du nie richtig weg«, sagte David, »selbst als du nicht da warst. Sie hat dich die ganze Zeit vermisst. Manchmal hat sie so ins Leere gestarrt, und wenn ich sie fragte, woran sie dachte, hat sie gelächelt und ›nichts‹ gesagt. Aber ich wusste, dass sie an dich gedacht hat.« Er beugte sich vor. »Als du dann im September einfach aufgetaucht bist, habe ich dich gehasst wie noch nie.«
»Tja, dann weißt du ja jetzt, wie es ist«, sagte Tamani, der verhehlen wollte, wie sehr ihn das freute. »Laurel hatte früher ein Foto von dir dabei – damals vor zwei Jahren, als ich sie in Avalon getroffen habe. Es hat mich komplett wahnsinnig gemacht, dass du sozusagen auch dabei warst – bei den wenigen Malen, wo ich sie ganz für mich hatte.«
»Glaubst du, sie weiß, dass wir das wissen?«
»Wenn sie es vorher nicht wusste, dann jetzt.« Tamani wurde wieder melancholisch. »Darum will sie momentan mit keinem von uns zusammen sein. Vielleicht auch, damit wir friedlicher miteinander umgehen, und nicht nur, damit sie in Ruhe nachdenken kann.« Nach kurzem Zögern fügte er hinzu. »Du solltest die Sache mit ihr wieder einrenken.«
»Meinst du das ernst?«
»Ich habe ›einrenken‹ gesagt, nicht ›wieder rumkriegen‹.« Tamani hatte Mühe, sachlich zu bleiben. »Sie wäre sehr froh, wenn ihr wieder Freunde wärt. Ich will nur, dass sie glücklich ist. Nach der Schule gehe ich mit Shar auf Spurensuche, das geht bis in die Nacht. Ich bin aus dem Weg, ihr könnt euch aussöhnen.«
David schwieg. »Und was hast du davon?«
»Du sollst ihr sagen, dass ich dich dazu ermuntert habe.«
»Ah, damit Laurel glücklich ist und du zwei Pluspunkte fürs Friedenstiften bekommst.«
»Für einen Menschen bist du ganz schön schlau«, sagte Tamani und grinste breit.
David schüttelte nur den Kopf. »Weißt du, was ich fast noch schlimmer finde als die Vorstellung, Laurel an dich zu verlieren?«, fragte David.
»Was?« Tamani war gespannt, er hatte keine Ahnung, worauf David hinauswollte.
»Dass diese lahmarschige Nummer mit dem Klären unserer Meinungsverschiedenheiten tatsächlich funktioniert hat.«
Tamani schmunzelte, als es zum Schulende klingelte. »So weit würde ich nicht gehen, Mann«, sagte er. »Ich kann dich immer noch nicht leiden.« Doch gleichzeitig musste er lächeln.
Laurel öffnete vorsichtig die Haustür. Draußen wartete David mit einer Zinnie in der Hand.
»Hi«, sagte er verschüchtert, ehe er ihr ruckartig die Blume hinstreckte. »Es tut mir leid«, sagte er. »Ich hab mich total blöd benommen. Ich bin einfach ausgeflippt und das war völlig maßlos und ich würde auch mit mir Schluss machen.«
Laurel starrte lange auf die dargebotene Blume und nahm sie dann mit einem Seufzer entgegen. »Mir tut es auch leid«, sagte sie leise.
»Wieso? Was sollte dir leidtun?«, fragte David.
»Ich hätte auf Chelsea hören sollen. Sie hat mir erzählt, dass du große Probleme mit Tamani hast, und ich dachte, du kommst darüber hinweg. Ich hätte sie ernst nehmen sollen. Und dich erst recht. Es tut mir leid, dass es so weit kommen musste.«
David rieb sich den Nacken. »So schlecht ging es mir nun auch wieder nicht. Bei Chelsea darf ich mich auskotzen. Und meistens geht es wirklich nur darum – dass ich meinem Ärger Luft machen kann.«
»Schon klar, aber es wäre besser gewesen, wenn du das auch bei mir hättest tun können. Ich habe einfach alles Negative abgeblockt, statt dich zu fragen, wie es dir wirklich geht. Als deine Freundin hätte ich dir zuhören müssen.« Laurel senkte den Blick. »Dafür sind Freunde da, unabhängig von allem anderen.«
»Ich glaube wirklich nicht, dass du dich bei mir entschuldigen solltest, aber trotzdem danke«, sagte David. »Und ich hoffe, dass wir das gut hinter uns bringen.« Er zögerte. »Zusammen.«
»David«, sagte Laurel und merkte seiner enttäuschten Miene an, dass er wusste, was jetzt kam. »Ich glaube nicht, dass ich für ein ›Wir‹ schon wieder bereit bin.«
»Heißt das, du bist mit Tamani zusammen?«, fragte David, ohne sie anzusehen.
»Ich bin mit niemandem zusammen.« Laurel schüttelte den Kopf. »Wir sind siebzehn, David. Ich mag dich und Tamani mag ich auch, und vielleicht sollte ich mir mal eine Zeit lang keine Gedanken um das ›für immer‹ machen. Ich finde es schwer genug, mich zu entscheiden, ob ich nächstes Jahr aufs College gehen soll, geschweige denn, mit wem ich den Rest meines Lebens verbringen könnte.«
David zog ein merkwürdiges Gesicht, aber Laurel redete einfach weiter.
»Und dann sind da noch Yuki und Klea und die Orks und die Abschlussprüfungen, die Colleges …« Sie stöhnte. »Ich kann es im Moment nicht allen recht machen.«
»Hört sich an, als bräuchtest du dringend einen Freund«, murmelte David.
Laurel war überrascht, wie erleichtert sie war. Die Tränen liefen ihr über die Wangen. »Oh Mann«, sagte sie und versuchte, sie unauffällig abzuwischen. »Du hast recht, nichts brauche ich dringender!«
David machte einen Schritt auf sie zu und schloss sie in die Arme. Er zog sie an sich und hielt sie einfach nur fest, die Wange auf ihrem Kopf. Als sie seine Wärme in sich aufnahm und seinem stetigen Herzschlag lauschte, hatte Laurel das Gefühl, alle Sorgen würden von ihr abfallen. Es machte ihr Angst, dass sie diese kostbare Freundschaft beinahe verloren hätte. »Danke«, flüsterte sie.
»Eins muss ich aber noch loswerden«, sagte David. »Ich werde alles dafür tun, dass du wieder meine Freundin wirst.« Er ließ sie los und trat einen Schritt zurück. »Ich will ganz ehrlich zu dir sein.«
Laurel rollte mit den Augen und lachte.
»Aber bis dahin«, sagte er plötzlich ernst, »bin ich dein Freund und warte ab, was passiert.«
»Ich dachte schon, du würdest nie wieder mit mir reden.« Verwirrt sah sie zu, wie David rot anlief.
»Ich … brauchte einen Tritt. Tamani hat mich geschickt«, sagte er schließlich.
»Tamani?« Laurel dachte, sie hätte sich verhört.
»Wir haben uns heute wirklich richtig gut unterhalten, und er hat gesagt, er bleibt den ganzen Tag weg, damit ich mich bei dir entschuldigen kann.«
Das brachte Laurel ins Grübeln. »Warum tut er das?«
»Warum wohl? Um bei dir zu punkten!«
Laurel schüttelte den Kopf, aber sie musste ihm recht geben; es hatte funktioniert. »Ich habe dich neulich angerufen«, sagte sie.
»Das habe ich gesehen. Du hast nicht auf Band gesprochen.«
»Deine Ansage hat mich mal wieder wahnsinnig gemacht.«
David lachte.
»Die Prüfungsergebnisse sind angekommen.«
Er nickte knapp. Das war ihm fast genauso wichtig wie ihr. »Meine auch. Chelsea habe ich leider immer noch nicht eingeholt. Und wie ist es bei dir gelaufen?«
Laurel lächelte, als sie ihm erzählte, wie viel besser sie abgeschnitten hatte und welche Möglichkeiten sich damit für sie eröffneten. Für kurze Zeit war es wie früher. Das lag daran, fand Laurel, dass David schon immer in erster Linie ihr Freund gewesen war. Das war vielleicht der größte Unterschied zwischen ihm und Tamani. Bei David hatte es mit einer Freundschaft angefangen – bei Tamani war es von Anfang an Leidenschaft gewesen. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie ihr Leben ohne diese beiden Extreme verlaufen sollte. Wenn sie einen von ihnen erwählte, musste sie dann für immer auf eins von beiden verzichten? Sie verdrängte diesen unangenehmen Gedanken und konzentrierte sich darauf, das Hier und Jetzt zu genießen.
»Möchtest du reinkommen?«