Zwei
Mit einem heftigen Seufzer warf Laurel ihren Rucksack auf den Küchentresen. Vor dem Kühlschrank blieb sie stehen und betrachtete den Inhalt, ehe sie wegen ihrer offensichtlichen Verzögerungstaktik mit sich selbst schimpfte. Schließlich nahm sie eine Nektarine heraus, und wenn es nur dazu diente, den Blick in den Kühlschrank zu rechtfertigen.
Sie ging zur Hintertür und starrte wie so oft auf die Bäume hinter ihrem Haus – auf der Suche nach den Elfen, die dort die ganze Zeit lebten. Manchmal redete sie auch mit ihnen oder versorgte sie mit Zaubertränken und Pulvern, die ihrer Verteidigung dienten. Sie wusste nicht, ob die Wachposten wirklich etwas damit anfangen konnten, doch immerhin lehnten sie sie nicht ab. Es gab ihr ein gutes Gefühl, ihnen helfen zu können, zumal die Bewachung ihres Hauses sie aus ihrem Alltag gerissen hatte.
Andererseits erschien sie ihr kaum noch nötig, da bereits seit einem Jahr kein Ork mehr gesichtet worden war. Am liebsten hätte sie ihnen vorgeschlagen, nach Hause zu gehen, aber das war keine gute Idee, das wusste sie. Jamison hatte sie gewarnt. Orks schlugen mit Vorliebe zu, wenn ihr Opfer am verletzlichsten war, das hatte auch die Vergangenheit mehrmals gezeigt. Ob es ihr nun gefiel oder nicht, zumindest im Augenblick war es wahrscheinlich am sichersten, wenn die Wachposten blieben.
Laurel ging durch die Hintertür in den Wald. Wo sie Tamani genau treffen sollte, war ihr unklar, aber er würde sie finden, wie immer. Sie blieb ruckartig stehen, als sie um eine Buscheiche herumging und er plötzlich dastand und mit Gewalt einen Schuh vom Fuß schleuderte. Er kehrte ihr den Rücken zu, das T-Shirt hatte er schon ausgezogen. Laurel sah ihn sprachlos an. Die Sonne schien durch das Kronendach und tauchte seine braune Haut – die viel dunkler war als Davids – in ein warmes Licht, als er sich bückte und an dem störrischen Schnürsenkel des zweiten Schuhs zerrte. Mit einem leisen Fluch löste er ihn und kickte ihn an den Stamm einer Zypresse.
Als wäre er von Fußschellen statt von Anziehsachen befreit, entspannte Tamani die Schultern und seufzte laut. Obwohl er nach menschlichem Maßstab eher klein war, hatte er schlanke lange Arme. Er streckte sich und breitete sie weit aus, bis seine breiten Schultern wie der obere Schenkel eines Dreiecks wirkten, das sich zu seiner Taille verjüngte, wo die Jeans locker auf den Hüften saß. Das Sonnenlicht fing sich in den Ecken und Kanten seines Rückens, und einen Augenblick lang hatte Laurel glatt das Gefühl, sie könnte sehen, wie er die nahrhaften Strahlen aufsog. Sie müsste sich langsam bemerkbar machen, doch sie zögerte.
Spätestens als er die Hände auf die Hüften legte und das Gesicht himmelwärts hob, merkte Laurel, dass sie etwas sagen sollte, bevor er sich weiter auszog. Sie räusperte sich leise.
Die Sonne warf goldene Funken auf Tamanis Haare, als er sich blitzschnell umdrehte, auf alles gefasst. »Du bist es«, sagte er erleichtert. Doch dann änderte sich sein Gesichtsausdruck. »Wie lange stehst du schon da?«
»Nicht lange«, antwortete Laurel rasch.
»Eine Minute?« Er wollte es genau wissen. »Zwei?«
»Äh, ungefähr eine, würde ich sagen.«
Tamani schüttelte den Kopf. »Und ich habe nichts gehört. Diese verdammten Menschensachen.« Er setzte sich auf einen umgefallenen Baumstamm und zog sich eine Socke aus. »Die sind nicht nur unbequem, sondern machen auch noch Lärm! Und was ist mit dieser Schule los? Da ist es so dunkel!«
Laurel verkniff sich ein Grinsen. Genau das Gleiche hatte sie an ihrem ersten Tag an der Del-Norte-Highschool auch zu ihrer Mutter gesagt. »Man gewöhnt sich dran«, sagte sie und reichte ihm die Nektarine. »Iss, das hilft.«
Als er die Frucht nahm, streifte er ihre Finger. »Danke«, sagte er leise, zögerte und biss hinein. »Ich habe das geübt, wirklich! Aber sie haben mich nie so lange in einen Raum gesperrt. Ich habe mich darauf konzentriert, die Kultur zu erlernen, und nicht richtig über die Konsequenzen des Stubenhockens nachgedacht.«
»Setz dich unters Fenster«, schlug Laurel vor. »Für mich war es anfangs auch hart.«
»Und wer zum Teufel hat die Jeans erfunden?«, fuhr Tamani finster fort. »So ein schweres, drückendes Gewebe? Man kann mir doch nicht im Ernst erzählen, dass die Menschen, die immerhin das Internet erfunden haben, keinen besseren Stoff herstellen können? Ich bitte dich!«
»Dass du Internet sagst«, prustete Laurel los. »Wie komisch hört sich das denn an?«
Tamani lachte nur und biss wieder in die Nektarine. »Du hattest recht«, sagte er dankbar und hob die Frucht hoch. »Das hilft wirklich.«
Laurel setzte sich neben ihn auf den Baumstamm, fast so nah, dass sie sich hätten berühren können. Doch die Luft zwischen ihnen hätte genauso gut eine Steinmauer sein können. »Tamani?«
Er drehte ihr das Gesicht zu, sagte jedoch nichts.
Auch wenn es vielleicht ein Fehler war, beugte Laurel sich lächelnd vor und schlang die Arme um seinen Hals. »Hallo«, sagte sie an seinem Ohr.
Er nahm sie fest in den Arm und erwiderte ihre Begrüßung. Als sie sich lösen wollte, hielt er sie noch fester und flehte sie mit seinen Händen an zu verweilen. Sie kämpfte nicht dagegen an – sie wollte es auch gar nicht. Nach wenigen Augenblicken ließ er sie mit spürbarem Bedauern los. »Hallo«, sagte er ruhig.
Sie hob den Blick und war enttäuscht, als sie merkte, dass die hellgrüne Farbe seiner Augen sie noch immer störte. Sie sahen nicht total anders aus, es waren immer noch seine Augen. Doch die neue Farbe machte sie nervös.
»Es tut mir leid«, sagte Tamani, »dass es so überraschend für dich kam.«
»Du hättest mir Bescheid geben können.«
»Und was hättest du dann gesagt?«, fragte er.
Laurel wollte etwas erwidern, doch dann schwieg sie und lächelte schuldbewusst.
»Du hättest gesagt, ich sollte nicht kommen, stimmt’s?«
Laurel zog nur eine Augenbraue hoch.
»Deshalb konnte ich dir nichts sagen«, sagte er mit einem Schulterzucken.
Laurel bückte sich, pflückte ein kleines Farnblatt und riss es in kleine Stücke. »Wo bist du die ganze Zeit gewesen?« , fragte sie. »Shar wollte es mir nicht verraten.«
»Die meiste Zeit war ich in Schottland, wie ich eben im Kurs schon sagte.«
»Und warum?«
Jetzt zeigte er einen Anflug von schlechtem Gewissen. »Zur Ausbildung.«
»Was für eine Ausbildung?«
»Ich habe dafür trainiert, hierherzukommen.«
»Die ganze Zeit?«, fragte Laurel kaum hörbar.
Tamani nickte.
Laurel wollte den Schmerz verdrängen, der ihr den Atem raubte. »Du hast die ganze Zeit gewusst, dass du zurückkommst, und dich nicht von mir verabschiedet?« Sie erwartete eine beschämte oder wenigstens entschuldigende Miene, doch diesen Gefallen tat er ihr nicht. Er sah sie an, ohne zu blinzeln.
»Du meinst, damit du mir deine Entscheidung für David persönlich hättest mitteilen können? Und dass du ohnehin nicht mehr vorbeikommen wolltest?«
Sie schaute weg, als ihr schlechtes Gewissen die verletzten Gefühle überlagerte.
»Was hätte ich davon gehabt? Du hättest dich besser gefühlt – wahrscheinlich wie eine Heldin – und ich hätte dagestanden wie ein Narr, ein enttäuschter Liebhaber, der ans andere Ende der Welt geht.« Er hielt inne, biss wieder in die Nektarine und kaute nachdenklich. »Auf diese Weise musstest du die Bürde deiner Entscheidungen tragen und ich konnte meinen Stolz retten – zumindest teilweise«, fuhr er fort, »denn ich musste ja doch ans andere Ende der Welt gehen und den enttäuschten Liebhaber geben. Meine Mutter würde wahrscheinlich sagen ›Gleiche Frucht, anderer Ast‹.«
Laurel war sich nicht sicher, ob sie die Redewendung verstand. Auch nach zwei Sommern in Avalon hatte sie immer noch keine klare Vorstellung von der Elfenkultur. Doch sie verstand, worauf es hinauslief.
»Geschehen ist geschehen«, sagte Tamani und aß die Nektarine auf. »Ich würde vorschlagen, die Vergangenheit ruhen zu lassen.« Er konzentrierte sich kurz und warf den Kern gezielt in den Wald.
Jemand stöhnte leise. »Bei Hekates Auge, Tamani! War das nötig?«
Tamani grinste, als ein großer Wachposten mit sehr kurzem Haar hinter einem Baum hervorkam und sich den Arm rieb. »Du hast uns nachspioniert«, sagte Tamani leichthin.
»Ich wollte nicht stören, aber schließlich hast du mich herbestellt.«
Tamani breitete die Arme aus und gab sich geschlagen. »Touché. Wer kommt noch?«
»Die anderen beobachten das Haus. Es gibt keinen Grund, warum sie sich zu uns gesellen sollten.«
»Sehr gut«, sagte Tamani und setzte sich gerade hin. »Laurel, kennst du Aaron?«
»Wir sind uns ein paar Mal begegnet«, antwortete Laurel und lächelte zur Begrüßung. »Ein paar Mal« war vielleicht etwas übertrieben, aber sie war sich ziemlich sicher, dass sie ihn mindestens ein, zwei Mal gesehen hatte. Im letzten Winter hatte sie versucht, sich mit den Wachposten im Wald zu unterhalten. Doch zu ihrem großen Missvergnügen hatten sie sich stets förmlich verbeugt und im Übrigen geschwiegen. Dennoch kam ihr Aaron bekannt vor.
Wichtiger war jedoch, dass er es nicht leugnete, sondern kurz nickte – so tief, dass es schon fast eine Verbeugung war – und sich dann wieder an Tamani wandte.
»Ich bin nicht als gewöhnlicher Wachposten hier«, begann Tamani mit Blick auf Laurel. »Ich bin als das hier, was ich schon immer sein sollte: Fear-gleidhidh.«
Laurel brauchte einen Augenblick, bis ihr wieder einfiel, was das Wort bedeutete. Im letzten Herbst hatte Tamani ihr erklärt, es hieße »Begleitung«, außerdem nannten die Winterelfen ihre Leibwächter so ähnlich. Und doch war es auf gewisse Weise … persönlicher.
»Letztes Jahr konnten wir zu oft erst in letzter Minute einschreiten«, fuhr Tamani fort. »Es ist zu schwierig, auf dich aufzupassen, wenn du in der Schule oder mit vielen anderen zusammen bist. Deshalb bin ich für ein Fortgeschrittenen-Training auf das Landgut gefahren. Ich falle unter Menschen schon ein wenig mehr auf als du, aber nicht so sehr, als dass ich nicht in deiner Nähe bleiben könnte, koste es, was es wolle.«
»Ist das wirklich nötig?«, warf Laurel ein.
Die beiden Elfen sahen sie verständnislos an.
»Seit Monaten hat es doch keinerlei Anzeichen für Orks – oder etwas anderes – gegeben.«
Als die beiden Wachposten einen Blick tauschten, bekam Laurel es mit der Angst, weil sie verstand, dass sie ihr etwas verschwiegen hatten. »Das stimmt nicht … ganz«, sagte Aaron.
»Sie haben Spuren von Orks gefunden«, sagte Tamani und setzte sich wieder auf den Baumstamm. »Nur keine Orks.«
»Ist das schlimm?«, fragte Laurel, die immer noch dachte, es wäre immer gut, keine Orks zu sehen.
»Ganz furchtbar«, erwiderte Tamani. »Wir haben Fußspuren, blutige Tierkadaver, sogar ab und an eine Feuerstelle entdeckt. Doch obwohl die Wachposten hier alle Mittel eingesetzt haben, die sie auch an den Toren einsetzen – Spürseren, Anwesenheitsfallen –, zeigt keins dieser Mittel an, dass Orks hier wären. Mit unseren erprobten Methoden können wir die Orks, von denen wir wissen, dass sie hier sind, einfach nicht finden.«
»Könnten die Spuren nicht alt sein? Ich meine, aus dem letzten Jahr?«, fragte Laurel.
Aaron wollte etwas sagen, aber Tamani war schneller. »Glaub mir, die Spuren sind frisch.«
Laurel wurde übel. Wahrscheinlich wollte sie lieber nicht wissen, was Aaron hatte sagen wollen.
»Ich wäre aber so oder so gekommen«, sagte Tamani. »Schon bevor du Shar von dem Leuchtturm erzählt hattest, wollte Jamison mich losschicken, um mehr über Barnes’ Bande herauszubekommen. Sein Tod hat uns Freiraum verschafft, aber ein Ork seines Kalibers operierte sicher nicht allein. Ich fürchte, wir müssen uns darauf einstellen, dass wir gerade die Ruhe vor dem Sturm erleben.«
Die Angst setzte sich in ihrem Magen fest. Dieses Gefühl kannte Laurel zwar, aber sie hätte gern noch länger darauf verzichtet.
»Außerdem hast du Klea vier schlafende Orks überlassen, und wahrscheinlich ist es zu optimistisch anzunehmen, dass sie einfach aufwachten, sie töteten und ganz normal weiterlebten. Möglicherweise hat Klea sie stattdessen verhört und etwas über dich oder auch das Tor herausgefunden.«
Laurel war jetzt voll konzentriert und kurz davor, in Panik zu geraten. »Verhört? Sie hörte sich an, als würde sie die Orks direkt umbringen oder in Stücke reißen. Ich bin gar nicht …«
»Das macht nichts«, sagte Tamani. »Du hast dich unter den gegebenen Umständen richtig verhalten. Schließlich bist du kein Wachposten. Kann sein, dass Klea sie auf der Stelle umgebracht hat, denn für die meisten Menschen wäre es reiner Selbstmord, Orks verhören zu wollen. Abgesehen davon wissen wir nicht, wie viel Barnes seinen Leuten verraten hat. Dennoch müssen wir auf das Schlimmste gefasst sein. Wenn die Orkjäger sich zu Elfenjägern entwickeln, dann würdest du mehr als je zuvor in Gefahr schweben. Jamison wollte auf diese neuen Ereignisse reagieren und hat den Plan geringfügig geändert.«
»Geringfügig«, wiederholte Laurel. Auf einmal war sie erschöpft. Sie schloss die Augen und vergrub das Gesicht in den Händen. Tamani legte den Arm um sie.
»Aaron«, sagte er, »ich bringe sie ins Haus. Wir sind hier fertig, würde ich sagen.«
Er stupste Laurel an und sie stand auf. Dann ging sie ins Haus, ohne sich zu verabschieden. Sie lief geradezu aus dem Wald und entriss Tamani ihre Hand, weil sie Abstand wahren und ihre Unabhängigkeit betonen wollte.
Jedenfalls, was davon noch übrig war.
Sie öffnete die Hintertür mit Schwung und hielt sie für Tamani auf. Dann ging sie zum Kühlschrank und holte das erste Stück Obst heraus, das ihr in die Finger fiel.
»Kann ich vielleicht auch noch etwas haben?«, fragte Tamani. »Die Nektarine hat mir echt geholfen.«
Wortlos reichte Laurel ihm das Obst, weil sie doch keine Lust darauf hatte.
»Stimmt was nicht?«, fragte Tamani schließlich.
»Ich weiß nicht genau«, antwortete Laurel und mied seinen Blick. »Das ist alles so … verrückt. Aber …« – jetzt sah sie zu ihm hoch, »ich bin wirklich froh, dass du wieder da bist. Echt.«
»Gut«, sagte Tamani mit einem zittrigen Lächeln. »Ich habe mir schon Sorgen gemacht.«
»Aber kaum bist du da, erzählst du mir, ich wäre in Gefahr, und schon habe ich wieder Angst um mein Leben. Nichts für ungut, aber das trübt die Wiedersehensfreude ein wenig.«
»Shar wollte jemand anderen zu dir schicken und dir einfach nichts sagen, aber ich dachte, du wüsstest lieber Bescheid. Auch wenn es bedeutet, dass … na, das alles hier«, sagte er mit einer vagen Geste.
Laurel dachte nach. Eigentlich glaubte sie, dass es so wirklich besser war, aber sicher war sie nicht. »Wie groß ist die Gefahr denn nun?«
»Das wissen wir nicht genau.« Tamani zögerte. »Auf jeden Fall ist etwas im Busch. Ich bin erst seit wenigen Tagen hier, aber was ich bisher gesehen habe … bist du mit Spürseren vertraut?«
»Ja, klar. Sie ändern die Farbe, nicht wahr? Und zeigen auf diese Weise, wie alt die Spur ist? Ich kann ein solches Serum noch nicht selbst herstellen …«
»Nicht nötig. Wir haben jede Menge Seren, die dazu geeignet sind, Menschen und Orks aufzuspüren. Ich habe etwas davon in eine frische Spur geschüttet und es gab überhaupt keine Reaktion.«
»Soll das heißen, eure Magie wirkt nicht?« Laurel hatte einen Kloß im Hals.
»So sieht es aus«, gab Tamani zu.
»Du sorgst nicht gerade dafür, dass ich mich sicherer fühle«, sagte Laurel in dem Bemühen, das Gespräch humorvoll aufzulockern. Doch ihre bebende Stimme sprach Bände.
»Bitte hab keine Angst«, beharrte Tamani. »Wir brauchen keine Magie – es macht nur vieles einfacher. Wir tun alles Erdenkliche, um die Gegend zu schützen. Dabei gehen wir kein Risiko ein.« Er machte eine Pause. »Das Problem ist, dass wir nicht wissen, mit wem wir es zu tun haben. Wir wissen nicht, wie viele es sind oder was sie vorhaben, rein gar nichts.«
»Also willst du mir wahrscheinlich sagen, dass ich mal wieder supervorsichtig sein soll«, grummelte Laurel, die eigentlich wusste, dass sie ihm dankbar sein sollte, statt sauer zu sein. »Bleib zu Hause, geh rein, wenn es dunkel wird, all das?«
»Nein«, widersprach er zu ihrer Überraschung. »Darum geht es nicht. Ich bin nicht auf Patrouille, ich gehe nicht auf die Jagd, sondern bleibe immer in deiner Nähe. Du lebst dein Leben und machst alles, was du sonst auch tust. Ich sorge für deine persönliche Sicherheit.« Tamani machte einen Schritt auf sie zu und strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht. »Oder sterbe bei dem Versuch.«
Laurel war wie erstarrt, da sie wusste, wie ernst er es meinte. Er dagegen missverstand ihre Regungslosigkeit und beugte sich vor, seine Hand an ihre Wange geschmiegt.
»Du hast mir gefehlt«, flüsterte er, sein Atem wehte über ihre Haut. Wider Willen seufzte Laurel leise, und als Tamani noch näher kam, schlossen sich ihre Augen fast wie von selbst.
»Es hat sich nichts verändert«, flüsterte sie. Ihre Gesichter berührten sich fast. »Ich habe meine Wahl getroffen.«
Seine Hand erstarrte, doch sie fühlte ein leichtes Zittern seiner Fingerspitzen. Er schluckte trocken, ehe er sich mit einem matten Lächeln von ihr löste.
»Entschuldige. Ich bin zu weit gegangen.«
»Was soll ich genau tun?«
»Das Gleiche wie immer.« Tamani zuckte die Achseln. »Je weniger du an deiner Routine änderst, umso besser.«
»Das meinte ich nicht«, sagte Laurel und zwang sich, ihm in die Augen zu sehen.
Er schüttelte den Kopf. »Nichts. Ich muss lernen damit umzugehen, nicht du.«
Laurel sah zu Boden.
»Das meine ich ernst«, sagte Tamani und legte noch mehr Abstand zwischen sie. »Du musst nicht nach mir Ausschau halten oder versuchen, dich in der Schule mit mir anzufreunden. Ich bin einfach da und so ist es gut.«
»Gut«, wiederholte Laurel und nickte.
»Kennst du die Wohnungen unten in Harding?«, fragte Tamani, erneut um einen lockeren Ton bemüht.
»Die grünen?«
»Genau, ich bin in Nummer sieben«, sagte er mit einem spielerischen Lächeln. »Für den Fall, dass du mich brauchst.«
Er ging zur Haustür und Laurel sah ihm einige Sekunden lang nach, ehe ihr die Wirklichkeit wieder bewusst wurde. »Tamani, halt!«, rief sie, sprang vom Stuhl und rannte in den Flur. »Untersteh dich, ohne Hemd aus der Tür zu gehen! Die Nachbarn sind schrecklich neugierig.« Als sie ihn am Arm festhielt, drehte er sich um und legte wie aus Instinkt seine Hand auf ihre. Dann starrte er auf ihre Finger, die sich blass von seiner olivfarbenen Haut abhoben, und wanderte mit dem Blick über ihre Hand, ihren Arm, ihre Schulter bis zu ihrem Hals.
Er schloss für einen Augenblick die Augen und holte tief Luft. Als er sie wieder öffnete, war seine Miene neutral. Er lächelte lässig, drückte ihre Hand und ließ sie los.
»Selbstverständlich«, sagte er. »Ich gehe hinten raus.«
Tamani ging zurück zur Küche und blieb noch einmal stehen. Er hob die Hand und berührte die Kette, die er ihr geschenkt hatte – ihren Setzlingsring an seinem silbernen Band. Er lächelte sanft. »Schön, dass du den Ring noch immer trägst.«