17. Kapitel

CORUSCANT

Tahiri Veila blickte aus dem winzigen Fenster ihrer Inhaftierungszelle und betrachtete den spätnachmittäglichen Verkehr, der in etwas geringerer Höhe vorbeiströmte. Tausende und Abertausende von Leuten sausten jede Stunde in ihren Luftgleitern vorbei. Und hätten sie gewusst, dass Tahiri Veila hinter diesem Sichtfenster stand, die Mörderin von Admiral Gilad Pellaeon – einem Offizier und Anführer, den die Galaktische Allianz in ebenso wohlwollender Erinnerung hatte wie das Imperium –, hätten vermutlich einige versucht, einen Blasterschuss durch den Transparistahl zu jagen.

Sie wusste, dass sie nicht wie eine typische Attentäterin aussah. Groß und mit blondem Haar, attraktiv, obschon sie ihr Aussehen nicht durch Schminke oder prächtige Kleider betonte, und merkwürdigen, verblassten Narben auf der Stirn von Ereignissen, die ein ganzes Leben zurückzuliegen schienen, wirkte sie eher wie eine Athletin, die früh in ihrem Leben Meisterschaften gewonnen und sich dann zurückgezogen hatte, um ihren Lebensunterhalt fortan damit zu verdienen, Frühstücksnahrung anzupreisen, während sie in die Holokameras lächelte. Allerdings war es lange her, seit sie das letzte Mal gelächelt hatte.

Sie wandte sich ihrem Besucher zu, der am Ende der Pritsche saß, die – abgesehen von einer nicht abgeteilten Sanitäreinheit – den einzigen Einrichtungsgegenstand in der winzigen Kammer darstellte, die sie jetzt ihr Zuhause nannte.

Der Besucher bedachte sie mit einem verständnisvollen Nicken. »Es ist schwer, das zu verstehen, weil es auf einer Logik basiert, die jedem rationalen Verstand fremd ist. Das ist Anwaltslogik, Rechtslogik.«

Sein Name war Mardek Mool. Der Bith besaß den verlängerten Schädel und die epidermalen Wangenfalten seiner Spezies, und große dunkle Augen, die Tahiri musterten, als rechnete er damit, dass sie einen Wutanfall bekam und ihn dann mithilfe der Macht erwürgte. Sie wusste, dass es für ihren Fall nichts Gutes verhieß, dass ihr eigener Strafverteidiger zu glauben schien, sie sei eines sinnlosen, kaltblütigen Mordes fähig, bloß weil sie frustriert war. Trotzdem, Mool war kompetent, engagiert und gutherzig, und er schien entschlossen zu sein, ihr so gut zu helfen, wie er konnte. Angesichts des Umstands, dass das Gericht ihr die Dienste von Nawara Ven mit der Begründung verweigert hatte, dass seine Beziehung zum Jedi-Orden einen Interessenkonflikt darstellte, nahm Tahiri an, dass sie froh sein sollte, Mool zu haben.

Sie trat vom Fenster weg. Der Transparistahl verdunkelte sich automatisch, als sie sich gegenüber von Mool auf das andere Ende der Pritsche setzte. »Wie wäre es dann mit einer Erklärung? Die verhaften mich wegen Beihilfe und Mord, für Verbrechen, derer ich mich zweifelsfrei schuldig gemacht habe …«

»Das möchte ich nicht noch einmal hören! Nicht laut, nicht zu sich selbst, nicht im stillen Kämmerlein, nicht einmal im Schlaf! Sie sind nicht qualifiziert, über Ihre persönliche Schuld oder Unschuld zu urteilen.«

»Besten Dank für diesen Vertrauensbeweis«, meinte Tahiri trocken. »Die beschuldigen mich dieser Verbrechen, die erzählen ihre Seite der Geschichte der Presse, als wären sie fuchsteufelswild und würden nach meinem Blut lechzen, während sie mich hier die ganze Zeit über schmoren lassen – in einem Inhaftierungszentrum mittlerer Sicherheitsstufe, aus dem ich übrigens selbst schlafwandelnd entkommen könnte. Und jetzt drängen sie das Gericht mit einem Mal, einen Verhandlungstermin festzulegen. Das begreife ich einfach nicht. Ich verstehe nicht einmal, warum die mich anklagen und nicht das Imperium, obwohl der Mann, den ich umgebracht habe …«

»Der Mann, den Sie mutmaßlich umgebracht haben.«

»Schluss damit! Pellaeon war ein imperialer Bürger, der auf imperialem Gebiet starb. Ich hätte eigentlich gedacht, dass das in die Zuständigkeit des Imperiums fällt und man mir dort den Prozess machen würde.«

Mool seufzte. »Tahiri, wollen Sie lange genug leben, um dahinterzukommen, ob Sie es verdienen zu leben, oder nicht?«

Sie schwieg einen Moment lang, doch mit diesem Thema hatte sie sich bereits vor einer ganzen Weile befasst, kurz nachdem die Sicherheitsbeamten gekommen waren, um sie zu verhaften. »Ja.«

»Dann müssen Sie anfangen zu tun, was ich Ihnen sage. Sagen Sie niemals ›Ich war es‹, und zwar aus mehreren Gründen! Wenn Sie von Ihrer eigenen Schuld überzeugt sind, kann sich das stärker in Gesicht und Körpersprache zeigen, als Sie glauben. Das könnte einen Richter oder ein Geschworenengericht womöglich noch von Ihrer Schuld überzeugen, obwohl alles andere perfekt im Lot ist. Und man weiß nie, wann eine Regierung vielleicht die richterliche Genehmigung hat, Abhörgeräte in Ihrer Umgebung zu platzieren. Ich führe eine Wanzenüberprüfung durch, wann immer ich Sie besuche, und möglicherweise genügt das fürs Erste. Aber ich bin kein Fachmann, und ich werde nicht immer in der Nähe sein. Vielleicht ist es denen nicht möglich, Sie mit den Mitteln zu verurteilen, die sie bereits haben. Geben Sie ihnen nicht noch mehr an die Hand!«

»In Ordnung. Dann bin ich also … nicht schuldig.«

»Sie sagen es, aber Sie glauben immer noch nicht daran. Was bedeutet, dass Sie nach wie vor der Ansicht sind, Sie seien allein für all Ihre Entscheidungen verantwortlich gewesen und Jacen Solo habe absolut keinen Einfluss auf Sie gehabt.«

»Nun, natürlich hatte er einen gewissen Einfluss auf mich.«

»Wie viel?«

»Das lässt sich unmöglich bemessen.«

»Korrekt.« Er schenkte ihr ein zustimmendes Nicken. »Ich denke, dass er mehr Einfluss auf Sie hatte, als sogar Ihnen selbst bewusst war. Er hat sich Ihre Unsicherheit zunutze gemacht. Er hat Sie isoliert, hat sich selbst zum alleinigen Bezugspunkt für Ihre Weltsicht gemacht, womit ich Ihr Moralgefühl und Ihr Verständnis von Richtig und Falsch meine. Womöglich hat er Machtfähigkeiten eingesetzt, um Sie zu manipulieren, Fähigkeiten, von denen Sie nie etwas mitbekommen haben. Tahiri, jeder von uns will glauben, dass er die ganze Zeit über geistig zurechnungsfähig ist. Aber niemand ist in jedem Moment seines Lebens ganz er selbst, weder ein Soldat oder ein Pilot, die getötet haben und im Laufe ihrer Karriere gesehen haben, wie Freunde von ihnen getötet wurden, noch eine Jedi, die ihr ganzes Leben lang zwischen der Hellen und der Dunklen Seite hin- und hergerissen war, und ganz gewiss keine Jugendliche, die die Liebe ihres Lebens sterben sah und die später von seinem vereinnahmenden Bruder wieder und wieder in seine Gegenwart zurückgeführt wurde. Wann, wenn man all das bedenkt, hatten Sie überhaupt je die Chance, durchweg bei Sinnen zu sein?«

Tahiri verspürte ein Aufwallen von Hoffnung. Gleichwohl, Mools Erklärung zu akzeptieren, würde bedeuten, ihren Glauben aufzugeben, dass sie stets Herrin ihrer eigenen Gedanken gewesen war, ihrer eigenen Entscheidungen. Zu einem solchen Schluss zu gelangen, wäre schrecklich.

Zum Glück für sie wechselte Mool das Thema, um auf ihre andere Frage zurückzukommen.

»Was die Sache betrifft, warum man Sie verhaftet hat, bloß um Sie dann in einem Gefängnis mit mittlerer Sicherheitsstufe versauern zu lassen: Die wollten, dass Sie fliehen.«

Langsam dämmerte es Tahiri. »Weil ich mich selbst für schuldig erklärt hätte, wenn ich abgehauen wäre.«

»Nicht bloß das, sondern außerdem hätten Sie dann vermutlich Hilfe bei Ihren Freunden gesucht, um sie auf diese Weise ebenfalls auf die falsche Seite des Gesetzes zu ziehen. Und warum schwingt die Regierung erst große Reden und lässt den Fall dann schleifen? Man tut immer sein Bestes, damit die Gegenseite niemals auf eine von Ihnen gemachte Aussage verweisen kann, die Ihre eigene Position schwächt oder Ihren rechtschaffenen Zorn schmälert. Aber dann ziehen sie die Angelegenheit in die Länge, weil die Zeit auf ihrer Seite ist. Je länger die Dinge dauern, je mehr Credits Sie das Ganze kostet, je mehr Sie durch das alles unter Druck geraten …«

»… desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich aufgebe oder fliehe.«

»Sehr gut! Also, warum überlassen die es nicht den Imps, Sie vor Gericht zu stellen? Das hätten sie vielleicht tun können. Womöglich tun sie das sogar noch. Aber die GA hat das Recht dazu, Ihnen den Prozess zu machen. Pellaeon wurde aufgrund seiner Amtszeit als Oberbefehlshaber der Verteidigungsstreitkräfte der Galaktischen Allianz eine lebenslange GA-Staatsbürgerschaft zuteil. Darüber, warum sie bezüglich dieses Falles mit einem Mal solchen Dampf machen, kann ich bloß Vermutungen anstellen, aber ich denke, der Grund dafür ist, dass Staatschefin Daala etwas braucht, um die Presse von Admiralin Niathals Tod abzulenken.«

»Dann bin ich also bloß eine Spielfigur, die zu ihrem Vorteil auf dem Brett herumgeschoben wird. Es geht hier eigentlich gar nicht um irgendeinen gekränkten Sinn für Gerechtigkeit.«

Mool klatschte in die Hände, als würde er einer überragenden sportlichen Leistung applaudieren. »Und wenn die gar nicht vorhaben, der Gerechtigkeit Genüge zu tun, warum sind Sie dann überhaupt gewillt, sich der Justiz zu fügen?«

Eine Woge kalter Wut spülte über Tahiri hinweg. Einen Moment lang war sie nicht sicher, wie sie damit umgehen sollte – sollte sie sie unterdrücken wie eine Jedi oder wie eine Sith Kraft daraus ziehen? Sie entschied sich für keins von beidem, sondern gab sich ihr einfach hin, ließ zu, dass der Zorn den Tonfall ihrer Stimme spröde und scharf machte. »Also, was machen wir jetzt?«

»Ich fange damit an, medizinische Gutachter zusammenzutrommeln, die vor Gericht über die Denkweise von jemandem aussagen können, der unter dem übermäßigen Einfluss einer manipulativen Autoritätsperson steht. Ich habe vor, nachdrücklich eine Verlegung des Gerichtsstands für den Prozess zu fordern …«

»Warum?«

»Weil es ausgerechnet der Person, die in der Galaxis die meiste Erfahrung mit den Sith besitzt, von Rechts wegen verboten ist, nach Coruscant zurückzukehren, um als Zeuge auszusagen.«

»Luke Skywalker.«

»Korrekt. Und wir sind sehr darauf bedacht, dass er als Zeuge auftritt, nicht bloß aufgrund der Bedeutung und des Umfangs seines Wissens, sondern auch, weil die Öffentlichkeit den Jedi wachsende Sympathien entgegenbringt. Wenn ich also verkündete, dass Großmeister Luke Skywalker aussagen muss, damit der Prozess fair verläuft, weht der Staatsanwaltschaft mehr Widerstand von Seiten der Öffentlichkeit entgegen. Unterdessen müssen Sie sich immer wieder an das erinnern, was Sie gerade darüber gesagt haben, eine Spielfigur zu sein, und wann immer Sie in der Öffentlichkeit stehen, müssen Sie eine Miene aufsetzen, die widerspiegelt, wie sich das anfühlt, weil Sie genauso Jacen Solos Spielfigur waren, und deshalb stecken Sie in Schwierigkeiten. Tahiri, Sie waren wirklich ein Opfer. Das müssen Sie begreifen, genauso, wie die Öffentlichkeit das begreifen muss.«

»In Ordnung. Ich werde es versuchen.«

»Niemand möchte sich selbst als Opfer sehen. Sie werden sich alle Mühe geben müssen, dieses Widerstreben zu überwinden.« Mool rieb sich seine Wangenfalten und wandte für einen Moment den Blick von ihr ab.

»Sie haben noch mehr schlechte Neuigkeiten.«

»Ich hasse es, mit Jedi zu tun zu haben. Ihr macht es einem schwer, Geheimnisse für sich zu behalten.« Er schaute sie wieder an. »Ich denke, Sie sollten noch einmal über den Deal nachdenken.«

»Über welchen Deal?«, fragte Tahiri, die ihre Stimme eisig klingen ließ.

Mool blies seine Wangenfalten auf. »Über den einzigen Deal, den ich Ihnen unterbreitet habe.« Kurz nachdem er ihr Strafverteidiger geworden war, hatte Mool ihr ein Angebot von jemandem aus Daalas Regierung überbracht: Wenn sie Informantin würde und Beweise für Jedi-Verbrechen gegen die Galaktische Allianz sammelte, würde man sie zu einer kurzen Haftstrafe in einem Gefängnis ihrer Wahl mit minimalen Sicherheitsvorkehrungen verurteilen. »Man hat mir zu verstehen gegeben, dass das Angebot nach wie vor steht – und womöglich Ihre einzige Chance ist, einem Todesurteil zu entgehen.«

Tahiri blickte finster drein. »Meine Antwort darauf kennen Sie bereits«, entgegnete sie. »Ich werde meine Meinung diesbezüglich nicht ändern.«

Mool seufzte und nickte, dann sagte er: »In diesem Fall, denke ich, sollten Sie sich Gedanken darüber machen, wo Sie einen geeigneteren Rechtsbeistand finden.«

»Sie schmeißen hin

Mool schüttelte den Kopf. »Keineswegs.«

»Warum dann?«

»Weil ich jetzt schon einige Jahre lang in diesem Geschäft tätig bin«, erklärte Mool, »und zwar lange genug, um zu wissen, dass Sie jemanden brauchen, der schon seit einigen Jahrzehnten dabei ist. So sehr es mich auch schmerzt, das zu sagen: Ich bin nicht der Beste, wenn es darum geht, Sie in einem so im Fokus der Öffentlichkeit stehenden Fall wie diesem zu vertreten. Das ist eine ganz andere Liga als die, in der ich normalerweise spiele. Um Ihnen die Wahrheit zu sagen: Wenn Sie entschlossen sind, sich auf diesen Prozess einzulassen, weiß ich nicht einmal, nach welchen Regeln wir tatsächlich spielen werden.«

Tahiri seufzte, ehe sie quer durch die Zelle zur Sanitäreinheit hinüberschaute und nickte.

»Zumindest machen Sie mir nichts vor«, sagte sie. »Das bedeutet mir mehr, als Sie sich vorstellen können. Vielen Dank!«

»Gern geschehen«, meinte Mool. »Ich wünschte bloß, ich hätte mehr zu bieten. Ich möchte Ihnen helfen – das möchte ich wirklich!«

»Ihre Aufrichtigkeit genügt mir, Mardek.« Tahiri wandte sich ihm zu und legte dankbar eine Hand auf sein Knie. »Wenn ich mir dessen gewiss sein kann, ist das mehr als genug.«