7. Kapitel

AUSLÄUFER DES ROTKIEMENPASSES, DATHOMIR

Zehn Minuten nach dem Ende des Gefechts hatte sich die Lage deutlich entspannt.

Neun Dathomir-Hexen saßen oder lagen auf dem steinigen Boden, die Hände hinter dem Rücken zusammengebunden. Die einzige Ausnahme bildete die Reiterin des zweiten Rancors, die mit den hellbraunen Häuten und dem von Bändern durchzogenen Haar, die einen Bruch des rechten Unterarms erlitten hatte, als ihr Reittier auf sie gestürzt war. Yliri hatte ihren verletzten Arm geschient, denn sie hatte sich geweigert, sich von Dyon medizinisch versorgen zu lassen. Sie war nicht gefesselt, war jedoch entwaffnet worden. Die Bandbreite der Mienen, die die Hexen zur Schau stellten, reichte von Zorn bis hin zu professioneller Gleichgültigkeit.

Die drei Rancoren drängten sich weiter den Pfad hinunter zusammen und leckten sich die Wunden. Der Größte von ihnen war gleichzeitig auch am schwersten verletzt, mit einer Brandwunde an der Stirn und unzähligen Schnitten und Kratzern, die sich das Ungetüm beim Sturz den felsigen Hang hinunter zugezogen hatte.

Die Stammlose Sha stand bei Han, Leia, Luke, Ben und Dyon. »Sie sind vom Clan der Herabregnenden Blätter. Sehr traditionell, die Frauen haben das Sagen. Vor etwa zehn Jahren wurde ihr Clan von einer Katastrophe heimgesucht, über die keiner aus dem Clan mit Außenstehenden redet. Allerdings glauben wir, dass damals all ihre ältesten Hexen gestorben sind. Wir befinden uns jetzt ein gutes Stück nördlich ihres Territoriums. Ich weiß nicht, warum sie hier sind.«

Luke setzte eine heitere Miene auf. »Dann lasst sie uns danach fragen!«

»Sie werden uns nichts verraten. Sehr traditionell, wie ich schon sagte.«

Luke wandte sich um und ging auf die gefangenen Hexen zu, die anderen folgten ihm. Er blieb vor der schwarzhaarigen Frau stehen, die Ben und ihm die ganze Zeit über auf den Fersen gewesen war, doch es war die Frau mit dem gebrochenen Arm, die als Erste das Wort ergriff:

»Wenn ihr uns tötet, werden die Rancoren euch mit Haut und Haar verschlingen. Allein unser Willen hält sie im Zaum.«

Luke schenkte ihr einen Blick leichten Tadels. »Ich denke, du weißt, dass drei Rancoren für drei Jedi keine große Herausforderung sind, ebenso wenig wie für die Art von Leuten, die mit Jedi umherziehen. Aber danke für die Warnung. Um ehrlich zu sein, haben wir nicht die Absicht, euch zu töten. Tatsächlich war diese Frau …« Er wies auf die schwarzhaarige Hexe. »… in gewisser Weise ausgesprochen rücksichtsvoll mit uns. Bis zu diesem Hinterhalt hat sie mehrmals versucht, uns vom Weg abzubringen, ohne uns Schaden zuzufügen.«

Die Frau mit dem gebrochenen Arm warf ihrer Beinahe-Zwillingsschwester einen verächtlichen Blick zu, ebenso wie eine schlanke, blonde Hexe, deren diagonal grün-rot-gelb gestreifte Lederkleidung vermuten ließ, dass der unfreiwillige Spender eine Giftschlange gewesen war.

Luke fuhr fort: »Warum hast du dein Vorgehen geändert?«

»Ihr wolltet euch nicht beirren lassen.« Die schwarzhaarige Hexe schaute bedauernd drein.

Ihre Stimme war kehlig und tief wie die einer Hinterhof-Chansonette. »Ich konnte nicht zulassen, dass ihr euren Weg fortsetzt.«

»Warum nicht?«

Sie antwortete nicht.

Luke seufzte. Er setzte sich vor sie. »Wenn wir nicht miteinander reden, werden wir keine gemeinsame Basis finden. Fangen wir doch damit an, uns einander vorzustellen. Ich bin Luke Skywalker.«

Das zog eine Reaktion nach sich. Die Hexen tauschten Blicke. Luke beschloss, den Vorteil zu nutzen, und fuhr fort: »Und das sind Leia und Han Solo, meine Schwester und mein Schwager, und mein Sohn, Ben. Und das ist, vermutlich, Han und Leias Eskorte.«

»Ich bin Kaminne Sihn. Ich bin das Oberhaupt des Clans der Herabregnenden Blätter.« Mit einem Nicken wies sie auf die Frau mit dem bänderdurchwirkten Haar. »Meine Schwester, Olianne, unsere Kriegsführerin.« Sie schaute nacheinander die Frau mit der Schlangenkleidung und die dickste Hexe an. »Halliava Vurse, Chefausbilderin der Späher, und Firen Nuln, Rancortrainerin.«

Mit einem Mal lehnte sich Olianne dicht zu ihrer Schwester. Luke konnte ihre Worte kaum verstehen: »Lass dich nicht davon beeindrucken, wer sie sind. Es ist nicht von Belang, wer sie sind.«

»Es ist von Belang.« Kaminnes Gesichtsausdruck wurde nachdenklich. »In gewisser Weise würden diese Ereignisse ohne Luke Skywalker nicht stattfinden. Ich kann ihn und seine Freunde zu Ratgebern ernennen.«

»Tu’s nicht!«

Luke schwieg. Die Auseinandersetzung schien sich zu seinen Gunsten zu entwickeln. Er beschloss, durch die Macht keinen Einfluss zu nehmen. Möglicherweise waren diese Frauen feinfühlig genug, um Manipulationen von seiner Seite zu erkennen.

Kaminne nickte nachdrücklich. »Meine Entscheidung steht fest.« Sie musterte Luke mit ernstem Blick. »Ihr könnt uns jetzt losbinden.«

»Vielen Dank. Bitte fahre fort!« Luke machte keine Anstalten, sich zu erheben.

»Ihr seid jetzt Teil dieses Clantreffens. Als Ratgeber tragt ihr eine gewisse Verantwortung für den Erfolg oder das Scheitern des Treffens. Es würde euch nicht gut zu Gesicht stehen, mit den Anführerinnen der Herabregnenden Blätter in Fesseln aufzutauchen, in eurem Gewahrsam.«

Luke dachte darüber nach. Er spürte keine Doppelzüngigkeit in den Worten der Frau.

Zweifellos rang sie mit ihm darum, wer von ihnen in dieser Situation die Macht hatte, doch wenn er sie als Gefangene hielt, brachte das womöglich mehr Schaden als Nutzen mit sich.

Er schaute zu seinen Gefährten auf. »Sha?«

Sha trat hinter die Reihe der Gefangenen und schnitt einer nach der anderen die Fesseln durch. Während sie damit beschäftigt war, stand Luke auf und entfernte sich einige Schritte von seinen Kameraden. »Weißt du, was mir daran gefällt, auf Welten zu kommen, die so rückständig sind, dass sich dort niemand die Nachrichtenübertragungen ansieht?«

Han schüttelte den Kopf. »Was?«

»Nie sagt einer: Im HoloNet siehst du aber größer aus. Sag mal, ihr habt nicht zufällig irgendwelches Werkzeug mitgebracht, oder? Ersatzschaltkreise, Lötgerät? Unsere Lichtschwerter funktionieren nicht.«

Han nickte. »In dem, was von meinem Flitzer noch übrig ist, habe ich einen Werkzeugkasten, und ich glaube, Carrack, der freundliche Riese, hat auch einen.«

»Wenn wir zu einer Stelle kommen, wo wir unser Lager aufschlagen können, machen Ben und ich uns an die Arbeit.«

Kaminne trat zu ihnen, während sie sich gedankenverloren die Handgelenke rieb. »Wir werden nach den Verletzungen sehen, die unsere Rancoren erlitten haben, dann können wir aufbrechen.«

Luke schenkte ihr ein Lächeln. »Das klingt gut.«

»Weißt du, nach all den Geschichten, die ich über dich gehört habe, dachte ich, du wärst größer.«

Hans Gleiter war ein hoffnungsloser Fall. Der Rancor, den Han damit gerammt hatte, hatte darauf herumgetrampelt und ihn dabei so beschädigt, dass jede Hoffnung auf Reparatur vergebens war. Yliris hingegen funktionierte noch und hatte lediglich hinten einen kleinen Schaden. Luke, der sich über den Rang und die kratzbürstige Natur seiner neuen Dathomiri-Gefährtinnen durchaus im Klaren war, entschied sich dafür, in dem Frachtgleiter zu fahren. Die Sitze und die großzügige Ladefläche boten den Skywalkers, den Solos, den anderen Außenweltlern, Sha und den Sihn-Schwestern Platz. Yliri flog mit einer Geschwindigkeit, bei der die übrigen Hexen und ihre Rancoren nicht zurückbleiben würden.

»In gewisser Weise ist diese Zusammenkunft dein Werk«, erklärte Kaminne Luke.

Er warf ihr einen überraschten Blick zu. »Wie das? Ich war seit Jahren nicht mehr hier.«

»Aber als du hierherkamst, hast du Dinge verändert. Das ist es, was man von Luke Skywalker sagt. Wo immer er hingeht, verändert er Dinge.« In Kaminnes Stimme lag eine leichte Traurigkeit. Sie sah weder Luke an noch das ansteigende, hügelige Gelände, das in der Richtung lag, in die sie schaute. Stattdessen war ihr Blick in irgendeine ferne Region der Vergangenheit gerichtet. »Als du das erste Mal nach Dathomir kamst, war ich noch ein Baby, und häufig wurde am Lagerfeuer von deinen Taten gesprochen. Einige der Clans experimentierten mit neuen Gesetzen, gaben ihr Mannsvolk frei. Als du später entschiedst, hier eine Jedi-Schule zu eröffnen, die alle aufnahm, in denen die Macht stark war, nicht bloß Mädchen, war das eine vollkommen andere Herangehensweise, als wir es gewohnt waren.«

Luke nickte. Von alters her wurden die Clans auf Dathomir von Frauen geführt und waren matrilinear, während die Männer häufig als Sklaven oder wenig mehr gehalten wurden. »Also kam Veränderung.«

»Ja. Nicht gleichmäßig. Nicht vorhersehbar. Manchmal nicht friedlich.«

Luke spürte ein leichtes Kribbeln der Gefahr, von feindlicher Absicht, als sich die Haare in seinem Nacken aufstellten. Er drehte sich um, und sein Blick fiel auf Olianne, die ihn vom hinteren Ende der Ladefläche mit finsterer Miene anfunkelte. Er hatte das Gefühl, dass sie, wenn sie die Gelegenheit hätte, sich mit einem Messer an ihn heranzuschleichen, ihn nicht bloß töten, sondern ihn überdies auch häuten würde.

Er zwang sich, sie zu ignorieren.

Kaminne, die von dem Blickwechsel zwischen Luke und ihrer Schwester offenbar nichts mitbekam, fuhr fort: »Ein paar der tapfereren und stärkeren Männer einiger Clans konnten stets entkommen und lebten fortan in kleinen Gruppen, weit weg von den Frauen. Das war schon so, seit es Menschen auf Dathomir gab, doch in den Jahren nach deinem Besuch nahm ihre Zahl zu. Einige dieser Männer unternahmen Überfälle auf die Clans. Sie schlugen zu, wenn wenige oder keine Hexen zugegen waren, stahlen Vorräte … Manchmal stahlen sie dabei sogar die Gefährten der Frauen, die nicht über mächtige Künste verfügten.«

Luke gab sich mitfühlend. In den Jahren, als sich hier eine Jedi-Schule befunden hatte, waren immer wieder Berichte von solchen Vorfällen über seinen Schreibtisch gewandert. »Dann habt ihr ebenfalls unter diesen Überfällen gelitten?«

»Schlimmer. Die Herabregnenden Blätter sind den Traditionen in diesen Zeiten treu geblieben, altmodisch. Doch vor zehn Jahren kam es unter unseren Männern zu einem Aufstand.

Nicht alle beteiligten sich daran, aber viele. Sie schlugen mit Hinterlist und Grausamkeit zu, metzelten die erfahrensten Hexen in der tiefsten Stunde der Nacht nieder. Keine Hexe, die sich noch in unseren Höhlen befand, hat diese Nacht überlebt. Meine Mutter, meine Tanten, meine ältere Schwester … Einige von uns waren nicht bei den Höhlen, sondern unterwegs, um zu jagen oder weiter fort Besorgungen zu machen. Bei unserer Rückkehr erfuhren wir von dem Aufstand. Wir setzten unsere Künste ein und griffen an, um die Männer niederzumachen. Keiner, der älter als zehn Jahre war, blieb am Leben. Auch mein Vater fiel, selbst wenn ihn keine Schuld traf. Innerhalb einer Woche hatten wir zwei Drittel unseres Volkes und all unsere erfahrensten Hexen verloren.«

Oliannes Stimme drang von der Rückseite des Speeders nach vorn, spöttisch und schroff.

»Also, wie ist es, ein Held zu sein, Skywalker? Sollen wir unsere Jungen nach dir benennen, zu deinen Ehren?«

Luke wandte sich nach hinten, um sie erneut anzusehen. »Ich bedaure euren Verlust. Aber diese Art von Gewalt lehre ich nicht. Die Macht ermutigt einen nicht zu so etwas. Es war das Verlangen nach Rache, ein dunkles Gefühl, das diese beiden Massaker herbeigeführt hat … nicht ich.«

»Er hat recht, Olianne.« Kaminne starrte ihre Schwester an, bis Olianne den Blick senkte, und endlich konnte Luke etwas von der ruhigen Charakterstärke ausmachen, die Kaminne besitzen musste, um die Anführerin dieses Clans zu sein.

Kaminne wandte sich wieder nach vorn. »Das war der Beginn der schweren Jahre, der Umlern-Jahre. Da draußen gab es Männerstämme, die tatsächlich größer waren als die Herabregnenden Blätter – und stärker. Aber da war auch ein Männerstamm, der uns nicht angriff, der bereit war, mit uns zu handeln, und schließlich auch mehr als das. Die Zerbrochenen Säulen.«

Kaminnes Miene wurde sanfter. »Im Laufe der Jahre hat sich ein neuer Brauch entwickelt. Jedes Jahr versammeln sich die beiden Clans nördlich des Rotkiemensees. Wir schlagen gemeinsam unser Lager auf. Wir bleiben einen Monat. Ehen werden eingegangen, Ehen, die ein Jahr halten. Wenn sich die beiden Clans dann im nächsten Jahr zusammenfinden, übergeben wir die Jungen, die ein gewisses Alter überschritten haben, ihren Vätern und stellen ihnen die Mädchen vor, damit sie ihre Sippe kennenlernen.«

»Und dorthin seid ihr jetzt unterwegs.« Luke dachte darüber nach. »Kein Wunder, dass ihr da keine Außenstehenden dabeihaben wollt.«

»Dafür gibt es noch andere Gründe. In diesem Jahr versammeln wir uns, um über eine andere Art der Vermählung zu verhandeln – eine Vermählung unserer Clans. Darüber, dass die Herabregnenden Blätter und die Zerbrochenen Säulen eins werden. Wenn wir uns einig werden können, werde ich Tasander Dest heiraten, ihren Häuptling, und diese Ehe wird dann für mehr als nur ein Jahr Bestand haben.«

»Tasander Dest.« Luke runzelte die Stirn. »Das ist mit Sicherheit kein Dathomiri-Name.«

»Hapanisch. Die Hapaner hatten viele Jahre lang eine Siedlung auf Dathomir. Ihre alte Königinmutter war eine Dathomiri, und ihre gegenwärtige ist eine Halb-Dathomiri. Tasander wurde als Junge von seinem Vater hergebracht und beschloss hierzubleiben, als sein Vater fortging.«

Leia, die auf Lukes anderer Seite saß, lehnte sich vor. »Hast du Kinder? Von Dest oder anderen Angehörigen der Zerbrochenen Säulen?«

Kaminne schüttelte den Kopf. »Seit Jahren ist mir das nicht vergönnt. Das ist ein Problem, das in meiner Familie liegt, abgesehen von meiner Mutter. Olianne ist ebenfalls kinderlos. Aber als wir mit den Zerbrochenen Säulen über diese Verbindung zu verhandeln begannen, ging ich zu einer Ärztin am Raumhafen. Sie sagte, der Zustand wäre heilbar, und sie hat mir Medikamente gegeben.«

»Das wollte ich gerade vorschlagen, aber da bist du mir zuvorgekommen.«

Kaminne schüttelte den Kopf. »Wir sind ja nicht dumm. Unser Leben ist hart, aber wir haben es aus eigenem freien Willen gewählt und nicht, weil wir einfach zu töricht wären, anders zu leben. Wenn unsere Zauber nicht genügen, suchen wir nach anderen Mitteln und Wegen. Einige unserer Kriegerinnen haben jetzt Blaster und wissen, wie man damit umgeht. Wir haben Komlinks und Peilsender. Veränderungen, alles Veränderungen, die sich ergeben haben, seit ihr das erste Mal herkamt.«

Leia lächelte sie an. »Ich kenne mich mit Veränderungen aus. Einige sind schlecht, andere sind gut, und wenn man auf sein Leben zurückblickt, wirst du vermutlich zufrieden mit denen sein, die du selbst herbeigeführt hast.« Sie lehnte sich in ihrem Sitz zurück.

Luke beschloss, das Thema zu wechseln. »Mein Sohn und ich sind auf der Suche nach einem Mädchen, keiner Dathomiri, deren Raumschiff irgendwo nördlich des Raumhafens abgestürzt ist.« Er fühlte, wie Ben, der hinten auf der Ladefläche mit Hans Werkzeugkasten und seinem Lichtschwert herumhantierte, den Kopf hob.

Kaminnes Gesicht wurde ausdruckslos, die neutrale Miene eines Sabacc-Spielers. »Ja. Ihr Name ist Vestara. Sie gehört zum Clan.«

»Wir müssen sie zurückbringen.« Luke schaute himmelwärts, um deutlich zu machen, dass er damit eine Rückkehr ins Weltall meinte.

»Oh. Wie viele von uns bist du gewillt zu töten, um das zu tun?«

»Zu töten? Wir haben nicht die Absicht, irgendjemanden zu töten.«

»Ihr habt hier keine Befugnis. Womöglich habt ihr noch anderes mit ihr im Sinn, als sie mitzunehmen. Sie wird nicht mit euch gehen wollen. Sie gehört jetzt zum Clan – Olianne hat sie unter ihre Fittiche genommen und will sie vielleicht adoptieren.«

»Oh.« In Lukes Eingeweiden machte sich ein ungutes Gefühl breit. Auf einmal wussten sie, wo ihre Zielperson war … und in gewisser Weise war sie jetzt sogar noch weiter weg als je zuvor.

»Nun, vielleicht ist sie ja zumindest bereit, mit uns zu sprechen?«

»Vielleicht.«

QUARTIER VON STAATSCHEFIN NATASI DAALA, SENATSGEBÄUDE, CORUSCANT

Ein Läuten weckte Daala – drei sanfte, melodische Klänge –, und ihre Augen öffneten sich ruckartig. Sie wachte immer sofort auf, wenn der Alarm ertönte. Wie bei den meisten Berufssoldaten war ihr Schlaf sehr leicht.

Gleichwohl, dies war nicht ihr üblicher morgendlicher Weckruf. Die melodischen Töne wiesen auf einen Anruf von Wynn Dorvan hin, und das bedeutete, dass irgendetwas Wichtiges anlag. Sie räusperte sich, damit sich ihre Stimme nicht verschlafen oder kratzig anhörte. »Sprechen Sie!«

»Sie haben eine Prioritätsübertragung von Elyas Caran erhalten.« Dorvans Stimme klang ungewohnt kleinlaut.

Elyas Caran war der Abgesandte, den Daala nach Mon Calamari geschickt hatte. Sie sah auf ihr Chrono und stellte einige rasche Berechnungen an. In der Zeitzone, in der Admiralin Niathal lebte, war es jetzt Vormittag, was hieß, dass Caran eine gute halbe Stunde in der Gesellschaft der Admiralin verbracht hatte. Eine Echtzeit-Holokom-Nachricht von ihm war kein gutes Zeichen.

»Gibt es irgendeinen Grund dafür, dass Sie die Übertragung nicht in meine Gemächer durchstellen?«

»Ich glaube nicht, dass Sie möchten, dass diese Nachricht irgendwohin übermittelt wird. Ich denke, Sie sollten sie in voller Größe sehen, im Kom-Zentrum, bevor es irgendjemand anderes von Ihrem Stab tut. Wir müssen uns überlegen, wie wir darauf reagieren sollen.« Das leise Zischen der Kom-Übertragung verstummte, als Dorvan die Verbindung beendete.

Daala war mit einem Satz auf den Beinen. Das hier sah Dorvan überhaupt nicht ähnlich, und das hatte nichts Gutes zu bedeuten.

In hellbraune Trainingskleidung und einen blauen Mantel gekleidet, betrat Daala den Kommunikationsraum, in dem sie einen Tag zuvor mit Niathal gesprochen hatte. Der Aufnahmebereich zeigte bereits die Echtzeit-Übertragung von Mon Calamari. Nach zwei Schritten begriff sie, was sie da gerade sah. Ihr Tempo wurde langsamer, als sie sich dem wabernden dreidimensionalen Bild näherte.

Elyas Caran, ein schlanker, eleganter Mann, der perlgrau-blaue Kleidung trug, die wie eine militärische Paradeuniform geschnitten war, besaß graziöse, von den Falten seiner mittleren Jahre zerknitterte Gesichtszüge und einen Schopf pechschwarzen Haars, das ihn wie einen wesentlich jüngeren Mann wirken ließ. Daala wusste, dass er sein Haar färbte. Sie wusste allerdings nicht, ob er das aus Eitelkeit oder aus einem diplomatischen Drang heraus tat, um Vitalität auszustrahlen.

Caran stand im Vordergrund des Übertragungsbildes.

Der Hintergrund wurde von einem Wassertank beherrscht, drei Meter hoch. Die vom Boden bis zur Decke reichende Transparistahloberfläche war gewölbt. Das Wasser im Innern war von einem schönen Grünblau.

In der Mitte des Tanks war Cha Niathal. Sie trug ihre Admiralsuniform. Ihre Augen waren offen und starr. Sie war nicht vollkommen reglos – kleine, unsichtbare Wirbel im Wasser zupften an ihrer Uniform, sorgten dafür, dass sich ihre Arme und Beine ganz langsam wiegten. Die Haut von Niathals Gesicht und Händen hatte eine seltsame Färbung, rötlicher als am Vortag, und Daala fragte sich verwirrt, ob die Farbkorrektur des Hyperkoms richtig eingestellt war.

Niathal war offensichtlich tot. Daala verspürte einen plötzlichen Schmerz, als hätte sie einen scharfen Brocken verschluckt, der sich auf halbem Wege ihren Hals hinunter verkeilt hatte.

Caran nahm einen tiefen Atemzug, wie um sich für die schlechten Neuigkeiten zu wappnen, die er überbrachte. »Es ist irgendwann heute Morgen passiert. Als ich eintraf, kam ihr Assistent herein, um ihr zu sagen, dass ich da bin … und hat sie in diesem Zustand gefunden.« Er wies zur Oberseite des Tanks, auf etwas, das auf dem Bild der Holokamera nicht zu sehen war. »Allem Anschein nach hat sie eine Gasleitung in ihren Tank gelegt. Kohlenmonoxid. Eine schmerzlose Methode.«

»Hat sie … Hat sie irgendeinen Hinweis darauf hinterlassen, warum sie es getan hat?« Doch Daala kannte den Grund dafür. Sie wusste, warum sie selbst vermutlich genau dasselbe getan hätte, wäre sie an Niathals Stelle gewesen. Jedes langwierige Gerichtsverfahren würde ihrer Sippe ebenso schaden wie der Flotte. Dennoch musste Daala wissen, ob Niathal eine Abschiedsbotschaft hinterlassen hatte, die dann sozusagen ihr Vermächtnis darstellte.

Caran schenkte Daala ein Lächeln, in dem sich Mitgefühl und Trauer vereinten. »Sie hat eine Notiz hinterlassen.«

»Bitte lesen Sie sie vor!«

Der Diplomat holte weder ein Datapad noch ein Blatt Flimsi hervor, er zitierte sie aus dem Gedächtnis. »›Dies geschah in Würde, ganz bewusst und meinem freien Willen folgend. Niathal Ende.‹« Er schaute zu Boden, ein Augenblick der Besinnung.

Die nüchterne Schlichtheit dieser Worte schien den Brocken in Daalas Kehle noch größer und scharfkantiger werden zu lassen. Sie ignorierte den stechenden Schmerz. Fürs Erste.

Caran suchte wieder ihren Blick. »Was sollen wir … tun?«

»Bringen Sie sie her! Zeigen wir denen, die ihr Blut gefordert haben, dass sie ihren Willen bekommen haben.« Dann, sagte sie sich, werden wir sehen, wer ihren Tod betrauert und wer darüber frohlockt, damit wir unsere Feinde besser kennenlernen. »Anschließend überführen wir sie wieder nach Mon Calamari für ein Begräbnis mit allen militärischen Ehren.«

»Ich werde alles veranlassen.«

Das Bild waberte stärker und verschwand dann.

Aufgewühlt, aber nicht gewillt, dass irgendjemand diesen Umstand bemerkte, wirbelte Daala auf dem Absatz herum und marschierte aus dem Kommunikationszentrum, ohne mit irgendeinem der Anwesenden Blickkontakt aufzunehmen. Sobald sie draußen im Korridor war, konnte sie die Tränen jedoch nicht mehr gänzlich zurückhalten. Mit einer beiläufigen Geste wischte sie sie sich aus den Augen und eilte mit steifem Rücken und regloser Miene zu ihren Gemächern zurück.