9. Kapitel
QUARTIER DER STAATSCHEFIN, CORUSCANT
Mit der Gabel schob Daala einige Bissen Essen auf dem Teller herum, während sie ihren Koch im Stillen verfluchte. Der Mann war ein so guter Privatkoch, wie jeder Regierungsführer ihn brauchte, doch seine Wahl von Meeresfrüchten für die heutige Mahlzeit war eine groteske Erinnerung an Admiralin Niathals Selbstmord. Daala nahm sich einen Moment Zeit, um sich zu beruhigen und sich ins Gedächtnis zu rufen, dass ihr Koch nicht in Regierungsgeheimisse eingeweiht war und nichts von der Hyperkom-Übertragung wissen konnte, die Daala gesehen hatte und in der Niathals Leichnam so prominent zur Schau gestellt worden war.
Sie stieß den Teller von sich und warf ihrem Tischgenossen einen entschuldigenden Blick zu. »Verzeihen Sie mir, ich bin heute Abend keine allzu gute Gesellschaft.«
Nek Bwua’tu, Leiter der Flottenoperationen für die Galaktische Allianz, ein graufelliger Bothaner, schenkte ihr im Gegenzug ein wölfisches Lächeln. »Die Staatschefin braucht sich nicht dafür zu entschuldigen, dass ihre Gedanken aufgewühlt sind. Vielmehr wäre ich argwöhnisch und besorgt, wenn ihr Gewissen so rein wäre wie das eines Welpen.«
»Können wir übers Geschäft reden?«
»Ja. Insbesondere, wenn Ihnen das hilft.«
»Haben Sie in letzter Zeit irgendwelche – ich bin mir nicht sicher, wie ich es nennen soll – Gerüchte unter dem Flottenpersonal gehört, die andeuten, dass ich Staatsfeinden gegenüber nicht unerbittlich genug bin?«
Bwua’tu, den die Ähnlichkeit zwischen dem Essen und einem jüngsten Gesprächsthema offensichtlich nicht störte – oder vielleicht blieb sie ihm auch einfach bloß verborgen –, spießte mit den Zinken seiner Gabel einen gut durchgebratenen Kopffüßler auf, schob ihn sich in den Mund und kaute, während er seine Antwort erwog. »Ja«, erklärte er ihr schließlich, »in den letzten paar Monaten hat das Gemurmel zugenommen. Besonders über die Jedi. Über Colonel Solo, über Pellaeons Mörderin, und in letzter Zeit über die verrückten Jedi.«
»Und was denken Sie?«
»Ich denke, dass eine gewisse Gruppe, die spezielle Interessen verfolgt, diese Flammen am Brennen hält. Ich bin ebenfalls dafür, dass die Jedi unter Kontrolle gebracht werden, das wissen Sie, aber ich glaube nicht, dass sie so weit vom Kurs ab sind, wie die Querulanten behaupten. Ich denke, letztlich sind die Jedi eine nutzbringende Streitmacht, die im Grunde ihres Herzens die Interessen der Allianz vertritt.«
»Aber was auch immer der Grund für das Gerede ist – wenn es weiterhin zunimmt, könnte es die Leistungsfähigkeit dieser Regierung beschädigen.«
»Schon möglich.«
»Niathals Tod war eine Tragödie. Aber pragmatisch betrachtet, wird uns damit die
Möglichkeit geraubt, den öffentlichen Druck loszuwerden, wie es bei einem Prozess gegen sie – und dem schließlichen Freispruch – der Fall gewesen wäre. Jetzt muss ich einige sehr offensichtliche Schritte unternehmen, um das zu erreichen … um die Querulanten zu besänftigen.«
Bwua’tu bedachte sie mit einem neutralen Grunzen.
»Denken Sie nicht?«
»Ich habe nicht den Grips, der nötig ist, um eine große, größtenteils zivile Regierung zu leiten und gleichzeitig verschiedene Abteilungen der bewaffneten Streitkräfte zu befehligen, so wie Sie es tun. So wie Sie es gelernt haben, seit Sie Staatschefin wurden. Wenn mir Gerüchte zu Ohren kommen, neige ich dazu, den Leuten zu sagen, sie sollen die Klappe halten und ihre Arbeit machen.
Ziehen Sie einen Schlag gegen die Jedi in Betracht?«
Daala musste einiges von ihrer beträchtlichen Selbstbeherrschung aufbringen, um zu verhindern, dass sie zusammenzuckte. Wieder schien Bwua’tu einen Blick in ihre Gedanken geworfen zu haben. Gewiss, er war ein meisterhafter Militärstratege, ihr in dieser Hinsicht überlegen, aber dennoch war es beunruhigend. »Ja.«
»Davon würde ich Ihnen abraten.«
»Warum?«
»Weil ich glaube, dass es ein Risiko ist, sie sich zum Feind zu machen, so wie Colonel Solo es getan hat. Wir wollen doch, dass die Jedi zu einer gut integrierten Allianz-Ressource werden. Zu viel Druck, zu viele offenkundige Manöver gegen sie – all das birgt die Gefahr, sie in ein vollkommen unkooperatives Element zu verwandeln.«
»Diesen Rat würden Sie in Bezug auf eine, sagen wir, militärische Eliteeinheit wohl kaum geben.«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, würde ich nicht. Aber andererseits besitzen Kommandosoldaten für gewöhnlich auch keine Superkräfte oder eine Tradition, die bis zu den Anfängen der Alten Republik zurückreicht.«
»Aber die Zivilbevölkerung sollte diese Kommandosoldaten bewundern und achten. Mehr als sie das bei den Jedi tun.« Sie runzelte nachdenklich die Stirn.
Bwua’tu grinste wieder. »Sie haben vor, die Mandos einzusetzen, nicht wahr? Um sie den Jedi auf den Hals zu hetzen!«
Daalas Stimme wurde scharf, als wäre Bwua’tus »Gedankenlesen« darauf ausgelegt gewesen, ihre Gefühle zu verletzen. »Jetzt lassen Sie den Quatsch!«
»Wie Sie wünschen.«
Schließlich lächelte sie ihn an. »Verzeihen Sie, ich bin bloß empfindlich. Bleiben Sie heute über Nacht?«
»Falls die Einladung noch gilt.«
»Das wissen Sie doch.«
JEDI-TEMPEL, CORUSCANT
Kyp Durron eilte in die Ratskammer der Meister. Er bewegte sich so schnell, dass sein Gewand an der Vorderseite aufklaffte und einem Umhang gleich um seine Füße wirbelte. Er hasste es nicht, sich zu verspäten, aber er hasste Leute, die glaubten, er sei faul. In solchen Momenten war Tempo angesagt.
Als er die Kammer betrat und sich seinen Weg zu dem ihm zugewiesenen Sessel bahnte, sah er, dass ein Hologramm von Jaden Korr, eine Echtzeit-Hyperkom-Übertragung, im Begriff war, das Wort an die Versammlung zu richten. Korr, ein Mensch von Coruscant und einstmaliger Schüler von Kyle Katarn, war für Kyps Geschmack viel zu ernst, auch wenn er als Jedi-Ritter eine lange und beeindruckende Laufbahn vorzuweisen hatte.
Korr sagte gerade: »… die Beweise sind zwar nicht überwältigend, aber es werden immer mehr, und sie weisen weiterhin auf ein Wiederaufleben der Schwarzen Sonne hin. Und das Ganze ist mit seltsamen Elementen behaftet, wie etwa Gekritzel, das sich auf Müll findet, der von gekaperten Schiffen abgeworfen wurde – Schmierereien, die auf die Existenz von einer Art Kult hindeuten, … der Xizor verehrt.«
Das zog einiges Gemurmel von den versammelten Jedi nach sich. Prinz Xizor, ein
Angehöriger der Spezies der Falleen und vierzig Jahre zuvor der Kopf des Verbrechersyndikats Schwarze Sonne, war schon lange tot … oder wurde zumindest schon seit Langem für tot gehalten.
Meister Kenth Hamner stellte die Frage, die jedem in den Sinn gekommen war. »Besteht irgendeine Möglichkeit, dass Prinz Xizor noch lebt?«
Korrs Hologramm zuckte die Schultern. »Ich habe keinerlei Beweise dafür gesehen. Null Beweise. Aber falls irgendein Teil von ihm überlebt hat und irgendwelche Schwarze-Sonne-Kultisten Zugriff auf eine Klonkammer haben …«
»Ja, ja.« Meister Hamner schien von der Theorie unbeeindruckt zu sein. »Natürlich sollten wir dem nachgehen. Habt Ihr alle Mittel, die Ihr dazu benötigt?«
»Fürs Erste.«
»Sehr gut. Vielen Dank, Jedi Korr. Tempel Ende.«
Korrs Bild waberte und verschwand.
Hamner wandte sich wieder der Hauptgruppe der Jedi zu, und sein Blick fiel auf einen im Besonderen. »Jedi Saar. Habt Ihr einen Bericht über Eure laufenden Ermittlungen für uns?«
»Den habe ich.« Sothais Saar, der Mann, der auf Hamners Aufforderung hin vortrat, war ein Chev – vom Äußeren her menschlich wirkend, aber ein Albino. Für einen Chev war er großgewachsen, mit blauen Augen, die man bei seiner Spezies für gewöhnlich nicht fand. Seine ausgeprägte Stirn wiederum war für seine Art charakteristisch. Sein kurzgeschnittenes Haar war oben schwarz, wurde nach unten hin jedoch gleichmäßig heller, sodass es an den Schläfen und hinten im Nacken hellbraun war. Er trug dunkle Gewänder, die im Gegensatz zum meist eher konservativen Geschmack der Jedi modisch geschnitten waren, und als er vor die Sessel trat, um Hamner anzusehen, hakte er die Daumen in seinen Gürtel, wie ein Hinterwäldler-Advokat, der gewillt ist, einen Fall vor einem Geschworenengericht zu verhandeln. »In den vergangenen Monaten bestand meine Aufgabe unter anderem darin, einen umfassenden Bericht darüber zu erstellen, wie Sklaverei in der Galaxis praktiziert wird, sowohl offiziell in Regionen, die von der Galaktischen Allianz nicht kontrolliert werden, wie auch inoffiziell in bestimmten weniger regulierten Regionen der GA – einen so umfassenden Bericht, wie die Umstände es erlauben.« Er sprach mit dem Tonfall eines Anwalts oder eines geborenen Politikers.
»Ich möchte diese Versammlung nicht mit dem Herunterbeten von Zahlen langweilen, doch ich werde einige Entwicklungen zur Sprache bringen. In gewissen Regionen, wie etwa dem von Hutts kontrollierten Raum, geht die Versklavung intelligenter Spezies unvermindert weiter. Und während der Jedi-Orden seine Bestimmung als Streitmacht, die sowohl der Alten Republik als auch ihren Nachfolgern zugutekam, in den letzten Jahren zunehmend anerkannt hat, sind unsere Bemühungen, der Sklaverei außerhalb der Galaktischen Allianz Einhalt zu gebieten, zahlen- und wirkungsmäßig zurückgegangen. Während wir uns mit der GA-Regierung über Angelegenheiten streiten, die uns von GA-Quellen außerhalb der Grenzen der GA zugetragen wurden, sehen sich Sklavenvölker, die den Jedi-Orden einst für ihre letzte Hoffnung hielten, jetzt zunehmend mit der enttäuschenden Erkenntnis konfrontiert, dass sie ihrem eigenen Schicksal überlassen werden …«
Kyp blendete ihn aus. Kyp war weit davon entfernt, dem Anliegen des jungen Jedi
gleichgültig gegenüberzustehen. Jahrzehnte zuvor war er selbst ein Sklavenarbeiter gewesen, in den Minen von Kessel. Es wäre ihm eine Freude gewesen, überall einfach hinzugehen und Sklavenhaltern zu zeigen, was »aggressive Verhandlungen« waren. Er hatte bloß kein großes Interesse daran, sich Gerede anzuhören, bei dem es offensichtlich weniger darum ging, die Jedi zu informieren, als vielmehr darum, Kenth Hamner zu verärgern, der den Orden in dieser politisch konservativen Zeit leitete.
Kyp spürte, wie sich jemand auf ihn zubewegte. Er schaute auf und sah, wie sich Jaina gegen die Rückenlehne seines Sessels lehnte.
Sie dämpfte ihre Stimme zu einem Flüstern. »Xizor, hm? Woran liegt es, dass tote Feinde nie damit zufrieden sind, tot zu bleiben?«
Kyp zuckte die Schultern. »Ich werde mal Exar Kun danach fragen, wenn wir das nächste Mal zusammen aus sind, um einen zu trinken.«
»Scherzkeks.«
»… der gesamte Text meines Berichts mit dem Titel Eine Erhebung über andauernde Sklavereipraktiken in den Nachwehen des Zweiten Galaktischen Bürgerkriegs ist im Tempel-Archiv verfügbar. Hierbei handelt es sich um die einfache Version. Die kommentierte und mit Querverweisen versehene Fassung wird in etwa drei Wochen verfügbar sein.«
Hamners Stimme klang unaussprechlich müde. »Habt Dank, Jedi Saar, für Eure außerordentlichen Bemühungen in dieser Angelegenheit. Wir empfehlen natürlich jedem, sich Euren Bericht zu beschaffen und sich damit vertraut zu machen.« Er warf einen weiteren Blick in die Runde, entdeckte Kyp und richtete sich abrupt auf. »Damit wäre der öffentliche Teil dieses Treffens beendet. Der weitere Verlauf dieser Zusammenkunft ist auf Meister und jene beschränkt, die gebeten wurden, hier zu verweilen.«
Die Jedi-Ritter und -Schüler, die nicht zu den Eingeladenen gehörten, erhoben sich wie ein Mann und strömten aus der Kammer. Jaina blieb, wo sie war.
Meister Hamner wartete, bis die Letzten derer, die die Kammer verließen, die Tür hinter sich gelassen hatten. Dann drückte er einen Knopf auf der Armlehne, und die Tür glitt zu und verriegelte sich. »Meister Durron, Bereitschaftsstatus?«
Kyp räusperte sich. »Unsere StealthX-Staffeln verfügen gegenwärtig über zweiundsiebzig Prozent Einsatzbereitschaft. Aktuellen Schätzungen zufolge sind wir in zwei Tagen bei einundneunzig Prozent, was wahrscheinlich das Maximum sein wird. Um eine bessere Quote voll einsatzfähiger Einheiten zu erreichen, müssten wir unsere Credits auf eine Art und Weise ausgeben, dass es der Regierung und der Presse mit Sicherheit nicht verborgen bliebe.«
»Diese hier sagt, wir brechen jetzt auf. Sollen die anderen Prozente in zwei Tagen zu unz stoßen.«
Meister Hamner sah aus, als würde er eine gequälte Reaktion unterdrücken. »Habt Dank, Meisterin Sebatyne. Und wohin sollen wir aufbrechen? Zum Schlund? Wir wissen nicht, wo sich diese neuen Sith aufhalten.«
Saba Sebatyne wirkte nicht im Mindesten eingeschüchtert. Die reptilische Jedi-Meisterin stand rastlos da. »Wir starten und begeben unz zu einer Sammelzone, wo die Regierung unz nicht in die Quere kommen kann. Wo sie unz nicht orten und verfolgen können. Lasst unz untertauchen, verschwinden … und zwar sofort! «
»In zwei Tagen haben wir den Kontakt zu Ben Skywalker oder den Solos vielleicht wieder hergestellt. Dann wissen wir womöglich wesentlich mehr als jetzt. Wir warten!« Der martialische Befehlston in Hamners Stimme war nicht zu überhören. »Wir werden auch weiterhin so vorgehen wie bisher: Die meisten Meister werden sich vom Tempel fernhalten, abgesehen von diesen Treffen, um den Eindruck zu vermeiden, dass wir irgendetwas im Schilde führen. Meisterin Ramis, verläuft die Rotation unserer erfahrensten Jedi-Piloten zurück nach Coruscant weiterhin so wie geplant?«
Octa Ramis nickte bloß.
»Und in den Archiven gibt es immer noch keine Hinweise auf diesen bislang unbekannten Zweig der Sith?«
Das sorgte dafür, dass mehrere der Anwesenden den Kopf schüttelten. Hamner seufzte.
»Nun gut. Machen wir uns wieder an die Arbeit. Vielen Dank, Euch allen.« Er drückte wieder den Knopf auf seiner Armlehne, und die Kammertür ging auf.
Kyp suchte Jainas Blick, bevor er sich auf den Weg zum Ausgang machte. »Bleib in der Nähe des Tempels! Wenn wir aufbrechen, will ich, dass du in einem StealthX sitzt.«
»Keine Sorge!«
NAHE DES ROTKIEMENSEES, DATHOMIR
Ben erwachte früh, vor Einbruch der Morgendämmerung. Viel geschlafen hatte er nicht. Er war lange zusammen mit seinem Vater aufgeblieben, um an ihren jeweiligen Lichtschwertern zu arbeiten, wofür sie mit zwei voll funktionsfähigen Waffen belohnt worden waren, bevor sie sich kurz nach Mitternacht zur Ruhe gelegt hatten.
Ben hätte noch länger liegen bleiben können, doch sein Schlaf war unruhig. Er richtete sich an seiner Schlafstelle auf, ein paar Meter vom Lagerfeuer der Außenweltler entfernt, schlang die Decke um sich und bemühte sich, so losgelöst und reflektiert zu denken, wie ein Jedi es tun sollte, in der Hoffnung, seine Bedenken zu zerstreuen.
Als Darth Caedus, sein eigener Cousin Jacen Solo, gestorben war, um Jacens Sith-Mentorin Lumiya nachzufolgen, und als seine Sith-Schülerin Tahiri Veila keine Anzeichen dafür gezeigt hatte, dass sie den Traditionen der Sith zu folgen gedachte, hatte Ben gehofft, es würde bedeuten, dass die Sith endlich auf Nimmerwiedersehen verschwunden waren. Oh, natürlich hatte es Hinweise auf das Gegenteil gegeben: die fortwährende Existenz von Schiff, der Sith-Meditationssphäre, die er selbst einst befehligt hatte, Gerüchte über verbliebene, im Sterben begriffene Sith-Gemeinschaften irgendwo draußen in der Galaxis. Doch die konnte er ignorieren. Die standen nicht direkt vor ihm und schwenkten Lichtschwerter.
Das hatte sich mit der Ankunft des Sith-Angriffstrupps im Schlund geändert. Die meisten der Sith, gegen die Ben und Luke gekämpft hatten, hatten ungefähr dieselbe Ausbildungsstufe wie erfahrene Jedi-Ritter besessen. Luke hatte Vestara Khais Begleiterin dahingehend beschrieben, dass sie sich ungefähr auf demselben Niveau befand wie ein Jedi-Meister. Ben glaubte nicht, dass sie das Glück hatten, darauf hoffen zu können, dass es sich bei diesem Angriffsteam um die letzten Abgesandten dieses neuen Sith-Ordens gehandelt hatte.
Es gab also wieder Sith, und ein Teil von ihm – der jüngere Ben, der von Darth Caedus gefoltert und beinahe umgedreht worden war – hatte immer noch ein bisschen Angst vor ihnen.
Der Tod machte ihm keine Angst. Aber wie Jacen Solo zu werden … das war eine andere Sache.
Einige Meter entfernt setzte Luke sich auf, vollkommen wach, abgeklärt. »Deine Gefühle verraten dich.«
Ben warf ihm einen finsteren Blick zu. » Deine Gefühle wandern herum, ziehen Leuten die Bettdecke weg und stecken jedermanns Hände in Schüsseln mit warmem Wasser.«
Luke grinste. »Würdest du bitte aufhören, solche Dinge zu sagen?«
»Tut mir leid. Ich bin es einfach langsam leid, immer dieselben alten Sprüche zu hören, auf immer dieselbe Art und Weise, jahrein, jahraus. Ich glaube, das ist der Grund, warum Meister Yoda sein Basic für die Archivaufzeichnungen so durcheinandergewürfelt hat. Nach neunhundert Jahren war er es überdrüssig, dieselben alten Dinge auf dieselbe alte Weise zu hören. Wenn man dieselben klischeehaften Phrasen lange genug benutzt, hören die Leute irgendwann auf, die Botschaft wahrzunehmen, die darin steckt, verstehst du?«
Luke blinzelte nachdenklich. »Vielleicht hast du recht.«
»Also, Dad, wie sieht unser Plan für heute Morgen aus?«
Luke stand auf und streifte seine Decke ab. »Frühstück machen.«
»Nicht unbedingt das Werk von strategischer Brillanz, auf das ich gehofft hatte.«
Wieder grinste Luke. »Nein, aber wenn wir nichts essen, werde ich später am Tage nicht zu sonderlich viel strategischer Brillanz fähig sein.« Er marschierte in Richtung der Vorräte.
Als die Sonne von Dathomir aufging, begann man im Lager mit den Vorbereitungen für die Aktivitäten des Tages. Gruppen von Männern und Gruppen von Frauen, selten gemischt, zogen in die grasbewachsenen Felder rings um den See hinaus, um Markierungspfosten in den Boden zu hämmern, das Gras auf den Rennstrecken zu plätten, Zielscheiben aufzustellen und kräftige grün-gelbe Eidechsen in Käfige zu sperren.
Firen Nuln, die Rancortrainerin der Herabregnenden Blätter, kam, um sich an ihrem Lagerfeuer zu den Außenweltlern zu gesellen – vielleicht, weil sie eine Wette verloren hatte oder aus irgendeinem anderen Grund eine bescheidene Strafe verdiente. »Ich bin hier, um eure Fragen zu beantworten. Falls ihr welche habt.« Ihr Tonfall war desinteressiert. Zweifellos war dies hier eine Pflicht, an der sie keinen Gefallen fand.
Ben wechselte einen Blick mit Han und zuckte die Schultern. »Sicher. Ähm, was für Arten von Wettkämpfen stehen auf dem Programm?«
»Viele. Wettläufe, Echsenrennen, Rancorrennen, Düsenschlittenrennen für die, die welche haben, Schießwettbewerbe mit Pistole und Gewehr, Zielgenauigkeit mit dem Speer, Ringen, Rudern, Schwimmen, Rätselfragen …«
»Rätselfragen?« Ben konnte nicht verhindern, dass sich Überraschung und sogar ein bisschen Hohn in seine Stimme schlichen. »Ihr habt einen Wettstreit, bei dem es um das Vortragen von Rätselfragen geht?«
Firen nickte. »Natürlich.«
Ben streckte beide Hände aus, ungefähr dreißig Zentimeter auseinander. »Was ist so groß, wiegt vierzig Kilo und frisst Leute?«
Dyon, der am Frachtgleiter lehnte und die Vorbereitungen auf den Feldern verfolgte, schüttelte den Kopf, ohne sich umzudrehen. »So funktioniert das hier nicht. Unter den Dathomiri und unter den meisten Völkern mit einer Tradition für mündliche Überlieferungen haben diese Rätsel eine ganz andere Form. Deins würde in etwa so gehen: ›Ich bin kürzer als die Armlänge eines Mannes. Und dennoch würde mein Gewicht einen erwachsenen Mann taumeln lassen, sollte er mich einen vollen Tag lang tragen. Und wenn dieser Tag vorüber ist, ist es ein erwachsener Mann, den ich zum Abendessen verschlinge.‹«
»Da steckt eine Menge mehr hinter, als bei der Art und Weise, wie ich es gesagt habe.«
Firen nickte. »Bei uns ist es würdevoller. Weniger wie ein Kinderspiel, wenn es so formuliert wird, wie Dyon es getan hat.« Sie wirkte ruhelos, unbehaglich. Schließlich fügte sie hinzu: »Was ist denn so lang, wiegt vierzig Kilo und frisst Leute?«
Ben warf ihr einen unschuldigen Blick zu. »Ein Ewok in einer Brotdose.«
Han prustete.
Dyon drehte sich zur Seite und warf Ben einen verzweifelten Blick zu. »Weißt du, das ist nicht komisch, weil es keinen lokalen Kontext gibt. Auf Dathomir gibt es keine Ewoks – und auch keine Brotdosen, außer am Raumhafen.«
»Man könnte es ja anpassen.« Firen runzelte die Stirn und dachte darüber nach. »Vielleicht eine Kolef-Echse in einem Weinschlauch?«
»Mach dich locker, Dyon!« Han streckte sich. Seine Gelenke knackten. »Das war lustig.«
Dyon schüttelte den Kopf. »Mit dieser Einstellung werdet ihr keinen dieser Wettkämpfe gewinnen.«
Han schaute verwirrt drein. »Gewinnen? Wir nehmen überhaupt nicht daran teil!«
»Um genau zu sein, doch«, erwiderte Firen. »Ihr müsst teilnehmen – jedenfalls die Erwachsenen unter euch –, wenn ihr weiterhin den Respekt der Clan-Mitglieder genießen wollt.«
Langsam breitete sich ein Grinsen über Hans Gesicht aus. »Tja, nun, das ist natürlich was anderes!«
Firen nickte. »Natürlich müsst ihr zunächst erklären, in welcher der Klassen ihr antreten wollt.«
»Bei den Männern und den Frauen, nehme ich an.« Leia, die die oberste Lage ihrer Jedi-Robe richtete, klang allenfalls gelinde interessiert, doch Ben ließ sich nicht täuschen.
»Nein.« Firen schüttelte den Kopf. »Männer und Frauen treten gegeneinander an. Die Klassen unterteilen sich in die, die die Künste beherrschen, und die, die die Künste nicht beherrschen.«
»Machtnutzer und Nicht-Machtnutzer?« Ben ließ den Blick erneut über das Feld schweifen.
Gewiss, dort, wo sich die Wettkampfteilnehmer versammelten, bestand jede Gruppe aus Männern und Frauen, wobei allerdings mal das eine, dann das andere Geschlecht zu überwiegen schien, anstatt dass es eine ausgeglichene Mischung gab. Er vermutete, dass die Gruppen, zu denen mehr Frauen gehörten, die Machtnutzer waren, und die mit mehr Männern die Nicht-Nutzer.
»Wenn du es so ausdrückst, ja. Wir müssen es so machen, da bei Wettkämpfen zwischen denen, die die Künste beherrschen, und denen, die das nicht tun, die mit den Künsten fast immer gewinnen.« Firen vollführte eine Geste, nicht zu den Feldern, sondern in Richtung eines freien Fleckens Uferstrand, wo Holz für ein großes Feuer aufgestapelt wurde. »Dort werden die Rätselfragen und andere Wettkämpfe stattfinden, die zu den wenigen gehören, bei denen die mit den Künsten und die ohne Künste gegeneinander antreten können.«
»Das wirkt alles sehr gut durchdacht.« Luke, der im Schneidersitz auf der Haube des Gleiters saß, führte einige letzte Korrekturen am Heft seines Lichtschwerts durch. »Ich nehme an, es würde besonders viel Gerede geben, wenn ich nicht teilnehme?«
»Oh ja.« Firen klang fest davon überzeugt. »Dann werden sich alle fragen, ob Ihr alt geworden seid oder ob Ihr bloß unsere Traditionen missachtet.«
»Schätze, dann sollte ich lieber teilnehmen, damit alle wissen, dass weder das eine noch das andere der Fall ist.« Luke warf seinem Schwager einen Blick zu. »Das gilt auch für dich, Han.«
»Aber ich bin alt.«
Leia lachte. »Genau. Du meinst wohl eher faul.«
Han sah Firen hilfesuchend an. »Sag mir, dass es einen Weinverkostungswettstreit gibt!«
»Nein.«
»Navigationsprobleme lösen?«
»Nein.«
»Sprüche klopfen?«
Firen seufzte. Sie wandte sich ab und marschierte zurück in Richtung des Lagerplatzes der Herabregnenden Blätter.
Als der Aufruf für den ersten Wettstreit des Morgens ertönte – das Kurzstreckenrennen für jene, die die Künste beherrschten –, ging Luke los, um sich den Wettkämpfern anzuschließen, und die meisten der Außenweltler begleiteten ihn, um ihn anzufeuern.
Ben nicht. Er verweilte im Schatten des Frachtgleiters und hantierte mit Gegenständen herum, die er in der ersten Stunde, als das Lager allmählich erwacht war, eingetauscht oder sich geliehen hatte.
Ein grüner Umhang der Zerbrochenen Säulen, der den Temperaturen in diesen höheren Berglagen angemessen war, breitete sich über seine schwarzen Kleider, und eine braune Kapuze verbarg sein allzu offensichtliches rotes Haar. Er schob den Clip für sein Lichtschwert hinten an den Gürtel und platzierte dort, wo die Waffe normalerweise hing, ein großes, in einer Scheide steckendes Messer, das er sich von Carrack geborgt hatte. Jetzt würde zwar immer noch jeder, der ihn ansah, innerhalb weniger Sekunden zum Schluss gelangen, dass er weder zu den Herabregnenden Blättern noch zu den Zerbrochenen Säulen gehörte, doch zumindest war er nicht augenblicklich als Außenweltler oder Jedi zu erkennen.
Während er seine Stegreiftarnung anlegte, warf er gelegentlich einen Blick auf das Sportfeld, besonders auf die Menge rings um die Wettkämpfer. Olianne war dort, und so, wie Ben und sein Vater bereits gemutmaßt hatten, behielt sie die Außenweltler sorgsam im Auge.
Vestara war in Oliannes Nähe, aber nicht immer. Sie trieb sich an den Rändern der Menge herum. Ben stand auf und bewegte sich so ungezwungen, wie er konnte, auf das Rennpublikum zu.
Während er dort hinspazierte, verkündete eine Frau von den Herabregnenden Blättern lautstark die Spielregeln. Alle Wettkämpfer mussten die gesamte Länge des Feldes ablaufen, einen Markierungspfosten umrunden, den Pfosten links von sich halten und zur Startlinie zurückkehren.
Anschließend wurde das Langstreckenrennen gelaufen, acht Runden. Dann würden die beiden Rennen von jenen, die die Künste nicht beherrschten, wiederholt werden.
Als das Erklären der Regeln zu Ende war, fand Ben sich am Ende eines Gewühls von Zuschauern wieder. Drei Meter vor ihm, vorne in der Menge, war Vestara. Olianne stand ein Dutzend Meter rechts von Vestara, durch Zuschauer von ihr getrennt.
Ein in den Himmel abgefeuerter Blaster gab den Startschuss für das Rennen. Ben sah, wie sein Vater und drei andere – zwei Dathomiri-Frauen und ein Mann – frühzeitig die Führung übernahmen. Luke setzte sich nicht an die Spitze; die Ausbilderin der Späher der Herabregnenden Blätter, Halliava Vurse, war vor ihm. Ben bezweifelte, dass das so bleiben würde. Fraglos zügelte Luke, der ewige Stratege, bewusst sein Tempo.
Vestara zog sich einige Schritte in die Menge zurück, was sie direkt vor Ben führte, dann wandte sie sich ihm zu. Sie zeigte keine Überraschung darüber, ihn hier zu sehen. »Guten Morgen.«
»Wenn du das sagst.«
»Findest du nicht, dass es so ist?«
Er blickte finster drein. »Ob der Morgen gut ist oder nicht, ist nicht von Bedeutung.«
»Das ist immer von Bedeutung. Wird dein Morgen schlechter, wenn dein Vater verliert?«
»Er wird nicht verlieren.«
Über Vestaras Schulter hinweg sah Ben, wie die Rennteilnehmer zur Startlinie zurückkehrten. Luke nutzte zweifellos die Macht und machte Boden gut – doch das tat Halliava auch. Die Dathomiri blieb gute zwei Meter vor Luke und überquerte die Ziellinie als Erstes. Das Publikum brach in Jubel aus.
Vestara lächelte. »Also. Besser? Schlimmer?«
»Genau wie vorher.« Ben bemühte sich, nichts von der Verärgerung zu zeigen, die er empfand. »Ich bin nicht hier, um mir die Rennen anzusehen. Ich bin hier, um mit dir zu reden …«
»… ohne dass meine Adoptivmutter es sieht …«
»… über deinen Haufen Lügen von gestern Abend.«
»Oh. Was hast du davon gehalten?«
»Dann gibst du also zu, dass du uns angelogen hast – und Olianne?«
»Aber mit Freuden. Komm schon, lass uns das Langstreckenrennen anschauen!« Sie drehte sich um und ging zurück zur Vorderseite der Menge.
Obwohl Ben sich dabei unbehaglich fühlte, folgte er ihr und drängte sich vorne neben sie.
»Was machst du in Wahrheit hier?«
»Warte, warte, warte!« Vestara warf Ben einen spöttischen Blick zu. »Du hast mir noch nicht gesagt, welche meiner Aussagen Lügen waren.«
»Jede einzelne.«
»Nein. Erstens: mein Name. Vestara Khai. Eine Lüge?«
»Ich weiß es nicht. Und es ist mir auch egal. Falls Vestara nicht dein richtiger Name ist, genügt er zumindest, um dich zu kennzeichnen. Jedes Mal, wenn ich ›Vestara‹ sage, wird mein Vater wissen, wen ich meine.«
Sie nickte. »Das ist ein gutes Argument. Und du bist meiner Frage damit ziemlich geschickt ausgewichen. Also, was war meine nächste Lüge?«
Ben dachte an ihre Unterhaltung am Vorabend zurück. »Du hast geleugnet, eine Sith zu sein.«
»Nein, ich sagte, ich wäre eine Sith gewesen, und dass ich jetzt zu den Herabregnenden Blättern gehören würde.«
»Du bist immer noch eine Sith.«
»Von einem bestimmten Standpunkt aus betrachtet vielleicht. Doch nach den Gesetzen der Herabregnenden Blätter bin ich es nicht mehr. Also, keine Lüge. Was noch?«
Die Athleten, die am Langstreckenrennen teilnahmen, gingen in Position. Unter ihnen waren auch Luke und Halliava. Der Blaster ertönte, und sie liefen los. Ihre Geschwindigkeit war kaum weniger extrem als beim Kurzstreckenrennen.
»Du hast gesagt, du würdest nicht über deine Freunde und deine Familie sprechen, weil ihnen das schaden würde.«
»Wieder die Wahrheit. Du hast mit Sicherheit die Absicht, ihnen zu schaden. Also, wo genau ist nun mein Haufen Lügen?«
»Du hast doch gerade zugegeben, dass es ein Haufen Lügen war.«
»Vielleicht habe ich gelogen.«
Ben ertappte sich dabei, mit den Zähnen zu knirschen. Ihre vorlauten Ausflüchte gingen ihm wirklich auf die Nerven. Er fragte sich, was Luke wohl getan hätte, wenn er, Ben, sich ihm gegenüber jemals …
Die Erkenntnis, dass er seinem Vater bei unzähligen Gelegenheiten genau dieselbe Art von Erwiderungen präsentiert hatte, traf Ben wie kaltes Wasser ins Gesicht.
Über den Lärm der jubelnden Zuschauer hinweg hörte er, wie Vestara über ihn lachte.
»Du hast darüber gelogen, wo du abgestürzt bist.« Ben wusste, dass das stimmte. Er legte die Zuversicht, die er verspürte, in seine Stimme.
Sie dachte darüber nach, den Kopf zur Seite geneigt. »Weißt du, ich denke, du hast recht.
Das habe ich tatsächlich.«
»Wo bist du abgestürzt?«
»Oh, dafür bin ich eine zu gute Pilotin. Ich bin in meinem ganzen Leben noch nicht ein einziges Mal abgestürzt.«
»Wieder eine Lüge.«
Sie lachte erneut. Dann streckte sie den Finger aus. »Dein Vater schlägt sich ziemlich gut.«
Sie hatte recht. Wieder führten Luke und Halliava das Feld der Läufer an. Sie waren die Ersten, die die Startlinie erreichten und den Pfosten dort umrundeten. Sie liefen zurück in Richtung des anderen Pfostens, um eine weitere Runde zu beenden.
Vestara wirkte nachdenklich. »Dies ist ein großartiges Volk, Ben. Ich denke, die Meinen könnten viel von ihnen lernen. Würdest du es vorziehen, dass das nicht passiert?«
»Ich würde es vorziehen, dass die Sith überhaupt nichts lernen, außer wie man kein Sith ist.«
»Und was hast du von mir gelernt?«
Er dachte darüber nach. »Die Jedi haben ein Sprichwort. Die Zukunft ist immer in Bewegung. Manchmal wird dieses Sprichwort wegen eines exzentrischen alten Meisters ein bisschen durcheinandergewürfelt. Wie auch immer, was dich betrifft, nehme ich an, dass das Sith-Äquivalent davon lautet: Die Wahrheit ist immer in Bewegung. «
»Interessant. Und wenn ich jetzt sage: Ich hoffe, dein Vater gewinnt. Sage ich dann die Wahrheit, lüge ich, oder verfolge ich damit bloß ein bestimmtes Ziel?«
Ben schüttelte den Kopf und wandte sich ab.