10. Kapitel

Luke gewann dieses Rennen. Er kam einige Meter vor Halliava ins Ziel, die wiederum mehrere Meter vor dem Drittplatzierten die Linie überquerte. Halliava war weniger als halb so alt wie Luke, doch seine Fähigkeit, in konstantem Maße auf die Macht zurückzugreifen, überstieg die ihre bei Weitem, und unter dem Jubel der Zuschauer lief er mit unverminderter Geschwindigkeit über die Ziellinie.

Luke gesellte sich am Rande der Menge zu seinem Sohn und trocknete sich mit einem Tuch aus dem Frachtgleiter ab. Er bedachte seinen Sohn mit einem bedeutungsvollen Blick. »Irgendetwas Neues?«

Ben, der wieder sein übliches Schwarz trug – er wollte nicht, dass sich Olianne oder andere daran gewöhnten, ihn in seiner »Tarnung« zu sehen, wenn er mit seinem Vater zusammen war –, schüttelte den Kopf. »Als Gesprächspartnerin ist sie das Äquivalent eines Echsenaffen mit zu viel Kaf intus. Hier, da, irgendwo, und es ist unmöglich, sie auf irgendetwas festzunageln.«

»Zu schade.«

»Sie hat irgendwas darüber gesagt, dass sie die Dathomiri mag und wünschte, ihr Volk könne von ihnen lernen. Das war eigentlich ganz harmlos … aber irgendwie ist es mir dabei trotzdem kalt den Rücken runtergelaufen.«

Luke schaute sich um. »Das ist gut. Sehr aufmerksam von dir. Und wenn wir herausbekommen können, was sie hier lernen will, können wir vielleicht eine Schwäche ihres Sith-Ordens bestimmen. Was haben die Dathomiri, das den Sith fehlt?«

»Einzigartige Machtfähigkeiten. Interessante Paarungsgewohnheiten.«

Luke konnte ein Lachen nicht unterdrücken.

»Dad, stimmt es, dass Teneniel Djo versucht hat, dich gegen deinen Willen zu heiraten?«

Teneniel Djo, die Mutter von Tenel Ka, war eine Hexe von Dathomir gewesen.

»Wenn heiraten das richtige Wort dafür ist, dann ja. Also pass auf, wen du hier anlächelst.

Ich bin noch nicht bereit, Großvater zu werden. Oder auch nur Schwiegervater.«

»Keine Sorge. Was habe ich hier schon für eine Auswahl? Ein Haufen Frauen, die es gewohnt sind, ihre Männer zu beherrschen, und ein Sith-Mädchen.«

Ben verbrachte seine Zeit im Schatten des Frachtgleiters und benutzte ein Makrofernglas, das er sich von Carrack geliehen hatte, um Vestara hinterherzuspionieren.

Aber, verdammt noch mal, sie tat nichts Verdächtiges.

Sie verfolgte die Wettkämpfe mit Interesse und Enthusiasmus. Sie sprach häufig mit Herabregnenden Blättern, besonders mit Olianne, und nicht selten auch mit Kaminne und Halliava.

Vestara plauderte und applaudierte, so freundlich mit einigen und so frostig mit anderen. Sie bewegte sich mit der Anmut einer Tänzerin, die im Widerspruch zur leichten Unbeholfenheit jeder jungen Frau ihres Alters stand.

Zu Bens zunehmender Verärgerung war sie wie die meisten jugendlichen Mädchen, die er kennengelernt hatte. Nichts an ihr schrie Sith. Sie war nicht von einem Gifthauch des Bösen umgeben, nicht einmal von der Art von Unerbittlichkeit und Entschlossenheit, die Jacen Solo geprägt hatten, als er dunkler geworden war.

Ben wünschte sich sehnlichst, irgendeinen persönlichen Grund zu finden, das Mädchen nicht zu mögen, doch es gab keinen.

Er wurde von einem Wettkampf abgelenkt – von Han Solo, der nach vorne an die Spitze einer Gruppe von Wettkämpfern trat. Mit Verspätung wurde Ben klar, dass es ein Blasterpistolen-Wettstreit für jene war, die die Künste nicht beherrschten. Er hörte die langsamen, rhythmischen Salven gezielter Schüsse jetzt schon seit einer ganzen Weile.

Jetzt stand Han vorne in der Schlange, während in Klammern oben auf zehn Holzpfosten nacheinander kleine Tonteller platziert wurden.

Die Clan-Angehörigen, die die Zielscheiben aufstellten, hatten kaum eine sichere Entfernung zu ihnen erreicht, als Han zog und zu feuern begann. Im Gegensatz zu den vorigen Wettkämpfern schoss er aus der Hüfte. Seine Schüsse kamen so schnell, dass Ben sie kaum voneinander unterscheiden konnte. In weniger als drei Sekunden waren alle zehn Teller zu sich ausbreitenden Wolken aus Ton und Gas zerdeppert. Han grinste, wirbelte seinen Blaster um den Finger und schob ihn ins Halfter zurück.

Ben lächelte ebenfalls. Han war das Risiko eingegangen, dass die Minderung der Zielgenauigkeit, die ein so schnelles Feuern mit sich brachte, durch die Bestürzung, die seine Show bei den anderen Wettkampfteilnehmern auslösen würde, mehr als wettgemacht wurde – zumindest, solange er alle Ziele erwischte.

Und er behielt recht. Ben sah, wie die Gesichter der anderen Schützen in sich zusammenfielen. Viele im Publikum jubelten angesichts dieser prahlerischen Zurschaustellung von Hans Fähigkeiten.

Tasander Dest, der Anführer der Zerbrochenen Säulen, trat vor. Er wirkte nicht im Geringsten entmutigt. Die Organisatoren des Wettstreits stellten zehn neue Zielscheiben auf. Als sie sich von den Pfosten entfernt hatten, zog Dest und feuerte genauso, wie Han es getan hatte. Zehn Zielscheiben explodierten zu Tonsplittern.

Han zog ein unglückliches Gesicht. Ben kicherte. Es war gut, wenn sein Onkel zur Abwechslung mal gegen Leute antreten musste, die ihm das Leben schwer machen konnten.

Zu Bens Überraschung fand außerdem ein Düsenschlittenrennen statt. Genügend Angehörige der Herabregnenden Blätter und der Zerbrochenen Säulen hatten sich die erforderlichen Fahrzeuge beschafft, um an dem Wettstreit teilzunehmen. Ben hatte keine Ahnung, ob sie sie rechtmäßig durch Handel erworben oder gestohlen hatten. Es gab bloß ein einziges Rennen für diejenigen ohne die Künste, und acht Wettkämpfer nahmen Aufstellung, um sich miteinander zu messen. Ben nahm an, dass es nicht genügend Machtnutzer mit Düsenschlitten gab, um ein eigenes Rennen auf die Beine zu stellen.

Als die Flitzer von der Startlinie losdonnerten, wurde Ben bewusst, dass ihm irgendetwas zu schaffen machte, an ihm nagte. Er senkte sein Makrofernglas und dachte darüber nach. War ihm irgendetwas entgangen? Er machte sich immer noch Sorgen wegen Vestaras Behauptung, sie habe ihr Lichtschwert verloren. Er konnte sich nicht vorstellen, seins auf diese Weise zu verlieren, doch einige Fragen, die Luke und Ben Angehörigen der Herabregnenden Blätter gestellt hatten, hatten deutlich gemacht, dass Vestara nichts als ihre Kleider am Leib gehabt hatte, als sie zu ihrer Gemeinschaft gestoßen war, sodass es ihr unmöglich gewesen wäre, ein verstecktes Lichtschwert bei sich zu tragen.

Nein, obwohl diese Frage Ben zu denken gab, war das nicht das, was an ihm zehrte. Er versuchte, sich von Gedanken und Rätseln loszulösen, den Fluss der Macht ringsum zu spüren, der ihn durchströmte.

Hier im Lager waren böswillige Absichten am Werk.

Er konnte es fühlen, ein schwaches Kribbeln der Niedertracht, sehr verstreut, sehr diffus. Er dachte sofort an Vestara, doch zu seiner Überraschung hatte er nicht das Gefühl, dass die Gefahr von ihr ausging, auch nicht, als er sie wieder durch das Makrofernglas beobachtete.

Und als die Sonne höherstieg, nahm dieses Gefühl zu, auch wenn es nicht an Präzision gewann.

Gegen Mittag begrüßte Ben die anderen Außenweltler und die Stammlose Sha, als sie zum Mittagessen zurückkehrten. »Ich habe dich schießen sehen«, sagte er zu Han. »Welchen Platz hast du gemacht?«

»Den ersten natürlich. Siebzig von siebzig.« Hans Tonfall war sachlich. »Dieser hübsche Bursche von den Zerbrochenen Säulen wurde Zweiter, mit neunundsechzig von siebzig.« Er stieß einen Daumen in Richtung zweier ihrer Gefährten. »Carrack und Yliri hatten beide achtundsechzig, und sie mussten gegeneinander antreten, um den Gleichstand aufzuheben. Yliri hat ihn fertiggemacht.«

Carrack blickte finster drein. »Ich übe nicht viel mit Pistolen. Wenn ein Ziel nah genug ist, um es mit der Pistole zu erledigen, habe ich mit meinem Gewehr irgendwas falsch gemacht.«

»Ausflüchte, Ausflüchte«, meinte Yliri fröhlich. Sie hielt eine Medaille hoch, kreisrund und von vielleicht fünf Zentimetern Durchmesser. Sie war aus gelbem Porzellan, mit dem Abbild einer Pistole darauf, und hing an einem Lederriemen. »Die verleihen den Gewinnern Auszeichnungen.«

Han hielt seine Medaille hoch. Sie war glänzend schwarz und anscheinend nicht aus Ton gefertigt, sondern aus Onyx geschnitten und dann poliert worden. »Ich denke, ich gewinne noch sechs oder acht mehr, dann habe ich einen kompletten Satz Untersetzer.«

Tarth und Sha übernahmen die Aufsicht über das Lagerfeuer und den Eintopf, der darüber köchelte – Bens angeblicher Grund dafür, die ganze Zeit über im Lager geblieben zu sein –, und die anderen nahmen Platz, um zu essen. Luke, Leia und Ben saßen abseits, eine Jedi-Zelle.

»Habt ihr es auch gefühlt?«, fragte Luke.

Leia und Ben nickten. Leia schaute zu ihrem Mann hinüber. »Es hat irgendetwas mit ihm zu tun.«

»Wirklich?« Luke klang überrascht. »Er ist noch nicht lange genug hier, um irgendwem einen Grund zu geben, ihm übel mitspielen zu wollen …«

»Dafür braucht Han nicht besonders lange«, versicherte Leia ihm.

»… was bedeutet, dass es womöglich um irgendetwas geht, das mit seiner früheren

Beziehung zu Dathomir zusammenhängt. Als er den Planeten theoretisch beim Spielen gewonnen hat.«

Ben schüttelte den Kopf. »Wenn es bloß um ihn ginge, vielleicht. Aber ich fühle Niedertracht, die weiter verbreitet ist.«

Sie schwiegen eine Minute lang, als Tarth und Sha zu ihnen kamen, um ihnen Schüsseln mit Eintopf zu bringen. Ben aß, überrascht darüber, wie hungrig ihn die paar Stunden Herumspionieren gemacht hatten. Er hatte den Eintopf selbst mit Zutaten angesetzt, die die Dathomiri ihnen überlassen hatten, und aus Vorräten, die die Außenweltler mitgebracht hatten. Größtenteils bestand er aus Rotkiemenfisch, in Scheiben geschnittenen Baumwurzelknollen aus dem Regenwald und herben Büschelfruchtblättern, alles so von Ben gewürzt, dass es den pikanten corellianischen Ansprüchen genügte. Er musste zugeben, dass das Ergebnis seiner Bemühungen ziemlich schmackhaft war.

Dann verspürte er ein fast unmerkliches Kribbeln von Gefahr und fragte sich, ob der Eintopf irgendwie vergiftet worden war, während er nicht hingesehen hatte.

Luke und Leia spürten es ebenfalls. Es schien, als erginge es Dyon genauso. Der Kopf des Mannes schnappte nach oben, und er sah sich um.

Leia erhob sich mit einer geschmeidigen Bewegung und ging zu ihrem Mann hinüber.

»Nicht bewegen, Han!« Ihre Stimme war einigermaßen freundlich.

Er hielt inne, den Holzlöffel auf halbem Weg zu seinem Mund. »Du willst mich genau so in Erinnerung behalten, richtig?«

»Gewiss.« Sie lehnte sich über ihn, an ihm vorbei und packte etwas auf dem Boden. »Oh nein, das tust du nicht!«

Als sie sich aufrichtete, hielt sie eine Schlange in der Hand. Sie hatte sie direkt hinter dem Nacken gepackt, und das Vieh war dabei, sich um ihren Arm zu schlingen. Es war größtenteils grün, geziert von roten und gelben Ringen. Die Farbgebung war eine einzige Warnung.

Han schoss auf, als wäre er eine Puppe, die von einem übermäßig lebhaften Kind hochgerissen wurde. Sein Eintopf spritzte quer über Carracks Beine. Er wirbelte herum und behielt Leias Schlange irgendwie im Auge, während er gleichzeitig jeden Meter des Bodens in seiner Nähe absuchte. »Was zum …«

»Eine Kodashiviper.« Shas Tonfall war flach, doch ihre Augen waren groß. »Die giftigste Schlange im Regenwald. Beißt sie einen, stirbt man innerhalb weniger Minuten. Es gibt kein Gegengift. Aber sie schmecken gut.«

Leia hielt Sha die Schlange hin. »Findet man die hier in der Gegend?«

Sha schüttelte den Kopf. »Nachts ist es hier zu kalt.«

»Sie wurde gelenkt.« Luke hielt seine Stimme leise, doch alle im Außenweltler-Lager verstanden ihn. »Das haben wir gefühlt. Sie wurde durch die Macht gelenkt …«

Irgendwo anders im Lager ertönte ein Schrei, ein Männerschrei voller Schmerz und Entsetzen. Der Schrei war so durchdringend, dass auch die übrigen Außenweltler auf die Füße sprangen und ihre Hälse reckten, um in Richtung des Tumults zu schauen, der von einem Feuer im Lager der Zerbrochenen Säulen kam, und in der Ferne konnten sie eine Gruppe von Männern im Kreis stehen sehen. Einige von ihnen beugten sich nach vorn und schwangen brennende Holzscheite nach etwas auf dem Boden. Schließlich zog einer von ihnen eine Blasterpistole und feuerte. Die anderen warteten einen Moment, dann wichen sie zurück und wandten ihre Aufmerksamkeit etwas auf dem Boden zu, einige Meter entfernt, etwas, das Ben nicht erkennen konnte.

Luke, Ben und ihre Begleiter eilten in diese Richtung, ebenso wie eine Menge Dathomiri … und dann ertönte irgendwo anders im Lager der Zerbrochenen Säulen noch ein Schrei, wieder der eines Mannes.

Eine halbe Stunde später hatten Rätselraten und Verwirrung eine Tragödie offenbart.

Im selben Moment, als sich die Schlange im Lager der Außenweltler angespannt hatte, um Han zu beißen, schickten sich fünf weitere Kodashivipern an, andernorts im Lager zuzuschlagen – alle im Bereich der Zerbrochenen Säulen. Eine war von einem Speer durchbohrt worden, ehe sie zuschlagen konnte, doch die anderen vier hatten Erfolg gehabt. Vier Männer – allesamt Gewinner verschiedener Wettbewerbe bei diesen Spielen – waren vergiftet worden, hatten durch das Nervengift der Schlangen quälende Schmerzen erlitten und waren innerhalb weniger Minuten gestorben. Die Gewinner des Düsenschlittenrennens, des Ringens, des Langstreckenlaufs und des Speerwurfs – allesamt nicht in den Künsten bewandert – waren tot.

Wenige Minuten später trat ein Mann von den Zerbrochenen Säulen – bärtig, korpulent, mit einer hellbraunen Lederweste und Kilt bekleidet – in die Lücke zwischen den beiden Lagern, bloß wenige Meter vom Lagerfeuer der Außenweltler entfernt, und brüllte los. »Das waren sie!« Seine Stimme, knirschend und tief, war laut genug, um die Worte in jede Ecke des Lagers zu tragen. Er wies in die Mitte des Lagerplatzes der Herabregnenden Blätter. »Sie sagen, sie wollen sich mit uns vereinen, aber sie meinen damit bloß, dass sie uns wieder als Sklaven haben wollen. Sie werden jeden Mann töten, der aus den anderen hervorsticht …«

»Lügner!« Das war Firen, die Rancortrainerin. Sie rannte in die Lücke zwischen den Lagern.

Röte und ein Ausdruck der Wut zeichneten ihr Gesicht. Sie stürzte sich auf den brüllenden Mann und traf ihn trotz seines Versuchs, sich wegzudrehen, mit der geöffneten Handfläche vor die Brust.

Die Wucht des Treffers riss den Mann von den Füßen und schickte ihn zu Boden.

Ben lief zum Ort des Geschehens. Auch andere Männer und Frauen aus dem ganzen Lager eilten in Richtung des Streits.

Ungeachtet der rohen Kraft des Hiebs, der ihn von den Füßen geholt hatte, rollte sich der bärtige Mann von Firen weg und stand mit einer einzigen, anmutigen Bewegung wieder auf.

Obwohl durch den Schmerz in seiner Brust ein wenig nach vorn gebeugt, war er voll einsatzfähig, und seine Hand fiel auf den Griff eines in der Scheide steckenden Messers.

Ben legte mehr Tempo zu, obwohl sich seine Wahrnehmung verlangsamte, als sein Zeitgefühl verzerrt wurde.

In scheinbar übertriebener Zeitlupe zog der Mann sein Messer, das eine doppelschneidige Klinge von schätzungsweise dreißig Zentimetern Länge besaß. Er hielt seine linke Hand, seine leere Hand, vor sich, und zog die Messerhand zurück, als er auf Firen zutrat.

Und dann war Ben bei ihnen. Er zog sein Lichtschwert, schaltete es ein und schlug zu – alles in einer einzigen Bewegung. Die glühende Klinge traf das Messer des Mannes direkt vor dem Griffschutz. Das Geräusch der auf Stahl treffenden Energieklinge war beinahe melodisch, als das Lichtschwert das Messer in zwei Hälften teilte. Ben deaktivierte seine Waffe und wich einen halben Schritt zurück, bevor der Bärtige und Firen auch bloß reagieren konnten.

Der Bärtige blickte benommen auf seine ruinierte Waffe hinunter. Firen, deren wütende Miene unverändert war, warf jetzt ein Auge auf Ben und entfernte sich von ihm.

Mit einem Mal war Luke ebenfalls in ihrer Mitte. Als er sprach, war seine Stimme nicht annähernd so laut wie die des bärtigen Mannes, auch wenn sie genauso weit zu tragen schien. »Sagt mir: Wer denkt für die Zerbrochenen Säulen?«

Herbeieilende Dathomiri kamen jetzt schliddernd zum Stehen. Einen Moment zuvor noch begierig darauf, andere Stammesangehörige aufzumischen, schienen sie jetzt wesentlich mehr davor auf der Hut zu sein, bewaffnete Jedi zu attackieren. Ein Mann rief: »Was meint Ihr damit, wer für uns denkt? Ihr meint wohl, wer für uns spricht!«

»Nein.« In Lukes Stimme lag ein beträchtliches Maß Verachtung. »Offenkundig spricht dieser Mann für euch. Allerdings ist genauso offensichtlich, dass er nicht im Geringsten nachdenkt.«

»Ich habe die Wahrheit gesagt.« Der bärtige Mann schleuderte den Schwertgriff zwischen ihnen zu Boden. »Kein Mann der Zerbrochenen Säulen würde Vipern auf uns hetzen. Um unsere eigenen Sieger zu töten. Das waren die!« Er wies blindlings auf die Herabregnenden Blätter, die sich ringsum versammelt hatten, und sein Finger verharrte, als er Halliava entdeckte. »Sie war das! Sie kleidet sich sogar in Kodashi-Farben.«

Halliava fixierte den Mann mit einem Blick, in dem sich Verärgerung und Mitleid mischten.

»Das tun viele von uns. Und einige von euch ebenso. Die Verstohlenheit und Kraft dieser Schlangen sind bewundernswert. Aber würde ich mich mit diesen Farben schmücken und sie dann auf euch ansetzen, um mich so selbst zu belasten? Dann müsste ich ja genauso dämlich sein wie du. Abgesehen davon: Wer unter uns könnte schon so viele Schlangen auf einmal kontrollieren?«

Diese Frage machte sie nachdenklich. Stammesmänner und Stammesfrauen sahen sich nach einem möglichen Verdächtigen um. Wie so häufig konzentrierte sich ihre Aufmerksamkeit rasch auf die Jedi.

»Das ist einfach zu beantworten.« Der Sprecher war Tasander Dest, der gerade eintraf. Er trat auf die freie Fläche hinaus, um sich zu den Jedi, dem Bärtigen und Firen zu gesellen. Kaminne Sihn war direkt hinter ihm.

Er klopfte dem bärtigen Mann auf die Schulter. »Drola, denk darüber nach! Wer verfügt über die Künste, die Schlangen zu befehligen? Wer will, dass die Dinge wieder so werden, wie sie vor Generationen waren? Wer würde sich darüber freuen, dass tapfere Männer sterben und den Frauen der Herabregnenden Blätter dafür die Schuld in die Schuhe geschoben wird?«

Drola antwortete nicht sofort. Sein Mund bewegte sich, als würde es ihm widerstreben zu sprechen. Schließlich drang das Wort über seine Lippen: »Nachtschwestern.«

»Ja, Nachtschwestern. Die Nachtschwestern haben heute eine Tragödie angerichtet. Und die Skywalkers haben uns vor einer weiteren bewahrt.«

Jetzt wandte sich Kaminne an die Menge. »Wir werden die Wachen heute Nacht verdoppeln. Falls ihr irgendetwas Seltsames seht oder fühlt, wie unbedeutend es auch scheinen mag, meldet es einer Clanführerin oder einem Häuptling.«

»Heute Nacht werden wir die Bestattungsriten für die Gefallenen abhalten und morgen spezielle Spiele zu ihren Ehren.« Dests Tonfall wurde energischer. »Wir werden aufeinander aufpassen, die Zerbrochenen Säulen auf die Herabregnenden Blätter und die Herabregnenden Blätter auf die Zerbrochenen Säulen. Und indem sie uns einen gemeinsamen Feind gegeben haben, werden die Nachtschwestern feststellen, dass sie den Zusammenschluss unserer Clans damit bloß weiter vorangetrieben haben, anstatt ihn zu verhindern.« Er drehte sich um, wie um im Vertrauen mit Kaminne zu sprechen und den versammelten Schaulustigen zu sagen: Ihr könnt jetzt gehen.

Unter jenen Versammelten gab es Diskussionen, doch Ben war erleichtert zu fühlen, wie die Anspannung nachließ. Die hinteren Reihen der Menge wandten sich ab, und die Leute trieben zurück in Richtung der Lagerfeuer.

Luke trat dicht an Ben heran. Er senkte seine Stimme weit genug, dass nur sie beide sie hören konnten. »Gute Arbeit, das mit dem Messer.«

Ben tat gelassen. Er hängte das Lichtschwert wieder an den Gürtel. »Der Arm wäre ein leichteres Ziel gewesen. Aber irgendwie ist klar, dass es auf Dathomir nicht allzu viele Prothesen gibt.«

Dest und Kaminne kamen auf sie zu, doch Luke ergriff zuerst das Wort. »Also, wo stecken diese Nachtschwestern?«

Kaminne deutete auf die sich auflösende Menge. »Einige leben in kleinen Gruppen in den Wäldern und Bergen. Doch in diesen Tagen weilen die meisten von ihnen unter uns. Allerdings behalten sie die Tatsache, dass sie Nachtschwestern sind, für sich. Heutzutage verstehen sie sich besser darauf, die Auswirkungen zu verbergen, die die Verwendung der dunklen Künste auf ihr Fleisch hat. Es heißt, dass es in allen Clans einige Nachtschwestern gibt. Und manchmal gibt es Zusammenkünfte von ihnen.« Sie schaute unglücklich drein. »Wie es scheint, findet ausgerechnet jetzt eine solche Zusammenkunft statt, und offensichtlich wollen sie diese Vereinigung der Clans verhindern.«

»Neue Gebräuche bedrohen sie.« Dest schien vollkommen von seinen Worten überzeugt.

»Ich schätze, wir werden sie einfach weiterhin erschießen müssen.«

BÜRO DES ASSISTENTEN DER STAATSCHEFIN, SENATSGEBÄUDE, CORUSCANT

Wynn Dorvan zögerte, bevor er sein Büro abermals betrat. Er musste sich für den Rest des Treffens mit dem Jedi wappnen, der auf ihn wartete. Dorvan war selten einer Persönlichkeit begegnet, die gleichzeitig so stark, so konzentriert und so … stumpfsinnig war.

Doch Dorvan war ein Profi. Er setzte ein freundliches Lächeln auf, das er nicht empfand, und trat auf die Tür zu, die in die Höhe schoss, um ihm Zugang zu seinem Privatbüro zu gewähren.

In einem Sessel, den Rücken der Tür zugewandt, saß Sothais Saar. Der Chev-Jedi ließ keine Reaktion erkennen, als Dorvan eintrat.

Dorvan ging an ihm vorbei und nahm wieder hinter dem Schreibtisch Platz. »Die Staatschefin bedauert, uns nicht Gesellschaft leisten zu können, bringt jedoch zum wiederholten Male zum Ausdruck, dass sie ebenfalls eine Gegnerin der Sklaverei ist, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Allianz.« Er sah Saar an, um die Reaktion des Chev auf diese oberflächlichen Worte abzuschätzen.

Saar schlief, im Sessel zusammengesackt, den Kopf zu einer Seite gerollt, die Augen geschlossen.

Dorvan musterte ihn überrascht und lächelte amüsiert. Noch nie zuvor hatte er einen Jedi unachtsam ertappt. Alles, was er tun konnte, war, nicht in Gelächter auszubrechen. »Jedi Saar?«

»Häh?« Saar zuckte zusammen, und seine Augen öffneten sich. Er schaute sich wie verwirrt um.

»Offensichtlich ist der Jedi-Terminplan voller langer Arbeitsstunden und ungewissem Zeitablauf.«

»Äh, ja.« Saar sah ihn an, als wäre Dorvan mit einem Mal ein drittes Auge gewachsen – als würde er ihn gar nicht recht erkennen. Der Jedi schien sich allerdings rasch wieder zu fangen. »Ich sollte jetzt gehen.«

»Ohne zu hören, was die Staatschefin zu sagen hat?«

»Nein, natürlich nicht.« Saar wand sich im Sessel, um einen Blick zur Tür hinüberzuwerfen, halb in der Erwartung, Daala dort stehen zu sehen. Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder Dorvan zu. »Vielleicht könnten Sie mich hinausbegleiten und mir ihre Botschaft unterwegs ausrichten?«

»Selbstverständlich.«

Als sie das Büro verließen und auf den Lift zugingen, der auf die Haupteingangsebene führte, versuchte Dorvan es von Neuem. »Staatschefin Daala versichert, dass sie ebenso darauf erpicht ist, die Überbleibsel der Sklavenhaltermentalität aus der Galaxis zu tilgen, wie jeder andere auch.«

»Ja, ja.« Saar zappelte herum, und sobald sich die Tür öffnete, um ihnen Zutritt zum Turbolift zu gewähren, schoss er hinein.

Dorvan folgte ihm. »Aber natürlich gibt es noch viele andere Belange, die ihre Aufmerksamkeit und Mittel erfordern.«

»Natürlich. Hauptebene!« Die Tür des Turbolifts schloss sich, und der Aufzug raste in die Tiefe.

Dorvan überkam eine gewisse Ungeduld. Normalerweise spielte Saar das verbal-politische Spiel mit Können und Enthusiasmus. Jetzt hingegen schien es, als wäre ihm die Sache lästig.

»Vielleicht könntet Ihr ja einen Antrag auf ein gemeinsames Vorgehen der Jedi und der Regierung einreichen, um Ressourcen beider Quellen zu nutzen, damit sie die Situation besser einschätzen kann. Um zu sehen, ob damit unser beider Interessen gedient ist. Womöglich ruft das ein größeres Gefühl von Kooperation zwischen uns hervor, als wir in jüngster Zeit erfahren haben.«

Saar drehte sich zur Seite, um ihn anzusehen, ein Blick der Berechnung, der Dorvan mit Unbehagen erfüllte. Es war, als würde der Jedi ihn durch ein Vergrößerungsglas hindurch anstarren, um zum ersten Mal festzustellen, dass Dorvan einer bislang unbekannten Spezies angehörte. Doch er sagte bloß: »Gute Idee.«

Der Turbolift hielt, und die Tür schoss nach oben. Saar trat in die Haupteingangshalle des Gebäudes hinaus. Rechter Hand, hundert Meter entfernt, war Sonnenlicht. Zwischen hier und diesem Ausgang waren unzählige Querkorridore, Türen zu Büros, geschäftige Politiker und vorbeischlendernde Protokolldroiden.

Saar eilte in rasantem Schritt in Richtung Ausgang. Dorvan bemühte sich, mit ihm mitzuhalten. »Jedi Saar, lasst mich offen sprechen. Spannungen zwischen dem Jedi-Orden und der Regierung schaden beiden. Es obliegt uns, aufeinander zuzugehen, um einen gemeinsamen Nenner zu finden. Um die Dinge zu beruhigen, bevor irgendetwas eine Tragödie auslöst. Bevor unsere Differenzen unüberwindlich werden. Wenn die Oberhäupter beider Fraktionen diesen gemeinsamen Nenner nicht finden können, sind vielleicht niedere Ränge dazu imstande. Meint Ihr nicht?«

»Doch.« Saar klang nicht im Mindesten interessiert.

Und das war der Moment, in dem Dorvan endlich klar wurde, was er hier sah, was er hier hörte. Die Erkenntnis war beinahe so, wie von einem Betäubungsstrahl getroffen zu werden – auch wenn es in diesem Fall eher eine Welle der Furcht als der Energie war.

Wenn er mit seiner Vermutung richtig lag, befand er sich in dieser Minute in größerer Gefahr als seit Jahren.

Doch er musste auf Nummer sicher gehen.

Er dachte an die jüngsten Ereignisse zurück, an das seltsame Verhalten anderer Jedi, und schließlich meinte er: »Vermutlich fragt Ihr Euch, was ich mit dem echten Wynn Dorvan gemacht habe.«

Falls Dorvan sich irrte, falls es für Saars Verhalten eine harmlosere Erklärung gab, konnte sich Dorvan damit herausreden, dass es sich bei der Bemerkung um eine Redensart gehandelt habe.

Saar blieb stehen und wirbelte herum, um Dorvan anzusehen. Mit einem Mal hielt er sein ausgeschaltetes Lichtschwert in der rechten Hand. Seine Augen waren groß – nicht vor Angst, sondern ob der Wachsamkeit eines Mannes, der bereit ist, sich auf einen Kampf einzulassen, während er so viele visuelle Informationen sammelte, wie er konnte.

Dorvan blieb ebenfalls stehen. Er war sich unbehaglich darüber im Klaren, dass eine einzige falsche Bewegung seinen Tod zur Folge haben konnte. Er hatte das Gefühl, als würde ein gewaltiges Gewicht auf seiner Brust lasten. Es fiel ihm schwer zu atmen. »Jedi Saar, ich bin unbewaffnet.«

Saar schien zu verschwinden. Dorvan blinzelte und stellte fest, dass Saar immer noch vor ihm war, jetzt ein Dutzend Meter entfernt. Er rannte mit einer solchen Geschwindigkeit, dass er zu verschwimmen schien, als er sich dem Ausgang näherte. Ein Kreischen ertönte, als der Jedi einen Referenten streifte, der einen unsicher gestapelten Haufen Datenkarten trug. Die Karten flogen in hohem Bogen davon und fielen klappernd auf den Steinboden des Gangs.

Dorvan packte sein Komlink. »Abriegeln, abriegeln!«

Diese Worte, die von seinem Komlink übertragen wurden, lösten eine sofortige und automatische Reaktion des Sicherheitssystems des Gebäudes aus. Mit einem Mal wurde der Balken Sonnenlicht voraus schmaler, als sich die Panzertüren rasch schlossen und versiegelten. Ein tiefer, markdurchdringender Alarmton ertönte.

Mit einem Mal wurde es noch schwieriger, sich auf den Schemen zu konzentrieren, der Jedi Saar nur noch war, und der zum Ausgang raste und durch die sich schließenden Türhälften sprang, als der Spalt zwischen ihnen nicht einmal mehr einen Meter breit war.

Dorvan fluchte.

»Dorvan, hier spricht Captain Brays vom Sicherheitsdienst. Was ist …«

»Männlicher Jedi, Chev, verlässt gerade Haupteingang, dunkles Gewand, ist ein verrückter Jedi. Wiederhole, ein verrückter Jedi. Setzen Sie alle verfügbaren Mittel ein, um ihm auf den Fersen zu bleiben! Bieten Sie ihm nicht die Stirn, es sei denn, Sie haben die nötigen Ressourcen, um einen Jedi-Ritter unschädlich zu machen.«

»Verstanden.«