Aria | Kapitel Sechsundvierzig
Schweigend sah Aria zu, wie Sable und seine Männer ihre Freunde in Gruppen unterteilten.
Roar wurde als Erster abgeführt, weit weg von ihr ans andere Ende des Strandes. Dann folgten Caleb, Soren und Rune. Brooke und Molly und Willow. Aria versuchte, Sables Strategie bei der Zusammenstellung der Gruppen zu durchschauen, doch er schien wahllos vorzugehen. Er mischte Alt und Jung. Siedler und Außenseiter. Männer und Frauen. Doch dann verstand Aria plötzlich. Genau darum ging es Sable: Er bildete Gruppen von Leuten, bei denen die Gefahr, dass sie sich zusammentun und rebellieren würden, besonders gering war.
Aria empfand weder Zorn noch Furcht, während die Hörner weiterhin sortierten und die Sonne allmählich hinter den üppig grünen Hügeln unterging. Sie empfand rein gar nichts, bis sie sah, dass Talon Mollys Gruppe zugeteilt wurde. Molly würde auf ihn aufpassen. Genau wie Perry passte Molly immer auf alle auf.
Gedankenverloren starrte Aria vor sich hin und stellte erst nach einer Weile überrascht fest, dass sie allein zurückgeblieben war. Die Luftkissenfahrzeuge hatten sich geleert. Alle Passagiere standen in langen Reihen am Strand – mit Ausnahme von ihr.
Sable befand sich nicht weit von ihr entfernt. Aria spürte, dass sein Blick auf ihr ruhte, aber sie weigerte sich, in seine Richtung zu schauen.
»Bringt sie zurück in den Belswan«, befahl Sable schließlich.
Hörner-Soldaten eskortierten Aria zum Laderaum, wo sie ihren angestammten Platz am Fenster wieder einnahm. Die Aussicht zeigte eine ruhige See, die eher grün als blau schimmerte und so klar war, dass Aria den Sand unter den leichten Wellen erkennen konnte. Flankiert von Soldaten, beobachtete sie, wie das Tageslicht immer schwächer wurde. Obwohl die Laderampe weit geöffnet war, konnte Aria sich nicht überwinden, in Richtung Strand und dahinterliegendem Land zu schauen – ihr Blick war unverwandt aufs Meer geheftet.
Irgendwann würde sich das ändern müssen. Sie musste die Situation akzeptieren und irgendwie dagegen ankämpfen. Aria versuchte, sich zusammenzureißen und einen Plan zu entwickeln, wie sie zu Talon und Roar gelangen konnte, aber ihre Konzentration reichte immer nur für wenige Sekunden. Und wenn sie es tatsächlich schaffte, Talon und Roar zu retten? Was würde das nützen? Sable hatte alle anderen fest in seiner Gewalt.
Irgendwie war es ihm gelungen, alles unter seine Kontrolle zu bringen.
»Ach, jetzt sei doch nicht so verdrossen.«
Aria drehte sich um und sah, wie Sable mit langen Schritten die Rampe heraufkam.
Er entließ die beiden Soldaten, die sie bewacht hatten, dann lehnte er sich an die innere Trennwand des Hovercrafts und schenkte Aria ein strahlendes Lächeln.
Draußen war es inzwischen dunkel geworden – eine sanfte Dunkelheit, ganz anders als die in der Höhle der Tiden. Diese Dunkelheit enthielt warme Schatten und das Geräusch raschelnder Bäume. Arias Blick fiel auf die Rampe: Irgendjemand hatte Reefs und Grens Blut weggewischt.
»Deine Freunde sind alle wohlauf.« Sable verschränkte die Arme, die Edelsteine auf seiner Kriegsherrenkette blitzten im dämmrigen Laderaum auf. »Ein paar frische Blasen und Schrunden vielleicht, aber nichts Ernsthaftes. Ich habe sie alle an die Arbeit geschickt, was dich nicht überraschen dürfte. Es gibt viel zu tun. Schließlich müssen wir ein Lager errichten.«
Schweigend starrte Aria auf die Kette und stellte sich vor, wie sie Sable damit erdrosselte.
»Du bist nicht die Erste, die darüber nachdenkt«, sagte Sable nach einem Moment. »Der Erste war ein Landbesitzer in Rim, einer der wohlhabendsten Männer, die mir je Treue geschworen haben. Damals trug ich die Kriegsherrenkette erst wenige Monate, als er mich beschuldigte, ich würde ihm zu hohe Steuern auferlegen – was ich nicht getan hatte. Ich bin ein fairer Mann, Aria, bin es immer gewesen. Aber ich habe ihn für seine falsche Anschuldigung bestraft – eine empfindliche Geldstrafe, die ich nicht nur mild, sondern auch gerecht fand. Zum Dank versuchte er, mich eines Abends inmitten einer Feier und vor den Augen Hunderter Leute zu erwürgen. Wenn er es überlebt hätte, dann hätte er diesen Beschluss sicherlich schwer bereut. Ich mag zwar nicht mit einer Waffe herumstolzieren wie Peregrine oder Roar, aber ich kann gut auf mich aufpassen. Ziemlich gut sogar. Also schlag dir das am besten gleich aus dem Kopf.«
»Ich werde einen Weg finden«, erwiderte Aria.
Einen Moment lang blitzten Sables Augen auf, doch er schwieg.
»Und? Lässt du mich jetzt umbringen, weil ich das gesagt habe? Es wäre wohl besser, denn ich werde nicht ruhen, bevor du tot bist.«
»Du bist aufgebracht, weil ich hier direkt meinen Herrschaftsanspruch geltend gemacht habe. Ja, ich habe Durchsetzungsvermögen gezeigt – möglicherweise zu viel. Das verstehe ich. Aber lass mich dir eines sagen: Menschen müssen kommandiert werden. Es darf keinerlei Zweifel darüber bestehen, wer sie anführt. Oder möchtest du das, was im Komodo passiert ist, noch mal erleben? Willst du, dass diese Art von Chaos erneut um sich greift? Hier, wo wir die Chance zu einem Neuanfang haben?«
»Das, was im Komodo passiert ist, war allein deine Schuld. Du hast Hess hintergangen.«
Enttäuscht runzelte Sable die Stirn. »Aria, dafür bist du doch viel zu klug. Hast du wirklich geglaubt, dass Siedler und Außenseiter Händchen halten und dreihundert Jahre Trennung und Feindschaft einfach vergessen würden? Nenn mir eine Gesellschaft oder Zivilisation, die von zwei Leuten angeführt wurde – einem Paar. Das wird nicht passieren. Kennst du die schnellste Methode, sich selbst Feinde zu verschaffen? Geh eine Partnerschaft ein. Ich bin den Tiden ein besserer Kriegsherr, als Reef es jemals hätte sein können. Oder Marron, obwohl er durchaus fähig scheint. Aber für diese große Verantwortung bin ich nun mal am besten geeignet.«
Aria konnte ihm nicht mehr in die Augen sehen. Sie schaffte es nicht, noch länger mit ihm zu diskutieren. Ihr fehlte einfach die Kraft dazu.
Von draußen drang leichter Rauch in den Laderaum. Dieser Geruch unterschied sich deutlich von dem, den Aria inzwischen gewohnt war. Das hier war nicht der beißende Gestank von brennendem Ackerland oder das dumpfe Schwelen der Feuerstellen in der Höhle. Hier handelte es sich um den frischen, lebendigen Duft eines Lagerfeuers – so wie jenes, das Perry und sie letzte Nacht noch entfacht hatten. Die Erinnerung an den Augenblick, als Perry die Flammen mit seinen Händen vorsichtig zum Leben erweckt hatte, verdrängte jeden anderen Gedanken; das war alles, was Aria sah, bis ihr bewusst wurde, dass Sable sie anstarrte.
Seine Verärgerung wuchs mit jeder Sekunde. Er wollte, dass sie ihn verstand. Er wollte ihre Zustimmung. Und Aria wollte lieber nicht nach den Gründen fragen.
»Wenn ich dich sehe, fehlt mir Hess schon fast«, sagte sie.
Sable brach in Gelächter aus – nicht gerade die Reaktion, die Aria erwartet hatte. Sie erinnerte sich daran, wie sie ihn in Rim zum ersten Mal hatte lachen hören. Damals hatte sie sein Lachen für sanft und gewinnend gehalten, doch nun jagte es ihr einen eisigen Schauer über den Rücken.
»Ich habe schon Tausende von Menschen angeführt«, sagte Sable. »Ich habe schon regiert, als ich gerade einmal in deinem Alter war. Das sollte dich eigentlich trösten. Ich weiß, was ich tue.«
»Und wo sind diese Tausende jetzt?«
»Diejenigen, die ich brauche, sind genau dort, wo ich sie haben will. Und alle anderen da draußen – Hörner und Tiden – gehören mir jetzt ebenfalls. Sie holen nicht mal Luft, solange ich es ihnen nicht gestatte. Das bedeutet, dass es während des Wiederaufbaus keinerlei Unterbrechungen geben wird. Nur meinetwegen werden wir alle hier überleben. Nur meinetwegen werden wir alle gedeihen. Ich gebe uns allen schlichtweg die besten Überlebenschancen. Und ich wüsste nicht, was daran falsch sein soll.«
»Dann war der Mord an Reef und Gren also nicht falsch?«
»Reef hätte mich über kurz oder lang herausgefordert. Er war eine Bedrohung, und jetzt ist er das nicht mehr. Gren stand einfach nur im Weg.«
»Reef hat nur versucht, die Tiden zu beschützen.«
»Und genau das will ich auch – jetzt, da sie mir gehören.«
»Warum bist du hier, Sable? Wieso versuchst du mich davon zu überzeugen, dass du das Richtige getan hast? Du weißt, dass ich dir niemals glauben werde.«
»Du hast Peregrine respektiert. Das heißt, du besitzt ein gutes Urteilsvermögen.«
»Was willst du damit sagen? Möchtest du, dass ich dich respektiere?«
Einen Moment lang stand Sable vollkommen reglos da. Aria las die Antwort in seinem stechenden Blick. »Mit der Zeit wirst du mich schon noch respektieren lernen«, sagte er schließlich.
Ein weiteres Mal fiel Aria keine passende Erwiderung ein. Wenn er das ernsthaft glaubte, musste er vollkommen verrückt sein.
Sable startete seine Charme-Offensive mit einer Einladung zum Abendessen. Ein Stück den Strand hinauf hatte er für sich und seine engsten Verbündeten einen Bereich abstecken und ein Lagerfeuer entfachen lassen. Kurz darauf bat er Aria, ihn zum Essen zu begleiten.
»Es gibt Fischsuppe. Eine Spezialität der Tiden, wie ich mir habe sagen lassen«, verkündete er. »Unter uns: Die Suppe mag zwar nichts Sensationelles sein, aber sie ist frisch zubereitet – im Gegensatz zu den schrecklichen Fertigmahlzeiten der Siedler. Und erst die Sterne, Aria … ich weiß gar nicht, wie ich sie dir beschreiben soll. Es scheint, als wäre der Himmel – das Dach des Universums – mit Glut und Funken übersät. Ein unfassbarer Anblick. Das würde ich dir gern zeigen. Aber wenn du es vorziehst, hierzubleiben, verstehe ich das natürlich.«
Sable war ein Meister der Manipulation: Er bot ihr den Himmel. Die Sterne! Wie konnte sie das verweigern?
Doch Aria erinnerte sich daran, wie Sable auch Liv manipuliert hatte. Er hatte Liv, seiner gekauften Braut, erzählt, er würde sie jederzeit gehen lassen, wenn sie es wünschte. Sable konnte durchaus freundlich sein – solange diese Freundlichkeit andere dazu verlockte, einen Schluck Gift zu nehmen. Er konnte charmant und entgegenkommend sein, wenn er es wollte. Und er konnte andere glauben machen, er hätte ein Herz.
Gab es Witterer eigentlich nur in zwei unterschiedlichen Wesensarten? So offen und ehrlich wie Liv und Perry oder so verlogen wie Sable?
Aria schüttelte den Kopf. Sie wollte nichts essen. Sie wollte keine Sterne sehen. Sie wollte Roar und Talon sehen. Aber das bot Sable ihr nicht an.
»Ich will das Universum nicht sehen«, erwiderte sie. »Und auch dich will ich nicht eine Sekunde länger sehen als unbedingt nötig.«
Sable neigte den Kopf. »Dann auf ein anderes Mal.«
Statt Enttäuschung erkannte Aria in seinen Augen unbeugsame Entschlossenheit.
Nachdem Sable gegangen war, versuchte Aria, es sich für die Nacht irgendwie bequem zu machen. Über das Geräusch der sanft plätschernden Wellen hinweg trug der Wind den Rauch des Lagerfeuers und Fetzen von Sables Gespräch mit seinen Männern in das Hovercraft.
Sie unterhielten sich über die Pläne für die nächsten Wochen. Über Prioritäten.
Schutz. Nahrung und Wasser. Herrschaft über die Tiden.
Aria versuchte, sich zu konzentrieren. Vielleicht erfuhr sie ja irgendetwas Nützliches. Doch die Worte schwebten in ein Ohr hinein und zum anderen gleich wieder hinaus – Aria bekam den Sinn einfach nicht zu fassen.
Schon bald wurde ihr kalt, und sie begann zu frösteln. Aber wahrscheinlich war das eher der Schock, der sie nun unkontrolliert zittern ließ, überlegte sie. Denn seit Sonnenuntergang war die Temperatur kaum gefallen, und sie spürte die Kühle nur, wenn eine Brise hereinwehte. Aria drehte sich auf die Seite und krümmte sich zusammen, aber das half auch nicht. Schließlich warf einer ihrer Wärter einen Blick auf sie.
»Ich hol ihr eine Decke«, sagte der Mann.
Aria beobachtete, wie er zu einem Spind ging und mit einer Decke zurückkehrte.
»Wird Sable dir dafür die Kehle aufschlitzen?«, fragte sie ihn.
Der Mann erstarrte – überrascht, dass sie ihn angesprochen hatte. Dann ließ er die Decke auf sie fallen. »Nichts zu danken«, sagte er schroff, aber Aria sah die Angst in seinen Augen aufflackern. Selbst Sables eigene Männer fürchteten sich vor ihm.
Als der Wärter zu seinem Posten am Fuß der Rampe zurückkehrte, überkam Aria plötzlich ein merkwürdiges, beklemmendes Gefühl. Sie erkannte, dass sie nicht nur Perry schrecklich vermisste und sich mit jeder Faser ihres Herzens nach ihm sehnte, sondern auch um den Verlust ihrer selbst trauerte. Diese Erlebnisse veränderten sie – sie würde nie wieder dieselbe sein.
Irgendwann, viel später, tauchte ihr Vater auf.
Loran trug eine Schüssel Suppe vor sich her. Er bewegte sich mit müheloser Anmut, schnell und geschmeidig und ohne auch nur einen Tropfen Flüssigkeit zu verschütten. Und er besaß einen hervorragenden Gleichgewichtssinn, wie alle Horcher. Wie Aria selbst. Ob sie es sich nun eingestehen wollte oder nicht: Zwischen ihnen beiden bestand eine Verbindung.
Aria schaute ihm in die Augen und sah diese Verbindung in seinem Blick. Der offene, verständnisvolle Ausdruck darin erschütterte sie. Plötzlich musste sie gegen die Tränen ankämpfen.
Aber sie würde nicht weinen. Wenn sie ihren Tränen freien Lauf ließ, dann war all das hier real – und nichts davon durfte real sein.
Weder Perrys Tod noch Sables uneingeschränkte Kontrolle, noch ihre Einzelhaft hier in diesem Hovercraft.
Loran stellte die Schüssel ab und schickte Arias Wärter fort. Dann starrte er eine Weile hinaus in die Dunkelheit und lauschte angestrengt; er wollte wohl sichergehen, dass niemand ihn hörte, wenn er mit ihr sprach. Vielleicht wollte er ihr aber auch Zeit geben, sich zu sammeln. Aria hatte größte Mühe, ihre Fassung wiederzuerlangen, und musste ein paarmal tief durchatmen, um gegen den Schmerz in ihrer Brust anzukämpfen. Sie versuchte, sich auf die Geräusche der Nacht zu konzentrieren, bis das wunde Gefühl in ihrer Kehle allmählich nachließ.
Am Strand herrschte inzwischen völlige Ruhe. Von Sable und seinen Ratgebern war nichts mehr zu hören. Selbst der Wind war eingeschlafen. Und die Zeit schien stillzustehen – bis Loran sich umdrehte und sich räusperte.
»Er teilt die Leute auf, um sie zu demoralisieren, wie du wahrscheinlich schon vermutet hast. Und das funktioniert. Die Tiden sind verwirrt und wütend, aber unversehrt – mit Ausnahme deines Freundes.«
»Roar?«
Loran nickte. »Er hat einen meiner Männer angegriffen. Hess’ Sohn war ebenfalls daran beteiligt. Die beiden haben versucht, zu dir zu gelangen. Ich habe mir alle Mühe gegeben, ihnen zu versichern, dass dir nichts geschehen würde, aber sie wollten mir nicht glauben. Im Moment sind sie zwar noch am Leben, aber wenn Sable davon erfährt – und das kann nicht mehr lange dauern –, wird sich das schnell ändern. Sable erstickt jeden Funken direkt im Keim, das hast du ja am Nachmittag selbst gesehen. Jede noch so kleine Bedrohung wird er sofort beseitigen – und jetzt erst recht. Die kommenden Tage sind für ihn von entscheidender Bedeutung: Er will seine Macht etablieren, bevor die Tiden sich organisieren oder reagieren können.«
Aria ließ langsam die Luft aus ihren Lungen entweichen. Das alles war einfach viel zu viel. Erst Perry und Reef – und jetzt schwebten auch Roar und Soren in Lebensgefahr?
»Was sollen wir tun?«, fragte sie.
»Nicht wir«, entgegnete Loran scharf. »Ich habe dir nur eine Suppe gebracht. Dabei habe ich dir Informationen über deine Freunde gegeben, aber ich habe dir nicht geholfen. Wenn ich das täte, wüsste Sable sofort Bescheid. Vermutlich dauert es ohnehin nicht mehr lange, bis er Verdacht schöpft. Er erkennt an unseren Stimmungen, dass zwischen uns etwas vorgeht.«
Aria dachte über seine Worte nach: dass zwischen uns etwas vorgeht. Mit dieser Beschreibung konnte sie gut leben: Sie war ausreichend vage. Und das ließ ihr genügend Raum, um selbst zu beschließen, was genau zwischen ihnen vorging.
»Wenn er von unserer Verwandtschaft erführe, würde er dich das spüren lassen?«
»Ja, sofern er davon überzeugt wäre, dass auch nur die geringste Chance besteht, ich könnte mich zwischen dich und ihn stellen. Ja, ohne jeden Zweifel.«
»Es gibt kein Ihn und Mich.«
»Du bist hier, Aria. Allein, während alle anderen da draußen sind.«
»Aber warum?«, fragte Aria mit leicht erhobener Stimme. »Was will er von mir? Bin ich einfach nur ein weiteres Mittel zum Zweck, so wie Cinder und Perry? Warum hast du mir von Roar erzählt, wenn du mir doch nicht helfen willst?«
»Ich habe dir ja bereits gesagt, wem meine Loyalität gilt, Aria. Ich habe ihm Treue geschworen.«
»Warum? Wie kannst du einem solchen Mann überhaupt dienen? Er ist geisteskrank! Ein Monster!«
Loran beugte sich vor. »Sei leise!«, zischte er. Versuchte er ihr mit seiner Körpergröße Angst einzujagen?
Aria beugte sich ebenfalls vor. »Du machst mich krank! Du bist jämmerlich und schwach, und ich hasse dich!« Heiße Wut kochte in ihr hoch und schnitt durch ihre Erstarrung und den Schock. Ihre Gedanken überschlugen sich und kamen ihr ungefiltert über die Lippen: »Ich hasse dich dafür, dass du meine Mutter verlassen hast. Für das, was du mir angetan hast. Und ich hasse es, dass eine Hälfte von mir so ist wie du.«
»Ich halte von dir auch nicht gerade viel. Eigentlich dachte ich, du hättest Mumm, aber du scheinst nichts anderes zu können, als aus dem Fenster zu starren. Ich hätte nie gedacht, dass eines meiner Kinder derart in Selbstmitleid baden würde.«
»Da, nimm deine dämliche Suppe!« Wütend warf Aria die Schüssel nach ihm.
Hastig zuckte Loran zurück und starrte dann leise fluchend auf die Brühe, die über seinen schwarzen Mantel tropfte.
Aria nutzte den Moment, in dem seine Augen auf sein Abzeichen gerichtet waren, und verpasste ihm einen Tritt gegen die Schläfe.
Loran hätte dem Angriff ausweichen müssen. Er war Sables ranghöchster Offizier – er hätte sich mühelos wegdrehen können, doch das tat er nicht. Stattdessen nahm er Arias Tritt einfach hin, fiel der Länge nach rückwärts hin und landete mit einem dumpfen Dröhnen auf dem Boden.
Für einen Sekundenbruchteil war Aria vollkommen sprachlos. Dann rappelte sie sich auf und stürmte die Rampe hinab.
Als sie den Strand erreichte, hörte sie hinter sich zwei leise geraunte Worte.
»Braves Mädchen«, murmelte ihr Vater.