Peregrine | Kapitel Zweiunddreißig

Perry sah alles mit an.

Da er die Menge vor ihm deutlich überragte, hatte er freie Sicht auf das Geschehen, als Sable Hess aufschlitzte.

Die Zeit schien stillzustehen, während Hess zusammensackte und sein Blut die staubige Erde dunkel färbte. Dieser Moment absoluter Stille war Perry vertraut – er erinnerte ihn an den Augenblick, als er Vale getötet hatte. Die Macht schien fast greifbar, ihr Wechsel unverkennbar. Hier war gerade etwas zu Ende gegangen, und etwas anderes hatte begonnen. Und jeder der Anwesenden spürte es deutlich – eine Veränderung, so alarmierend und unausweichlich wie die ersten Tropfen eines Regengusses.

Ein Schrei zerriss die Stille; Sorens Stimme klang tiefer als der letzte Aufschrei seines Vaters, krächzend und gequält, aus tiefstem Innern. Im nächsten Augenblick fielen Schüsse, plötzlich und überall.

Perry stürmte los, in Arias und Roars Richtung. Hörner und Siedler beschossen sich gegenseitig, während sie zum Komodo rannten, zu den Hovercrafts flohen oder irgendwo Deckung suchten. Um Perry herum sackten Körper leblos zusammen: zehn, zwanzig Tote innerhalb weniger Sekunden.

»Aria!«, brüllte er und bahnte sich einen Weg durch die Menge, die in wilder Flucht davonstob. Aria befand sich inmitten des Geschehens, das sich im Nu in ein Blutbad verwandelte.

Durch eine Lücke zwischen den Fliehenden entdeckte Perry Sable, umgeben von einem Dutzend seiner Männer, die ihn wie ein menschlicher Schutzschild abschirmten.

Sofort gingen ihm Roars Worte durch den Kopf: Man muss der Schlange den Kopf abschlagen, Perry.

Und das würde ihm nicht schwerfallen. Er brauchte nur die Gelegenheit für einen einzigen, sauberen Schuss.

Im nächsten Moment übertönte Roars lautes Pfeifen das Feuergefecht.

Ruckartig drehte Perry den Kopf in die Richtung, aus der der Pfiff kam. Roar stand etwa fünfzig Schritte entfernt. Ein Hörner-Soldat hielt ihn an den Armen fest und stieß ihn auf den Komodo zu. Dahinter entdeckte Perry Soren und Aria, die ebenfalls mit Waffengewalt fortgeschleppt wurden.

Perry verringerte sein Lauftempo, stellte sich breitbeinig auf, hob die Pistole, zielte und drückte ab.

Sein Schuss traf den Hörner-Soldaten, der Roar in seiner Gewalt hatte, direkt in die Brust. Der Mann kippte nach hinten und ging zu Boden, woraufhin Roar sich losriss und vorwärtsstürmte.

Auch Perry setzte sich wieder in Bewegung, während ihm die Kugeln um die Ohren flogen. Er hatte Aria und Soren aus den Augen verloren, doch Roar lief vor ihm, hastete in dieselbe Richtung wie er.

Sekunden später erreichte Roar Soren und warf sich auf dessen Wärter. Dieser ging zu Boden und riss Soren mit sich.

Perry stürmte an ihnen vorbei, den Blick auf Aria gerichtet. Und auf Kirra.

»Bleib, wo du bist, Perry!«, schrie Kirra, riss Aria herum und zog sie vor sich.

Abrupt kam Perry zum Stehen, als Kirra Aria eine Waffe unter das Kinn drückte. Er war nur zwanzig Schritte von den beiden entfernt, aber der Abstand war immer noch zu groß.

Langsam hob Aria den Kopf, ihre Augen funkelten wütend. Ihr Atem ging schnell, und ihr Blick war auf Perry gerichtet, doch sie schien sich auf etwas anderes zu konzentrieren.

»Wirf die Waffe weg, Perry!«, rief Kirra. »Ich kann dich nicht laufen lassen. Sable braucht …«

Im selben Moment rammte Aria Kirra einen Ellbogen in die Kehle. Dann wirbelte sie herum, packte Kirras Arm und drehte ihn ihr auf den Rücken: Mit einem Polizeigriff zwang sie Kirra auf den Boden und presste ihr Gesicht in den Staub. Anschließend griff sie sich die Pistole und versetzte dem Mädchen damit einen wuchtigen Schlag auf den Hinterkopf. Sofort erschlaffte Kirras Widerstand, und sie brach ohnmächtig zusammen.

Hastig rappelte Aria sich auf und lief zu Perry. »Ich hasse dieses Biest«, knurrte sie.

Beeindruckt und sprachlos spürte Perry, wie sich ein dümmliches Grinsen auf seinem Gesicht ausbreitete.

»Wir müssen von hier weg«, drängte Roar. Hinter ihm torkelte Soren, mit glasigem Blick und aschfahlem Gesicht.

»Hier entlang!«, rief Perry und führte sie hastig zu dem Dragonwing, zu dem der Riese ihn zuvor geschleppt hatte.

Während sie über die Rollbahn liefen, sah er die Kämpfe, die um die Hovercrafts entbrannt waren. Die Hörner schienen schnell die Kontrolle zu gewinnen: Jeder Siedler sah sich drei von Sables Männern gegenüber – und bei einigen davon handelte es sich um ehemalige Wachleute, die bereits die Seiten gewechselt hatten. Leichen lagen über das gesamte Feld verstreut, die meisten in grauen Uniformen.

Endlich erreichte Perry den Dragonwing und sprang hinein, dicht gefolgt von Aria, Soren und Roar. Cinder wartete im Cockpit, exakt dort, wo Perry ihn zurückgelassen hatte.

»Los! Los! Los!«, brüllte Perry.

Der Pilot war bereit, genau wie geplant. Er hatte den Dragonwing schon in der Luft, noch bevor sich die Luke vollkommen schloss.