Aria | Kapitel Fünfzehn
Aria lief Roar nach.
Sie wusste nicht, wie sie ihn aufhalten sollte. Mit ihm reden? Er würde nicht zuhören. Mit Gewalt? Er war stärker. Sie wusste nur, dass sie ihn nicht gehen lassen durfte. Sie konnte nicht zulassen, dass er Sable allein gegenübertrat.
Perry stieß gegen ihre Schulter, als er an ihr vorbei den Gang hinuntersprintete und den Abstand zu Roar mit jedem Schritt verkürzte. Er würde ihn k.o. schlagen, und es würde ihr das Herz brechen, ihm dabei zu helfen, aber sie musste es tun. Was auch geschah, sie konnten Roar nicht hierlassen.
Perry hatte Roar fast eingeholt, als der plötzlich stehen blieb. Instinktiv wusste Aria, was das zu bedeuten hatte; ihre Muskeln verkrampften sich, als sie abbremste und dann verwirrt zusah, wie sich der Gang vor ihnen mit Wachen füllte.
Sie richteten ihre Waffen auf Perry und Roar, schrien, drohten und brüllten salvenartig Befehle.
»Runter, sofort runter! Waffen auf den Boden!«
Aria zog ihre Waffe, als sie fünf, sechs und dann noch weitere Wachen sah. Zu viele. Ihr war klar, dass sie in der Falle saßen, und diese Erkenntnis traf sie wie ein Donnerschlag.
Dann stürzte sich Roar auf den Mann, der ihm am nächsten stand.
Sofort ging auch Perry zum Angriff über, und plötzlich herrschte Chaos, ein wildes Durcheinander von Armen und Beinen, die schlugen und traten.
Sie hob ihre Pistole und versuchte zu zielen, aber der Gang war zu eng, und zudem hielt sie die Waffe in der linken Hand. Das Risiko, Perry oder Roar zu treffen, war zu groß.
Drei Männer drückten Perry zu Boden – sie konnte ihn nicht einmal sehen.
»Lauf, Aria! Verschwinde von hier!«, rief er ihr zu.
Dann schoss Roar aus dem Gemenge hervor, hinter ihm zwei Männer. Sie rissen ihn an den Armen nach oben und schubsten ihn brutal an die Wand. Mit einem üblen Knacken prallte Roars Stirn gegen das Metall.
Einer der Wachposten drückte ihm eine Pistole unters Kinn und brüllte zu Aria hinüber: »Wenn du schießt, ist er tot!«
Perry schrie noch immer, sie solle verschwinden, aber selbst wenn sie gewollt hätte, es war unmöglich.
Hinter ihr beim Ausgang stand Kirra, das rothaarige Mädchen. Irgendwie war sie in den Besitz der kompakten Granatpistole gelangt, die Soren vorhin aus dem Materialraum mitgenommen hatte. Lächelnd presste sie ihm die Waffe an die Schläfe, während er, mit Cinder in den Armen, hilflos dastand.
Ein knackendes, britzelndes Geräusch ließ Aria herumwirbeln. Ein Wachmann zerrte Perry auf die Knie und riss ihm den Arm auf den Rücken. Dann rammte ihm ein anderer Mann einen Elektroschocker in die Rippen.
Perry verdrehte die Augen und sackte zu Boden.
Anschließend richtete der Mann den Elektroschocker gegen Roar, der ruckartig zusammenzuckte, gegen die Wand prallte und dann schlaff nach unten rutschte.
Mit einem Mal verstummte das Geschrei im Gang. Aria hörte nichts mehr, sondern starrte nur noch entsetzt auf Roar und Perry, die reglos am Boden lagen. Totenstille. Am liebsten hätte sie sich jetzt bilokalisiert oder wäre in das dunkle, eisige Wasser des Snake River gesprungen – alles, nur um von diesem Ort wegzukommen.
»Es ist vorbei, Aria«, stellte Soren fest. »Sie haben uns. Es ist vorbei.«
Sie schreckte hoch, als sie seine Stimme hörte. Langsam kam sie wieder zu sich und sah, dass sie ihre Pistole noch immer auf den Mann mit dem Elektroschocker gerichtet hatte.
Wie lange hatte sie so dagestanden? Wohl eine ganze Weile. Jedenfalls lange genug, dass sich die Wachen kniend oder liegend in Position bringen und sie ins Visier nehmen konnten.
Sie warteten.
Schließlich öffnete Aria ihre Hand und ließ die Pistole fallen.