Die Geschichte des Sauerteiges
«Eine Sklavin im alten Ägypten hatte vergessen etwas Getreidebrei zu den üblichen harten Fladen zu backen und ihn in der Sonne stehen lassen. Nachdem der Brei zu gären begann, bekam sie einen großen Schreck wegen der Verschwendung und buk aus dem Brei den Fladen doch noch. Er blähte sich aber beim Backen auf und so wurde das erste mal in der Geschichte ein aufgegangenes Brot gebacken. Die Sklavin hatte den Sauerteig erfunden.»
Solche netten Anekdoten zur Geschichte des Sauerteiges gibt es viele. Ob sie stimmen, mag jeder für sich selbst entscheiden. Ich selbst glaube nicht daran. Schon alleine aus dem Grund, weil die Dame eben kein Tagebuch geführt hat. Und wem sollte sie sonst ihren Schreck anvertrauen? Ihrem gestrengen Herrn?
Aber in dieser Geschichte stecken drei wahre
Kerne:
* der Sauerteig wurde in der Zeit der ägyptischen Hochkultur etwa
1500 bis 2000 Jahre vor der Zeitenwende entdeckt,
* Sauerteig entsteht aus Getreide- oder Mehlbrei und
* Sauerteig braucht zum Entwickeln viel Wärme.
Aber beginnen wir doch ganz am Anfang:
In der Frühgeschichte der Menschheitsentwicklung, als sich die Nahrungsbeschaffung auf das Sammeln von Grassamen, Wurzeln und Beeren und dem Fangen von Insekten und kleinerem Getier beschränkte (das berühmte Jagen der großen Mammuts war zu mühsam und vor allem sehr gefährlich), war das Essen von Getreide und Grassamen eine anstrengende und mühsame Sache: Die Samen waren hart und klein und hatten weder viel Nährwert, noch einen besonders überzeugenden Geschmack.
Dies verbesserte sich ein wenig, als die Menschen im Land Ur, dem biblischen Babylon, sesshaft wurden. Sie betrieben erstmals Ackerbau und aus den Grassamen entstanden die ersten größeren Getreidearten. Damit verbesserte sich auch die so genannte «Spindelbrüchigkeit» und das Ausfallen der reifen Samen aus der Ähre durch die natürliche Auslese: von den weiter entfernt liegenden Wiesen und Feldern kamen beim Einbringen der Frucht die stabileren und festeren Sorten eher bei der Siedlung an, als die ungünstigeren, brüchigeren Sorten, die während des Weges verloren gingen. Durch gezielte Zucht und Auswahl wurden die Gräser und Samen größer und zu dem uns bekannten Getreide. Auch die ersten unterschiedlichen Getreidesorten entstanden zu dieser Zeit und sind bis in die heutige Zeit überliefert.
Das größere Getreide war auch besser lagerfähig, aber leider immer noch nicht gut verdaulich und immer noch nicht leicht zu essen, weil die Körner einfach zu hart waren. Ein Lösung war, die Körner zu rösten und zu darren (trocknen): Dadurch wurde das Getreide nahrhafter und auch besser verdaulich. Auch bekam es durch das Rösten endlich einen eigenen Geschmack. Hart blieb es aber trotzdem.
Den ersten richtigen Durchbruch in der Getreideernährung brachte das «Mahlen und Kochen», mit dem man die mechanische Zerkleinerung (Zähne) und die Vorverdauung (Magen) vorwegnahm. Mahlen und Kochen verbesserte die Aufnahme von Nährstoffen enorm und stellte den Menschen damit die im Korn enthaltene Energie erstmals weitgehend zur Verfügung.
So entstand der erste Getreidebrei. Er war nahrhaft, schmeckte im Vergleich zu den rohen Grassamen erheblich angenehmer, konnte mit verschiedenen Zutaten, Salz und Kräutern oder Honig verfeinert und verbessert, mit Gemüse und Obst ergänzt werden und ist heute noch in weiten Teilen der Erde Haupt- und Grundnahrungsmittel. Man denke nur an die afrikanischen und ostasiatischen Völker. Dort sind Reis-, Hirse-, Gerste- oder Maisbreie noch immer weit verbreitet als alltägliches Essen von morgens bis abends.
Nachteilig am Brei ist nur, dass er nicht lagerfähig ist, frisch zubereitet werden muss, weil er sonst verdirbt, und auch nur in topfartigen Behältern mitgenommen werden kann, was ein Problem für die Menschen der Antike war, wenn sie auf der Jagd waren oder auf Wanderung gehen mussten.
Durch das Trocknen des dünn ausgestrichenen Getreidebreis bekam man aber einen Fladen, der alle diese Nachteile nicht mehr hatte: Er war lange lagerfähig, auch für Notzeiten, er konnte bei Bedarf leicht mitgenommen und mit Wasser wieder zu Brei aufgelöst werden. Man konnte ihn auch ganz einfach trocken während der Wanderung mit Obst, Gemüse, Trockenfleisch oder –fisch essen und Wasser dazu trinken.
Das Trocknen des Teiges ließ sich mit Feuer beschleunigen. Es war das erste Backen eines Fladens.
Wie aber jetzt genau aus dem harten Fladen das erste aufgegangene Brot wurde, ist in den Weiten der Erdvergangenheit und Menschheitsgeschichte nicht mehr zu ergründen. Also kann es doch so gewesen sein, wie die Anekdote uns erzählt, oder eben ganz anders. Vielleicht wurde die neue Backtechnik ja auch an mehreren Stellen gleichzeitig eingesetzt. Wer weiß es?
Zeitlich lässt sich der Beginn der gezielten Teigführung mit Sauerteig nur schlecht einschätzen. Erste Funde in Ägypten aus der Zeit der 4. Dynastie (ca. 2800 Jahre vor der Zeitenwende) konnten nicht sicher belegen, dass es sich wirklich um gesäuertes Brot handelte. Genauso gut könnte es sich auch nur um Getreidebrei gehandelt haben, der nach der langen Zeit gesäuert wie Brot zusammengetrocknet ist.
Erwähnt wurde Sauerteigbrot aber bereits in der Bibel zum Auszug der Israeliten aus Ägypten in der Zeit 1400 bis 1200 vor der Zeitenwende (2. Buch Mose 12, 8: «...das Fleisch aber sollen sie in der selben Nacht noch essen; am Feuer gebraten sollen sie es essen, und ungesäuertes Brot mit herben und bitteren Kräutern dazu…»).
Das hier erwähnte «ungesäuerte» Brot ist das traditionelle Fladenbrot, aus dem dann das jüdische Matze (auch: «Matzen» oder «Mazze») entstand, das nicht aus Sauerteig oder mit Hefe hergestellt und gebacken wird, sondern das in einem nur wenige Minuten dauernden Prozess entstehen muss.
Die Form der Brotsäuerung und Teiglockerung mittels Sauerteig blieb viele Jahrhunderte nahezu unverändert. Dazu kamen dann verschiedene Sonderformen, die die Hefe des Sauerteiges stärkten oder andere Hefen (Bierhefe, Weinhefe oder ähnliche) nutzten.
Wissenschaftlich nachgewiesen wurde das Vorhandensein von Hefen und Bakterien im 19. Jahrhundert durch den Berliner Arzt Rudolf Virchow. Dies war die Zeit, als man begann, den Sauerteig ausschließlich zur Lockerung von Roggenteigen zu benutzen und bei Weizen- und Dinkelteigen oft auf eine reine Hefenutzung aus der Bierherstellung umstieg.
Industriell wurde die Bäckerhefe anfänglich auf Getreidebasis produziert. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wechselte man dann jedoch auf Melasse, da das Getreide als Volksnahrungsmittel zu kostbar erschien, um für die Hefeherstellung verschwendet zu werden.
Aber auch noch in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts verwendeten Bäcker vereinzelt den selbstgezogenen Sauerteig auch für Weizengebäck, da er günstig verfügbar war, sein Geschmack von der Kundschaft verlangt wurde und im Bäckerhandwerk noch ein gewisser Ehrenkodex als Handwerker und nicht als verlängerter Arm der Industrie herrschte.
Leider gelang es dann letztendlich der chemischen Industrie, den Bäckern den Umstieg auf Kunstsauer, bzw. so genannte Reinzuchtsauer für die Roggenbäckerei nahezubringen. Obwohl die ersten Versuche, den «ungeliebten Sohn» Sauerteig abzulösen, noch von Pannen und geschmacklichen Verirrungen geprägt waren, so war doch der wirtschaftliche und arbeitstechnische Vorteil letztendlich nicht von der Hand zu weisen. Die Bequemlichkeit tat ihr Übriges dazu. Wer hatte schon Lust, sich auch noch in der Freizeit tagsüber um den Sauerteig zu kümmern, wenn man bereits frühmorgens in der Backstube stehen musste? Sauerteig wurde altmodisch. Man wollte aber modern sein und so fiel der Sauerteig in einen langen, mehrere Jahrzehnte dauernden Schlaf. Wach geküsst wurde er erst wieder, als man Mitte der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts begann, sich auf eine gesunde Ernährung zurückzubesinnen.
Bis dahin allerdings hatte bereits eine ganze Generation von Bäckern es verlernt, mit echtem Sauerteig zu backen. Die einst so stolze Bäckergilde hatte sich in eine Gruppe von «Tütenaufreissern» und «Fertigmischungen-Anrührern» verwandelt.
Der Verbraucher ist aber auch nicht unschuldig, da er von seinem Bäcker jederzeit bis Ladenschluss mehrere Dutzend Arten frischer Brote und Brötchen erwartet, andererseits nicht bereit ist, diese Leistung auch finanziell zu honorieren und sich notfalls eher tiefgefrorene Fabrikteiglinge aus Osteuropa an der Tankstelle oder im Supermarkt aufwärmen lässt.
In den letzten Jahren zeichnet sich aber wieder ein Trend zu natürlichen Sauerteigen ab. Immer mehr Bäcker kehren zum echten Sauerteig zurück, auch weil die Kunden wacher geworden sind und vermehrt nach echtem und ursprünglichem Brot fragen. Ein Hoffnungsschimmer!