Einundvierzig

»Der Engel des Todes«

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Nicht lange danach verließen Awaale und das Kind unsere Gesellschaft mit nichts weiter als einer Tagesration Essen und Munition fürs Gewehr. »Wenn du dich beeilst, schaffst du es vielleicht vor Anbruch der Nacht zu den Höhlen«, sagte Kearns ihm. Er zeichnete eine grobe Karte auf ein Stück Papier und reichte sie dem Somalier. »Aber falls die Nacht dich überrascht und du meinem Minotaur über den Weg läufst, dann denk dran, dass ich Theseus bin in diesem kleinen Drama und du … Tja, ich bin mir nicht sicher, wer du bist.«

»Halten Sie die Klappe«, sagte Awaale.

»Du bist ein toter Mann«, erwiderte Kearns fröhlich, »auf einem Metzgergang.«

»Und Sie sind ein Metzger mit dem Herzen eines toten Mannes!«, versetzte Awaale. Er nahm mich beiseite und sagte: »Ich habe etwas für dich, walaalo.« Er zog sein langes Messer und drückte es mir in die Hand. »Ich werde dir nicht erzählen, dass es dir Glück bringen wird – es ist das Messer, das ich benutzt habe, um denjenigen zu opfern, den ich liebte –, aber wer weiß? Vielleicht wäschst du ja seine Klinge mit dem Blut der Bösen rein.« Er funkelte Kearns an. »Nein, nein, du musst es behalten! Ich kann nicht fortgehen, ohne dir ein Geschenk zu geben, walaalo. Bald werde ich dich in Gishub wiedersehen, deshalb werde ich nicht Lebewohl sagen!«

Er drehte sich zu Warthrop um, der einfach sagte: »Versage nicht!«

»Sie sind ein schwieriger Mensch, dhaktar Pellinore Warthrop. Schwierig zu verstehen und noch schwieriger zu mögen. Ich werde nicht versagen.«

Er schulterte seine Büchse, nahm Warthrops Bürde entgegen – der Säugling sah unglaublich klein in seinen mächtigen Armen aus – und ging den Pfad hinunter. Wir beobachteten ihn, bis er um eine Biegung schritt und fort war.

* * *

Nach oben führte uns jetzt John Kearns, direkt zum Gipfel des Abgrunds, entlang von schattengefüllten Schluchten und schroffen Felswänden, wo jeder Griff heikel und jeder Schritt gefahrenbeladen war, um Halden zertrümmerter Steine herum und um tiefe Becken kristallenen Wassers, das den leeren Himmel widerspiegelte, entlang terrassenförmigen Felsvorsprüngen, die sich wie Balkone vorschoben und die Diksam-Hochebene überblickten, eine unbelebte, gesichtslose Landschaft zweitausend Fuß unter uns. Es war kalt, und die Luft senkte sich in unsere Lungen wie die scharfe Klinge von Awaales Messer.

Am Vormittag kamen die Wolken, schluckten die Berggipfel, glitten schnell und still hundert Fuß über unsern Köpfen dahin wie eine große weiße Tür, die zugeschlagen wird. Und noch höher kletterten wir, bis ich die Hand ausstrecken und die diesigen Bäuche der Wolken berühren konnte. Wir gelangten an eine ebene Stelle des Pfades, und dort blieb Kearns unvermittelt stehen, die Hände in den Hüften, den Kopf gesenkt, und japste nach Luft.

»Was ist los?«, wollte Warthrop wissen. »Haben Sie sich verlaufen?«

Kearns schüttelte den Kopf. »Müde. Ich muss mich ausruhen.«

Er ließ sich auf den Boden sinken und suchte in seinem Gepäck nach einer Feldflasche. Warthrop konnte sich kaum zurückhalten. Er lief auf der ebenen Fläche hin und her, wobei er manchmal gefährlich nahe dran war, über den Rand zu treten und ins Leere zu fallen.

»Wie weit noch?«, fragte er.

»Fünfhundert Fuß … sechshundert?« Kearns schüttelte den Kopf. »Habe immer noch nicht rausgekriegt, wie die armen Schweine es machen, geschweige denn warum

»Wer? Wie sie was machen?«

»Die Fäuler. Irgendein protohumaner Instinkt, nehme ich an. Geh zum höchsten Punkt, bevor du platzt …« Er zuckte mit der Schulter.

»Warthrop schüttelte den Kopf. »Ich verstehe nicht.«

Kearns sah zu ihm auf und sagte mit einer Stimme, aus der alle Verspieltheit gewichen war: »Das werden Sie noch.«

* * *

Wir drangen in die Wolken ein, und die Welt zerfloss zu einem wirbelnden weißen Nichts, dem völligen Verzicht auf Farbe, und wir bloß gespensterhafte Schemen, Gestalten ohne Substanz, Formen ohne Dimensionen. Ich ging sehr dicht am Doktor; nur ein oder zwei Schritte mehr zwischen uns, und ich hätte ihn der Leere verloren. Der Wind umpeitschte den Berg und schlug uns in den Rücken. Ich hatte Angst, er würde mich geradewegs vom Rand stoßen. Ich verlor jegliches Zeitgefühl. Hier auf dem Gipfel des Abgrunds schien die Zeit nicht zu existieren. Eine Million Jahre waren dasselbe wie eine Minute.

Direkt vor uns erhob sich eine acht Fuß hohe Felswand aus dem Nebel. Wir waren an ein Ende gelangt, der Schwelle zum Domizil des prächtigen Vaters, den Nistgründen des Magnificums.

Der Augenblick, den mein Herr herbeigesehnt und gefürchtet hatte, war gekommen. Der Monstrumologe stürmte vorwärts. Ich zweifle nicht daran, dass, wenn Kearns – oder sogar ich – versucht hätte, ihn aufzuhalten, er denjenigen den Berghang hinuntergeworfen hätte. Er hielt nur lange genug inne, um ein Paar frische Handschuhe anzuziehen, ehe er die Hände auf den oberen Rand der Wand legte und sich mit einem Tritt gegen die Seite hochzog. Er verschwand im Nebel.

»Na?«, sagte Kearns leise zu mir. »Gehst du nicht hoch?«

»Dr. Kearns«, flüsterte ich. »Was ist das Magnificum

»Du bist ein sehr scharfsinniger Bursche, Will. Bestimmt hast du sein Gesicht inzwischen erkannt.«

Ich zuckte zusammen, als er mich leicht an der Wange berührte. Seine grauen Augen funkelten.

»Sie mögen von unterschiedlicher Farbe sein, aber wir haben die gleichen Augen, Master William Henry, du und ich. Oculi Dei – die Augen, die sich nicht fürchten zu sehen, die sehen, wo andere blind sind.«

Ich zog den Kopf weg. »Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.«

»Das weißt du nicht? Am Anfang erschuf Gott den Menschen nach seinem Ebenbild, und Gott sah, dass es gut war. Du warst einer Meinung mit mir, was das Kind anging. Leugne es nicht; ich habe es in deinen Augen gesehen. Die Augen sind dir aufgegangen, nicht wahr? Das ist der Grund, weshalb er dich bei sich behält, weil du an den dunklen Orten siehst, wo er sich fürchtet, hinzuschauen. Also frage mich nicht, was das Magnificum ist! Die Frage beleidigt meine Intelligenz.«

Er kniete sich vor mich hin, verschränkte die Hände ineinander und streckte sie mir entgegen.

»Nun komm schon, ich drücke dich hoch! Er ist an einem dunklen Ort und braucht dich, um für ihn zu sehen.«

Ich stieg in Kearns’ Hände, und er hob mich hoch über die Felswand.

* * *

Ich stand auf dem Rand einer ausgedehnten Höhle, deren Dach und Wände nach tausend Jahren Regen und Wind und Erdbeben nachgegeben hatten. Überall auf dem Boden lagen gigantische Steinplatten der eingestürzten Kaverne herum. Verstreut zwischen Felsbrocken waren die Überreste von Stalagmiten, die von den Monsunen einer schimmernden Politur unterzogen worden waren, manche vom unablässigen Wind abgetragen bis auf fußhohe Stücke, andere doppelt so groß wie ich und ihre Enden so spitz wie ihre Basen breit. Sie erinnerten mich an die knochigen Stacheln, die aus Mr Kendalls Gesicht hervorgebrochen waren.

Den Doktor sah ich nicht; er war im wirbelnden Weiß verborgen. Ich sah die glitzernden Zähne des Bergs und seine gebrochenen Knochen, und dann, ein paar Schritte weiter, stieß ich auf die erste Leiche, stark verwest und von Aasfressern reichlich gefleddert, der Bauch aufgeplatzt, der Hohlraum wie ein großer schwarzer, gähnender Mund. Die Hälfte seines Gesichts war ihm weggerissen worden, und in einer leeren Augenhöhle hatte es sich ein Skorpion gemütlich gemacht. Ein Windstoß zerrte an den Überresten des papiernen Fleischs, das noch an seinen Knochen haftete, und ein paar Stücke rissen ab und schossen in die Höhe wie heiße Asche in der überhitzten Luft eines Feuers.

Hinter mir hörte ich Kearns sagen: »Dies ist sein Maul. Wenn Typhoeus’ Kinder spüren, dass das Ende gekommen ist, schleppen sie ihre faulenden, aufgedunsenen Körper an diese Stelle auf dem Gipfel der Welt, wo sie explodieren – manche, nachdem sie gestorben sind, andere davor. Ich habe die atmenden Leichname seiner Kinder mit der Gewalt einer Granate auseinanderfliegen sehen … Und die Winde kommen herunter. Sie heben die blutigen Eingeweide auf und führen sie meilenweit mit sich, bis sie als roter Regen aus einem klaren blauen Himmel fallen.«

Er zog mich vorwärts, der Nebelvorhang zog sich zurück, und ich sah Hunderte von Körpern, erstarrt im Todeskampf, zusammengeschrumpelt zwischen den Felsen, ausgestreut um die glänzenden, spitzen Säulen herum, und sie wurden zahlreicher, als wir weitergingen, bis es fast unmöglich wurde, nicht auf sie zu treten. Vorsichtig suchten wir uns einen Weg durch des Magnificums überreiche Ernte, und die dünne Luft war schwül vom schweren Geruch der Fäulnis, der vom Dreschboden aufstieg.

Wir gelangten an eine flache Mulde in der Erde, die Überreste eines alten Höhlensees. Kearns wies mich auf die mit gekrümmtem Rücken knienden Gestalten der noch Lebenden hin, die überall auf dem trockenen Seebett verstreut waren, jeder neben einem toten Bruder und alle mit etwas beschäftigt, das sie zärtlich auf dem Schoß hielten. Kearns presste einen Finger auf den Mund, um mir Ruhe zu signalisieren. Er kauerte nieder und bedeutete mir, seinem Beispiel zu folgen, und führte mich dann am Ufer der unfruchtbaren Senke entlang. Er brachte mich nahe – aber nicht zu nahe – an einen knienden Mann heran, dessen Gesicht von den Knochenhörnern, die aus seinem Schädel wuchsen, in Stücke geschlagen worden war, dessen schwarzen Augen jedes Weiß fehlte, dessen Mund offen stand und eine verwirrende Fülle dornenartiger Wucherungen enthüllte und dessen eiternde Finger mit äußerster Zartheit an dem Gegenstand rupften und zupften, der zwischen seinen Beinen ruhte. Ich wusste es zu dem Zeitpunkt nicht, aber dieses menschliche Wrack war einmal ein Mann namens Anton Sidorov gewesen.

»Dies sind seine Hände«, raunte Kearns mir ins Ohr. »Die Hände des Magnificums. Es ist mir ein Rätsel; ich begreife nicht, was sie dazu zwingt, den Nidus zu bauen, aber sie arbeiten tagelang ohne Unterlass daran, bis zu dem Moment, wo sie zusammenbrechen.«

Der Erschaffer des Nidus weinte. Von tief in seinem Rachen drang ein Wimmern, ein unartikuliertes, protestierendes Jammern, als ob die unwiderstehliche Kraft, die ihn antrieb, ihn auch abstieße und die Spannung zwischen ihnen – dem Ihm und dem Nicht-ihm – eine Welt zerbrechen könnte.

»Hörst du es, Will?«, flüsterte Kearns aufgeregt. »Das ist die Stimme des Magnificums, das letzte Geräusch am Ende der Welt!«

Der Einstmals-Sidorov griff nach unten zu dem entweihten Körper, der zusammengerollt an seiner Seite lag, und zog dessen leblose Hand an seine Brust. Mit einem gequälten Seufzer brach der Un-Sidorov den Zeigefinger ab. Es knirschte leise, als er ihn von der Hand der Leiche abzog. Er beugte sich wieder vor, um das Glied ins »Nest« einzubauen.

Plötzlich grunzte das kniende Kind von Typhoeus, sein Rücken krümmte sich, sein Mund klaffte auf, und ein zähflüssiger Strom einer klaren Flüssigkeit brach aus seinem Mund und ergoss sich auf seine Arbeit. Nicht die Fäule der Sterne. Nicht der Speichel von Monstern. Nicht Pwdre ser, sondern Pwdre ddynoliaeth – die Fäule der Menschheit.

Und John Kearns flüsterte in mein Ohr: »Siehst du es jetzt? Du bist das Nest. Du bist das Junge. Du bist die Chrysalis. Du bist die Brut. Du bist die Fäule, die von den Sternen fällt. Wir alle – du und ich und der arme, liebe Pellinore. Sieh das Antlitz des Magnificums, Kind! Und verzweifle.«

Obwohl der Anblick Übelkeit in mir hervorrief, sah ich hin. An dem schattigen Plätzchen der Bestie auf dem Gipfel der Welt wurde ich des Gesichts des Magnificums gewahr, und ich wandte mich nicht ab.

* * *

Hinter uns ertönte ein Schuss, nicht lauter als der Knall einer Spielzeugpistole. Wir wirbelten herum. Im wabernden Nebel machte ich die Umrisse eines großen Mannes aus, der übers Seebett schritt. Er ging zu einer der knienden Gestalten hin und schoss ihr aus kürzester Distanz in den Hinterkopf. Dann schritt er weiter, ging dabei über den Gefallenen hinweg, bis er den Nächsten erreichte, den er auf dieselbe Weise hinrichtete. Der Monstrumologe hielt nur einmal auf seinem Rundgang an – um den Revolver nachzuladen. Er arbeitete sich um die gesamte Grube herum, und seine Handlungen waren methodisch und unheimlich bestimmt – hingehen zum knienden Opfer, stehen bleiben, ihm eine Kugel in den Kopf jagen, weitergehen zum Nächsten.

Du hast dich in den Dienst von ha-Mashchit gestellt, dem Zerstörer, dem Engel des Todes.

Als Sidorov an die Reihe kam, stand ich auf, aber Warthrop sagte nichts, als er vorbeiging. Er ging geradewegs auf den geistlosen Handwerker zu, hob die Waffe und schoss eine Kugel in das, was von seinem Gehirn noch übrig war.

Er kam zu uns zurück, und der Nebel schmolz vor ihm, weggebrannt von dem kalten Feuer, das in seinen Augen tobte. Ich erkannte ihn nicht wieder, diesen Mann mit struppigem Bart und langen, vom Wind zurückgekämmten Haaren und Augen, deren eisige Flamme die Sonne hätte gefrieren lassen können. Ich weiß nicht, wie ich mich auf diesen Mann beziehen soll, der jetzt auf uns zuschritt. »Pellinore Warthrop« oder den »Doktor« oder den »Monstrumologen« kann ich ihn nicht nennen, denn er war nicht derselbe Mann, der den Gipfel des Abgrunds erreicht hatte, den locus ex magnificum, das schlagende Herz des namenlosen, sich entrollenden Dings ein zehntausendstel Zoll außerhalb unseres Gesichtsfeldes.

Der Fremde packte Kearns am Kragen und sagte: »Wo ist es? Wo ist das Magnificum

»Haben Sie keine Augen? Machen Sie sie auf und sehen Sie!«

Ich hörte ein scharfes Klicken – der Hahn, der sich zurückzog. Ich sah etwas Schwarzes aufblitzen – der Lauf, der herumschwenkte.

Kearns verzog kaum eine Miene. »Drücken Sie ab, und Sie werden niemals lebend aus diesen Bergen herauskommen.«

»Wo ist es?« Mit am Abzug zitterndem Finger.

»Fragen Sie Will Henry. Er ist nur ein Junge, und er sieht es. Sie sind der Monstrumologe; wie kommt es, dass Sie es nicht können? Schauen Sie es sich an, Pellinore. Drehen Sie sich um und sehen Sie! Das Gesichtslose. Das Gesichtslose. Sie haben auf etwas Jagd gemacht, das sich von Anfang an direkt vor Ihnen befand. Es gibt kein Monster. Es gibt nur Menschen.«

Möglicherweise hätte er John Kearns da umgebracht. Er war an diesen Ort gekommen – denselben Ort, hier auf dem Gipfel der Welt, wo, in seinem Zentrum, ich gestanden hatte. Ich will Ihnen ehrlich sagen, dass es nicht schwer ist, einen Menschen an diesem Ort zu töten. Dazu braucht es kaum einen Gedanken. Es ist der Ort des Sichentrollens, der Ort, wo der Jäger aufs Monster trifft und in dessen Gesicht sein eigenes widergespiegelt sieht. Es ist der Ort, wo Verlangen auf Verzweiflung trifft.

Ich musste ihn aufhalten. Ich sagte: »Er hat recht, Sir. Wir brauchen ihn.«

Er sah mich nicht an. Obwohl ich direkt neben ihm stand, war er allein an diesem Ort. Ich zog an seinem Arm; er fühlte sich wie Eisen unter meinen Fingern an.

»Dr. Warthrop, bitte, hören Sie! Sie dürfen nicht! Sie dürfen nicht!«

»Sie lügen!«, schrie er Kearns ins Gesicht. »Das ist bloß ein weiterer Ihrer verdammenswerten Tricks! Sie finden es spaßig, einen Narren aus mir zu machen …«

»Oh, dazu brauchen Sie meine Hilfe nicht!«, erwiderte Kearns lachend. »Natürlich würde ich mir gern unsere Neigung, allem Monströsen das Gesicht eines Monsters zu verpassen, an die Fahne heften. Auf gewisse Weise ist es tröstlich, zu denken, ein großer Drache schleppt uns hoch in den Himmel und zerfetzt uns, oder dass irgendeine riesige Spinne ihr Nest aus unseren Überbleibseln webt. Wenn man uns schon unseren Platz im großen kosmischen Plan zuweist, ja nun, dann sollte das doch verdammt noch mal besser von etwas Beeindruckendem geschehen!«

Die Hand des Doktors hatte zu zittern begonnen. Ich hatte Angst, er könnte aus Versehen abdrücken.

»Da ist … nichts«, sagte Warthrop zögernd, wie ein Echo des gequälten »Nullité!« Pierre Lebroques.

»Nichts!«, rief Kearns in gespielter Verwunderung. »Erzählen Sie das dem armen Sidorov oder dem zerfetzten Stück Lehm neben ihm! Erzählen Sie es den armen Schweinen in Gishub oder der Mutter, die ihr Kind verloren hat, oder dem Kind, das seine Mutter verloren hat! Erzählen Sie es dem Zaren und den Leuten seines Schlages, die das Magnificum gern zähmen würden, um die Welt zu unterjochen! Wirklich, Pellinore, was für ein Monstrumologe sind Sie bloß? Eine ansteckende Krankheit mit dem Potenzial, die gesamte menschliche Rasse auszulöschen – und Sie nennen es nichts

Warthrops Hand sank herab und er selbst zu Boden, überwältigt von der Ungeheuerlichkeit seiner Torheit. Die dunkle Flut schwappte über ihn und trug ihn hinab in ihre erdrückenden, lichtlosen Tiefen. Kearns hatte recht. Die Zeichen waren von Anfang an überall um den Doktor herum da gewesen – von den mit Gallerte gefüllten Säcken in Mr Kendalls Magen bis hin zu den aufgeplatzten Leichen in Gishub –, aber er hatte sich abgewandt. Er hatte sich nicht gezwungen, ins wahre Gesicht des Magnificums zu blicken, und jetzt schrie das Blut derer, deren Leben er auf dem Altar seines Ehrgeizes geopfert hatte, zum Himmel und klagte ihn an.

Ich kniete mich neben ihn. »Dr. Warthrop? Dr. Warthrop, Sir, wir können nicht hierbleiben.«

»Warum nicht?«, schrie er. »Für sie ist es gut genug!« Mit einer weit ausholenden Bewegung umfasste er den öden Berggipfel. Er sah zu mir auf, und ich sah nichts als Asche in seinen Augen; das kalte Feuer war erloschen. »Du hast es selbst in der Harrington Lane gesagt. Was sie sind, bin ich im Innern. Ich bin ihr Bruder, Will Henry. Ich bin ihr Bruder, und ich werde sie nicht verlassen.«