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AM GESTRIGEN Sonntagmorgen bin ich noch früher aufgestanden als sonst. Ich bin hinunter auf den weiten Platz vor meinem römischen Wohnhaus gegangen und habe in einer der vielen kleinen Bars einen Caffè getrunken. Für einen Moment habe ich überlegt, ob ich in einen Frühgottesdienst gehen sollte, dann aber bin ich erst hinunter zum Tiber und eine Weile an seinem Ufer entlang spazieren gegangen. Ich war beinahe allein, nur ein paar Jogger liefen an mir vorbei, ich blieb stehen und schaute durch das aquarellgrüne Laub der Platanen hinüber zum anderen Ufer.
Erneut dachte ich daran, in einen Gottesdienst zu gehen, beinahe an jedem Sonntag kommt dieser Gedanke immer wieder und ganz unwillkürlich. Der Sonntag ist ein Tag, dessen Verlauf und dessen Rituale mir aus den Kindertagen geblieben sind, es ist, als wäre ich damals für immer mit bestimmten Sehnsüchten und Erwartungen geimpft worden, ohne die ich mir einen Sonntag einfach nicht vorstellen kann.
In den Kindertagen war dieser Tag nämlich der Tag des ganz anderen Lebens, des Lebens mit festlichem Charakter, das mit dem sonstigen Werktagleben nur sehr wenig gemein hatte. Einige Bestandteile dieses anderen Lebens hatte ich schon während jener Kirchgänge mit meiner Mutter kennengelernt, die alle paar Tage stattfanden, meist aber nicht länger als einige Minuten dauerten. Sie führten uns in eine nahe gelegene Kapelle mit einem spitz zulaufenden Dach, in der es gleich rechts vom Eingang eine Gebetsnische mit einem Marienbild und vielen brennenden Kerzen gab.
Wenn wir uns zum Gebet vor dieses Bild knieten, ereignete sich jedes Mal etwas Merkwürdiges. Schaute ich nämlich konzentriert auf das Bild, wurde die Kirchenstille ringsum um einige Grade stiller, nur noch die feinsten Geräusche waren zu hören, das leise Knistern der brennenden Kerzen oder ein Holzknarren, irgendjemand hatte den Finger auf den Mund gelegt und allem Lebendigen befohlen, stiller und immer stiller zu werden.
Je stiller alles wurde, umso deutlicher aber strahlte das Marienbild auf, so dass ich schließlich sehr ruhig wurde und nur noch in das Gesicht der schönen Maria starrte, als würde ich von ihm in eine Hypnose der Stille versetzt. In dieser Hypnose begann ich zu beten, aber nicht so, dass ich mir bestimmte Worte ausgedacht hätte, sondern eher, indem ich zunächst zuhörte, wie das Beten in mir von selbst begann.
Das Beten begann, wenn mir die bekannten, großen Gebete einfielen, eins nach dem andern kam mir ganz von allein in den Sinn, und ich dachte und sprach sie im Kopf dann von Anfang bis Ende. Die Intensität, mit der ich betete, kam aber auch daher, dass ich neben meiner hingebungsvoll betenden Mutter kniete. Wenn ich etwas verstohlen zur Seite blickte, sah ich genau, wie sehr sie das Beten berührte, es war, als nähme sie sich aufs Äußerste zusammen, so angespannt und konzentriert kniete sie auf der harten Bank und schaute unentwegt die schöne Maria an.
Dieses Anschauen wirkte so, als bettelte sie um ein Gespräch, eine Entgegnung oder zumindest um einen kleinen Wink, alles an ihr hatte etwas Dringliches, so dass ich annehmen musste, es gehe um das Wichtigste überhaupt, um Leben und Tod. Die Anspannung und die hohe Bedeutung, die dem Beten anscheinend zukam, ließen mich daher annehmen, es gebe zwei Leben, das Werktagsleben mit all seinen kleinen Hindernissen, Sorgen und Peinlichkeiten, und das Sonntagsleben mit den Gebeten, dem Besuch des Gottesdienstes und einem festlichen Mittagessen, das an Schönheit und Feierlichkeit genau zu den sonntäglichen Gebeten und Gottesdiensten passte.
 
Das Gebet und die Gottesdienste waren also ein Hintreten vor Gott, man machte sich klein, sagte seine Verse und Texte auf, bat um seinen Segen und erzählte ihm, was in der letzten Zeit alles geschehen war. Vor allem solche Erzählungen machten das Besondere des Betens aus, man schaute noch einmal zurück, man ließ sich etwas durch den Kopf gehen, oder man überlegte, ob man in dieser oder jener Situation richtig gehandelt hatte.
So war Gott die höchste und strahlendste Instanz, vor der das kleine Leben zusammenschnurrte und sich in ein weites, offenes, großes Leben verwandelte. Der gewaltigste Ausdruck dieses großen Lebens aber stand am Rhein, denn ganz in der Nähe des Rheinufers befand sich der Dom und damit eine Kirche, die alle anderen Kirchen überragte und auch sonst nicht mit ihnen zu vergleichen war.
 
Alle paar Sonntage in den Dom zu gehen – das war in jenen Kinderjahren eines der Erlebnisse, die mich gewiss am stärksten geprägt haben. Es begann damit, dass wir zu dritt am Rhein entlanggingen, die Eltern zu zweit und ich oft auf dem Roller, ihnen voraus. Schon von Weitem waren die mächtigen Domglocken zu hören, ihr schwerer Klang füllte das ganze Rheintal und zog einen wie magisch in die Nähe des hohen, schwarzen Gebirges aus Stein, das auf einer kleinen Anhöhe stand, zu der man über viele Stufen hinauf gelangte.
Ich weiß noch genau, wie sehr ich damals bei jedem Betreten des Kirchenraums erschrak, denn sofort nach Passieren des großen Portals ging der Blick ja hinauf, in die schwindelerregenden Höhen, an den Pfeilerbündeln und bunten Kirchenfenstern entlang. Ich blieb stehen und wusste nicht weiter, so wie mir erging es aber den meisten Besuchern, sie blieben stehen und schauten eine Zeit lang in die Höhe, als müssten sie zunächst einmal Maß nehmen und sich auf diese den Körper überwältigenden Größenverhältnisse einstellen.
Hinzu kam eine plötzliche, heftige Kühle, es war, als hauchte einen diese eisige Kühle von den Pfeilern und grauen Steinen her an und als bliesen all diese Steine einem ihren jahrhundertealten, leicht modrigen Atem entgegen. Etwas Säuerliches, Bitteres war in diesem Atem, etwas, das einen zurückschrecken und hilflos werden ließ, man wusste nicht genau, ob man in diesem Bau denn auch willkommen war, so viel Fremdheit und Strenge begegneten einem.
Da war es gut, dass der Vater dabei war, denn mein Vater nahm mich meist an der Hand und ging dann mit mir voraus, wir bahnten uns einen Weg durch das rechte Seitenschiff, wo die Menschenscharen bereits dicht gedrängt standen. Nahe der Vierung warteten wir auf meine Mutter, die sich am liebsten gleich nach dem Betreten des Doms in eine der hinteren, noch leeren Bankreihen gesetzt hätte, das jedoch kam für Vater nicht in Frage, er wollte jedes Mal weit nach vorn, in die Nähe des Hauptaltars, die Weihrauchwolken, die während des Gottesdienstes von dort durch das Kirchenschiff zogen, sollten uns erreichen und einhüllen wie schwere Gewänder.
Erst im rechten Querschiff, ganz in der Nähe der Vierung, knieten wir uns in eine Bank, und mein Blick schoss wieder hinauf in das hohe Gewölbe über dem Hauptaltar, wo es eine winzige, helle Öffnung gab, durch die das Sonnenlicht hineinströmen konnte. Ich glaube nicht, dass jemand sonst diese Öffnung bemerkte, sie war eines der vielen Details, wie sie nur Kindern auffallen, ein winziges, kreisrundes, helles, das Sonnenlicht einatmendes Loch, das Schlupfloch des großen Gottes, der in diesem Dom sein eigentliches Haus und in die kleineren Kirchen seine Stellvertreter, seine Jünger und Heilige, vor allem aber die Gottesmutter geschickt hatte, damit sie einen vorbereiteten für das Schwierigste, dafür, seine Größe zu ertragen und vor ihm zu bestehen.
 
Bis der Gottesdienst begann, dauerte es dann meist noch einige Zeit, das machte aber nichts, denn in der Zeit bis zu seinem Beginn hatte ich viel damit zu tun, mir alles in meiner Nähe anzuschauen, die Heiligenfiguren an den hohen Pfeilern, den mächtigen, goldenen Schrein im Chor oder die vielen brennenden Kerzen in der Nähe des Altars mit einem großen Bild der schönen Maria.
Schließlich aber war es so weit, ein feines, helles Glöckchen meldete sich, und dann standen alle rasch, mit einer einzigen, entschlossenen Bewegung, auf, und die Orgel begann etwas sehr Lautes zu schmettern, unglaublich laut brauste ihr Klang, als rauschten viele Engel zugleich mit ihren Flügeln und sausten wie im Sturm zwischen den Pfeilern hindurch, hinauf, bis unter das Dach und pfeilschnell an den bunten Fenstern aus Glas vorbei, die ich so gerne betrachtete.
Vom Eingang der Kirche, also von dort, wo jetzt eine unübersehbare Menge von Menschen stand, näherte sich dann die lange Schar der rot-weiß gekleideten Ministranten, die kleinen voran, die großen hinterher, dann aber kamen die Priester, viele Priester, und endlich der Erzbischof, ein älterer, die Menschen unablässig segnender Mann mit einem Hirtenstab in der Hand. Die Orgel schmetterte noch eine Weile und trieb die Engelsscharen zu immer schnelleren Flügen an, dann aber brach ihr Klang von einem auf den andern Moment zusammen, und es war sekundenlang still.
Während dieses erschreckend plötzlichen, stillen Moments holte ich meistens tief Luft, die rasenden Engel waren verschwunden, jetzt kam alles ein wenig zur Ruhe, denn jetzt war der Chor dran, nur wenige Stimmen, anfangs kaum hörbare, dann aber immer deutlicher werdende Stimmen. Ich wusste längst, was sie sangen, ohne dass ich den Text verstanden hätte, im Dom wurde in seltsamen Sprachen gesungen und gebetet, Bruchstücke der Gebete hätte ich nachsprechen können, am liebsten aber hätte auch ich mit den anderen gesungen.
Statt meiner sang aber nur der Vater, jedes Mal wartete ich darauf, dass er zu singen begann, denn er sang lauter und kräftiger als alle anderen Gläubigen in unserer Nähe, was mich immer wieder so sehr erstaunte, dass ich ihn jedes Mal einen kurzen Moment lang anschaute. War das wirklich der Vater, der da so laut sang?
Ich schaute genau hin, um mich zu überzeugen, ja, es war der Vater, das aber war jedes Mal schwer zu verstehen, denn der laut singende Mann hatte eine ganz andere Stimme als die, die Vater sonst hatte. Es war eine tiefe, beharrliche Stimme, es war, als träte sie langsam, wie eine ernste Gestalt, aus einem dunklen Raum hervor, denn sie begann leise und vorsichtig, um sich dann von Ton zu Ton immer lauter zu steigern. Wunderschön prächtige, hohe und mächtige, liebreich holdselige himmlische Frau …- so ein Lied für die schöne Maria sang der Vater, nach einem kurzen Anlauf stieg seine Stimme in die Höhe und hörte sich schließlich beinahe an wie eine Fanfare.
Ich wäre über Vaters Stimme nicht weiter verwundert gewesen, wenn er auch sonst, zu einem anderen Anlass, einmal laut und kräftig gesungen hätte, er sang aber sonst niemals irgendein Lied, ja er summte nicht einmal eine Melodie vor sich hin. Im Dom aber sang er urplötzlich wie ein großer, mächtiger Sänger, der die anderen Gläubigen mit seinem Gesang ansteckte, so dass auch sie sich bald etwas trauten und lauter sangen als gewöhnlich.
 
Überhaupt war es schön, dass die Menschen während eines Gottesdiensts so viel gemeinsam und meist auch noch dasselbe taten, endlich redeten sie nicht ununterbrochen, sondern nur dann, wenn sie darum gebeten wurden, und endlich bewegten sie sich auch nicht laufend von einer Stelle zur andern, sondern hielten es eine Zeit lang singend und betend auf einem einzigen Platz aus.
Singen und Beten, beides mochte ich sehr, im Stillen sang und betete ich ja mit und stimmte ein in das, was nun alle sangen und beteten, dadurch aber machte ich endlich einmal etwas mit den anderen Menschen zusammen und befand mich nicht mehr im Abseits, nahe einer Laube, oder ganz allein mit der Mutter, am Ufer des Flusses.
Im Dom gehörte ich vielmehr dazu, ich gehörte zu all diesen laut singenden und betenden Menschen, niemand fragte mich aus, sprach mich an oder behauptete, dass ich ein armes Kind sei, denn im Dom gab es überhaupt keine armen Kinder, sondern nur Gotteskinder, jedenfalls nannte der Erzbischof die Gläubigen so. Ein Gotteskind zu sein, war für mich also die eigentliche Erlösung und einer der schönsten Zustände überhaupt, deshalb bemühte ich mich im Dom auch sehr, alles richtig und so wie die anderen zu machen.
Die einzige Störung des Gottesdiensts, die jedes Mal nur schwer zu ertragen war, war die Predigt. Von Anfang, vom Stürmen der Orgel und den leisen Gesängen des Chores, an, war der Gottesdienst etwas Feierliches, Festliches, wenn aber die Predigt kam, war es für eine Weile aus mit der Feierlichkeit. Die Predigt störte mich nicht deshalb, weil ich nicht alles verstand, sondern vor allem, weil überhaupt so lange geredet und alles erklärt wurde. Musste denn alles, aber auch alles, beredet und umständlich erklärt werden? Selbst der sonst aufrecht und gerade dasitzende Vater sackte während der Predigt immer ein wenig müde und gelangweilt in sich zusammen, während die Mutter das Predigen erst gar nicht aushielt und in einem Gebetbuch zu lesen begann.
Nach der Predigt musste man erst wieder in den Gottesdienst hineinfinden. Eine Weile sangen und beteten alle etwas leiser und gedämpfter, und erst wenn das große Heilig, heilig, heilig, heilig ist der Herr. Heilig, heilig, heilig, heilig ist nur Er … gesungen wurde, hatte der Vater seine mächtige Stimme wiedergefunden und sang wieder so laut, dass ich durchatmen konnte.
 
Solche festlichen, oft bis zu zwei Stunden dauernden Gottesdienste endeten mit dem erzbischöflichen Segen und der lakonischen lateinischen Formel Ite missa est (so geht nun hinaus, die Messe ist vorbei). Danach verbeugte man sich noch einmal kurz, und der Organist spielte ein letztes, jubelndes, die Festscharen aus dem gewaltigen Gebäude mit Schwung hinausfegendes Stück. Wie betört flog man ins Freie, auf windiges, unwirtliches Terrain, wo man es nicht lange aushielt.
Die Zeremonie hatte einen verwandelt, vom ersten Musikstück an nahm sie einen gefangen und richtete den Blick aus auf die langsamen Bewegungen der Geistlichen am Hochaltar. So war der Blick für Stunden fixiert, und während man jede Einzelheit genau verfolgte, die sich dort als eine heilige Handlung vollzog, rückte einen die Musik immer näher heran an das Geschehen. Das laute Singen, das deklamierende Beten – sie machten aus dem schmächtigen, unsicheren Kindskörper einen erregten, gebannten Körper für die großen Momente.
 
Im Dom lernte ich also das eigentliche Sehen und Hören, ein Sehen von schönen Gebärden und kunstvollen Gestalten, ein Hören der reinsten Musik, einer Chormusik ohne Begleitung, oft einstimmig. Sie füllte den Kindskörper aus und machte ihn zu ihrem Widerpart, es war, als gösse der gewaltige Gott diese Musik in einen hinein, damit man allen Kummer und alle Sorgen zumindest für die Dauer des Gottesdienst vergaß.
Danach aber war Mittag, und zu einem sonntäglichen Mittag gehörte ein Mittagessen in einer der Wirtschaften ganz in der Nähe des Doms. Nur selten habe ich erlebt, dass wir an einem Sonntag zu Hause gegessen haben, eine gewisse Leere fiel einen in solchen Fällen an, etwas Lähmendes, Erstickendes, als wäre man gar nicht zu Hause oder als wäre man geschlagen mit schlechter Laune.
Zum Mittagessen in einer Wirtschaft dagegen nahm man die gute Laune, die einen nach jedem Besuch eines Gottesdiensts beflügelte, einfach mit. Wir saßen zu dritt an einem kleinen, festlich gedeckten Tisch und bestellten jeden Sonntag dasselbe: Rheinischen Sauerbraten oder Saure Nierchen oder Kassler mit Sauerkraut. Mit jedem Bissen nistete sich die Müdigkeit ein wenig mehr in uns ein, doch wir taten, als wären wir hellwach und munter.
Vater erzählte, was er während der Woche bei seinen Fahrten in die nähere Umgebung alles erlebt hatte, und seine beiden stummen Begleiter aßen dazu mit langsamen Bewegungen, in der Vorfreude darauf, dass alles am Nachmittag weiter und weiterging, das Spazierengehen, das Rollerfahren, das gefahrlose und unbefragte Dasein, in Begleitung eines starken Beschützers …
 
Auch gestern war ich seit den frühen Morgenstunden zu Fuß in Rom unterwegs. Immer wieder kam ich an einer Kirche vorbei und zögerte manchmal kurz, ob ich nicht hineingehen sollte. In Rom kenne ich viele Kirchen, und in den meisten, die ich kenne, habe ich auch schon an einem Gottesdienst teilgenommen.
Es war aber schon Mittag und mein Hunger so groß, dass ich mich auf einem kleinen, ruhigen Platz ins Freie an einen Tisch setzte und allein zu Mittag aß. Allein zu essen, macht mir nichts aus, ja es gibt sogar Tage, an denen ich unbedingt nur allein essen möchte. Zwei, drei Stunden an einem schön gedeckten Tisch, zwei oder drei Zeitungen, vielleicht noch ein Buch – ich genieße das Essen in Verbindung mit guten Lektüren, ich notiere mir etwas, ich komme in Fahrt.
Seit meiner Ankunft in Rom vor einigen Wochen habe ich immer nur allein gegessen, natürlich geht das so nicht weiter, irgendwann werde ich es nicht mehr aushalten ohne eine Gesellschaft bei Tisch. Aber ich zögere dieses Zusammensein hinaus, denn ich habe auf solche Gespräche noch keine Lust. Mir fehlen die richtigen Menschen, mir fehlen die Freunde und am meisten fehlt mir eine Frau, mit der ich gern essen gehen würde. Mit einer Frau essen zu gehen, das ist am besten, das Dumme ist nur, dass ich hier in Rom keine Frau kenne, die ich gern zum Essen einladen würde.
Was soll ich tun? Wo könnte ich einer Frau begegnen, mit der es ein Vergnügen bereiten könnte, gemeinsam essen zu gehen? Als ich jung war, war so etwas ganz einfach, ich ging zu Konzerten oder zu Vernissagen von Kunstgalerien, bei solchen Gelegenheiten kam ich oft mit jemandem ins Gespräch. Jetzt aber, wo ich älter bin, fällt es mir viel schwerer, Kontakte zu knüpfen. Ich nehme es mir vor, aber wenn es darauf ankommt, gebe ich rasch auf, obwohl ich keineswegs wählerisch bin. Mir fehlt der richtige Schwung, ich grüble zu viel. Doch ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, ich arbeite daran …
 
Gestern Abend bin ich dann doch noch in einen Gottesdienst gegangen. Ich kam an Sant’ Andrea della Valle, einer der größten Kirchen Roms, vorbei. Von der anderen Straßenseite her strömten die Gläubigen zur Abendmesse, so dass die Kirchentüren offen standen und Orgelmusik nach draußen drang. Ich blieb einen Moment stehen und atmete tief ein, rings um mich herum rauschte der Verkehr, es war ein mildwarmer Abend, die Sonnenstrahlen versanken gerade in den Häuserschluchten. Ich sehnte mich nach dem Duft des Weihrauchs und der Kühle des Weihwassers im Weihwasserbecken rechts am ersten Pfeiler, gleich nach dem Kircheneingang.
Ich komme, flüsterte ich leise, dann überquerte auch ich die Straße und folgte der Musik ins Innere der Kirche.