Eve

Lieber Charlie,

das wird ein sehr kurzer Brief, weil ich mich auf mein großes Abendessen vorbereiten muss. Ich bin so nervös, ohne zu wissen, warum. Alles ist fertig, ich brauche nur noch loszulegen. Die Kartoffeln und das andere Gemüse sind geschält, die Hähnchen sind mit Soße eingepinselt, und der Tisch ist gedeckt. Ich habe sogar daran gedacht, Kräutertee zu kaufen, falls Homer nach dem Essen welchen möchte. Oder jemand von den anderen natürlich. Vielleicht trinkt seine Freundin ja auch Kräutertee, obwohl ich nach dem, was ich über sie gehört habe, glaube, dass diese billigen, nach Plastik schmeckenden Alcopops eher ihre Sache sind. Offenbar liest sie nichts als Klatschzeitschriften und vergöttert Fußballerfrauen mit ihren riesigen Designerhandtaschen und Sonnenbrillen. Laut Anna redet sie pausenlos über ihre Haarverlängerungen und kriegt selbst dann keinen grammatikalisch korrekten Satz hin. Ich verstehe nicht, was Homer an ihr findet, falls das stimmt – er ist so belesen und kultiviert, gibt aber nie damit an. Ich erinnere mich an seinen Gesichtsausdruck, als ich ihn dabei ertappte, wie er in der Teepause Tschechow las. Es war ihm beinahe peinlich, einfach reizend. Was findet er bloß an einer Frau, die sich nur für ihre künstlichen Fingernägel interessiert? Ich begreife das nicht.

Ich habe Tom erzählt, dass Homer heute kommt, und ich glaube, er hat mich verstanden, denn er putzt sich vor lauter Vorfreude öfter als sonst. Ich bin sicher, dass er Homer vermisst, seit die Wohnung fertig ist – er frisst eindeutig zu wenig. Gestern hat er sogar ein Lachssteak verschmäht.

Larry hat angerufen und gesagt, er freue sich sehr darauf, alle kennenzulernen, was wirklich lieb von ihm war. Außerdem hat er mir heute einen gewaltigen Rosenstrauß geschickt. Der Bote hatte Mühe, ihn vom Auto zum Haus zu tragen, so groß war er. Es war reizend, Blumen geschenkt zu bekommen, und eine sehr nette Geste von ihm. Allerdings hat es mich auch an dich erinnert. Erinnerst du dich noch an den Tag, als wir uns so furchtbar über Umweltpolitik gestritten haben? Du warst mir böse, weil ich vergessen hatte, das umweltfreundliche Geschirrspülmittel zu kaufen, das du am liebsten benutzt hast – das Zeug, das nie richtig geschäumt hat. Ich habe erwidert, du müsstest lockerer werden, worauf du geantwortet hast, unser Planet sei dem Untergang geweiht, wenn jeder diese Einstellung hätte. Das Ergebnis war, dass wir drei Nächste lang in getrennten Zimmern geschlafen haben, bis du mir als Entschuldigung einen riesigen Strauß rosafarbener Rosen geschickt hast.

Ich weiß noch, was mein erster Gedanke war, als sie geliefert wurden: Wenn du so engagiert in Umweltfragen bist, warum hast du dann nicht selbst ein paar Blumen gepflückt und sie mir geschenkt, anstatt einen protzigen Strauß nicht saisongemäßer, aus Holland eingeflogener Rosen zu kaufen? Ein selbst gepflücktes Sträußchen Gänseblümchen hätte mir so viel mehr bedeutet als ein überteuertes Bukett. Allerdings hatte ich noch nie viel für große Gesten übrig. Mir war schlichte Romantik schon immer lieber. Ich glaube, es war genau in diesem Augenblick, in dieser Sekunde, dass ich dich zum ersten Mal durchschaut habe, auch wenn ich es mir damals nicht eingestehen konnte. Es war dir zu lästig, dir Gedanken darüber zu machen, was mir wirklich gefallen würde. Du hast einfach zum Telefon gegriffen und mit Kreditkarte bezahlt, weil du gedacht hast, dass ich dann Ruhe geben würde. Ich mag Rosen nicht einmal, hast du das gewusst? Meine Lieblingsblume ist die Osterglocke, was interessant ist, denn wenn ich es mir genauer überlege, ist der Ton, den Homer für mich ausgesucht hat, beinahe mit der Farbe dieser Frühlingsblume identisch.

Wie dem auch sei, es ist unfair, Larry mit dir zu vergleichen. Ich muss ihm eine Chance geben; er scheint sehr nett zu sein, obwohl die Vorstellung, ihn noch einmal zu küssen, meine Seele nicht zum Leuchten bringt, was sie laut Anna aber tun sollte. Sie sagt, ich sollte begeistert sein, weil er sich so für mich interessiert und mir einfach spontan teure Blumen schenkt. Allerdings war Anna schon immer anspruchsvoller als ich. Sie richtet Derek schon seit Jahren darauf ab, ihre Wünsche zu erfüllen. Ein Jammer, dass er inzwischen ihre heißgeliebte teure Unterwäsche, die er ihr schenkt, zuerst selbst anprobiert.

Jetzt muss ich aber Schluss machen. Schließlich soll die braune Soße fertig sein, wenn die Gäste kommen.

Drei Engel gegen Charlie
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