Julies Blog
9:01
Bin erschöpft. Habe den Großteil der gestrigen Nacht damit verbracht, Mr X beim Auspacken seiner Sachen zu helfen – es hat eine EWIGKEIT gedauert. Das lag nicht etwa daran, dass er so viele Kleider hätte. Er wollte sie nur nicht einfach auf den Sessel im Schlafzimmer werfen, bis ich einen Platz dafür gefunden habe, wie ich es normalerweise halte, wenn nichts mehr in meinen übervollen Kleiderschrank passt. Als ich vorschlug, seine Klamotten vorübergehend über die Lehne dieses praktischen Sessels zu breiten, sei die beste Lösung des Aufbewahrungsproblems, hat er laut gelacht. Offenbar dachte er, ich hätte einen Witz gemacht, und meinte, wir sollten alles richtig einräumen und so anfangen, wie wir auch weiter vorgehen wollten. Also musste ich die Hälfte meines Kleiderschranks leeren, damit er seine gesamte Sammlung Nadelstreifenanzüge ordentlich in Reih und Glied aufhängen konnte. Insgeheim fand ich das ein wenig nervig, aber wahrscheinlich muss ich ihm in meinem Leben Raum zugestehen, damit er sich willkommen fühlt. Also darf ich ihn nicht böse anschauen, weil mein schwarzes Spitzenkleid von Anna Sui jetzt in den Trockenschrank gewandert ist, um Platz für seine Hemden von Thomas Pink zu machen. Dass meine Wohnung so klein ist, schien ihn ein wenig zu bestürzen. Vielleicht habe ich ja ein wenig übertrieben, aber ich hätte ja nie gedacht, dass er sie wirklich jemals zu Gesicht kriegt. Da unsere gesamte Beziehung im Büro stattfand, hielt ich es für ungefährlich zu behaupten, ich hätte eine riesige Wohnung mit toller Aussicht und begehbarem Kleiderschrank.
Nachdem das Kleiderdrama abgehakt war, meinte Mr X, wir müssten nun feiern. Ich war begeistert, weil ich dachte, er würde mich jetzt in ein teures und elegantes Restaurant zu einem tollen Essen einladen – wir waren noch nie zusammen beim Essen, wenn man die Mittagessen in der Kantine mit allen LKs nicht mitzählt. Aber er sagte, wir sollten vielleicht noch ein wenig warten, bis wir uns gemeinsam in der Öffentlichkeit zeigen. Also haben wir etwas beim Heimservice bestellt. Das war zwar nicht ganz das, was mir vorschwebte, doch ich habe es trotzdem genossen, mich vorzubeugen und ihn verführerisch mit Krabbensticks zu füttern. Dachte, es würde anschließend zu wildem, hemmungslosem Sex wie in 9 1/2 Wochen führen, aber Mr X war so müde, dass er gleich ins Bett wollte. War ein wenig enttäuscht, doch vermutlich kann die Zeitverschiebung in Verbindung mit emotionalen Verwerfungen ziemlich aufreibend sein. Bin allerdings sicher, dass wir später in der Nacht die Hände nicht voneinander lassen werden können.
9:05
Mr X hat mir einen Zettel auf den Schreibtisch gelegt.
Gehen wir nachher einkaufen? Das müssen wir natürlich irgendwo außerhalb erledigen, damit uns niemand sieht. Wir können uns ja nicht ausschließlich vom Heimservice ernähren.
Äh? Wovon redet er? Warum können wir nicht jeden Abend etwas bestellen? Natürlich nicht nur beim Chinesen. Aber es gibt ja auch noch Thailänder oder sogar Pizza. Gianni hat eine tolle Pizza Spezial auf der Karte.
9:14
Mist. Gerade fällt mir ein, dass ich um halb zehn ein Treffen mit Mr Thriller habe, um die PR-Strategie für sein neues Buch zu besprechen. Zum Glück habe ich noch sechzehn Minuten, um das ganze Ding von vorne bis hinten durchzulesen und einen vollständigen Medienplan zu entwickeln.
9:24
Eigentlich reicht es, wenn ich nur die Inhaltszusammenfassung auf der Rückseite des Einbands lese. Da kriege ich sicher ein Gefühl für die allgemeine Richtung. Es bringt nichts, seine Zeit mit gründlichen Recherchen zu vergeuden, sich einen kurzen Überblick zu verschaffen genügt. Er wird den Unterschied sowieso nicht bemerken. Es kann doch niemand von mir verlangen, dass ich jedes Buch lese, das ich vermarkte – das würde logisch betrachtet einfach keinen Sinn ergeben. Also werde ich pfuschen und ihn mit meiner Genialität betören.
11:30
Meeting prima gelaufen. Mr Thriller ist gut vermarktbar (d.h. attraktiv und charmant) und wird sich prima verkaufen; die Medien werden sich auf ihn stürzen. Habe ihm das natürlich nicht verraten. Stattdessen behauptet, der Markt sei umkämpft, die Zeiten seien hart, und ich könne ihm keine Medienberichte und Verkaufszahlen garantieren, wenn er nicht ausgezeichnete Beziehungen oder dunkle Geheimnisse in seinem Privatleben hätte, die ich als Aufhänger benutzen könnte. Glaube, es hat wunderbar geklappt. Er wird ja so dankbar sein, wenn dieses Buch sogar noch besser geht als das letzte, und mich für die Allergrößte halten. Der einzige Wermutstropfen war, dass LK eins zufällig/absichtlich in unsere Besprechung hereinplatzte, ihn angeschmachtet, seinen Roman einen Geniestreich genannt und gesagt hat, man solle ihn für den Gold-Dagger-Preis vorschlagen. Außerdem konnte sie sogar Passagen daraus wörtlich zitieren. Zum Glück habe ich ihm angemerkt, dass er ihr Theater durchschaut hat.
Jetzt muss ich Mr X nur noch eine total professionelle E-Mail schicken, um ihn über das Meeting zu informieren, und wieder habe ich einen Auftrag zur allgemeinen Zufriedenheit erledigt. Werde mich auf keinen Flirt einlassen, auch wenn ich das wirklich will.
11:41
E-Mail an Mr X geschickt, um ihm zu sagen, dass das Meeting spitze gelaufen ist. Mr Thrillers neues Buch wird »riesig« und könnte sogar den einen oder anderen Preis gewinnen, wenn wir den richtigen Leuten Druck machen. Persönlich glaube ich nicht, dass er auf einen Preis hoffen kann, aber es schadet ja nicht, Mr X ein bisschen anzuflunkern – er ist noch immer geknickt, weil einer seiner Autoren letztes Jahr bei der Buchpreisverleihung leer ausgegangen ist. War wirklich versucht hinzuzufügen, ich wüsste noch etwas, das »riesig« ist, habe dem Bedürfnis jedoch widerstanden. Bin wirklich stolz auf mich. Habe über seine Worte nachgedacht und finde, dass er recht hat: Da wir jetzt zusammen sind, ist es vermutlich das Beste, wenn wir unser übliches erotisches E-Mail-Geplänkel einstellen und uns im Büro ganz professionell geben.
11:46
Keine Antwort von Mr X. Was für Spielchen treibt er? Weiß, dass er die Mail von 11:42 gelesen hat, weil ich heimlich die Funktion »gelesene Mails« angeklickt habe.
11:47
LK eins war gerade an meinem Schreibtisch, um mir einen selbstgebackenen Schoko-Orangen-Muffin anzubieten. Sie sagt, sie hätte frisch gepressten Orangensaft für ihr Geheimrezept benutzt. Ich kann es haben, falls ich es ausprobieren will. Ich weiß, dass sie etwas im Schilde führt. Normalerweise verteidigt sie ihre Rezepte mit Zähnen und Klauen. Die arme Irre glaubt noch immer, dass man ihr eine sechsstellige Summe anbieten wird, um sie als Buch herauszubringen.
11:48
Gebe es zwar nur ungern zu, aber der Muffin ist ungewöhnlich gut – würzig, aber nicht zu bitter. Vielleicht habe ich LK eins ja unterschätzt. Sie mag eine arme Irre sein, kann aber offenbar backen. Vielleicht rette ich ja den alten Muffin aus der Schublade; er riecht kaum noch nach Kotze.
11:51
Gerade E-Mail von Mr X. Mr Thriller bezweifelt, dass ich die richtige Pressefrau für sein kostbares Buch bin! Er hat den Verdacht, dass ich es nicht einmal gelesen habe! Er denkt, dass LK eins vielleicht besser zu ihm passt, da sie seine Beweggründe wirklich zu verstehen scheint!!! Der hat Nerven! Nur, weil sie einige Passagen wörtlich zitieren konnte und das Buch für preiswürdig hält, glaubt er, dass sie besser zu ihm passt als ich. Gut, dann sollen die beiden meinetwegen miteinander glücklich werden. Außerdem ist Mr Thriller doch nicht so vermarktbar. An seinem Vorderzahn fehlt eine Ecke. Da sollte er dringend was dran tun. Und zum Friseur muss er auch. Wenn ihm die Haare noch einmal in die Augen gefallen wären, hätte ich selbst zur Schere gegriffen.
11:54
Habe nachgedacht. Darf nicht zulassen, dass LK eins mir Mr Thriller wegschnappt. In letzter Zeit war ihre Presseresonanz beachtlich. Über diese neue Frauenautorin, die sie betreut, wird überall berichtet, und wenn sie das Gleiche bei Mr Thriller schafft, könnten die Leute sie allmählich für kompetent halten.
Also muss ich Mr Thriller überzeugen, dass ich die richtige Frau für ihn bin. Ich werde ihm einen ausgeklügelten Presseplan vorlegen – ich könnte auch ein paar Statistiken zusammenstellen, um ihm zu zeigen, dass ich mein Handwerk beherrsche. Oder ich könnte sein Ego bauchpinseln. Schriftsteller hören gerne, wie begabt und toll sie sind, auch wenn das in den meisten Fällen überhaupt nicht stimmt.
11:58
Anbiedernde Mail an Mr Thriller geschrieben und ihn gebeten, es sich noch einmal anders zu überlegen. Habe dick aufgetragen und an seine Eitelkeit appelliert. Gesagt, dass es eine Ehre und ein Privileg ist, sein Buch zu betreuen. Außerdem hätte ich das Gefühl, dass er ein aufstrebender Star sei, und würde deshalb all meine Zeit und Kraft in die Vermarktung seines genialen Werks stecken und dafür sorgen, dass es Dutzende von Preisen erhält, bla, bla, bla. Bin überzeugt, dass er seine Meinung ändern wird. Der Ausdruck »aufstrebender Star« überzeugt normalerweise alle. Dann habe ich eine Mail an Mr X geschickt, in der stand, ich würde ganze Arbeit leisten, hätte schon Unmengen wunderbarer PR-Ideen und könnte einen Platz unter den ersten zehn der Bestsellerliste garantieren. Es wäre dumm von ihm, mein Angebot nicht anzunehmen.
12:54
Keine Antwort von Mr Thriller. Habe beschlossen, den Einsatz zu erhöhen und ihm per Express einen luxuriösen Präsentkorb zu schicken. Tropische Früchte können nicht irren.
15:00
E-Mail von Mr Thriller. Er bedankt sich für den Obstkorb. Ergebnis: Ich bin wieder an Bord!!!
15:01
Oh. Gerade letzten Satz von Mr Thrillers E-Mail gelesen – er ist allergisch auf Ananas und will den Obstkorb dem städtischen Krankenhaus spenden. Allergisch auf Ananas??? Wer zum Teufel ist denn allergisch auf Ananas? Warmduscher!
15:05
LK eins tänzelt mit zufriedener und selbstgerechter Miene herum. Höre, wie sie laut über Mr Thriller redet. Als ob die eine Ahnung von Männern hätte – sie hat doch schon seit Jahren keinen mehr abgekriegt. Habe Lust, sie zu erwürgen.
15:08
Habe beschlossen, dass professionelles Verhalten mich in keinster Weise weiterbringt. Flirten und Körpereinsatz sind viel erfolgversprechender. Hat früher bei mir immer geklappt.
15:15
Mr X in der Kaffeeküche abgefangen, als er sich gerade am Automaten einen Cappuccino holte. Während ich nach der Milch griff, ihn zufällig gestreift und ihn gefragt, ob er mich wieder für das Projekt Mr Thriller in Erwägung zieht. Dabei sicherheitshalber länger am Teelöffel gelutscht als nötig. Wir wurden gestört, weil LK zwei hereinkam. Aber ich glaube, er hat verstanden. Nach seiner Reaktion im Schritt zu urteilen bestand kein Zweifel an seinen Gefühlen.
15:19
E-Mail von Mr X:
Das war sehr ungezogen von dir. Fast schon sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz.
15:20
E-Mail an Mr X:
Ich habe keine Ahnung, was du meinst.
15:21
E-Mail von Mr X:
Das weißt du sehr wohl.
15:22
E-Mail an Mr X:
Ich möchte nichts weiter als den Kunden betreuen – und ich finde, dass ich die Beste für diesen Job bin.
15:23
E-Mail von Mr X:
Du findest, dass du die Beste für diesen Job bist? Willst du es mir beweisen?
15:24
E-Mail an Mr X:
Hmmm … da flirtet ja jemand – ich dachte, das dürften wir nicht mehr.
15:25
E-Mail von Mr X:
Ich weiß nicht, wovon du redest. Ich habe nur auf deine beruflichen Fähigkeiten angespielt.
15:26
E-Mail an Mr X:
Also lässt du mich Mr Thriller behalten?
15:27
E-Mail von Mr X:
Okay, aber wehe, wenn das Presseecho nicht stimmt. Du weißt ja, wie es läuft. Wenn die Presse nicht berichtet, verkauft sich das Buch nicht. Und wenn sich das Buch nicht verkauft, sind wir unglücklich. Also sorg dafür, dass es klappt.
Super!
15:28
E-Mail an Mr X:
Natürlich klappt es.
15:29
E-Mail von Mr X:
Wehe, wenn nicht. Wenn die anderen erst mal von uns beiden erfahren, werden sie meine Entscheidungen aus der letzten Zeit unter die Lupe nehmen. Es darf nicht danach aussehen, dass ich dich bevorzuge, nur weil wir eine Beziehung haben – deine Leistung wird nach den Verkaufszahlen bemessen. Also ran an die Arbeit und nicht lockerlassen.
Hä? Bedeutet das, ich muss von nun an beweisen, dass ich besser bin als alle anderen? Was habe ich denn davon, mit meinem Chef zu schlafen, wenn keine besonderen Vergünstigungen dabei herausspringen? Nicht, dass das der Grund ist, warum ich mit Mr X zusammen bin. Ich bin mit ihm zusammen, weil ich ihn mag und bewundere. Und ich liebe die kleine Falte auf seinem Nasenrücken, wenn er sich konzentriert. Und wie sich sein Kinn zusammenzieht, wenn er die Stirn runzelt, ist so sexy. Und natürlich mag ich auch seine Persönlichkeit – ich begehre nicht nur seinen Körper – das wäre doch ausgesprochen oberflächlich von mir. Wir haben viele Gemeinsamkeiten. Ganz viele.
15:35
Außerdem will ich wirklich beweisen, wie gut ich in meinem Job bin, allerdings nicht, um Mr X zu beeindrucken, sondern um LK eins zu vernichten. Sie wird allmählich größenwahnsinnig, und es ist Zeit, dass ich sie ein wenig zurechtstutze. Dazu muss ich nur eine Presseerklärung zu Mr Thrillers neuem Buch an jeden Medienkontakt faxen, den ich habe, und warten, bis sie sich bei mir melden. Ein Kinderspiel.