Eve

Lieber Charlie,

endlich sehen die Dinge rosiger aus! Ich habe mich mit Larry, dem Tierarzt, verabredet, und es stellte sich heraus, dass Anna recht hatte. Er war ein absoluter Traum – eins achtzig groß, mit einer hinreißenden Figur, wunderschönen grünen Augen und blondem Haar. So als wäre er einem Roman von Carla Ryan entstiegen. Das weiß ich, weil ich angefangen habe Der Liebe eine zweite Chance zu lesen. So schlecht ist das Buch gar nicht. Vielleicht schicke ich ja eine Mail an Butch, den Gefängnisaufseher, um ihm zu sagen, dass ich jetzt auch ein Fan von Liebesromanen bin. Larry war nicht nur ein Traum, sondern auch charmant – humorvoll, schlagfertig und nett. Ich war absolut hingerissen von ihm. Wir verstanden uns auf Anhieb wunderbar und lachten und plauderten über alles und nichts – als hätten wir einander schon seit Ewigkeiten gekannt. Wir waren noch beim ersten Drink in dem Landgasthaus, in dem wir uns getroffen hatten, das Gespräch entwickelte sich wunderbar, und ich glaubte schon fast, dass sich mein Glück tatsächlich gewendet hatte, als der Piepser an Larrys Gürtel ansprang. Wie sich herausstellte, hatte er Bereitschaft, und ein Farmer, dessen Kuh gerade Wehen hatte, wollte, dass er nach dem Rechten sah. Ich versuchte, mir meine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, weil er so früh wegmusste – schließlich waren wir einander sympathisch –, aber er schlug mir vor, ich solle doch mitkommen! Es würde nicht lange dauern, und anschließend könnten wir wieder ins Lokal zurückfahren. Zum ersten Mal im Leben beschloss ich, spontan zu sein, und so stiegen wir in seinen Landrover und brausten zur Farm, wo uns ein älterer Farmer mit ziemlich ängstlicher Miene am Tor erwartete. Larry fragte mich, ob ich ihn begleiten und zuschauen wolle. Doch ich bin lieber im Auto geblieben, da ich Dutzende von Malen All Creatures Great and Small gesehen hatte und deshalb wusste, dass eine gebärende Kuh kein hübscher Anblick sein würde. Deshalb war es die bessere Alternative, allein dazusitzen und mich von den Schafen auf der Weide gegenüber bedrückt anblöken zu lassen. Doch etwa eine halbe Stunde später kam Larry, mit Kuhschleim bedeckt, aus dem Stall gelaufen und rief, er brauche meine Hilfe. Er müsse das Kalb drehen, damit es keine Probleme bei der Geburt gab. Mir schwante schon das Schlimmste: Er würde verlangen, dass ich die Hand in den Hintern der Kuh steckte, wie James Herriot bei einem Kuh-Notfall. Aber nein. Er wollte nur, dass ich mit der armen, leidenden Kuh sprach und sie beruhigte, während der Farmer einen dringenden Anruf wegen des Campingausflugs irgendeiner Firma annahm. Offenbar vermietet er einen Teil seines Landes an Unternehmen, die dort diese dämlichen Teamwochenenden abhalten, an denen du auch manchmal teilgenommen hast.

Und so redete ich mit Daisy, der Kuh (ich bin nicht sicher, ob sie Daisy hieß, aber ich dachte, ihr einen Namen zu geben wäre besser, als ständig »brave Kuh, brave Kuh« zu wiederholen), und sagte ihr, dass alles gut werden würde. Beim Anblick ihres Kälbchens würde sie die Schmerzen, die sie jetzt erdulden müsse, sofort vergessen. Natürlich war ich nicht sicher, ob das stimmte, doch das brauchte Daisy ja nicht zu erfahren.

Ich habe ihr erklärt, dass es leider keine Rückenmarksnarkose für Kühe gebe und dass sie beim nächsten Mal vielleicht einen Kaiserschnitt ins Auge fassen sollte – vielleicht gehöre sie ja zu den Kühen, die sich zum Pressen zu fein seien. Als ich schon befürchtete, dass mir gleich die positiven Argumente ausgehen könnten, und Daisy mich ansah, als würde sie mich am liebsten erwürgen, stieß Larry einen Freudenschrei aus: Das Kalb war da. Daraufhin nahm er mich in die Arme, gab mir einen dicken Kuss und meinte, ich sei die beste Helferin, die er je gehabt habe. Der Farmer kam zurück und sagte, wenn er es nicht besser wüsste, hätte er uns für ein altes Ehepaar gehalten. Ich wischte Schleim und Nachgeburt ab, mit denen Larry mir meine beste Patchwork-Strickjacke verschmiert hatte, und dann gingen wir alle ins Haus. Unter dem grob gezimmerten Holztisch – der Farmer schenkte mir gerade eine Tasse heißen Tee ein – tastete Larry nach meiner Hand und drückte fest meine Finger. Ich brauchte nur eine oder zwei Sekunden nachzudenken, bevor ich es auch tat.

Ich habe Anna nicht verraten, wie gut es gelaufen ist, weil ich ihr keine falschen Hoffnungen machen wollte. Allerdings glaube ich, dass sie Verdacht geschöpft hat, denn sie hat mich gestern zu einem Einkaufsbummel mitgeschleppt und darauf bestanden, dass ich mir, passend zu meiner neuen fröhlichen Wohnung, auch neue fröhliche Sachen kaufe. Anfangs habe ich mich gesträubt – du weißt ja, wie sparsam ich bin; ich habe mir schon seit Jahren nichts mehr zum Anziehen gekauft, und mein letzter Urlaub ist noch länger her. Aber es war ein solcher Spaß, dass ich mich irgendwann habe breitschlagen lassen. Wie viel ich ausgegeben habe, sage ich lieber nicht, doch Anna beteuert, dass ich es mir verdient habe, und ich habe ihr ausnahmsweise nicht widersprochen.

Eve

Drei Engel gegen Charlie
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