Julies Blog

9:01

Horrornacht. Nach verzweifelten Versuchen, Mr X am Schnarchen zu hindern, schließlich aufgegeben und aufs Sofa umgezogen. Das muss ein Ende haben. Seit Tagen geht es nun schon so. Ich glaube, das halte ich nicht mehr aus.

9:02

Vielleicht sollte ich ihm Nasenpflaster besorgen – das könnte helfen.

9:03

Oder ich könnte ihn bitten, sich operieren zu lassen – dieser Eingriff, bei dem man diese Polypendinger rausgeschnitten kriegt, damit man nicht mehr schnarcht.

9:06

Oder ich könnte ihn bitten, auszuziehen und sich eine eigene Wohnung zu suchen. Dann hätte ich wieder Ruhe und Frieden und die Oberhoheit über die Fernbedienung … Oh, wie bin ich nur darauf gekommen? So habe ich das nicht gemeint. Wenigstens glaube ich das. Es ist nur, dass ich nach dem wilden Sex im Materiallager wirklich geglaubt habe, alles wäre wieder in Butter, aber das ist es nicht. Und jetzt kann ich mich des Gefühls nicht erwehren, dass wir im Grunde genommen wirklich nichts gemeinsam haben, außer dass wir so absolut geil aufeinander sind … und sogar das lässt nach. Im grellen Licht der Badezimmerbeleuchtung musste ich heute Morgen feststellen, dass Mr X eine kleine kahle Stelle bekommt. Und was noch schlimmer ist: In seinen Ohren wachsen borstige Haare.

9:08

Muss am Schlafentzug liegen, dass ich so miese Laune habe. Sobald ich mal eine Nacht durchschlafen kann, ist alles wieder gut.

9:09

Aber wenn er mir noch einmal Vorträge darüber hält, dass ich das Leben nicht kenne, solange ich keinen Bio-Haferbrei probiert habe, bringe ich ihn um. Mit bloßen Händen.

9:18

Gerade neuen Hausmeister getroffen. Er hat die Augenbrauen hochgezogen, als wollte er sagen: »Ich weiß, warum du dein Höschen im Materiallager vergessen hast, du Hure.« Ach herrje, er ist einfach ein Traum. Ich wette, dass er gut tanzt. Außerdem wette ich, dass er Dokumentarfilme über den Treibhauseffekt nicht für einen spannenden Zeitvertreib hält. Er sieht aus, als könne er sich bewegen. In mehr als eine Richtung. Nicht, dass ich an so etwas auch nur denken würde. Schließlich bin ich mit Mr X zusammen. Aber manchmal wäre es mir lieber, wenn es wieder so wäre wie früher – mit vielen Geheimnissen, Rumgevögel und ohne Verpflichtungen. Und ohne langweilige Dokumentarfilme.

10:55

E-Mail von N.:

Kennst du den neuen Film von James Law, Wilder Westen immer wilder? Rate mal, wer uns gerade Einladungen für die Party zum Abschluss der Dreharbeiten besorgt hat!!! Du musst einfach mitkommen. Er ist ja so toll!!!!!

Verdammter Mist, verdammter. Will James Law unbedingt kennenlernen. Seit er sich von seiner Ex Angelica getrennt hat, berichten alle Zeitungen über ihn. Doch Mr X hat angekündigt, dass er heute Abend etwas ganz Besonderes kochen will. Habe die düstere Vorahnung, dass es wieder etwas mit rohem Gemüse sein wird. Vielleicht kriege ich ja beides unter einen Hut. Schreibe jetzt Mail an N., um weitere Einzelheiten zu erfahren: Zeit, Ort, Klamotten, Wahrscheinlichkeit, James tatsächlich vorgestellt zu werden.

11:03

E-Mail von N.:

Blazin’ Saddles Bar, 18:00. Du wirst ihn ganz sicher kennenlernen. Wir haben Eintrittskarten für den VIP-Bereich!!!!

Jetzt muss ich Mr X absagen. Vielleicht ist das hier meine letzte und einzige Chance, James Law, dem Westernkönig des 21. Jahrhunderts, zu begegnen. Er wird sicher Verständnis haben.

Schicke ihm eine sorgfältig verklausulierte Mail, um ihn zu informieren.

11:07

E-Mail an Mr X:

Muss heute leider länger bleiben. Ich war so mit der Kampagne für Mr Thriller beschäftigt, dass ich jede Menge nacharbeiten muss. Möchte schließlich nicht, dass die anderen Klienten darunter leiden! Können wir das Abendessen auf morgen verschieben?

Ich brauche ihm schließlich nicht die Wahrheit auf die Nase zu binden – er würde sich nur schlecht fühlen. Kann kaum fassen, dass ich eine exklusive Einladung besitze, um heute Abend James Law persönlich kennenzulernen. Wenn LK eins das wüsste, würde sie vor Neid platzen – ha!

11:10

Mr X zurück am Schreibtisch. Hat gerade meine Mail geöffnet.

11:11

Sieht nicht sehr glücklich aus. Er runzelt die Stirn – und zwar nicht niedlich und mit gekräuselter Nase, sondern wirklich ärgerlich. Es besteht also die Möglichkeit, dass er nicht einverstanden ist. Außer es gibt da noch etwas völlig anderes, das ihn belastet. Seit seinem Geburtstag ist er ein wenig seltsam – sehr mürrisch und reizbar.

11:14

E-Mail von Mr X:

Okay

Gut. Dann ist er also wegen heute Abend wirklich sauer. Nun, das ist wirklich egoistisch von ihm. Soweit er weiß, mache ich Überstunden. Wo also liegt sein Problem? Er ahnt ja nicht, dass ich James Law persönlich kennenlernen werde. Und selbst wenn das nicht so wäre, dürfte ihn das nicht stören. Er sollte sich für mich freuen. Ich liebe James Law, und heute Abend ist vielleicht meine einzige Chance, ihm zu begegnen. Deshalb ist es sehr egoistisch von Mr X, mir ein schlechtes Gewissen einzureden. Das habe ich schließlich auch nicht getan, als er bei mir eingezogen ist. Und dabei hat er mich nicht einmal gefragt, ob ich einverstanden bin.

11:17

Vielleicht sollte ich ihm ein schlechtes Gewissen einreden, weil er einfach bei mir auf der Matte gestanden hat, ohne sich zuvor mit mir abzusprechen. Dann würde er möglicherweise keine Mücke aus einem Elefanten machen. Gut, das tut er genau genommen auch nicht, er hat ja nicht viel gesagt. Aber darum geht es nicht. Die Sache ist, dass er mir unwissentlich Schuldgefühle einimpft, weil ich gerne meinen Spaß habe. Und das ist nicht richtig. Nur weil er am liebsten zu Hause rumsitzt, Lauch dünstet und Filme von National Geographic auf DVD aufnimmt, muss ich das doch nicht auch mögen. Ob ich ihm meine Gefühle mitteilen soll? Dass es mich nervt, wie er seine Pilze aus biologischem Anbau vorsichtig mit einem Stück Küchenrolle aus Recyclingpapier abtupft, bevor er sie in kalt gepresstem Fair-Trade-Olivenöl gart. Oder dass ich bei der bloßen Vorstellung, noch einmal in meiner Wohnung eine Mahlzeit zu zweit einnehmen zu müssen, am liebsten losschreien würde.

11:19

Aber das kann ich ihm nicht sagen. Immerhin hat er meinetwegen seine Frau verlassen. Damit hat er bewiesen, wie sehr er mich liebt. Ich darf ihn nicht enttäuschen. Obwohl ich mich allmählich ein wenig … eingeengt fühle. Nicht unbedingt erstickt, allerdings nah dran.

11:21

Herrje, er sieht wirklich niedergeschlagen aus. Die Schuldgefühle bringen mich um. Am besten beantworte ich seine Mail.

11:22

E-Mail an Mr X:

Wir können es ja auf morgen Abend verschieben und essen gehen.

11:25

Keine Antwort von Mr X. Macht noch immer ein sehr bedrücktes Gesicht und knallt die Akten auf den Tisch. Muss wohl warten, bis er sich abgeregt hat.

11:31

Gerade Mail von LK eins: Als selbst ernannte Vorsitzende des Festkomitees hat sie ein mit Aktivitäten vollgepacktes Wochenende für alle Mitarbeiter geplant. Sie schreibt, es handle sich um eine ausgezeichnete Gelegenheit, einander beim Querfeldeinwandern, Kajakfahren und Bergsteigen näherzukommen. Kann mir nichts Grauenhafteres vorstellen. Doch ich brauche mir keine Sorgen zu machen – bin sicher, dass Mr X diesen albernen Vorschlag ablehnen wird. Schicke ihm eine lästerliche E-Mail. Darauf muss er einfach antworten.

11:34

E-Mail an Mr X:

Woher bezieht sie ihre Ideen? Aus einem Laden für doofe Einfälle? Dieser Betriebsausflug klingt nach Hölle in den Highlands.

11:36

Mr X hat allen eine Mail geschickt, in der steht, das von LK eins geplante Teamwochenende sei ein grandioser Vorschlag, und wir müssten alle mit. Was führt er im Schilde? Er kann es doch nicht ernsthaft für eine gute Idee halten, wenn Kollegen irgendwo in der Einöde ihre Zelte aufschlagen und einen auf Friede, Freude, Eierkuchen machen.

11:55

Mr X ignoriert mich noch immer.

11:56

Vielleicht sollte ich heute Abend nicht mitgehen. Kann James Law ja sicher auch ein andermal kennenlernen.

11:58

E-Mail von Mr X:

Dringend: Brauche den aktuellen Stand der PR-Kampagne für Mr Thriller so schnell wie möglich.

Hurra! Er schickt mir wieder verschlüsselte Nachrichten.

12:00

E-Mail an Mr X:

Natürlich. Wir können später darüber »reden«.

12:02

E-Mail von Mr X:

Ich würde es vorziehen, gleich morgen früh einen schriftlichen Bericht auf meinem Schreibtisch vorzufinden.

12:04

E-Mail an Mr X:

Jawohl, Sir, Mr Boss, Sir.

Wenigstens hat er seinen Sinn für Humor wiederentdeckt.

12:06

E-Mail von Mr X:

Das war kein Scherz. Gleich morgen früh. Ich habe dir bereits gesagt, dass ich dich nicht bevorzugen darf.

Oh mein Gott, er macht keine Witze! Er rächt sich, weil ich heute Abend James Law kennenlerne! Er hat mir beinahe … gedroht! Koche vor Wut. Jetzt muss ich einen detaillierten Bericht schreiben, bevor ich gehe. Wenn ich die Begegnung mit James Law verpasse, werde ich ihm das nie verzeihen. Nie im Leben.

14:15

E-Mail von Mr X an alle Kollegen:

Zu meiner letzten Mail möchte ich noch hinzufügen, dass von allen Mitarbeitern eine Teilnahme am bevorstehenden Aktionswochenende erwartet wird. Faule Ausreden werden nicht geduldet. Sofern ihr keinen Todesfall in der Familie habt, werdet ihr da sein.

Überlege, welches Familienmitglied ich noch nicht habe sterben lassen.

14:18

E-Mail von Hausmeister:

Hallo. Nehmen Sie an diesem Wochenende teil?

Offenbar hat er mir die Mail versehentlich geschickt. Warum sollte es ihn interessieren, ob ich mitfahre? Werde nicht darauf antworten.

14:26

E-Mail von Hausmeister:

Hallo, ich habe gefragt, ob Sie an diesem Wochenende teilnehmen.

Oh mein Gott, die Mail war doch für mich. Warum will er das wissen? Was daran ist denn so wichtig für ihn?

14:29

E-Mail an Hausmeister:

Vielleicht.

14:31

Ich finde, Sie sollten es tun. Dann könnten wir einander besser kennenlernen und uns »näherkommen«.

Flirtet der mit mir, oder bilde ich mir das nur ein?

14:33

E-Mail an Hausmeister:

Flirten Sie mit mir?

14:35

E-Mail von Hausmeister:

Hängt davon ab. Hast du den Opa schon abserviert?

Oh mein Gott, er weiß über Mr X und mich Bescheid. Er hat eins und eins zusammengezählt. Muss es abstreiten.

14:37

E-Mail an Hausmeister:

Keine Ahnung, wovon Sie reden.

14:39

E-Mail von Hausmeister:

Klar tust du das. Keine Sorge, dein Geheimnis ist bei mir sicher. Fahr mit. Es wird sicher ein Spaß, das verspreche ich.

Drei Engel gegen Charlie
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