Molly

Bin im Büro und tue so, als wäre ich eine überglückliche junge Braut und kein nervliches Wrack. Offenbar bin ich eine ziemlich gute Schauspielerin, denn ich habe unsere idyllische Hochzeitsreise bereits in allen Details und in Technicolor geschildert. Sogar romantische Mondscheinspaziergänge am Strand habe ich erfunden. Bis jetzt hat noch niemand Lunte gerochen. Alle glauben, dass ich im siebten Himmel bin und dass das auch so bleiben wird. Es wäre wirklich peinlich, wenn jemand erfährt, dass mein Mann schon nach so kurzer Ehe das Weite gesucht hat. Das muss ich für mich behalten, wenn es sich nämlich herumspricht, sterbe ich vor Scham. Ich würde mir den Ruf einer Frau einhandeln, die ihren Mann nicht einmal einen Monat lang halten kann. Die Leute würden anfangen, mich »die arme Molly« zu nennen. Außerdem bin ich sicher, dass alles wieder ins Lot kommen wird, wenn ich erst einmal ein Gespräch mit Charlie geführt habe. Das Problem ist nur, dass Charlie sich noch nicht gemeldet hat, und allmählich gehen mir die Begründungen aus. Wenn er eine Panikattacke gehabt hätte, müsste die doch inzwischen vorbei sein. Hätte er nicht inzwischen mit eingekniffenem Schwanz und dem größten Blumenstrauß der Menschheitsgeschichte wieder aufkreuzen müssen? Sollte er mich nicht wegen dieser Dummheit um Verzeihung anflehen? Oder mich wenigstens anrufen, um mir alles zu erklären? Er geht nicht ans Telefon – das weiß ich, weil ich mindestens hundertmal versucht habe, ihn zu erreichen.

Es ist unbeschreiblich anstrengend, jedem eine heile Welt vorzugaukeln. Als ich ins Büro kam, stürzten sich alle auf mich, sodass ich schon befürchtete, ich könnte gleich in Tränen ausbrechen. Gut, eigentlich hat sich nur Samantha, die Sekretärin, auf mich gestürzt. Penny, die für die Anzeigen zuständig ist, hat mich bloß finster angeschaut, als sei sie gar nicht erbaut von meiner Rückkehr. Minty, meine Chefredakteurin, habe ich noch gar nicht gesehen. Aber Samantha hat mich für alles entschädigt. Den ganzen Vormittag gluckt sie schon um mich herum. Normalerweise kann das zwar recht nervig sein, doch heute muntert mich ihr Dauergeplapper auf. Es lenkt mich ab, sodass ich nur ein- oder zweimal Gelegenheit hatte, an Charlie zu denken. Ich kann mir beinahe einreden, sein Brief sei nur ein böser Traum.

»Und wie geht es deinem knackigen Mann?«, fragt Samantha mich gerade. »Ich wette, er trägt dich noch immer auf Händen!«

Als sie mich anstrahlt, spüre ich, wie ich rot werde. Bis jetzt habe ich mich wacker geschlagen, aber ich weiß, dass ich das nicht auf Dauer durchhalte. Samantha vergöttert Charlie. Ständig wiederholt sie, wie hinreißend und begabt er ist. Immer, wenn sie ihn trifft, sagt sie mir, welches Glück ich gehabt hätte und dass jede Frau ihn sich nur zu gerne schnappen würde. Sie hat ihn wirklich gern, weshalb ich ein schlechtes Gewissen habe, weil ich sie anschwindele. Doch dass ich ihr reinen Wein einschenke, kommt nicht in Frage.

»Spitze«, antworte ich fröhlich und in der Hoffnung, sie merkt nicht, dass ich lüge wie gedruckt.

»Ist die Liebe nicht etwas Wundervolles!«, seufzt sie träumerisch. »Ihr beide passt einfach großartig zusammen. Diese Zeit ist etwas Besonderes. Ihr solltet sie so gut wie möglich nützen.«

»Ja, solange es dauert«, brummelt Penny.

»Sei nicht so zynisch, Penny«, tadelt Samantha und droht ihr mit dem Finger. »Wahre Liebe ist etwas Kostbares, das man bewahren muss. Ich sollte das wissen.«

Mit diesen Worten schaltet sie ihren Kopfhörer ein, um einen Brief nach Diktat zu schreiben. Penny schneidet hinter ihrem Rücken eine Grimasse.

»Sie schreibt immer noch an Steve, diesen Knastbruder«, zischt sie mir zu. »Das arme Dummerchen glaubt, dass er ihr bald einen Antrag machen wird.«

»Ich dachte, er hätte sich von ihr getrennt«, zische ich entsetzt zurück. Samantha steht schon seit über einem Jahr im Briefwechsel mit Steve, der in Texas im Todestrakt einsitzt. Sie spart sogar Geld, um ihn zu besuchen. Allerdings lautet meine letzte Information, er habe ihr geschrieben, die Beziehung habe sich seiner Ansicht nach totgelaufen, angesichts seiner stark eingeschränkten Möglichkeiten vermutlich der mieseste Trennungsgrund der Menschheitsgeschichte.

»Keine Ahnung.« Penny zuckt die Achseln. »Aber wenn man sogar von einem zum Tode Verurteilten einen Korb kriegt, müssen die Dinge wirklich schlecht stehen. Sie lebt in einer Traumwelt.«

Ich werfe einen raschen Blick auf Samantha. Sie hat die Augen halb geschlossen und bearbeitet schnell und wie in Trance ihre Tastatur. Ich fühle mich schlecht, weil ich ihr etwas vormache. Doch ich kann ihr nicht gestehen, dass Charlie mich verlassen hat, und wenn es nur vorübergehend ist. Es wäre ein schwerer Schlag für sie. Und Penny kann ich mich eindeutig nicht anvertrauen. Es wäre nur ein weiterer Punkt auf ihrer Liste, warum alle Männer Schweine sind. Sie hasst Männer. Zugegebenermaßen hat sie guten Grund dazu. Ihr Freund hat sie vor dem Traualtar stehen lassen. Buchstäblich vor dem Traualtar. Kurz bevor der Priester die beiden zu Mann und Frau erklären wollte, flüchtete er den Mittelgang entlang und ward nicht mehr gesehen. Wie in einem schlechten Film. Die Wochen vor Charlies und meiner Hochzeit hat sie damit verbracht, mir zu predigen, ich würde den größten Fehler meines Lebens begehen. Anscheinend hat sie recht gehabt, auch wenn Charlie wenigstens die Trauung durchgestanden hat.

Ich wende mich wieder meinem Posteingang zu. Immer noch harren 683 E-Mails einer Antwort. Das muss ein Rekord sein. Offenbar bin ich unersetzlich. Sollte ich nicht um eine Gehaltserhöhung bitten? Gut, ein beträchtlicher Teil dieser Mails fragt mich, ob ich mir ein dickeres männliches Geschlechtsteil wünsche oder etwas tun möchte, damit es länger hart bleibt. Aber die Mailflut ist dennoch enorm, und das muss etwas zu bedeuten haben. Ich habe eine Gehaltserhöhung verdient – schließlich arbeite ich schon seit Jahren für dieselbe jämmerliche Kohle. Allmählich wird es Zeit, dass man meine Leistungen zu schätzen weiß. Es ist nicht einfach, angesehene Autoren dazu zu überreden, etwas für eine zweitklassige Zeitschrift zu schreiben. Insbesondere dann nicht, wenn andere Hochglanzmagazine mit höherer Auflage sich ebenfalls um ihre Beiträge reißen. Außerdem bin ich nicht nur für die Artikel verantwortlich, sondern erledige auch alle möglichen anderen Dinge, die nicht in meiner Stellenbeschreibung vorkommen. Eben alles, was Minty so in den Kram passt. Minty hält nämlich nichts von Stellenbeschreibungen. Sie wirft ihre Mitmenschen lieber ins kalte Wasser und schaut, ob sie schwimmen können. Das ist ihre Lieblingsbeschäftigung.

»Erde an Molly! Molly, bitte melden!« Eine zickige Stimme reißt mich aus meinen Gedanken.

Minty. Sie beugt sich über mich. Wie lange steht sie schon da? Ihre Fähigkeit, sich an andere Menschen anzuschleichen, grenzt ans Unheimliche.

»Äh, entschuldige, Minty. Kann ich etwas für dich tun?« Ich schaue zu ihr hinauf.

»Du bist zurück.« Eine Aussage, keine Frage.

»Ja, und es war toll!«, setze ich zu einem Begeisterungssturm an.

»Ja, ja, schon in Ordnung, erspar mir die Einzelheiten. Gut, dass du wieder da bist.«

Hoppla, Minty ist nett zu mir. Ich traue meinen Ohren nicht. Sie freut sich tatsächlich, mich wieder an meinem Schreibtisch zu sehen.

»Danke, Minty …« Doch sie unterbricht mich, bevor ich den Satz beenden kann.

»Ja, es ist gut, dass du wieder da bist, weil wir die nächste Ausgabe vorbereiten müssen. Wir sind nämlich im Rückstand, und zwar dank deiner Abwesenheit.«

»Nun, ich war in den Flitterwochen, Minty …«, beginne ich.

»Egal.« Minty geht nicht darauf ein. »Bis morgen hast du alles nachgearbeitet. Samantha kann dir helfen – achte nur darauf, dass sie keinen Mist baut.«

Mit diesen Worten rauscht sie hinaus. Ich höre, wie Penny auf der anderen Seite der Trennwand vor Lachen prustet.

Spitze, das hat mir gerade noch gefehlt. Samantha hat zwar ein Herz aus Gold, ist aber wirklich nur zum Abtippen von Diktaten zu gebrauchen. Ihre Hilfe wäre für mich eher wie ein Klotz am Bein. Ich schaue zu ihr hinüber. Sie tippt vergnügt vor sich hin, bewegt die Lippen zum Text und hat die Augen noch immer halb geschlossen.

Allerdings ist es sinnlos, darüber nachzugrübeln. Wenn Minty einmal etwas beschlossen hat, kann man es ihr nicht mehr ausreden. Außerdem weiß ich, dass Samantha ihr Bestes geben wird. Ich muss sie nur gut im Auge behalten.

Also wende ich mich wieder meinen Mails zu. Ich entdecke eine Mail von Lee Merkel, der Pressesprecherin vom Verlag Embassy Publishing. Ich hatte ihr geschrieben und sie um einen Artikel mit dem Titel »Ein Tag im Leben von Carla Ryan« gebeten, der Bestsellerautorin von Frauenromanen, die ihr Verlag vertritt.

Als ich die Antwort anklicke, breitet sich ein Lächeln auf meinem Gesicht aus, denn sie ist einverstanden. Das bedeutet dicke Pluspunkte für mich, Carla Ryans Pressescheu ist schließlich berüchtigt. Seit eine frühere Pressesprecherin der Gazette vor einigen Jahren intime Details über ihre angeblichen Wutanfälle und Bulimieattacken geliefert hat, macht sie einen Bogen um die Medien. Nicht, dass die pikanten Informationen ihr geschadet hätten: Ihre Buchverkäufe verdoppelten sich in der folgenden Woche. Wenn ich diesen Artikel exklusiv bekomme, habe ich einen echten Treffer gelandet. Doch ich behalte es lieber noch für mich, bis alles unter Dach und Fach ist. Ich habe es noch immer nicht verwunden, dass ich überall herumerzählt habe, Hollywoodstar James Law werde mir in einem Interview alles beichten. James und seine Ex-Frau Angelica führten damals einen erbitterten Rosenkrieg und Sorgerechtsstreit um ihren einzigen Sohn. Dieses Interview wäre die Krönung meiner Karriere gewesen. Alles war schon vereinbart, und dann machten seine Berater in letzter Minute einen Rückzieher. Es war ja so peinlich.

Plötzlich baut sich Penny vor mir auf.

»Tolle Nachricht, das mit Samantha«, kichert sie. »Da hast du ja richtig Glück gehabt.«

Ich zucke zusammen und hoffe, dass Samantha das nicht gehört hat. Ich möchte sie nicht kränken.

»Übrigens«, fährt Penny fort, »kenne ich dein großes Geheimnis.« Sie beugt sich über die Trennwand und schaut mir geradewegs in die Augen.

»Was?«

Es krampft mir den Magen zusammen. Wie kann sie über Charlie Bescheid wissen? Ich dachte, ich hätte meine Sache gut gemacht und allen eine heile Welt vorgespielt. Wie kann ich sie dazu bringen zu schweigen? Ob ich an ihr Mitgefühl appellieren soll? Da ihr ebenfalls das Herz gebrochen worden ist, hat sie vielleicht Verständnis. Vielleicht würde sie Charlie ja auch aufspüren wollen, um ihm einen möglichst langsamen und qualvollen Tod zu bereiten. Ich erinnere mich noch an die Weihnachtsfeier, auf der sie sich betrunken und in allen grausigen Einzelheiten beschrieben hat, was sie mit ihrem Ex-Verlobten machen würde, falls sie ihn je in die Finger bekäme. Seitdem sehe ich Leberpastete mit anderen Augen.

»Ja, ich weiß ALLES. Was ist dir mein Schweigen wert?« Obwohl sie lächelt, hat sie eindeutig ein Funkeln in den Augen. Gut, das könnte auch an ihrem Problem mit dem Gesichtsfeld liegen. Sie hat sich letztes Jahr deshalb operieren lassen, ich bin aber nicht sicher, ob es geklappt hat. Sie kneift noch immer häufig die Augen zusammen.

Ich zermartere mir das Hirn nach einem Weg, um zu verhindern, dass sie das Gerücht des Jahrzehnts weiterverbreitet.

»Ich lade dich jeden Tag auf einen Milchkaffee ein?«

Sie schnaubt. »Guter Versuch, Molly.«

»Milchkaffee und KitKats?«

Das klappt bestimmt. Penny liebt KitKats. Sie bewahrt eine Tüte mit Mini-KitKats in der Teeküche im Kühlschrank auf und zählt sie jeden Morgen, um sicherzugehen, dass sich niemand aus ihrem Vorrat bedient hat.

»Das reicht nicht.« Sie schnaubt wieder.

Oh Gott, sie beißt nicht an. Penny wird überall verbreiten, dass Charlie mich verlassen hat. Wie kann ich sie daran hindern, dass sie redet und mir die größte Blamage meines Lebens bereitet? Mein Verstand ist wie leergefegt.

»Ach, das war nur ein Scherz«, sagt sie und lacht brüllend auf. »Eigentlich sollte ich dir gratulieren. Das ist wirklich ein erstmaliges Ereignis, so viel steht fest.«

»Gratulieren?« Penny hat zwar einen schrägen Sinn für Humor, aber selbst für sie ist das grausam. Wie kann sie mir dazu gratulieren, dass mein Mann mich verlassen hat?

»Ja«, fährt sie fort. »Ein Exklusivinterview mit Carla Ryan an Land zu ziehen ist eine große Sache für Sie. Auch wenn nur der Himmel weiß, warum sie so beliebt ist, obwohl sie solchen Schrott schreibt! Wer glaubt schon noch an diesen Quatsch mit dem Happy End?«

Carla Ryan? Wovon redet sie? Was hat Carla Ryan damit zu tun, dass Charlie mich verlassen hat?

»Ich habe mit Lee Merkel gesprochen. Sie hat mir alles über den Artikel ›Ein Tag im Leben von …‹ erzählt. Wirklich ein Volltreffer. Hey, alles in Ordnung? Du siehst plötzlich so komisch aus.«

Ich atme auf. Penny hat gar nicht von Charlie geredet, sondern von meinem Exklusivartikel über Carla Ryan.

»Alles bestens«, keuche ich. »Ich habe nur leichte Kopfschmerzen … vielleicht die Zeitverschiebung.«

Vor lauter Erleichterung, weil Penny die Wahrheit nicht kennt, würde ich am liebsten losheulen.

»Bist du sicher?« Penny schaut sich um und vergewissert sich, dass niemand in Hörweite ist. »Falls du eine kleine Aufmunterung brauchst, kannst du was davon haben.«

Sie greift in die Tasche und holt ein kleines durchsichtiges Döschen voller rosafarbener Tabletten heraus.

»Drei von diesen Dingern, und du spürst gar nichts mehr, verstehst du, was ich meine?«

Als ich Penny mustere, stelle ich fest, dass sie gar nicht die Augen zusammenkneift, wie ich gedacht habe. Sie sind eher glasig, so als hätte sie eine Tablette zu viel eingeworfen.

»Äh, danke, Penny«, nuschle ich. »Ich glaube, mir geht es schon viel besser.«

»Okay, aber du kannst jederzeit darauf zurückkommen.« Mit einem Zwinkern verschwindet sie hinter ihrem Schreibtisch.

Das war knapp. Kurz habe ich wirklich befürchtet, dass Penny Lunte gerochen hat. Warum können die Leute mich nicht einfach in Ruhe lassen? Allmählich habe ich den Verdacht, dass es das Sicherste wäre, mich auf dem Klo zu verstecken.

»Oh mein Gott!«, jubelt Samantha und klatscht vor Begeisterung in die Hände. »Minty hat mir gerade gesagt, dass ich deine Assistentin sein werde. Ich bin ja soooo aufgeregt!«

»Nun, Assistentin trifft es nicht ganz«, erwidere ich ausweichend und zwinge mich zu einem Lächeln. Samantha ist immer sofort Feuer und Flamme. Das kann ziemlich anstrengend sein.

»Sei nicht so bescheiden, Boss!«, antwortet sie grinsend. Im nächsten Moment hält sie inne und betrachtet mich mit schräg gelegtem Kopf wie ein überdrehter Spaniel, der vermutet, sein Frauchen könnte einen Schwächeanfall haben. »Hey, ist alles in Ordnung? Du bist so blass.«

»Alles bestens«, stoße ich hervor, obwohl mein Herz rast und ich das Gefühl habe, dass es mir gleich den Magen umdrehen wird. Die Vorstellung, dass Penny mein großes Geheimnis kennen könnte, hat mich schwer erschüttert. Dieser Albtraum wird immer mehr zur Realität.

»Bist du sicher?« Samantha sieht mich ungläubig an. »Könnte es vielleicht sein, dass du …« Sie deutet auf ihren Bauch, und mir wird klar, dass sie mich fragen will, ob es vielleicht Schwangerschaftsübelkeit ist und ob meine Blässe daran liegt, dass ich ein Kind erwarte.

»Nein, ganz sicher nicht«, entgegne ich mit Nachdruck. Mein Gott, dieses Gerücht hat mir gerade noch gefehlt.

»Wollt ihr noch etwas Zeit für euch, bevor die Kinder kommen?«, erkundigt sie sich. »Ich finde das gut. Eine Ehe muss gefestigt sein, ehe man sich auf Babys einlässt, richtig? So haben Steve und ich uns das auch gedacht. Klingt sinnvoll.«

»Äh, ja«, murmle ich. »Äh, ich mache mich lieber wieder an die Arbeit. Ich habe so viel zu tun …« Ich vollführe eine vage Handbewegung in Richtung Bildschirm. Ich muss sie verscheuchen, bevor sie noch mehr peinliche Fragen stellt.

»Ach, natürlich, tut mir leid. Ich kann es nur kaum erwarten, mit dir zusammenzuarbeiten. Das wird wundervoll!« Sie versetzt mir einen spielerischen Klaps auf den Arm, hüpft zurück an ihren Schreibtisch und setzt wieder den Kopfhörer auf.

Wenn sie nur wüsste. Ich kann gar keine Zeit allein mit meinem Mann verbringen, weil ich nicht weiß, wo er steckt. Er hat sich aus meinem Leben verdrückt, bevor wir überhaupt Gelegenheit hatten, die Kinderfrage zu erörtern. Es ergibt einfach keinen Sinn. Wir haben doch gerade die perfekte Bilderbuchhochzeit gefeiert. Nun, beinahe perfekt. Das kann nicht sein. Wir werden das Problem lösen.

Mit zitternden Händen hole ich mein Telefon aus der Tasche. Wenn er meine Anrufe nicht beantwortet, reagiert er vielleicht auf eine SMS. Schließlich hat er mir ja auch einen Zettel hinterlassen. Möglicherweise fällt es ihm per SMS leichter, mir zu erklären, was in seinem Kopf vorgeht und warum er plötzlich zu dem Schluss gekommen ist, dass ich doch nicht das berauschende und hinreißende Geschöpf bin, für das er mich bisher gehalten hat.

Als ich in meiner Tasche nach dem Telefon krame, schließen sich meine Finger um einen Gegenstand, dessen Form ich sofort erkenne. Es ist nicht mein Telefon, sondern das winzige Foto von Mum und Dad, das ich immer mit mir herumtrage. Ich nehme es heraus und lege es auf meine Handfläche. Sie sehen so unbeschreiblich glücklich aus. Offensichtlich sind sie in einem unbeobachteten Moment fotografiert worden, denn sie schauen beide nicht in die Kamera. Sie sehen einander an, versunken in ihre eigene kleine Welt und ohne etwas um sich herum wahrzunehmen. Mum weht das Haar zerzaust ums Gesicht. Dad schiebt ihr mit inniger und zärtlicher Miene eine Strähne hinters Ohr. Das Bild ist so wunderschön, dass der bloße Anblick mir einen Stich ins Herz versetzt.

Charlie, bitte ruf mich an!

tippe ich in mein Telefon. Dann spreche ich ein Gebet für Mum und Dad und drücke auf SENDEN. Wenn sie mir nicht aus diesem Dilemma heraushelfen können, kann es niemand.

Drei Engel gegen Charlie
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