Kapitel 21

Das ganze Wochenende war Amy zwischen Schuldbewusstsein und Euphorie hin und her gerissen gewesen. Am Morgen nach der Nacht mit Sebastian war sie früh aufgestanden, weil sie nicht schlafen konnte, hatte die Kinder geweckt und war mit ihnen aus dem Haus geschlichen, um ihn nicht zu stören. Dann war sie schnurstracks nach Southwold gefahren, hatte Geld abgehoben und als Erste in der Schlange vor der Post gestanden, um die Stromrechnung zu bezahlen. Bei der Rückkehr ins kalte Haus hatte sie feststellen müssen, dass die Gefrierkombination bereits am Auftauen war, am Küchenfußboden hatte sich eine große Lache gebildet, was bedeutete, dass der Großteil der tiefgefrorenen Lebensmittel verderben würde. Alles, was sie innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden essen konnten, hatte sie aufgehoben und sich dann darangemacht, das Chaos zu beseitigen. Mittags begann der Kühlschrank wieder zu brummen, und die kahle Glühbirne in der Küche ging an.

Als Sam nach Hause kam, hatte sie ihm nüchtern erzählt, dass der Strom abgeschaltet worden war und sie für die Nacht Unterschlupf in Admiral House suchen mussten. Es wäre sinnlos gewesen, ihre Spuren verwischen und ihm eine Lüge auftischen zu wollen; die Kinder hätten ihn bald genug aufgeklärt.

Sam war völlig zerknirscht und hatte gesagt, es müsse ihm schlicht entfallen sein – wie könne sie ihm je vergeben? Amy war viel zu müde, um sich auf einen Streit einzulassen, außerdem hatte sie im Moment nicht das Gefühl, sich moralisch aufs hohe Ross schwingen zu können, und so sagte sie nur, sie verzeihe ihm, derlei passiere nun einmal und sie sei bereit, die Sache zu vergessen. Eindeutig erleichtert, dass er so ungeschoren davongekommen war, erklärte Sam, er sei am Abend zuvor bezahlt worden und würde sie am Abend gerne zum Essen einladen, ob sie sich um einen Babysitter kümmern könne? Sie hatte dankend abgelehnt. Die Vorstellung, zwei traute Stunden mit ihrem Mann an einem Tisch zu verbringen, überforderte sie, und sie zog sich früh ins Bett zurück. Sam folgte ihr und wollte gerne Sex mit ihr haben, doch sie stellte sich schlafend, was er als Zurückweisung auffasste und als Zeichen, dass sie insgeheim wegen der Stromrechnung doch sauer auf ihn war. Den Rest des Wochenendes war er schlechter Laune, und Amy tat ihr Bestes, ihm aus dem Weg zu gehen.

Sie war froh, als der Montag kam und sie wieder zur Arbeit gehen konnte. Mittags kaufte sie sich ein Sandwich und setzte sich damit an der Seepromenade auf eine Bank. Die Luft war frisch, aber nicht kalt. Sie schloss die Augen und erlaubte sich zum ersten Mal, sich zu erinnern, wie der Sex mit Sebastian gewesen war, was er zu ihr gesagt hatte, wie zärtlich er ihren Körper, ihr Gesicht, ihr Haar gestreichelt hatte. Da sie wenige Möglichkeiten zum Vergleich hatte – ihre Erfahrungen beschränkten sich auf ein paar kurze Affären während des Studiums und die ersten Monate mit Sam –, fragte sie sich, ob Sebastians liebevolle Art und seine zärtlichen Worte üblich waren in dem Stadium, wenn ein Mann eine Frau ins Bett bekommen wollte: War sie nur ein weiterer Strich auf seiner Eroberungsliste, oder hatte es mehr zu bedeuten?

Bei der Erinnerung spürte Amy ein Kribbeln im Bauch, und sie wusste, dass es zumindest für sie eindeutig Letzteres war.

Sie ging zum Hotel zurück und überlegte, ob sie, sollte Sebastian sich bei ihr melden, wollte, dass sich die Nacht wiederholte. Sosehr sie sich auch bemühte, an ihre Ehe, ihre Kinder und die gravierenden Folgen zu denken, wenn ihr Betrug entdeckt würde, wusste sie, dass sie das sehr gern wollte.

Doch als sie im Lauf der folgenden Tage nichts von Sebastian hörte, verflogen alle romantischen Vorstellungen. Es war offenkundig, dass er kein Interesse daran hatte, die Beziehung zu vertiefen. Schließlich hätte er sich sonst bei ihr gemeldet, oder nicht?

Sie sagte sich, dass sie eingewilligt hatte, dass er sie nicht ins Bett gezerrt hatte, dass sie aus eigenem Antrieb und zum eigenen Vergnügen mitgemacht hatte. Deswegen durfte sie sich von Sebastian nicht benutzt fühlen. Das war altmodisch. Heutzutage konnte eine Frau jederzeit mit einem Mann schlafen, ohne deswegen ein Flittchen zu sein.

Doch als die Tage vergingen und sie immer noch nichts von ihm hörte, wurde ihre Stimmung zunehmend gereizter. Selbst Sara und Jake bekamen die schlechte Laune ihrer Mutter zu spüren. Als sie eines Abends das Essen auf den Tisch knallte, fragte Sam einfühlsam, ob sie ihre Tage bekäme.

»Als du beim Einkaufen warst, hat Mum angerufen«, sagte er, als sie sich zum Essen hinsetzten.

»Ach ja?«

»Ja. Sie hat uns am Sonntag zum Lunch eingeladen.«

Für Amy kam es nicht infrage, auch nur in die Nähe von Admiral House zu gehen. Sebastian würde da sein und sich an seiner Eroberung weiden, und sie würde sich noch mehr gedemütigt fühlen.

»Eher nicht, danke.« Amy stand auf und kippte ihr Essen in den Mülleimer. »Ich habe Berge zu waschen und zu bügeln, und um ehrlich zu sein, kann ich mir im Moment nichts Schlimmeres vorstellen.«

»Jetzt reg dich doch nicht so auf, mein Schatz. Ich dachte, du besuchst Mum gern.«

»Das tue ich ja auch – aber im Augenblick ist mir einfach nicht danach. Wenn ihr mich jetzt entschuldigt, ich gehe ins Bett.«

Amy ging die Treppe hinauf, ließ sich auf das ungemachte Bett fallen und schluchzte ins Kissen.

Am Montag war über eine Woche vergangen, und mittlerweile hasste Amy Sebastian regelrecht. Sie nahm sich vor, ihn und das, was passiert war, nach Kräften zu vergessen. Wahrscheinlich schlief er ständig mit allen möglichen Frauen und dachte sich nichts weiter dabei. Nur seinetwegen war sie scheußlich zu den Kindern gewesen, dabei war es nicht deren Schuld, dass sie sich zur Lachnummer gemacht hatte.

Als sie an dem Abend vom Hotel zum Auto ging, legte ihr jemand eine Hand auf die Schulter.

»Amy.«

»Guten Abend, Sebastian.« Sie sah nicht zu ihm. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen.

»Wie geht es dir?«, fragte er, als sie einfach weiter Richtung Parkplatz ging und sich dabei nervös umsah, ob sie beobachtet würden.

»Sehr gut«, log sie.

»Warum bist du an dem Morgen verschwunden, ohne dich zu verabschieden?«

»Ich …« Sie war empört, dass er, nachdem er über eine Woche nichts von sich hatte hören lassen, jetzt ihr die Schuld zuschieben wollte. »Du hast geschlafen. Ich musste los, die Stromrechnung bezahlen.«

»Ach. Dann tut dir mittlerweile leid, was passiert ist?«

Abrupt blieb sie stehen und sah ihn an. »Dir muss es offenbar leidtun, oder vielleicht hast du es mittlerweile sogar ganz vergessen.«

»Wie bitte?« Erstaunt über ihre Wut sah er sie an.

»Jetzt seien wir doch mal ehrlich, du hast in der vergangenen Woche nicht gerade große Anstrengungen unternommen, mich zu kontaktieren«, sagte sie.

»Amy, vergangenen Montag bin ich morgens früh ins Hotel, aber da warst du noch nicht da. Ich musste den Zug nach London erwischen, also habe ich bei einer Kollegin an der Rezeption eine Nachricht für dich hinterlassen. Hast du die nicht bekommen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein.«

»Also, ich schwöre dir, ich habe ihr ein Briefchen für dich gegeben. Frag doch mal nach. Es war natürlich sehr verschlüsselt, aber darin stand, dass ich zu einem Literaturfestival nach Oslo fahren musste. Ich habe dir meine Handynummer gegeben und dich gebeten anzurufen, sobald du kannst.«

»Ach.«

»Ja, ach«, wiederholte er. Dann lächelte er. »Da war ich also in Oslo, am Boden zerstört, weil du nicht anriefst, und du warst hier und hast mich für den allerletzten Mistkerl gehalten.«

»So ungefähr, ja«, stimmte Amy zu, und ein kleines Lächeln erschien auf ihrem Gesicht angesichts der Erleichterung, die sie durchflutete.

»Amy …« Er griff nach ihren Händen. »Jetzt frage ich dich noch einmal, und bitte sei ehrlich: Tut es dir leid?«

»Dir?«

»Nein, absolut nicht.« Heftig schüttelte er den Kopf. »Aber ich habe Angst, dass es dir leidtun könnte.«

»Nein«, antwortete sie leise. »Leider nicht. Ich wünschte, es wäre anders.«

»Und ich wünschte, ich könnte dich jetzt umarmen«, sagte er. »Du hast mir so gefehlt. Ich konnte in dem Hotelzimmer an nichts anderes denken als an dich. Wann kann ich dich sehen?«

»Ich weiß es wirklich nicht.«

»Hast du irgendwann unter der Woche frei?«

»Am Mittwochnachmittag«, sagte sie.

»Posy ist jetzt, vor Weihnachten, mittwochs immer bis um fünf in der Galerie. Könntest du nach Admiral House kommen? Bitte«, flehte er.

Amy fasste sich an die Stirn. »Mein Gott, Sebastian, das ist nicht richtig. Ich …«

»Wir müssen uns unterhalten, mehr nicht«, sagte er sanft.

»Ich muss die Kinder um halb vier von der Schule abholen, es sei denn, ich bitte Marie einzuspringen … Aber weißt du … eigentlich sollte ich das wirklich nicht … ich …«

»Bitte, Amy.«

Sie atmete tief durch. »Also gut.« Sie stieg in den Wagen und lächelte matt zu ihm hinauf. »Tschüss, Sebastian.«

»Bis Mittwoch«, flüsterte er.

Am nächsten Tag kam Posy in die Ferry Road, als Amy den Kindern gerade das Abendessen vorsetzte.

»Sara, mein Schatz, das ist aber eine schöne Umarmung«, sagte Posy, als die Kleine ihre Beine umschlang. »Amy, du siehst gut aus. Auf jeden Fall sehr viel besser als beim letzten Mal.« Sie löste sich aus Saras Griff und ging in die Küche. »Dabei hat Sam gesagt, dass es dir am Sonntag nicht gut genug ging, um zum Lunch zu kommen. Hier, ich habe für die Kinder als Nachtisch einen Trifle gemacht.« Posy stellte die Schüssel auf den Küchentisch und sah sie eingehend an. »Hast du dir die Haare schneiden lassen?«

Amy errötete. »Ja. Ich war mittags kurz beim Friseur, um sie mir nachschneiden zu lassen. Ich war seit über einem Jahr nicht mehr dort, es war bitter nötig.«

»Es sieht großartig aus. Aber ich muss sagen, Amy, du siehst großartig aus.« Posys Augen verengten sich, als sie vergnügt lachte. »Wenn ich dich so betrachte, denke ich mir, dass das Leben mit Sam wieder sehr viel besser laufen muss – habe ich recht?«

»Ja.« Amy nickte heftig. »Ja, das stimmt.«

»Es ist unglaublich, aber das sieht man sofort. Deine Augen funkeln wieder, und das zu sehen freut mich sehr.«

Amy machte sich daran, den Trifle zu verteilen, damit Posy nicht ihre geröteten Wangen bemerkte, und scheuchte die Kinder ins Wohnzimmer.

»Übrigens habe ich von dem Debakel mit der Stromrechnung gehört.« Posy setzte sich. »Sam war völlig zerknirscht, dass er vergessen hatte, sie zu bezahlen. Und natürlich typisch, dass ich nicht zu Hause war. Aber ich gehe davon aus, dass Sebastian sich um euch drei gekümmert hat.«

»Doch, das hat er auch.«

»Er ist wirklich nett. Wenn er auszieht, wird er mir fehlen.«

»Will er denn ausziehen?«, fragte Amy, bevor sie es sich überlegen konnte.

»Soweit ich weiß, nicht vor Weihnachten. Ich meine damit nur, dass ich mich daran gewöhnt habe, ihn im Haus zu haben. Aber dann wird im neuen Jahr so vieles anders werden.« Posy seufzte. »Allerdings baut es mich sehr auf zu sehen, wie viel besser es dir jetzt geht, und es verschafft mir das Gefühl, dass es die richtige Entscheidung war, Sam mit Admiral House eine Chance zu geben.«

»Ja, danke noch mal dafür, Posy.«

»Wie auch immer, ich habe vorbeigeschaut, weil ich dich um ein paar Gefallen bitten wollte. Vor allem wollte ich dich fragen, ob du mir vielleicht eine Weihnachtskarte gestalten könntest? Ich fände es schön, wenn vorne drauf ein Bild von Admiral House wäre, so zum letzten Mal. Ich würde dich natürlich dafür bezahlen.«

»Das kommt nicht infrage, Posy, das mache ich doch umsonst, und zwar sehr gern.«

»Danke, meine Liebe, das wäre fantastisch. Außerdem wollte ich dich fragen, ob du am kommenden Wochenende vielleicht Zeit hättest, mit mir ein paar Häuser zu besichtigen? Marie hat mir von einigen Ansichtsmaterial vorbeigebracht, und zwei oder drei sehen ganz interessant aus.«

»Natürlich. Ich frage Sam, ob er auf die Kinder aufpasst.«

»Ich glaube, momentan würde Sam über glühende Kohlen gehen, damit du ihm verzeihst, meine Liebe. Also, dann einigen wir uns auf Samstag. Wir könnten uns zu dem Lunch treffen, von dem wir schon seit einiger Zeit reden. Und jetzt noch etwas. Ich gehe davon aus, dass ihr beiden immer noch zu Tammys Eröffnungsparty kommende Woche in London fahrt?«

»Um ehrlich zu sein, hatte ich das völlig vergessen«, sagte Amy wahrheitsgemäß.

»Ich finde es sehr wichtig, dass du und Sam hingeht. Jedes Paar braucht ab und zu einen Abend für sich. Ich übernehme die Kinder.«

»Danke.«

»Ach, und noch etwas. Zur Vorbereitung auf den großen Umzug habe ich tatsächlich die Kleiderschränke oben in den Schlafzimmern durchgesehen und angefangen, die Sachen zu sortieren«, erklärte Posy. »Da hängen stangenweise Abendkleider von meiner Mutter. Bestimmt haben die meisten viel zu viele Mottenlöcher, um noch brauchbar zu sein, aber es gibt ein paar, die du unbedingt anprobieren solltest, unter anderem ein wunderschönes schwarzes von Hartnell. Meine Mutter hatte ungefähr deine Größe, und das Hartnell wäre genau das Richtige für die Party. Alle, die dir nicht gefallen, kann Tammy für ihre Boutique bekommen. Wie auch immer, ich lasse sie draußen liegen, und wenn du vorbeikommst, probier sie doch mal an.«

»Also …« Unvermittelt kam Amy eine Idee. »Ich könnte morgen Nachmittag vorbeischauen, wenn du nichts dagegen hast.«

»Wunderbar. Ich werde zwar in der Galerie sein, aber ich lasse die Küchentür offen.«

»Und wie war’s in Amsterdam?«

»Hinreißend.«

»Wann bekommen wir deinen Freddie eigentlich mal zu Gesicht?«

»Er ist nicht ›mein‹ Freddie, meine Liebe, bloß ein sehr angenehmer Begleiter. Jetzt muss ich aber wirklich los. Ich gebe dir kurzfristig Bescheid, wann die Besichtigungstermine am Samstag genau sind, aber warum hole ich dich nicht einfach um halb eins hier ab?«

»Sehr schön. Ciao, Posy.«

Amy sah ihre Schwiegermutter im Wohnzimmer verschwinden, um sich von den Kindern zu verabschieden, und dachte sich, dass sie wahrlich nicht die Einzige war, deren Augen funkelten.

Am Mittwoch verließ Amy das Hotel und fuhr mit Schmetterlingen im Bauch die zehn Minuten nach Admiral House. Sie konnte ihr Glück kaum fassen, tatsächlich einen triftigen Grund für ihren Besuch gefunden zu haben. Vor dem Haus stellte sie ihr Auto ab und ging zur Küchentür. Bevor sie sie öffnen konnte, trat Sebastian heraus und schloss sie in die Arme.

»Mein Gott, hast du mir gefehlt.« Er zog sie ins Haus und küsste sie heftig, Amy reagierte mit ähnlicher Leidenschaft. Schließlich gelang es ihr, sich ihm zu entziehen, sie sah zu ihm hoch und lächelte.

»Ich dachte, ich bin gekommen, damit wir uns unterhalten?«

»Das können wir auch«, sagte er, küsste sie am Hals und zog ihr gleichzeitig den Mantel aus. »Aber vorher komm bitte ins Bett. Es redet sich viel besser, wenn man nichts anhat.« Er schob seine Hände unter ihre Bluse, und ihr Körper kribbelte vor Lust. Sie ließ sich von ihm nach oben in sein Zimmer führen, bestand aber darauf, dass er die Tür abschloss für den Fall, dass Posy früher als erwartet nach Hause kam.

»Mein Schatz, sie könnte möglicherweise deinen Wagen sehen, aber wenn du meinst«, sagte er neckend, riss ihr die Kleider vom Leib und fiel förmlich über sie her.

Eine Stunde später saß sie im Bett und lehnte sich an seine Brust, während er ihr übers Haar streichelte.

»Das mag jetzt blöd klingen, aber war es schon einmal so für dich?«, fragte Sebastian.

Amy starrte in die Luft. »Wahrscheinlich sollte ich sagen, ja, ich habe mit vielen Männern irren Sex gehabt, und wenn du mich sitzenlässt, habe ich nicht das Gefühl, dir bloß dein Ego aufpoliert zu haben …«

»Amy, hör auf. Ich weiß, du hast mich eine Woche lang für einen absoluten Schuft gehalten, aber du musst mir vertrauen. Ein solcher Mann bin ich nicht. Wenn du’s genau wissen willst, den letzten Sex hatte ich vor …«, er überlegte, »vor über einem Jahr.«

»Ach, du leidest also einfach unter Hormonüberschuss, was?« Sie drehte sich zu ihm und spielte mit seinen drahtigen Brusthaaren.

»Manchmal hat man als Mann einfach keine Chance«, sagte er seufzend.

»Also, um ehrlich zu sein, es war für mich noch nie so, wie es jetzt gerade mit dir war.« Sie küsste ihn auf die Brust. »In Ordnung?«

Sebastian schwieg eine Weile, bevor er sagte: »Amy, weißt du, bei dem, was ich für dich empfinde – da geht es nicht nur um Sex. Und das macht mir Angst. Als ich das letzte Mal so etwas empfunden habe, ist sie gestorben.«

»Das habe ich nicht vor«, versprach Amy.

Sebastian schüttelte den Kopf. »Aber du bist mit einem anderen Mann verheiratet. Moralisch gesehen darf ich dich gar nicht lieben.«

»Das Gleiche gilt für mich«, sagte sie. »Ich bin eine Ehefrau und Mutter.«

»Ich glaube, was ich meine, ist, dass es vielleicht einfacher wäre, wenn es nur eine große körperliche Anziehung wäre, eine für beide Seiten erfreuliche Affäre ohne Verbindlichkeiten. Ich meine, wie in aller Welt machen wir jetzt weiter?«, fragte er nachdenklich.

»Sebastian, wir kennen uns kaum, und …«

»Ich habe das Gefühl, dich schon seit Ewigkeiten zu kennen«, widersprach er.

»Das stimmt aber nicht.«

»Ja.« Wieder schwieg er eine Weile. »Amy, es ist eine schreckliche Frage, aber ich muss sie dir stellen. Liebst du Sam noch?«

Sie biss sich auf die Lippe und starrte zum Fenster hinaus. »Das frage ich mich schon seit einigen Wochen. Ich meine, schon bevor du und ich … Er ist der Vater meiner Kinder, und das ist eine Verbindung, die sich nie auflösen wird, was immer passiert. Aber ob ich ihn noch liebe … also, wenn ich absolut ehrlich bin, nein. Ich liebe ihn nicht mehr.«

Jetzt schließlich gestand Amy sich selbst zum ersten Mal die Wahrheit ein, noch dazu in der Gegenwart eines anderen Menschen. Bei der Erkenntnis traten ihr Tränen in die Augen, sie setzte sich auf.

»Mein Gott, ich bin unsäglich. Liege mit einem anderen Mann im Bett und sage ihm, dass ich meinen Mann nicht mehr liebe.«

»Das passiert Millionen von Paaren in aller Welt.« Sebastian streichelte ihr den Rücken. »Posy hat oft genug gesagt, dass du eine unglaublich loyale Ehefrau gewesen bist.«

»Und wie unglaublich ich ihn jetzt hintergehe«, sagte sie kummervoll.

»Die große Frage ist natürlich …« Sebastian unterbrach sich und überlegte, welche Worte er wählen sollte. »Wirst du still vor dich hin leiden und der Kinder wegen bei Sam bleiben, oder wirst du dir eingestehen, dass die Beziehung am Ende ist, und den Mut haben, neu anzufangen?«

»Das weiß ich nicht, das weiß ich wirklich nicht.«

»Nein, natürlich nicht, und es ist gemein von mir, dich das zu fragen. Wir wissen beide, dass meine Meinung in der Hinsicht zwangsläufig voreingenommen ist, also kann ich dir im Grunde keinen Rat geben. Ich kann dir nur so viel sagen: Ich weiß, dass ich dich liebe und mir wünsche, dass du bei mir bleibst. Von meiner Warte aus wäre es, gelinde gesagt, einfacher, wenn du frei wärst, aber ich verspreche dir, so geduldig wie möglich zu sein und dich nicht zu einer Entscheidung zu drängen.«

Sie drehte sich zu ihm. »Sebastian, wie kannst du nach so kurzer Zeit so sicher sein?«

»Das weiß ich nicht, es ist einfach so. Aber für mich ist es auch viel leichter. Ich bin völlig unbelastet. Ich muss einfach warten und hoffen, dass du dir eines Tages auch sicher bist.«

Zwanzig Minuten später gab sie ihm zum Abschied einen letzten Kuss und versprach, ihn am nächsten Tag anzurufen, dann fuhr sie die Kinder abholen. Auf dem Weg nach Southwold, während widerstreitende Gefühle sie schier zerrissen, fiel ihr ein, dass sie völlig vergessen hatte, die Kleider von Posys Mutter anzuprobieren.

Am Samstag erklärte sich Sam bereit, die Kinder zu hüten, solange Amy nachmittags mit Posy Häuser besichtigte.

»Ein bisschen Abwechslung tut dir gut«, sagte er. »Und es ist völlig egal, wann du wieder hier bist. Wir kommen bestens zurecht.«

»Danke, Sam. Der Auflauf sollte in einer halben Stunde fertig sein. Sorg dafür, dass sie ihn aufessen, bevor du ihnen Nachtisch gibst.«

»Das mache ich. Ciao, Süße, habt einen schönen Nachmittag«, sagte er, als er seine Mutter vor dem Haus hupen hörte. Er trat vor, um Amy auf die Lippen zu küssen, doch sie wandte sich ab, und sein Kuss landete auf ihrer Wange.

Als sie zu Posys wartendem Wagen ging, wünschte Amy sich beinahe, Sam würde sich nicht so sehr bemühen, seinen Fehler wettzumachen. Das vergrößerte nur ihr schlechtes Gewissen.

»Guten Tag, meine Liebe, wie geht’s?«, fragte Posy.

»Sehr gut«, sagte Amy und setzte sich auf den Beifahrersitz.

»Gut. Das ist doch mal was, oder? Nur du und ich. Ich dachte, wir essen zu Mittag in dem hübschen Pub in Walberswick. Das erste Haus besichtigen wir um zwei, das ist in Blythburgh, wir haben also reichlich Zeit.«

»Du bestimmst, Posy«, meinte Amy, als sie, die Hauptstraße vermeidend, am Meer entlangfuhren.

»Da wohnt Evie Newman«, sagte Posy, als sie in eine breite, von Bäumen gesäumte Straße abbogen, und deutete auf ein großes viktorianisches Haus, keine hundert Meter vom Pier entfernt. »Viel zu geräumig für sie und ihre Tochter, aber prachtvoll«, ergänzte sie. »Übrigens, hast du Gelegenheit gehabt, die Kleider am Mittwoch anzuprobieren? Sie lagen noch da wie unberührt.«

»Äh, ja. Leider waren sie mir alle zu groß.« Es war die erste Lüge, die Amy erzählte, und sie hasste sich dafür.

»Wirklich? Das überrascht mich. Meine Mutter war so schlank. Wir müssen dafür sorgen, dass du etwas Speck auf die Rippen bekommst, Amy.«

Im Pub, bei frischen Muscheln, drehte sich das Gespräch nur um Posy, die auf Amys angelegentliche Nachfragen bereitwillig von ihrer Reise mit Freddie nach Amsterdam erzählte.

»Da ist mir klar geworden, dass man leicht Scheuklappen bekommt, wenn man in einer Kleinstadt lebt. Jonny und ich sind durch die ganze Welt gereist, von einem Stützpunkt zum anderen, und ich habe mir nie etwas dabei gedacht.« Posy trank einen Schluck Wein. »Vielleicht unternehme ich ja, wenn Admiral House erst einmal verkauft ist, eine Kreuzfahrt nach Skandinavien. Ich wollte immer schon einmal die norwegischen Fjorde sehen.«

»Wird Freddie dich begleiten?«

»Wer weiß? Wie ich dir gesagt habe, sind wir bloß gut befreundet. Wirklich«, betonte sie. »Aber solche Reisen machen in Begleitung sehr viel mehr Spaß. So, jetzt sollten wir aber aufbrechen, sonst kommen wir noch zu spät zu unserem ersten Termin.« Posy schlüpfte in ihren Mantel und blickte zum Fenster in den Nieselregen hinaus. »Ein grauer, scheußlicher Novembertag. Perfekt, um ein Haus von seiner schlimmsten Seite zu sehen.«

Die ersten beiden kamen überhaupt nicht infrage wegen Posys Bedingung, der Garten müsste nach Süden gehen.

»Ich weiß, ich habe Marie gesagt, ich möchte etwas mit ›Charakter‹ haben«, sagte Posy, als sie den Sicherheitsgurt schloss. »Aber ich weiß nicht, ob ich nach dem ganzen Platz, an den ich gewöhnt bin, in einem Cottage mit niedrigen Decken nicht durchdrehen würde. Ein letztes Haus noch, ein dreistöckiges Stadthaus in der Nähe vom Leuchtturm. Ich muss sagen, es würde mir gut gefallen, mitten im Ort zu leben, nachdem ich die ganzen Jahre immer mit dem Auto fahren musste.«

Das Stadthaus erwies sich als Volltreffer. Neu renoviert, sehr hell, mit einer modernen Küche und einem kleinen, aber eindeutig nach Süden gehenden Garten. Amy folgte Posy durch die Räume und dachte sich, was sie für ein solches Haus geben würde.

»Einen größeren Unterschied zu Admiral House kann man sich kaum vorstellen, oder?«, meinte sie, als sie draußen im Regen standen, während Posy studierte, wo genau die Sonne hinfallen würde.

»Ich muss sagen, es spricht mich sehr an. Ich weiß, es sollte eher einem hippen Mittdreißiger gefallen als einer alten Oma wie mir, aber ich bin sehr angetan. Durch die Fenster und die hohen Decken ist es hell und luftig, und es gibt genügend Zimmer für Freunde und Familie zum Übernachten.«

»Es kostet viel Geld, Posy. Ich meine, fast die Hälfte von dem, was du für Admiral House bekommst.« Amy studierte den Prospekt, während Roger, der Mitarbeiter des Maklerbüros, die Tür hinter ihnen abschloss.

»Lächerlich, das stimmt«, pflichtete Posy ihr bei. »Aber man kann es nicht mitnehmen, und da das, was übrig bleibt, unter Sam und Nick aufgeteilt wird, denke ich mir, dass ein solches Haus eine gute langfristige Investition ist«, antwortete sie, als sie durch Southwold fuhren. »Ich muss Sam fragen, wie es mit Admiral House vorangeht. Ich fühle mich sehr versucht, ein Angebot abzugeben.«

Als sie an Evies Haus vorbeikamen, bemerkten beide Frauen das unverkennbare rote Auto, das davor parkte.

»Das ist doch Nicks Wagen, Posy, oder nicht?«, fragte Amy.

»Ja, doch.«

»Wusstest du, dass er dieses Wochenende nach Southwold kommt?«

»Nein.« Posy räusperte sich. »Aber weißt du, meine Liebe, er ist erwachsen und sagt seiner Mutter nicht, wo er jeden Augenblick steckt.«

Schweigend fuhren sie weiter. Keine von ihnen wollte das Gespräch vertiefen.