Kapitel 13
Posy blickte auf, als die Glocke über der Eingangstür zur Galerie läutete.
»Guten Tag, Freddie.« Sie lächelte, als er in den Showroom kam. »Wie geht’s?«
»Sehr gut, wirklich sehr gut.« Er trat an den Schreibtisch, an dem sie saß. »Hättest du Lust, morgen Abend mit mir ins Kino zu gehen? Da läuft der französische Film, der so gute Kritiken bekommen hat.«
»Da kann ich doch nicht Nein sagen. Sehr schön.«
»Gut«, meinte er. »Sollen wir uns um sechs vorm Kino treffen?«
»Perfekt.«
»Dann bis morgen, Posy. Auf Wiedersehen.«
»Auf Wiedersehen, Freddie.«
Er tippte sich an den Hut und verließ die Galerie wieder.
Posy seufzte. Sie versuchte zwar, nicht allzu viel darüber nachzudenken, aber diese sogenannte »Freundschaft« machte ihr zu schaffen. Seitdem er unangekündigt bei ihr im Garten aufgetaucht war, hatten sie sich einige Male zum Lunch oder zum Dinner verabredet. An Gesprächsstoff hatte es nicht gemangelt – Freddie hatte ihr spannende Episoden aus seiner Zeit als Strafverteidiger erzählt, und sie hatte ihm ausführlich von ihrem Leben berichtet.
Allerdings hatte sie den Eindruck, dass das Ungesagte weitaus schwerer wog: Warum er sie damals verlassen hatte und weshalb er ihr, fünfzig Jahre später, nur seine Gesellschaft, nicht aber sein Herz schenken konnte.
Erschwerend kam hinzu, dass sie »auf ihn stand«, wie Sam zu sagen pflegte. Und obwohl sie sich endlos ermahnte, sie müsse sich mit der Situation abfinden und sich einfach an dem freuen, was er ihr geben konnte, funktionierte es nicht. Ihn zu sehen, war eine Art bittersüßer Folter, und Posy wusste, dass sie nur enttäuscht werden konnte. Nie hatte Freddie beim Abschied versucht, sie zu berühren, von einem Küsschen auf die Wange einmal abgesehen.
Mittags verließ sie die Galerie und fuhr nach Hause. Um ein Uhr erwartete sie Marie, die das Haus schätzen wollte. Posy räumte in der Küche auf und zündete im Frühstückszimmer ein Feuer an. Mehr konnte sie kaum tun, um das Haus einladender wirken zu lassen.
Kurz vor eins läutete das Telefon. Sie hob ab.
»Ja, bitte?«
»Spreche ich mit Posy Montague?«
»Am Apparat. Wer ist da, bitte?«
»Hier ist Sebastian Girault. Ich glaube, Ihre Schwiegertochter Amy hat meinetwegen mit Ihnen gesprochen.«
»Sie hat gesagt, Sie würden vielleicht anrufen.«
»Hätten Sie denn überhaupt Interesse an einem Untermieter? Es wäre nur für zwei Monate oder so. Zu Weihnachten wären Sie mich wieder los.«
»Sie dürfen gerne kommen und sich das Haus ansehen, Mr. Girault, aber ich glaube wirklich nicht, dass es das Richtige für Sie ist. Es ist sehr bescheiden.«
»Das weiß ich. Amy hat es mir beschrieben, und es klingt perfekt. Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich es mir ansehe?«
»Nein, gar nicht. Heute Nachmittag wäre ich sogar zu Hause. Wenn Sie um vier vorbeikommen möchten, würde das gut passen. Das Haus ist leicht zu finden: Von der Halesworth Road Richtung Southwold biegt ein von Bäumen gesäumtes Sträßchen ab, auf dem Briefkasten steht ›Admiral House‹.«
»Keine Sorge, Mrs. Montague, ich habe ein Navi. Danke. Dann sehen wir uns um vier.«
Posy legte auf. Sobald Sebastian das Haus gesehen hatte, würde er zweifellos seine Meinung ändern, aber nach Maries Besuch würde sie sicher gedrückter Stimmung sein, und dann könnte seine Gesellschaft sie etwas aufheitern, auch wenn er nur eine halbe Stunde blieb.
Um Punkt eins klopfte es an der Haustür.
»Guten Tag, Marie. Kommen Sie doch rein, und bitte nennen Sie mich Posy.«
»Danke.« Marie trat ein, unter dem Arm ein Klemmbrett. Sie sah zu dem Kronleuchter hinauf. »Wow, der ist ja atemberaubend. Ein wunderschönes Foyer ist das.«
»Danke. Möchten Sie eine Tasse Tee oder Kaffee, bevor Sie anfangen?«, schlug Posy vor. »Sie werden vermutlich eine ganze Weile brauchen.«
»Nein, danke. Ich muss um drei meine Kinder abholen, also sollte ich besser gleich loslegen.«
»Ich dachte, ich zeige Ihnen den Garten, das Erdgeschoss und den ersten Stock und überlasse Sie im Dachgeschoss sich selbst. Meine Beine sind nicht mehr das, was sie früher einmal waren, und die Treppe ist ziemlich steil.«
»Kein Problem.«
Die beiden Frauen gingen hinaus, dann kehrten sie ins Haus zurück und besichtigten ein Zimmer nach dem anderen. Marie begeisterte sich für die vielen alten Elemente der Ausstattung und machte Notizen auf ihrem Klemmbrett.
Nachdem Posy ihr die sechs Zimmer im ersten Stock gezeigt hatte, stellte sie unten in der Küche den Kessel an und wärmte ein paar der Scones, die sie vor der Arbeit gebacken hatte. Wenigstens war Marie keine gerissene Geschäftsfrau im schicken Kostümchen – eine solche Person hätte sie in ihrem geliebten Zuhause nicht ertragen.
Schließlich kam Marie in die Küche, und sie setzten sich an den Tisch, tranken Tee und aßen die warmen Scones.
»Die schmecken fantastisch, Posy. Ich wünschte, ich könne auch so gut backen.«
»Jahrelange Übung, das ist alles.«
»Aber nicht so fantastisch wie das Haus – und was den Garten betrifft, da kann ich wirklich nur ›Wow!‹ sagen. Nicht zu fassen, dass Sie das alles wirklich allein gemacht haben.«
»Ich habe es mit Liebe gemacht, Marie, und deswegen war es immer eine Freude.«
»Vielleicht ist er genau deswegen so ganz besonders. Aber wahrscheinlich sollten wir uns jetzt dem Geschäftlichen zuwenden.« Marie sah sie freimütig an. »Posy, auch das Haus ist absolut prachtvoll, die alten Elemente sind famos. Die Kamine, der Stuck, die Fensterläden … Ich könnte endlos viele Dinge anführen. Die Größe der Räume ist klasse, und allein das Grundstück ist eine Wucht.«
»Aber …«, warf Posy ein, um Marie zuvorzukommen.
»Tja.« Marie rieb sich die Nase. »Natürlich muss der Käufer immens viel investieren, sowohl zeitlich als auch finanziell. Ihnen ist sicher klar, dass alles umfassend renoviert werden muss. Und da liegt das Problem.«
»Ja«, sagte Posy.
»Um ehrlich zu sein, glaube ich, dass Sie sehr viel Glück bräuchten, um einen solchen Käufer zu finden. Der Markt für Landhäuser geht seit einiger Zeit zurück, und auch wenn Ferienhäuser in Southwold ausgesprochen begehrt sind, ist dieses Haus für den Zweck viel zu groß. Angesichts der Entfernung wird kaum jemand täglich nach London pendeln wollen, und ebenso wenig kann ich mir vorstellen, dass sich ältere Herrschaften dafür interessieren, um sich hier zur Ruhe zu setzen; dafür ist es zu groß und zu wartungsintensiv.«
»Liebe Marie, jetzt kommen Sie doch einfach auf den Punkt – was möchten Sie mir sagen?«
»Wahrscheinlich möchte ich damit sagen, dass die Käuferschicht extrem dünn ist, es sei denn, wir finden einen Popsänger oder einen Filmstar, der die Zeit und das Geld hat, um es als seinen Landsitz herzurichten.«
»Das leuchtet mir ein.«
»Posy, Sie finden die Vorstellung sicher entsetzlich, aber ich glaube, das Beste für Sie wäre, es einem Bauherrn zu verkaufen, der es geschmackvoll in Wohnungen aufteilt. Heutzutage gibt es nur noch sehr wenige Menschen, die ein Haus dieser Größe tatsächlich besitzen möchten, aber auf die prachtvolle Anlage und das Hochherrschaftliche wollen viele trotzdem nicht verzichten.«
»Ich hatte mir schon gedacht, dass Sie mir etwas in der Art vorschlagen könnten. Es würde mir natürlich das Herz brechen, und meine Vorfahren würden sich im Grab umdrehen, aber …«, Posy zuckte mit den Schultern, »ich muss realistisch sein.«
»Ja. Das Problem ist, ein Bauherr würde natürlich einen möglichst niedrigen Preis bezahlen wollen. Seine Investitionen wären immens, und er müsste an seinen Gewinn denken. Der einzige Vorteil wäre, dass wir Ihnen in dem Fall die unschöne Erfahrung ersparen könnten, das Haus auf dem offenen Markt anzubieten. Unser Büro kennt einige Bauherren, die sich für das Haus interessieren könnten. Wir würden die Verbindung für Sie herstellen, die Leute besichtigen es, und das Ganze ginge schnell und unauffällig über die Bühne.«
»Was denken Sie denn, wie viel ein solcher Bauherr dafür zu zahlen bereit wäre?«
Marie wiegte den Kopf. »Das ist sehr schwer zu sagen, aber ich würde rund eine Million ansetzen.«
Unwillentlich musste Posy lachen. »Du liebes bisschen! Und das Cottage von Mrs. Winstone, die kürzlich verstorben ist, hat gerade einmal fünf Zimmer und soll mehr als die Hälfte kosten.«
»Ich weiß, im Vergleich ist es lächerlich«, stimmte Marie zu. »Aber das Cottage steht an der High Street, mitten in Southwold, und hat genau die richtige Größe für ein Ferienhaus. Posy, es würde mich überhaupt nicht stören, wenn Sie einen anderen Makler um seine Meinung bitten möchten. Im Gegenteil, das würde ich Ihnen sogar empfehlen.«
»Nein, nein, meine Liebe, Sie haben bestimmt absolut recht. Seien wir doch ehrlich, eine Million Pfund ist eine gewaltige Summe. Mehr, als ich in meinem Leben jemals ausgeben kann, aber eine nette Erbschaft für meine Söhne.«
»Ja, das stimmt. So, und jetzt muss ich wirklich los und meine Kinder abholen. Vielen Dank für den Tee und die Scones.« Marie erhob sich. »Ich schicke Ihnen alles, was ich gerade gesagt habe, noch einmal schriftlich zu. Wenn Sie es sich durch den Kopf haben gehen lassen und mit Ihren Söhnen gesprochen haben, rufen Sie mich doch an.«
Posy sah Marie nach, wie sie die Auffahrt hinunter verschwand, dann kehrte sie in die Küche zurück, schenkte sich noch einen Tee ein und überlegte.
Wenig später stand Sebastian Girault vor der Tür.
»Schön, Sie kennenzulernen, Mrs. Montague.« Er gab ihr einen festen Händedruck.
»Nennen Sie mich doch bitte Posy.« Sie blickte in seine durchdringenden grünen Augen hinauf und wünschte sich, sie wäre dreißig Jahre jünger. »Kommen Sie rein.« Sie schloss die Tür hinter ihm und führte ihn in die Küche, wo sie wieder den Wasserkessel aufsetzte. »Bitte nehmen Sie Platz, Mr. Girault.«
»Danke. Und bitte Sebastian. Das Haus ist ja wirklich hinreißend.«
»Amy hat gesagt, Sie suchen einen Ort, wo Sie in Ruhe schreiben können?«
»Ja. Vor allem brauche ich Platz. Das ist sehr wichtig.«
»Tja, mein Heizungssystem mag nicht ganz zuverlässig sein, und die neueste Ausstattung habe ich auch nicht, aber Platz gibt es reichlich«, sagte Posy mit einem Lachen. »Ich zeige Ihnen die Zimmer, die infrage kommen, dann können Sie mir sagen, dass sie eiskalt und staubig sind, und dann können wir wieder nach unten kommen, das Ganze vergessen und eine Tasse Tee trinken.«
Im ersten Stock lag am Ende des Korridors einer der Räume, den Posy am liebsten mochte. Es war ein Eckzimmer mit deckenhohen Fenstern, die auf beiden Seiten auf den Garten hinausgingen.
»Wunderschön«, sagte Sebastian beglückt, als Posy ihn in das danebenliegende Bad führte – ein Relikt der Dreißigerjahre. In der Mitte des Raums stand eine riesige gusseiserne Badewanne, der Boden war mit dem ursprünglichen schwarzen, sehr abgetretenen Linoleum bedeckt.
»Das ist es. Was meinen Sie? Ich bin wirklich nicht gekränkt, wenn Sie Nein sagen.«
Sebastian ging in das große Zimmer zurück. »Kann man in dem Kamin Feuer machen?«
»Wahrscheinlich. Man müsste nur den Kamin kehren lassen.«
»Dafür würde ich natürlich aufkommen, und …« Sebastian trat ans Fenster. »Hier könnte ich meinen Schreibtisch aufstellen, damit ich den Blick genießen kann, während ich Löcher in die Luft starre.« Er drehte sich zu ihr. »Posy, das ist perfekt. Wenn Sie bereit sind, mich aufzunehmen, würde ich sehr gerne hier wohnen. Ich würde Ihnen das natürlich gut bezahlen. Wie wär’s mit zweihundert die Woche?«
»Zweihundert Pfund? Das ist viel zu viel.« Das verdiente Posy nicht annähernd in einer Woche in der Galerie.
»Es ist immer noch weniger, als wenn ich mir ein Cottage in Southwold mieten würde. Und wie wär’s, wenn das eine oder andere Essen inbegriffen wäre?«, meinte Sebastian. »Ich habe gehört, Sie seien eine fabelhafte Köchin.«
»Nicht fabelhaft, nur beständig«, stellte Posy richtig. »Natürlich koche ich für Sie. Das muss ich sowieso für mich selbst. Aber sind Sie sicher, dass es Ihnen hier nicht an Komfort mangeln wird? Ich kann Ihnen ein oder zwei Heizkörper geben, obwohl deren Unterhalt ziemlich ins Geld geht.«
»Ich verspreche, für alle Unkosten meines Aufenthalts aufzukommen. Im Übrigen werde ich Sie berufsbedingt wenig stören, obwohl mein Tagesrhythmus beim Schreiben meist etwas ungewöhnlich ist.«
»Das ist kein Problem, ich schlafe am anderen Ende des Hauses. Eins sollte ich Ihnen allerdings noch sagen. Heute Nachmittag war eine Immobilienmaklerin hier, weil ich mir überlege, das Haus zu verkaufen. Vor Weihnachten wird bestimmt nichts mehr passieren, aber ich weiß nicht, wie lange Sie bleiben möchten.«
»Mein Abgabetermin ist im Februar, aber wie gesagt, ich hoffe, dass ich die Rohfassung Mitte Dezember fertig habe. Das Überarbeiten kann ich gut in meiner Wohnung in London machen, das heißt, Sie sollten mich vor Weihnachten los sein. Also, kommen wir ins Geschäft?« Zögerlich streckte Sebastian die Hand aus.
Posy schlug ein. »Doch, ich glaube schon.«
Sebastian und Posy kehrten nach unten zurück, verzichteten auf den Tee und genehmigten sich stattdessen ein Glas Wein, um auf ihre Vereinbarung anzustoßen. Da bemerkte Sebastian das gerahmte Foto von Posys Vater in seiner RAF-Uniform, das im Frühstückszimmer auf dem Beistelltisch stand.
»Mein neues Buch spielt im Zweiten Weltkrieg. Wissen Sie zufällig, ob Ihr Vater je eine Spitfire geflogen hat?«
»Aber ja, das hat er. Er war an einigen ganz großen Schlachten beteiligt, einschließlich der Luftschlacht um England. Leider ist er kurz vor Kriegsende gestorben, bei einem der letzten Angriffe.«
»Das tut mir sehr leid, Posy.«
»Danke. Ich habe ihn vergöttert, wie jede Tochter ihren Vater vergöttert.«
»Natürlich. Würde es Sie zu sehr belasten, wenn ich Sie einmal nach Ihren Erinnerungen an den Krieg hier in Southwold befrage?«
»Nein, gar nicht. Allerdings war ich damals noch sehr klein.«
»Das wäre fantastisch. So, und damit Sie wissen, dass es mir ernst ist mit dem Angebot, möchte ich Ihnen gleich die erste Wochenmiete geben.« Sebastian holte ein paar Geldscheine aus seinem Portemonnaie. »Wann kann ich einziehen?«
»Sobald Sie möchten. Allerdings muss ich Sie warnen, Sonntagmittag kommt die ganze Familie zum Essen, da wird es lauter werden als sonst.«
»Kein Problem. Ich verspreche, mich nicht blicken zu lassen.«
»Unsinn. Sie dürfen sich herzlich gern zu uns dazugesellen«, sagte sie, als sie zur Haustür ging. »Ach, du meine Güte, ich sollte Ihnen wohl besser einen Schlüssel geben.« Sie lachte.
»Das wäre nützlich, ja. So, und jetzt auf Wiedersehen und vielen Dank für alles.« Er gab ihr einen Kuss auf beide Wangen.
»Ganz meinerseits. Es wird eine Freude sein, Sie hier zu haben. Auf Wiedersehen, Sebastian. Sagen Sie Bescheid, wann Sie einziehen möchten.«