KAPITEL VIERZIG

Handelt davon, was passiert, wenn ich im Fernsehen etwas riskiere

 

Um drei Uhr kommen die Assistenten von Was ist dein Talent? in den Grünen Salon und begleiten mich in die Maske. Parker Day sitzt im Sessel, wird nachgeschminkt und presst ein Handy ans Ohr. Ich kann hören, wie er mit seinem Limonadenhersteller verhandelt, mit einem Schuhunternehmen, wie er sich mit seinem Agenten streitet und einer Assistentin mitteilt, er brauche sie nicht zu bitten, sondern sie müsse schlicht und einfach wissen, dass sie seine Sachen in die Reinigung mitzunehmen habe. Unsere Sessel sind weniger als eineinhalb Meter voneinander entfernt. Während die Make-up-Lady ihre Arbeit tut, werfe ich Parker verstohlene Blicke zu und versuche zu analysieren, was ihn zu einem Star macht. Da ist das kurze braune Haar mit dezent blond gefärbten Spitzen. Ein durchtrainierter Körper unter einem eng anliegenden klassischen Rocker-T-Shirt. Die Ganzjahresbräune. Die Vintage-Jeans, die wahrscheinlich mehr kostet, als das, was ich in zwölf Buddha Burger-Schichten verdienen könnte. Zweifellos ist er ein gut aussehender Typ, aber irgendwie nichts Besonderes.

Als ich fernsehgerecht geschminkt bin, führen mich die Assistenten zu meinem Platz auf der Bühne, auf der ein Strand nachgebaut ist, komplett mit Bambushütten und Fackeln. Ganz vorne an der Bühne sehe ich Gonzo, der mir mit nervösem Lächeln ein Daumen-hoch-Zeichen gibt. Hinter dem seitlichen Bühnenrand prüft Parker seine Moderatorenkärtchen, während ihm eine Kostümassistentin die Knitter aus der Hose dampft. Der Regisseur ruft alle auf ihren Platz. Der Kameramann zeigt an, dass es losgeht. Das kleine Aufnahmelämpchen an der Kamera leuchtet und Parker Day kommt unter dem tosenden Applaus der Menge auf die Bühne. Er hat den Dreh raus, schüttelt Hände und ruft ein bedeutungsvolles »Ho-oh!« ins Mikrofon, das gleich von allen erwidert wird.

»Hal-lo! Ich bin Parker Day und komme zu euch, direkt vom Partyhaus in Daytona Beach, Flo-ri-da!«

Die Menge flippt aus und Parker lässt ihr einen Moment zur Beruhigung. »Mitten im Party-Wahnsinn wird euch diese Sendung präsentiert von Rad Limo – die Limo unserer Generation.« Parker nimmt einen Schluck aus seiner Dose Rad XL und gibt sie dann einer Assistentin. »Heute haben wir in Was ist dein Talent? einen neuen Herausforderer, Cameron, einen Musicaholic aus Te-xas. Cameron, komm runter zu mir, mein Junge.«

Ich gehe zur verabredeten Stelle neben Parker, der – dank Ann »Iphigenia« Jones – einen Spickzettel mit allen Infos über mich in der Hand hält. »Cam – hier steht, du hast Rinderwahnsinn. Stimmt das?«

»Ja.« Mann, ich hoffe, wir sind schon längst weg, wenn das gesendet wird.

»Also, wie geht’s dir denn damit?«

»Äh … beschissen?«, sage ich.

Alle lachen und Parker patscht mir auf den Rücken.

»Du bist witzig, Cameron. Ich mag das. Okay, Cam, wie du weißt, stellen wir dir in Was ist dein Talent? Fragen aus deinem Wissensgebiet, und das ist …« Er hält seine Visage direkt in die Kamera und senkt die Stimme. »Musik!« Ich habe Parker Day oft genug gesehen, um zu wissen, dass sie irgendeinen billigen Hall unter seine Stimme legen, wenn er »Musik« sagt. Bei den Zuschauern löst das trotzdem Geschrei und Gebrüll aus. Sie erwarten es einfach. »Also, ich stelle dir die Fragen, die auf diesen weißen Kärtchen hier stehen. Wenn deine Antwort richtig ist, erreichst du die nächste Runde, in der es noch mehr Preisgeld gibt. Aber falls du eine falsche Antwort gibst, sind wir gezwungen, dir eine Zehe zu amputieren. Das ist ein Scherz.«

Die Menge lacht über seinen lahmen Witz. Ich werfe Gonzo einen Blick zu. Sein Mund formt das Wort pendejo. Jetzt fühle ich mich ein bisschen besser.

»Nein, falls du eine falsche Antwort gibst, musst du auf den …«

»Pisspott!«, schreit das Publikum.

Ein paar Bühnenarbeiter in schwarzen T-Shirts und Jeans schieben ein Dixiklo mit einem großen roten Knopf an der Seite auf die Bühne. Parker öffnet die Tür, damit jeder hineinsehen kann. Der Geruch haut mich fast um. Eine wacklige Sitzplatte, eine Art Donnerbalken, liegt über der offenen Latrine. Jemand hat einen Schuh draufgestellt.

Parker hält sich mit seiner freien Hand die Nase zu. »Jawohl, Ladys und Gentlemen und Cameron. Hast du erst einmal auf dem Pisspott Platz genommen, wird dir eine Alles-oder-nichts-Frage gestellt. Wenn du sie richtig beantwortest, werden wir deine Gewinnsumme verdoppeln, und du brauchst dich nicht mit einem Fichtennadelduftgel eine Woche lang unter die Dusche zu stellen. Aber wenn du falsch antwortest …«

Parker haut auf den roten Knopf. Der Schuh kippt vom Donnerbalken in die Latrine, begleitet vom lauten Getöse einer Wasserspülung. In der ersten Reihe guckt Gonzo irgendwie so, als ob ihm übel ist, und ich frage mich, auf was zum Teufel ich mich hier eingelassen habe.

»Habt ihr alle eure Schnappschüsse gemacht, okay?« Das Publikum lacht, und Parker setzt sein strahlendes Lächeln auf, für das er berühmt ist.

Die Scheinwerfer glühen, und alles, was ich vor mir sehen kann, ist eine Ansammlung gebräunter, halb nackter Körper in verschiedenen Stadien der Besoffenheit.

Parker schirmt seine Augen mit den Kärtchen ab und schaut zu mir hoch. »Cam, bist du dort oben okay? Zeigt der Rinderwahnsinn schon Wirkung?« Er neigt sich zur Kamera und sagt mit der gedämpften Stimme, die alle lieben: »Muuh!«

Die Leute trampeln wie wild mit den Füßen, klatschen und jubeln. Ich will nichts weiter als ein bisschen Knete einsacken und meinen Gartenzwerg wiederfinden. Das ist ja wohl nicht zu viel verlangt.

»Okay, los geht’s. Cameron, wer singt die Rad Limo-Hymne Make Mine an XL

Die Rad Limo-Hymne ist bloß alle fünfzehn Minuten im Fernsehen oder im Radio zu hören. Er fängt mit den leichten Fragen an.

»Äh, das müsste Big Philly Cheese Steak sein.«

»Absolut richtig. Und ein fetter Hundert-Dollar-Schein geht auf dein Was ist dein Talent?-Konto.«

Die Anzeigetafel klingelt und flippert zu einem blinkenden Hunderter-Zeichen. Die Menge jubelt. Irgendjemand brüllt: »Taucht ihn unter!«

»Frage Nummer zwei, Camster. Welche Platte spielt der Kojote, um den Roadrunner glauben zu machen, eine Herde Elefanten sei hinter ihm her? Lass dir ruhig Zeit.«

»El –«, beginne ich.

Parker hält eine Hand hoch. »Lass dir Zeit. Keine Eile.«

Oh, ja, richtig. Er möchte, dass ich ins Zweifeln gerate. Das steigert die Spannung.

»Äh«, sage ich und verziehe das Gesicht, als ob ich eine der quantenphysikalischen Gleichungen meines Vaters lösen will. »Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, ich glaube, es ist Elephants Are After Me, Volume One

»Cameron«, sagt Parker und guckt dabei sehr ernst. »Du ziehst das durch!« Die Menge flippt aus.

»Okay, Cam. Spaß beiseite. Zeit fürs große Geld. Zweiteilige Frage. Teil eins: Wer komponierte den ausgesprochen richtungweisenden Cypress Grove Blues

»Junior Webster.«

Anerkennendes Gemurmel.

»Cam-my-man ist ganz heiß. Teil Numero dos: Worauf weist Cypress Grove hin?«

Ich bin gerade dabei, Parker Day seinen stylish aufgemotzten Arsch auf einer Platte zu servieren. »Auf einen Friedhof in New Orleans.«

Parker hebt die oft fotografierte Augenbraue. »Bist du dir sicher?«

»Ja.«

»Ab-so-lut sicher?«

»Na ja … ja. Ich denke schon.«

»Du klingst nicht so überzeugt.«

»Nein. Ich meine ja. Ja, ich bin mir sicher.«

Er streicht sich bedeutungsvoll übers Kinn. »Oh, Cam-Cam-Cam. Tut mir leid, aber das … ist falsch.«

»Falsch? Ausgeschlossen. Ich war dort. Ich hab ihn getroffen …«

»Du hast Junior Webster getroffen. Na klar, Schwammkopf. Die richtige Antwort lautet: auf seine Geburtsstadt. Siehst du? Geburtsstadt. Steht hier. Auf der Karte.« Er hält die Karte für eine Nahaufnahme vor die Kamera. »Camiot, ich werde dich jetzt bitten, Platz zu nehmen auf dem …« Parker neigt sich zum Publikum und hält sich die Hand hinters Ohr.

»Pisspott!«, brüllen alle aufs Stichwort.

Ich klettere die wacklige Leiter zum Donnerbalken hoch. Von unten höre ich Gonzos einsame Stimme. »Du schaffst das, Cam!«

Mir wird ganz schwindelig, zum einen vom Gestank, zum anderen von meinen Gedanken: Wenn mit Cypress Grove nicht der Friedhof gemeint ist, dann war ich vielleicht am falschen Ort. Das würde bedeuten, dass ich die falsche Botschaft erhalten habe. Und das würde bedeuten, dass die ganze Reise für die Katz war. Unmöglich, das herauszufinden. In mir steigt eine Panik hoch, die nichts mit dem Pisspott zu tun hat.

»Cam, bist du okay dort oben? Brauchst du Hilfe?«

»Hä?« Ich merke, dass ich am Ende der Leiter stehen geblieben bin, springe rüber auf die Plattform und nehme auf dem Donnerbalken über der Jauchegrube Platz.

»Hast du dir’s dort gemütlich gemacht, Cam-man?«, fragt Parker. Es wäre so leicht, mit dem Fuß auszuholen und seine fotogene Visage zu treffen.

»Wie ne Laus im Pelz«, antworte ich. Das bringt die Leute zum Lachen.

»Okay. Letzte Frage. Es geht ums Ganze. Wir werden jetzt einen Song anspielen. Du musst mir den Titel des Liedes nennen und den Namen des Interpreten. Liegst du richtig, gehören dir sechshundert Dollar. Liegst du falsch, geht der Cam-a-lama-ding-dong die Spülung runter. Bist du bereit?«

Ich nicke.

Die Lautsprecherboxen erwachen knisternd und knackend zum Leben. Ein Lied weht hervor, eine schwermütige Melodie für Flöte und Ukulele. Und dann schwebt dieses unbeschreiblich hohe portugiesische Vibrato über die Menge. Gut möglich, dass ich das arroganteste Grinsen der Fernsehgeschichte aufsetze.

»Oh, Cam. Spüre ich so was wie Unruhe?«, fragt Parker und bewegt seine Hand Richtung roter Knopf. »Zeit für deine Antwort.«

»Oh Mann«, sage ich, schüttle den Kopf und seufze. Sie wollen eine gute Fernsehshow? Sollen sie haben. »Gib mir ne Minute.«

»Noch zehn Sekunden auf der Uhr, Big Cam.«

Die Zuschauer beginnen mit dem Countdown. »Zehn, neun, acht, sieben …« Gonzos Augen sind riesengroß, und seine Lippen bewegen sich kaum, als er mitzählt. Ich lasse sie bis null kommen. Der Alarmton geht los. Das Kettenhundgebell schwappt wie eine Welle über die Menschenmenge.

»Die Zeit ist um, Cameron. Hast du eine Antwort?« Parker leckt sich die Lippen. Seine Hand schwebt über dem Knopf, als ob er nichts lieber täte, als mich in die ekelige Jauchebrühe zu tunken.

»Ja, Parker. Ich denke schon. Das müsste Viver É Amar, Amar É Viver sein, gesungen von Great Tremolo

Parkers selbstgefälliges Grinsen verschwindet. Er schaut auf seine Karten, als ob er nicht glauben kann, was dort geschrieben steht. Die Leute schweigen. Sie wollen eine Tauchaktion und wissen nicht, warum Parker so lange braucht, um sie zufriedenzustellen.

»Cameron, Cameron, Cameron«, sagt Parker und schüttelt den Kopf. Die Menge wird nervös. »Du. Hast.« Er seufzt und seine Hand geht noch näher zum Knopf, bevor er sie abrupt zurückzieht. »Absolut recht! Komm runter, Cammy-man.«

Unter gewaltigem Applaus des Publikums und ein paar eingestreuten Spottrufen hilft mir ein Assistent von der Leiter runter. »Du hast eben sechshundert Dollar gewonnen und einen Kasten Rad Mild – die Wette gilt: Chill mit Rad Mild

Ein Assistent zieht einen Wagen voller Rad Mild-Sixpacks auf die Bühne, und Parker zählt sechshundert Dollar ab, die ich mir sofort in die Tasche stecke. Wir sind wieder in den schwarzen Zahlen. Jetzt müssen wir nur noch Balder finden.

Als ich von der Bühne gehe, klatscht mich Gonzo gleich doppelt ab. »Alter, du hast echt gerockt!«

»Danke, Gonz. Hast du die Blödmänner gesehen, die Balder gestohlen haben?«, frage ich. Die brütende Hitze und meine Nerven haben mich Kraft gekostet. Ich bin dabei, mich wieder zu verkrampfen, und ich sehe alles ein bisschen verschwommen.

Gonzo schüttelt den Kopf. »Bis jetzt noch nicht, Mann. Hey, bist du okay? Du siehst nicht so gut aus.«

Ich schwitze wie verrückt. »Ich bin einfach überhitzt.«

Wir werden mit der Menschenmenge runter zum Strand geschoben, wo ein großes Open-Air-Podium namens BÜHNE DREI aufgebaut ist. Hier tritt Marisol auf. Sie steht mit ihrem leuchtend bunten Sarong und ihrem bauchfreien T-Shirt auf der Bühne, winkt der Menge zu, wirft Kusshändchen, und ihr langes schwarzes Lockenhaar glänzt in der Sonne. Wenn wir Marisol gefunden haben, finden wir wahrscheinlich auch die Blödmänner.

»Hey«, frage ich ein Mädchen, »was ist das für ne Show?« »Ne Art Wohltätigkeitsauktion«, sagt sie. »Sie holen

Leute auf die Bühne, damit sie ihre wertvollsten oder verrücktesten Sachen versteigern. Je schräger sie sind, desto größer ist deine Chance, dabei zu sein.«

Wir danken ihr und schieben uns durch die Menge. Auf der Bühne steht ein dickliches Kerlchen mit dem Autogramm irgendeines Filmstars. Ein paar Angebote gehen hin und her und der Auktionshammer fällt bei hundertfünfundzwanzig Dollar. Dann führt man den nächsten Idioten auf die Bühne. Ich kann es nicht glauben. Es ist Keith. In den Händen hält er Balder, dem man ein pinkfarbenes Rüschenkleid und Pumphosen verpasst hat. Auf dem Kopf trägt er ein weißes Spitzenhäubchen.

»Gonzo«, sage ich und deute auf die Bühne.

Er fängt an zu lachen, aber hört sofort damit auf, als er sieht, dass mir nicht nach Scherzen zumute ist. »Alter, sie haben ihn in ein Kleid gesteckt.«

Ein Securitymann vom Umfang eines Kleinwagens versperrt uns den Weg. »Ihr könnt hier nicht rein, außer ihr macht bei der Auktion mit.«

»Das ist unser Gartenzwerg! Er hat ihn uns gestohlen!«, schreit Gonzo.

Der Typ drängt uns von der Bühne weg. »Schön. Wenn ihr das höchste Gebot macht, gehört er wieder euch.«

Ich stecke die Hand in die Tasche und spüre, wie geschmeidig sich diese sechs Hundertdollarscheine anfühlen. »In Ordnung. Wir sind dabei«, sage ich.

Der Typ gibt uns Signalkellen und wir drängen uns in Richtung Bühne. Keith plappert in einem fort darüber, wie er und seine Kumpels den Gartenzwerg in finsterster Nacht aus dem Pfarrhaus geklaut hätten. Er erfindet eine Scheißstory, damit der Preis hochgeht. Marisol gibt sich ganz entzückt. Sie fährt sich durchs lange, dunkle Haar und gibt Balder einen Kuss, dann hebt sie sein Kleid, um die Pumphosen zur Schau zu stellen.

Balder erträgt das mit seiner üblichen stoischen Ruhe, aber ich weiß, dass unter der Haut des Zenmeisters ein Kessel voller Zwergenwut brodelt.

»Ich kann’s nicht glauben! Was für ein verdammter Lügner!«, knurrt Gonzo.

Zwei riesengroße Typen drängen sich vor uns. Wir können kaum noch was sehen.

»Hier. Kletter hoch und mach dich bereit, mitzubieten«, sage ich und hieve Gonzo auf meine Schulter.

»Bist du dir sicher, dass mir hier oben nichts passiert?«, fragt Gonzo. »Bist du stark genug, um mich zu halten?«

»Ich kann dich lange genug halten, bis wir Balder zurückgewonnen haben. Du musst nur die Kelle schnell in die Höhe heben.« Gonzo ist schwerer, als ich dachte. Meine Muskeln spüren die Last, aber die fünf Minuten, die das dauern sollte, halte ich es aus.

»Wie hoch gehen wir?«, ruft Gonzo herunter.

»Sechshundert«, krächze ich zurück. Mein Nacken bringt mich noch um.

Die Versteigerung beginnt. Zuerst geht es rasend schnell. Aus allen Ecken und Enden wird geboten. Aber als die Gebote dreihundert Dollar erreicht haben, steigen die meisten Leute aus. Nur wir und ein paar andere Typen bieten noch in Fünfundzwanzig-Dollar-Schritten.

»Habe ich drei fünfzig gehört?«, ruft Marisol in die Menge. »Drei fünfzig also!«

»Gonz! Wer bietet gegen uns?«, presse ich hervor. Für eine kleine Person ist er ganz schön massiv.

»Diese Arschlöcher vom Wagen. Seine Kumpels«, sagt er.

Gonzos Kelle geht in die Höhe. Wir bieten wechselseitig, bis wir bei fünfhundertfünfundzwanzig Dollar sind. Noch haben wir fünfundsiebzig Dollar auf der Bank. Ich schwitze wie ein Arschloch. Meine Muskeln werden steif und fangen an zu zucken. Nicht jetzt, Mann. Bitte nicht jetzt!

»Sie werden schwach«, brüllt Gonzo.

Seine Kelle geht hoch. Marisol bestätigt fünfhundertfünfundzwanzig Dollar. Das Zucken wandert armabwärts bis in meine Beine. Meine Knie knicken ein.

»G-Gonzo«, stottere ich, »ich kann dich nicht mehr halten.«

»Nur noch ne Sekunde, Alter.«

Die Typen machen ein Gegengebot von sechshundert Dollar. Marisol will die Sache beenden. Sie ruft: »Zum Ersten, zum Zweiten«, genau als meine Beine nachgeben und Gonzo und ich zu Boden gehen. Ich höre Marisol rufen: »Und zum Dritten!« Wir haben Balder verloren.

»Alter, was zum Teufel …?«, brüllt Gonzo und reibt sich den Kopf. Ein Typ mit tätowierten Armen geht in die Hocke und fragt Gonzo, ob er okay ist. Ja, mir geht’s gut, danke. Kein Untersuchungsbedarf. Lass mich einfach liegen. Und tritt nicht auf mich drauf!

»Bist du okay?«, fragt mich Gonzo, fast so, als ob es ihm erst jetzt eingefallen ist.

»Nein«, sage ich und richte mich mühsam auf. »Wir haben Balder verloren.«

»Wir kriegen ihn zurück«, sagt er und tastet seinen Kopf ab. »Ich geh dann mal ins Erste-Hilfe-Zelt.«

»Hab’s kapiert«, schnauze ich ihn an.

Auf der Bühne begrüßt Keith seine Kumpel. Dann überreicht er Marisol den Gartenzwerg als Geschenk. Sie quiekt und kreischt, nimmt den Preis, hält unseren Gartenzwerg hoch und zeigt ihn der Menschenmenge.

»Er ist so süüüüüüüüß!«, quietscht sie. »Wir werden ihn bei der neuen Werbekampagne für Doppeltes Risiko einsetzen.« So was liebt das Volk. Die Leute toben. Ich erinnere mich an die letzten TV-Spots für diese Show. Da war ein Stoffbär dabei. In einem Spot haben sie ihm mit einer Kettensäge den Arm abgetrennt, in einem anderen steckten sie ihm einen Böller in den Mund und zündeten ihn an. Nach fünf Spots war von ihm nichts weiter übrig als ein bisschen schmutziger, verbrannter Flaum, der an einem Glasauge hing.

»Hey, machen wir ein Foto!«, ruft Typ Mitte Keith, Arschloch und Dieb von Gartenzwergfreunden anderer Leute. Er legt den Arm um Marisol. Und sie gibt ihm einen dicken Kuss auf den Mund.

»Whooo-hooo! Das ist der rockigste Tag meines Lebens!«, kreischt Keith. Die Typen verfallen in dieses seltsame Hundegeheul, das sie immer anstimmen, wenn sie ihre Sympathie für irgendwas kundtun wollen. Mein Herz sinkt in die Hose, zum einen, weil ich Balder verloren habe, und zum anderen, weil ich Keith irgendwie auf einen Pfad des Untergangs geführt habe. Ich hasse es, das zu wissen, und ich hasse es, dass ich ihn nicht einfach hassen kann.

»Hey, Marisol!« Keith grinst wie ein Honigkuchenpferd. »Soll ich dir mal meine Schraube zeigen?«

Kollektive Sprachlosigkeit in der Menschenmenge. Marisols Mund steht offen. Keith zieht meine Zauberschraube aus seiner Hosentasche und gibt sie ihr. »Hier. Das ist eine Zauberschraube. Sie soll dir Glück bringen.«

Jetzt lachen die Leute sogar. Nur Marisol sieht so aus, als wolle sie Keith eine schmieren, aber, hey, sie ist auf Sendung, und sie muss wenigstens so tun, als ob sie cool ist. Also lacht sie mit und sagt: »Ohmeingott, du bist ja so was von witzig!« Die Menge skandiert immer und immer wieder »Zau-ber-schrau-be!«. Und dann beendet Marisol das Programm mit ihrem markengeschützten Spruch: »Ich bin Marisol, Ende der Durchsage und bis die Tage!« Während der TV-Werbepause plärrt elektronische Tanzmusik aus den Lautsprechern. Marisol legt einen dämlichen Tanz aufs Parkett, mit Balder in der einen Hand und der Schraube in der anderen. So kommt niemand auf die Idee, dass sie das, was sie gerade – oder überhaupt – tut, eigentlich ernst nimmt. Alles nur Spaß, alles nur Party. Nichts von Bedeutung. Kein Risiko, kein Chaos, keine Probleme. Als Keith von der Bühne geht, kommen ein paar Anzüge auf ihn zu. Sie schütteln ihm die Hand und geben ihm ihre Visitenkarten. »Das Zauberschraubending hat uns gefallen«, sagen sie, »den Kids auch.«

»Ja?« Keith grinst. »Ich hab das nicht geplant oder so. Es ist mir einfach so rausgerutscht.«

»Ja, toll. Hör zu, wir haben gerade darüber gesprochen, mit dir ein paar YA! TV-Promotions zu machen. Du könntest der abgedrehte Zauberschraubentyp sein. Was meinst du dazu?«

»Ich wär im Fernsehen?« Keith stößt die Faust in die Luft. »Klar. Ich bin dabei.«

»Toll! Dann erledigen wir jetzt den Papierkram. Sag mal, magst du Rad Limo

Und mir nichts, dir nichts verändert sich etwas im Kosmos. Ein Schmetterling schlägt in Südamerika mit den Flügeln. In Chicago fällt Schnee. Du drückst einem Idioten eine Zauberschraube in die Hand, und es stellt sich heraus, dass es am Ende doch ein notwendiges Teilchen ist.