In dem ich den Zwerg zu überzeugen versuche, auf die Annehmlichkeiten von recyceltem Toilettenpapier zu verzichten, um mit mir zusammen vielleicht, vielleicht auch nicht, die Welt zu retten
Sobald meine Familie zum Abendessen rausgegangen ist, weil sie glaubt, ich sei eingeschlafen, wecke ich Gonzo.
»Hey, Alter. Was’n los?« Er setzt sich auf und wischt sich den Sabber aus den Mundwinkeln. Die Druckerschwärze seiner Videospielanleitung, auf der er eingeschlafen ist, hat sein halbes Gesicht verschmiert. Das also ist der Partner, von dem Dulcie meint, ich sollte mit ihm auf Achse gehen? Heilige Scheiße!
»Ähm, hör mal, ich weiß, das klingt jetzt total bescheuert, aber ich hatte diese, ich weiß nicht genau, wie du’s nennen willst, vielleicht eine Vision.«
»Was für ne Vision?«, fragt er und gähnt.
»Diese Engelsfrau hat zu mir gesprochen und –«
Gonzo hört auf, sich die Augen zu reiben. »Stopp. Woher weißt du, dass sie ein Engel war, Amigo? Wie hat sie ausgesehen?«
»Äh … Flügel. Brustpanzer. Pinkfarbene Haare. Netzstrümpfe und Springerstiefel.«
»Affengeil. Ein Punkrockengel! Glaubst du, dass Gott ein Metalfan ist?« Gonzo legt ein fetziges Luftgitarrensolo hin, wirft den Kopf wild vor und zurück und streckt die Zunge heraus wie der Sänger von Kiss. Das sieht aus, als ob eine Schlange langsam und unter Qualen stirbt.
»Wie heißt das Engelsmädchen?«
»Dulcie. So –«
Gonzo runzelt die Stirn. »Das hört sich für mich nicht wie ein Engelsname an. Meine Mom kennt sich wirklich aus damit, aber von einer heiligen Dulcie hab ich noch nie gehört. Bist du dir sicher, dass du nicht nur geträumt hast?«
»Da bin ich mir sicher«, sage ich, obwohl ich mir niemals unsicherer war. »Sie hat mir einen Auftrag gegeben, die wichtigste Mission unserer Zeit.«
»Affengeil. Erzähl.«
»Also …« Ich erzähle ihm alles darüber, was Dulcie über Dr. X gesagt hat, über seine Zeitreisen und meine Heilung und dass wir aufs Ende der Welt zusteuern, wenn wir ihn nicht finden und ihn dazu bringen, das Wurmloch zu schließen.
Gonzo starrt mich an. »Alter, du klingst wie einer dieser alten Penner, die an Bushaltestellen herumlungern, Blechhüte tragen und in leere Limoflaschen pinkeln.«
»Ich weiß, das klingt verrückt, aber, ich schwöre, ich sag dir die Wahrheit. Sie war hier. Sie hat meinen Pudding gegessen.« Der Löffel. Ihr Lippenstift. Ich laufe zum Mülleimer. »Ich kann beweisen, dass sie hier war. Warte.«
Der Linoleumboden unter meinen Füßen ist bitterkalt. Die Postangestellten in meinem Hirn beenden endlich ihre Pause, senden meinen Füßen die Botschaft: »Du kannst laufen«, und ich wackle hinüber zum Mülleimer. Nichts drin, außer dem halb fertigen Kreuzworträtsel meiner Mutter.
»Sie müssen es mit dem Müll rausgebracht haben«, sage ich.
»Na klar.« Gonzo hebt ein paar Finger in die Höhe. »Machen wir einen schnellen Gesundheitscheck. Wie viele Finger?«
Ich zeige ihm den Stinkefinger. »Und wie viele Finger halte ich hoch?«
»Spinner!«
»Ich bin nicht verrückt, okay?«, sage ich, obwohl das, was ich erzähle, alle Anzeichen fortgeschrittenen Wahnsinns aufweist.
»Okay. Also, wie finden wir diesen unglaublichen Typen, diesen Dr. X?«
»Sie sagt, wir müssen nach Zeichen gucken – auf Anschlagbrettern, in Zeitungsmeldungen und Kontaktanzeigen.«
Gonzo glotzt mich an. »Ernsthaft, was haben sie dir in deinen Tropf getan? Scheiße vom Fass? Selbst wenn wir mit dem Gedanken spielen, dass dich ein Flügelwesen in Kampfstiefeln auf eine geheime Mission schickt, um einen Arzt mit magischen Heilkräften zu finden, selbst dann, Alter, fragt sich, wie du es schaffen willst, überhaupt irgendwo hinzugehen. Für den Fall, dass du es noch nicht bemerkt hast: Du liegst in einem Krankenhausbett und kommst schon ins Badezimmer manchmal nur mit Mühe. Hat dir der Punkengel diesbezüglich ein paar Tipps gegeben?«
»Sie hat mir das gegeben.« Ich zeige ihm das laminierte Armband. Gonzo betrachtet es sich genauer und liest.
»Ein E-Ticket?«
»Da ist irgendein kosmischer Staub drin, der die Prionen bekämpft.«
»Cool. Punkengelchen tut was für deine Gesundheit.«
»Ja, genau. Aber das wirkt nur zwei Wochen.«
Gonzo pfeift. »Mann, so’n Mist. Dann also viel Glück, Alter.«
»Eigentlich sollte ich dich mitnehmen«, sage ich ganz schnell.
Seine Hand fliegt in die Höhe. »Nur über meine Leiche.«
»Gonzo –«
»Nein, nein, nein, nein und noch mal nein.«
Gonzo plumpst aufs Bett zurück, öffnet ganz theatralisch seine Videospielanleitung und blättert ein bisschen zu schnell, um was lesen zu können.
»Ich hab ihr erzählt, dass du ein viel zu großer Schisser bist, um mitzukommen.« Das ist ein Schlag unter die Gürtellinie, aber ich bin total angenervt, weil Gonzo so feige ist und Dulcie die Latte gleich so hoch gelegt hat.
»Ich bin kein Schisser«, sagt Gonzo mit verletztem Unterton. »Ich gehe nur keine unnötigen Risiken ein.«
»Gonzo«, sage ich und spiele meinen letzten Trumpf aus, »sie sagt, dass diese dunkle Energie, die Dr. X mitgebracht hat, zum Weltuntergang führt. Du. Ich. Die Sachen hier. Alles wird verschwinden, wenn wir ihn nicht finden.«
Er setzt sich auf, lässt seine Beine über die Bettkante hängen und pendelt mit ihnen, sodass seine Fersen leicht an den Metallrahmen schlagen. Das klingt wie Glockentöne. »Alles und jedes?«
»Ja«, sage ich leise. »Dulcie sagt, dass du auch ein Teil des Plans bist. Dass du deine Bestimmung auf dieser Reise finden wirst und dass wir deshalb ins selbe Krankenzimmer gesteckt wurden. Kein Zufall. Alles hängt mit allem zusammen. So was wie ne Fügung.«
Gonzos Augenbrauen ziehen sich in einem Anflug von Konzentration zusammen, als ob sie pelzige Raupen wären. »Also, wie – wann soll diese große Mission losgehen?«
Gonzo starrt mich an. »Das ist Wahnsinn, Alter! Du weißt, dass wir unsere Spritzen brauchen, wo auch immer wir hingehen. Und außerdem hab ich nur noch eine Rolle von meinem Spezialtoilettenpapier –«
»Wir kriegen mehr davon. Gonzo, das ist meine einzige Chance, am Leben zu bleiben, okay?«
»Ich weiß nicht, Mann. Ich muss mit meiner Mom drüber reden.« Er greift nach seinem Handy und ich reiße es ihm weg.
»Nein. ’tschuldigung. Wenn wir gehen, können wir niemandem was erzählen. Sie werden versuchen, uns aufzuhalten. Es muss ein Geheimnis bleiben.«
»Meine Mom wird ausflippen, Alter.« Gonzo atmet flach. Er grapscht sich den allgegenwärtigen Inhalator, seine Variante einer Schmusedecke, und sprüht sein Keuchen weg.
»Gonzo, wenn Dulcie recht hat, ist deine Mom in zwei Wochen tot.« Ich schleudere sein Handy nach ihm. »Mach, was du willst. Ich jedenfalls geh Dr. X suchen. Und ich verschwinde heute Nacht.«
Ich werfe meinen Rucksack aufs Bett. Alles, was ich habe, sind ein paar saubere Garnituren Unterwäsche und die Kleidung, in der ich gekommen bin. Die Jeans fühlt sich fremd an an meinen Beinen, so als ob sie meine Haut aufweckt. Ich grapsche mir den kotzgelben Behälter mit seiner Ansammlung hilfreicher Produkte – Zahnbürste, Zahnpasta, kratzige Papiertücher, Mundwasser, Kamm und Creme –, versenke den Inhalt im Rucksack und schiebe den Behälter zurück auf den Nachttisch.
Gonzo hat seine plumpen Hände an die Hüften gestemmt wie ein ermatteter Ferienlagerbetreuer. »Du bist wahnsinnig, Alter.«
»Okay«, sagt er mit einem Seufzer. »Gib mir eine Minute zum Anziehen. Ich begleite den rinderwahnsinnigen Arsch.«