KAPITEL ACHTUNDDREISSIG

In dem wir entdecken, was für Arschlöcher diese Sterblichen sind

 

Die hundert Meilen bis Daytona sind ein hartes, schweigsames Geschäft. Außer Balder und mir ist jeder verkatert. Ungefähr alle acht Meilen muss ich rechts ranfahren und jemanden kotzen lassen. Die Typen haben sich auf der Rückbank ausgebreitet und schlafen, wenn ihnen nicht gerade übel ist. Auf dem Beifahrersitz hat sich Gonzo eingerollt, den Kopf an die Seitentür gelehnt und den Sicherheitsgurt locker quer über den Bauch, wie den Arm einer Mutter, die ihr Kind festhält. Er trägt eine Kleinmädchen-Sonnenbrille, die wir in einem Minimarkt gekauft haben. Die Gläser sehen aus wie orangefarbene Katzenaugen und das geschwungene Gestell ist mit Glitzersteinchen besetzt. Er wollte eigentlich die verspiegelte Pilotenbrille, aber die Erwachsenenmodelle waren zu groß für sein Gesicht. Glücklicherweise ist es einem scheißegal, was man auf der Nase hat, wenn man total verkatert ist und die Sonnenstrahlen die Augen foltern.

Das Land wird flacher, je näher wir ans Meer kommen, als ob wir uns auf dem Weg zum Rand der Welt befinden. Links und rechts der Straße wird der Boden struppig wie der Bart eines alten Mannes, halb Sand, halb Gestrüpp. Die Luft, die an meinem geöffneten Fenster vorüberzieht, ist dick und hat diesen typischen Salznebelgeruch. Ich stecke den Kopf nach draußen und lasse den Fahrtwind um mein Gesicht streichen.

Die Sache ist die, dass mich immer noch das quält, was Dulcie mir über Keith und die Landmine erzählt hat. Warum kümmert es mich? Er ist ein Arsch. Vor einer Woche hätte ich noch gesagt: »Hey, natürliche Auslese, Mann. Idioten raus aus dem Genpool!« Aber jetzt weiß ich, dass Keith – neben seiner Eigenschaft als Dämlack – auch eine Mom und einen Dad hat und zwei jüngere Schwestern, die er immer zum Eisessen einlädt, wenn er nach Hause kommt. Ich weiß, er singt alberne Lieder und dazu noch falsch, und er hat die Angewohnheit, dich einfach auf die Stirn zu küssen, wenn er besoffen ist.

Vor der Ausfahrt South Daytona Beach fädeln wir uns in eine ellenlange Autoschlange ein. Verschiedenste Songs strömen aus den offenen Wagenfenstern. Mädchen strecken ihre Füße hinaus. Auf den Autodächern klemmen Surfbretter. Irgendein Idiot liegt tatsächlich mit einer dieser reflektierenden Alumatten auf dem Dach, um braun zu werden. Die Typen sind jetzt aufgewacht und hungrig nach Action. Sie nehmen jeden Wagen unter die Lupe, an dem wir vorbeischleichen. Wenn es eine Karre voller Mädels ist, zwängen sie ihre Köpfe aus den Fenstern, quatschen die Tussis an und machen Witze. Wir sind bereits dreißig Minuten in der Schlange und haben uns nur eine halbe Meile vorwärtsbewegt. Wenn es so weitergeht, stecken wir noch Stunden im Stau, und das ist Zeit, die ich nicht gerade übrig habe.

»Hey Kumpels«, sage ich, als wir uns einer Notausfahrt nähern. »Ich will kein Arsch sein, aber wir müssen auf dieser Straße weiter.«

»Oh, hey, is schon okay«, sagt Typ Links, »wir schaffen’s von hier aus. Kannst du uns nur mal den Kofferraum öffnen?«

Bei laufendem Motor steige ich aus und öffne den Deckel. Typ Rechts und Typ Links holen ihre Sachen heraus. Keith hält derweil seine Jacke und eine Tüte mit Snacks. Er sieht verschlafen und zufrieden aus. Vor meinen Augen entsteht ein Bild, wie er durch die Wüste stapft. Das macht mich ganz fertig.

»Du bist der Beste, Alter. Danke, Mann.« Er umarmt mich nach Männerart.

»Nichts zu danken«, sage ich. Bevor ich wieder in den Wagen steige, füge ich noch hinzu: »Du solltest auf jeden Fall so lange wie möglich am Strand rumhängen. Definitiv.«

Ich verspreche, Gonzo ihren Abschiedsgruß auszurichten, denn der schläft noch seinen Bierrausch aus. Es folgen die unvermeidlichen »Bleib cool«- und »Feiert ordentlich«-Sprüche, auch wenn sich beides irgendwie zu widersprechen scheint, und dann hasten sie die Straße hinunter und fragen jeden, ob er sie mitnimmt.

Eine Stunde später wacht Gonzo auf und hat furchtbaren Hunger. Wir entscheiden uns für einen 24-Stunden-Frühstücks-Laden. Ich will Balder wecken, aber er liegt nicht mehr eingekuschelt in meiner Windjacke. Er ist überhaupt nicht mehr im Wagen. Er ist einfach verschwunden. Wir rufen seinen Namen. Nichts.

»Wo könnte er sein?«, fragt Gonzo und schaut das vierzigste Mal unterm Sitz nach.

»Ich weiß es nicht. Heute Morgen, als wir losfuhren, war er noch im Wagen und …« Ich gehe in Gedanken zurück zum Stau: der Kofferraumdeckel hochgeklappt wie ein Schutzschild. Keith, der mit vollen Händen von vorne kommt, mit rotem Gesicht und einem selbstzufriedenen Lächeln auf den Lippen. Dieser Hurensohn!

»Was ist los?«, fragt Gonzo.

»Diese Arschlöcher haben Balder gekidnappt.«