Rom. Redaktionsgebäude des ›Il Cortanero‹
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In dem Großraumbüro, das sie durchquerten, arbeiteten etwa fünfzig bis sechzig Journalisten. Mehrere Frauen streckten ihre Köpfe hinter den Computerbildschirmen oder Grünpflanzen hervor, um einen Blick auf Alicias Begleiter mit den auffallend hellen langen Haaren zu erhaschen. Einige dieser Köpfe wurden Sekunden später tuschelnd zusammengesteckt.
Für Matthias, der sich in den vergangenen vier Jahren an die Ruhe des Klosters gewöhnt hatte, war der Großstadtlärm schon nicht einfach zu ertragen, Räume wie dieser jedoch riefen bei ihm ein fast körperliches Unbehagen hervor. Zum Glück ging es am Ende des großen Büros durch eine Doppeltür, die einen Großteil der Geräusche dämmte, als sie hinter ihnen zuklappte. Sie wandten sich nach rechts, und Matthias folgte der Journalistin weiter durch einen langen Flur mit hellgrau gelackten Türen. Ihre Schritte wurden von dem dichten Flor des dunkelgrauen Teppichs fast komplett geschluckt. Die Augen auf dessen dezentes Muster gerichtet, wäre Matthias um ein Haar gegen Alicias Rücken geprallt, als sie schließlich vor einer der Türen stehen blieb und sie öffnete.
»Unser Archiv«, erklärte sie. »Hier kann man die Ereignisse eines jeden Tages der letzten achtzig Jahre nachlesen. In einer Viertelstunde wissen wir mehr.«
Der Raum sah völlig anders aus, als Matthias sich ein Zeitungsarchiv vorgestellt hatte. Er hatte ein muffiges Kabuff mit bis zur Decke reichenden, mit Aktenordnern vollgestopften Regalen erwartet, betrat nun aber einen hellen Raum, der mit ein paar modernen, hüfthohen Möbeln aus Ahornholz und zwei Computertischen eingerichtet war.
Etwas verwirrt sah er Alicia an. »Das ist Ihr Archiv?«
Sie ließ den Blick durch den Raum wandern, als versuchte sie, darin etwas zu entdecken, was ihr bisher verborgen geblieben war.
»Ja. Wieso? Was haben Sie denn erwartet?«
Er lächelte verlegen. »Na ja, viele Regale mit Ordnern ... Aber Sie haben inzwischen wohl alles auf einem zentralen Server gespeichert. Nur: warum dann dieser Raum?«
Alicia lachte, schaltete zwei der Computer ein und zog einen Stuhl für ihn zurück. »Setzen Sie sich doch bitte.« Dann nahm sie selbst Platz und zog eine der Tastaturen zu sich heran. »Natürlich könnte ich auch von meinem Schreibtisch aus auf die Daten zugreifen, aber vorne im Großraumbüro herrscht immer ein unglaublicher Lärm. Hier drin findet man die Ruhe, die man für seine Recherchen braucht.«
Es dauerte nicht einmal fünf Minuten, bis sie die gespeicherten Kopien der Zeitung vom 4. März 1981 auf dem Monitor vor sich hatten und Matthias wusste, wie er vor- und zurückblättern konnte. Sie begannen, jeder für sich zu lesen.
Über eine Stunde starrten sie konzentriert auf die Zeilen vor sich. Einige Male begann Alicia kleinere Berichte laut vorzulesen, verstummte aber jedes Mal wieder, wenn Matthias den Kopf schüttelte. Schließlich ließ sie sich schnaufend gegen die Rückenlehne ihres Stuhles fallen und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare.
»Offenbar war das doch keine so gute Idee mit den Zeitungsmeldungen. Ich drucke trotzdem alles mal aus, damit wir die Seiten später noch einmal in Ruhe durchgehen können. Vielleicht entdeckt ja Daniele etwas.«
»Es war zumindest einen Versuch wert, Alicia«, sagte Matthias tröstend, woraufhin sie ein humorloses Lachen ausstieß.
»Ja, und es wäre ein voller Erfolg geworden, wenn wir nach einem bestechlichen Provinzbürgermeister, einer seltenen Sternenkonstellation oder einem Gipfelstürmer gesucht hätten, der von einem Berg in den Alpen abgestürzt ist. Aber leider . . .« Sie hielt inne und sah Matthias verwirrt an, der plötzlich mit weit aufgerissenen Augen auf den Bildschirm starrte, als wäre ihm dort ein Geist erschienen.
»Eine seltene Sternenkonstellation, ein Berg . . .« Seine Finger hasteten über die Tastatur und ließen die Seiten der Zeitung über den Bildschirm huschen. Zweimal musste er zurückblättern, bis er fand, was er gesucht hatte, unten rechts in der Ecke.
Die Meldung war nur wenige Zeilen lang. Matthias stockte der Atem.