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»Das ist wirklich ein
gewisser Nachteil.«
Red küsste mich zärtlich auf die Schulter. Er
lag zum Teil auf meinem Rücken, zum anderen Teil auf dem Bett und
bemühte sich, mich nicht mit seinem ganzen Gewicht zu erdrücken.
Bäuchlings liegend, stützte ich mein Gesicht mit den Händen ab. Es
war zwar nicht gerade eine klassische Stellung für danach, aber es
handelte sich ja auch nicht unbedingt um eine klassische Situation
– klassisch höchstens für Hunde und Wölfe.
»Du meinst, ineinander verhakt zu sein, ist ein
Nachteil? Das dauert nur wenige Minuten. Und ich mag es
irgendwie.«
»Kein Wunder, dass Hunde hinterher immer so
aussehen, als wäre es ihnen etwas peinlich.«
»Wir könnten diese Lage auch zu unserem Vorteil
nutzen«, murmelte Red und knabberte an meinem Ohr. Er lag an mich
geschmiegt da, das Bett um uns herum war zerwühlt, und ich spürte,
wie glücklich er war, mich endlich auf diese Weise bei sich zu
haben. Noch nie zuvor hatte ich Ähnliches empfunden. Noch nie hatte
ich dieses Gefühl kennengelernt, vor Glück ganz benommen zu sein.
Es war beinahe noch besser als der Sex, obwohl mich der salzige
Geruch unserer Vereinigung dazu anregte, diese Aussage noch einmal
auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen.
Red musste etwas Ähnliches gedacht haben, denn
er schwoll schon wieder in mir an. Diesmal merkte ich die
Verwandlung rascher, dieses Gänsehautgefühl, das die Härchen an
meinem ganzen Körper aufstehen ließ.
Ich blickte über meine Schulter und sah Red in
die Augen. Er strich mir die Haare aus dem Gesicht. Wir lächelten
einander an, sprachlos über das Glück der Liebe und den Sex. All
dieses unglaubliche Vergnügen – dieses erstaunliche, physische und
gleichzeitig seelische Vergnügen -, dem wir uns ungehemmt hingeben
konnten. Ich hatte bisher immer geglaubt, dass diese Art von Sex im
Grunde eine Erfindung aus Hollywood, eine Erfindung der Medien und
der Werbebranche war. Doch jetzt stellte sich heraus, dass so etwas
tatsächlich existierte und ich sogar daran teilhaben konnte.
»Ich hasse es zwar, diesen Ausdruck in deinem
Gesicht zu zerstören, Doc. Aber ich befürchte, dass wir uns
allmählich doch auf die Socken machen sollten. Wenn wir zu lange
bleiben, wird Magda das bestimmt wütend machen.«
»Glaubst du?«
»Sie hat von mir verlangt, dass wir ihr
Territorium verlassen. Deshalb halte ich es für besser, nicht mehr
hier zu sein, wenn die Sonne aufgeht.«
»Was würde sonst passieren?«
»Doc, wenn wir das weiter in dieser Position
besprechen, werden wir hier noch bis Mittag liegen – wenn du weißt,
was ich meine.«
Wir versuchten uns voneinander zu lösen, was uns
zu meinem Bedauern schließlich auch gelang.
»Das hat nicht wehgetan.«
Red lächelte mich ein wenig kläglich an. »Dir
vielleicht nicht.« Ich fragte mich, ob er Witze machte oder ob es
ihn tatsächlich geschmerzt hatte. Zumindest mussten sich Hunde nach
der Paarung keine Gedanken darüber machen, was sie miteinander
reden sollten.
Er zog seine Jeans an und griff nach dem
auffallend kleinen Rucksack, den er zuvor gepackt hatte.
»Sehr viel nimmst du aber nicht mit«, bemerkte
ich überrascht.
»Nur das Wichtigste.«
Wir fuhren nach Beast Castle zurück und versuchten beide, ernst zu
bleiben. Schließlich waren auch ernste Dinge passiert. Aber weder
Red noch mir gelang es, nicht ständig glücklich vor uns hin zu
grinsen. Ich war ein Wolfsmädchen und er ein Wolfsjunge, und wir
waren verliebt. Irgendwo unter diesen schwindelerregenden
Glücksgefühlen verbarg sich zwar auch die Trauer um mein altes, nun
auf immer verlorenes Leben, aber mit Red in meiner Nähe hielt sich
dieser Schmerz in Grenzen.
Wir küssten uns an jeder roten Ampel, an der wir
stehen blieben. Teilweise waren die Straßen so leer, dass wir auch
während der Fahrt unsere Hände nicht voneinander lassen konnten. So
neckten wir uns den ganzen Weg bis zur Haustür von Beast Castle. Auf meiner Haut fühlten sich Reds
Finger trotz der eisigen Kälte heiß und erregend an.
»Hoffentlich ist meine Mutter schon im Bett. Ich
glaube nämlich nicht, dass ich warten kann, bis wir in meinem
Zimmer sind.«
»Die erste Verwandlung... es gibt doch nichts
Vergleichbares.«
»Willst du damit sagen, dass es nicht immer so
bleiben wird?«
»Na ja. Wenn dich der Mond in seiner Gewalt hat,
wirst du feststellen, dass du mehr Lust auf blutigen Sport oder Sex
hast. Manchmal auch auf beides. Aber die erste Verwandlung ist
besonders... besonders intensiv.«
»Dann muss ich dich vermutlich ganz schön
auspowern, was?«
Red zog eine Augenbraue hoch. »Nimm dich in
Acht, Mädchen. Ich bin schon eine ganze Weile länger dabei als du.
Vergiss das nicht.«
Zärtlich schlang ich meine Arme um seinen
Nacken. »Dann wirst du es also schaffen?«
Mein Liebhaber antwortete mit einem Grinsen, das
seine spitzen Zähne entblößte.
»Ich wusste gar nicht, dass du das kannst. Du
bist also in der Lage, dich nur teilweise zu verwandeln?«, fragte
ich beeindruckt.
Reds Augen glitzerten wölfisch. »Dazu braucht
man etwas Übung.«
»Wow, das will ich auch.«
»Du wirst es bestimmt schnell lernen. Es ist
ungewöhnlich, dass sich jemand gleich beim ersten Mal so völlig
verwandelt, wie du das getan hast... also, hab noch ein bisschen
Geduld.« Red sah mich zwar an, aber ich merkte, dass er nicht ganz
bei der Sache war.
»Was ist los?«
»Ich weiß nicht. Still.«
Wir lauschten beide in die Nacht hinaus, die
sich gerade im Osten zu lichten begann. Irgendwo in der Ferne war
der Motor eines Autos zu hören. In unserer Nähe trieb eine
schwache Brise abgefallenes Laub vor sich her. Ein Eichhörnchen
erstarrte mitten in der Bewegung. Irgendetwas stimmte tatsächlich
nicht.
»Red?«
Er blickte an mir vorbei in den Garten. »Sind
die Hunde hier draußen nicht in Käfigen untergebracht?«
»Natürlich. Du hast mir doch noch geholfen, sie
zu füttern...«
»Sie verhalten sich erstaunlich still.«
»Ich höre sie normalerweise nie, wenn ich nicht
direkt vor den Käfigen stehe.«
Reds Kiefer spannte sich an. »Ich aber
schon.«
Wir schlichen zu dem kleinen Außengebäude, in
dem Beast Castles größere und aufmüpfigere
Hundegäste untergebracht waren. Die Tür war verschlossen, doch
jemand hatte das Schloss aufgebrochen.
»Was ist da los? Glaubst du, das waren
irgendwelche Jugendlichen?«
»Vielleicht.«
In dem Augenblick, in dem wir das Gebäude
betraten, hörte ich schlagartig auf, klar zu denken. Auf dem harten
Zementboden lagen mehrere Tierkadaver. Die Hälse vieler Hunde waren
verdreht, die Mäuler weit aufgerissen. Überall war dickflüssiges
Blut zu sehen. Der American Akita war in der Nähe der Tür
umgebracht worden; man hatte seinen Hals zerfetzt. Der Rottweiler
lag in einer Ecke, und sein Blut lief noch immer in Strömen in die
Mitte des Raums.
»Wer war das?«
Ein Geruch nach Kupfer und Fleisch war so stark,
dass ich meinte, ihn auf meiner Zunge schmecken zu können. Ich
hielt es noch immer für das Werk von durchgeknallten
Jugendlichen oder vielleicht auch irgendeines Tieres, das es auf
Hunde abgesehen hatte.
»Am besten wartest du hier, während ich mich im
Haus umsehe«, schlug Red mit einer seltsam nüchtern klingenden
Stimme vor.
In diesem Moment begriff ich, wer hier gewütet
hatte. Natürlich – es waren Magda und Hunter gewesen. Und das
bedeutete, dass alles meine Schuld war, weil ich Red in seiner
Hütte verführt hatte, anstatt gleich hierher zu kommen. »Oh, mein
Gott! War das wirklich Magdas und Hunters Werk? Wollten sie uns
damit bestrafen?«
Red streckte die Hand aus und strich mir über
den Hinterkopf. »Ganz ruhig, Schatz. Eins nach dem anderen. Gib mir
den Hausschlüssel. Und du siehst währenddessen nach, ob hier
vielleicht doch noch einer der Hunde deine Hilfe braucht. Ich werde
so schnell wie möglich zurück sein.«
Ich war neben einem der Mischlinge in die Hocke
gegangen. Es handelte sich um ein süßes Weibchen, das wir Happy
getauft hatten. Plötzlich begriff ich. Ich brauchte mir die Opfer
nicht einzeln anzusehen, um zu wissen, dass keiner der Hunde mehr
lebte. Mein wolfsgeschärftes Gehör nahm nur einen einzigen
Herzschlag war, und das war mein eigener. Was Red auch genau
wusste.
Er war nur deshalb allein ins Haus gegangen,
weil er mich in Sicherheit wissen wollte. Mit zitternden Knien
erhob ich mich.
Der Schrei kam ganz plötzlich. Er klang hoch und
eindeutig weiblich.
Mom.
Ich rannte zum Haus, wo die Tür sperrangelweit
offen stand. Sofort blieb ich stehen. Ich hatte keine Ahnung, wo
ich mich in dem vertrauten Foyer als Erstes hinwenden sollte. Nach
einem kurzen Zögern rannte ich auf die Treppe zu. Da hörte ich ein
metallisches Scheppern. Ich drehte mich auf dem Absatz um und eilte
zur Küche. Da ich mich an solche Szenen in den Krimis erinnerte,
die ich gesehen hatte, lief ich an die Wand gedrückt den Gang
entlang. So wollte ich sehen, was los war, ohne selbst gesehen zu
werden.
»Das nützt dir gar nichts, Abs. Ich kann dich
sowieso hören.«
Es war Hunters Stimme. Vor Schreck presste ich
die Hand auf den Mund und hielt inne.
»Jetzt komm schon. Sei nicht lächerlich. Ich
kann dich deutlich riechen, Liebling. Was für ein interessanter
Geruch das ist!«
Notgedrungen trat ich ins Licht der Küche. Was
ich dort aber sah, kam so unerwartet, dass ich auf der Türschwelle
stehen blieb und mit weit aufgerissenem Mund zu begreifen versuchte
welche Szene sich mir hier bot.
Hunter wirkte nicht im mindesten überrascht oder
verwirrt, mich zu sehen.
»Hallo, Abs«, begrüßte er mich lässig, ohne
aufzusehen. »Noch immer Vegetarierin oder hättest du jetzt doch
Lust auf ein bisschen Fleisch?«