36
»Das ist wirklich ein gewisser Nachteil.«
Red küsste mich zärtlich auf die Schulter. Er lag zum Teil auf meinem Rücken, zum anderen Teil auf dem Bett und bemühte sich, mich nicht mit seinem ganzen Gewicht zu erdrücken. Bäuchlings liegend, stützte ich mein Gesicht mit den Händen ab. Es war zwar nicht gerade eine klassische Stellung für danach, aber es handelte sich ja auch nicht unbedingt um eine klassische Situation – klassisch höchstens für Hunde und Wölfe.
»Du meinst, ineinander verhakt zu sein, ist ein Nachteil? Das dauert nur wenige Minuten. Und ich mag es irgendwie.«
»Kein Wunder, dass Hunde hinterher immer so aussehen, als wäre es ihnen etwas peinlich.«
»Wir könnten diese Lage auch zu unserem Vorteil nutzen«, murmelte Red und knabberte an meinem Ohr. Er lag an mich geschmiegt da, das Bett um uns herum war zerwühlt, und ich spürte, wie glücklich er war, mich endlich auf diese Weise bei sich zu haben. Noch nie zuvor hatte ich Ähnliches empfunden. Noch nie hatte ich dieses Gefühl kennengelernt, vor Glück ganz benommen zu sein. Es war beinahe noch besser als der Sex, obwohl mich der salzige Geruch unserer Vereinigung dazu anregte, diese Aussage noch einmal auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen.
Red musste etwas Ähnliches gedacht haben, denn er schwoll schon wieder in mir an. Diesmal merkte ich die Verwandlung rascher, dieses Gänsehautgefühl, das die Härchen an meinem ganzen Körper aufstehen ließ.
Ich blickte über meine Schulter und sah Red in die Augen. Er strich mir die Haare aus dem Gesicht. Wir lächelten einander an, sprachlos über das Glück der Liebe und den Sex. All dieses unglaubliche Vergnügen – dieses erstaunliche, physische und gleichzeitig seelische Vergnügen -, dem wir uns ungehemmt hingeben konnten. Ich hatte bisher immer geglaubt, dass diese Art von Sex im Grunde eine Erfindung aus Hollywood, eine Erfindung der Medien und der Werbebranche war. Doch jetzt stellte sich heraus, dass so etwas tatsächlich existierte und ich sogar daran teilhaben konnte.
»Ich hasse es zwar, diesen Ausdruck in deinem Gesicht zu zerstören, Doc. Aber ich befürchte, dass wir uns allmählich doch auf die Socken machen sollten. Wenn wir zu lange bleiben, wird Magda das bestimmt wütend machen.«
»Glaubst du?«
»Sie hat von mir verlangt, dass wir ihr Territorium verlassen. Deshalb halte ich es für besser, nicht mehr hier zu sein, wenn die Sonne aufgeht.«
»Was würde sonst passieren?«
»Doc, wenn wir das weiter in dieser Position besprechen, werden wir hier noch bis Mittag liegen – wenn du weißt, was ich meine.«
Wir versuchten uns voneinander zu lösen, was uns zu meinem Bedauern schließlich auch gelang.
»Das hat nicht wehgetan.«
Red lächelte mich ein wenig kläglich an. »Dir vielleicht nicht.« Ich fragte mich, ob er Witze machte oder ob es ihn tatsächlich geschmerzt hatte. Zumindest mussten sich Hunde nach der Paarung keine Gedanken darüber machen, was sie miteinander reden sollten.
Er zog seine Jeans an und griff nach dem auffallend kleinen Rucksack, den er zuvor gepackt hatte.
»Sehr viel nimmst du aber nicht mit«, bemerkte ich überrascht.
»Nur das Wichtigste.«
Wir fuhren nach Beast Castle zurück und versuchten beide, ernst zu bleiben. Schließlich waren auch ernste Dinge passiert. Aber weder Red noch mir gelang es, nicht ständig glücklich vor uns hin zu grinsen. Ich war ein Wolfsmädchen und er ein Wolfsjunge, und wir waren verliebt. Irgendwo unter diesen schwindelerregenden Glücksgefühlen verbarg sich zwar auch die Trauer um mein altes, nun auf immer verlorenes Leben, aber mit Red in meiner Nähe hielt sich dieser Schmerz in Grenzen.
Wir küssten uns an jeder roten Ampel, an der wir stehen blieben. Teilweise waren die Straßen so leer, dass wir auch während der Fahrt unsere Hände nicht voneinander lassen konnten. So neckten wir uns den ganzen Weg bis zur Haustür von Beast Castle. Auf meiner Haut fühlten sich Reds Finger trotz der eisigen Kälte heiß und erregend an.
»Hoffentlich ist meine Mutter schon im Bett. Ich glaube nämlich nicht, dass ich warten kann, bis wir in meinem Zimmer sind.«
»Die erste Verwandlung... es gibt doch nichts Vergleichbares.«
»Willst du damit sagen, dass es nicht immer so bleiben wird?«
»Na ja. Wenn dich der Mond in seiner Gewalt hat, wirst du feststellen, dass du mehr Lust auf blutigen Sport oder Sex hast. Manchmal auch auf beides. Aber die erste Verwandlung ist besonders... besonders intensiv.«
»Dann muss ich dich vermutlich ganz schön auspowern, was?«
Red zog eine Augenbraue hoch. »Nimm dich in Acht, Mädchen. Ich bin schon eine ganze Weile länger dabei als du. Vergiss das nicht.«
Zärtlich schlang ich meine Arme um seinen Nacken. »Dann wirst du es also schaffen?«
Mein Liebhaber antwortete mit einem Grinsen, das seine spitzen Zähne entblößte.
»Ich wusste gar nicht, dass du das kannst. Du bist also in der Lage, dich nur teilweise zu verwandeln?«, fragte ich beeindruckt.
Reds Augen glitzerten wölfisch. »Dazu braucht man etwas Übung.«
»Wow, das will ich auch.«
»Du wirst es bestimmt schnell lernen. Es ist ungewöhnlich, dass sich jemand gleich beim ersten Mal so völlig verwandelt, wie du das getan hast... also, hab noch ein bisschen Geduld.« Red sah mich zwar an, aber ich merkte, dass er nicht ganz bei der Sache war.
»Was ist los?«
»Ich weiß nicht. Still.«
Wir lauschten beide in die Nacht hinaus, die sich gerade im Osten zu lichten begann. Irgendwo in der Ferne war der Motor eines Autos zu hören. In unserer Nähe trieb eine schwache Brise abgefallenes Laub vor sich her. Ein Eichhörnchen erstarrte mitten in der Bewegung. Irgendetwas stimmte tatsächlich nicht.
»Red?«
Er blickte an mir vorbei in den Garten. »Sind die Hunde hier draußen nicht in Käfigen untergebracht?«
»Natürlich. Du hast mir doch noch geholfen, sie zu füttern...«
»Sie verhalten sich erstaunlich still.«
»Ich höre sie normalerweise nie, wenn ich nicht direkt vor den Käfigen stehe.«
Reds Kiefer spannte sich an. »Ich aber schon.«
Wir schlichen zu dem kleinen Außengebäude, in dem Beast Castles größere und aufmüpfigere Hundegäste untergebracht waren. Die Tür war verschlossen, doch jemand hatte das Schloss aufgebrochen.
»Was ist da los? Glaubst du, das waren irgendwelche Jugendlichen?«
»Vielleicht.«
In dem Augenblick, in dem wir das Gebäude betraten, hörte ich schlagartig auf, klar zu denken. Auf dem harten Zementboden lagen mehrere Tierkadaver. Die Hälse vieler Hunde waren verdreht, die Mäuler weit aufgerissen. Überall war dickflüssiges Blut zu sehen. Der American Akita war in der Nähe der Tür umgebracht worden; man hatte seinen Hals zerfetzt. Der Rottweiler lag in einer Ecke, und sein Blut lief noch immer in Strömen in die Mitte des Raums.
»Wer war das?«
Ein Geruch nach Kupfer und Fleisch war so stark, dass ich meinte, ihn auf meiner Zunge schmecken zu können. Ich hielt es noch immer für das Werk von durchgeknallten Jugendlichen oder vielleicht auch irgendeines Tieres, das es auf Hunde abgesehen hatte.
»Am besten wartest du hier, während ich mich im Haus umsehe«, schlug Red mit einer seltsam nüchtern klingenden Stimme vor.
In diesem Moment begriff ich, wer hier gewütet hatte. Natürlich – es waren Magda und Hunter gewesen. Und das bedeutete, dass alles meine Schuld war, weil ich Red in seiner Hütte verführt hatte, anstatt gleich hierher zu kommen. »Oh, mein Gott! War das wirklich Magdas und Hunters Werk? Wollten sie uns damit bestrafen?«
Red streckte die Hand aus und strich mir über den Hinterkopf. »Ganz ruhig, Schatz. Eins nach dem anderen. Gib mir den Hausschlüssel. Und du siehst währenddessen nach, ob hier vielleicht doch noch einer der Hunde deine Hilfe braucht. Ich werde so schnell wie möglich zurück sein.«
Ich war neben einem der Mischlinge in die Hocke gegangen. Es handelte sich um ein süßes Weibchen, das wir Happy getauft hatten. Plötzlich begriff ich. Ich brauchte mir die Opfer nicht einzeln anzusehen, um zu wissen, dass keiner der Hunde mehr lebte. Mein wolfsgeschärftes Gehör nahm nur einen einzigen Herzschlag war, und das war mein eigener. Was Red auch genau wusste.
Er war nur deshalb allein ins Haus gegangen, weil er mich in Sicherheit wissen wollte. Mit zitternden Knien erhob ich mich.
Der Schrei kam ganz plötzlich. Er klang hoch und eindeutig weiblich.
Mom.
Ich rannte zum Haus, wo die Tür sperrangelweit offen stand. Sofort blieb ich stehen. Ich hatte keine Ahnung, wo ich mich in dem vertrauten Foyer als Erstes hinwenden sollte. Nach einem kurzen Zögern rannte ich auf die Treppe zu. Da hörte ich ein metallisches Scheppern. Ich drehte mich auf dem Absatz um und eilte zur Küche. Da ich mich an solche Szenen in den Krimis erinnerte, die ich gesehen hatte, lief ich an die Wand gedrückt den Gang entlang. So wollte ich sehen, was los war, ohne selbst gesehen zu werden.
»Das nützt dir gar nichts, Abs. Ich kann dich sowieso hören.«
Es war Hunters Stimme. Vor Schreck presste ich die Hand auf den Mund und hielt inne.
»Jetzt komm schon. Sei nicht lächerlich. Ich kann dich deutlich riechen, Liebling. Was für ein interessanter Geruch das ist!«
Notgedrungen trat ich ins Licht der Küche. Was ich dort aber sah, kam so unerwartet, dass ich auf der Türschwelle stehen blieb und mit weit aufgerissenem Mund zu begreifen versuchte welche Szene sich mir hier bot.
Hunter wirkte nicht im mindesten überrascht oder verwirrt, mich zu sehen.
»Hallo, Abs«, begrüßte er mich lässig, ohne aufzusehen. »Noch immer Vegetarierin oder hättest du jetzt doch Lust auf ein bisschen Fleisch?«
Wolfstraeume Roman
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