2
Meine erste Reaktion war seltsam: Ich schämte mich für ihn und fühlte mich gleichzeitig erregt. Dann wurde Hunters Keuchen lauter und schneller, und ich dachte mir, ich würde doch zu gerne seinen Gesichtsausdruck sehen, wenn ich jetzt plötzlich ins Zimmer trat.
Im ersten Augenblick ging ich gar nicht davon aus, dass er eine Frau bei sich haben könnte. Dieser Gedanke kam erst eine halbe Sekunde später, als ich mich daran erinnerte, dass Hunter an diesem Morgen nicht das leiseste Bedürfnis verspürt hatte, mit mir zu schlafen, obwohl wir uns seit drei Monaten nicht gesehen hatten. Aber schließlich hatte er sich krank gefühlt. Und ich hatte meine Tage erwartet, was Hunter nie sehr anziehend fand. Ich hatte es ihm zwar nicht gesagt, aber ich war mir ziemlich sicher, dass er die Schachtel mit Slipeinlagen im Badezimmer bemerkt hatte. Er besaß die Begabung vieler guter Journalisten, stets das zu sehen, was er eigentlich nicht sehen sollte.
Wieder hörte ich die raschen Klatschgeräusche im Schlafzimmer und lauschte angestrengt, ob ich noch jemand anderen keuchen hören konnte. Nichts. Natürlich gibt es Frauen, die sehr leise sind. Ich hatte mir angewöhnt, in solchen Situationen lauter zu atmen, auch wenn ich mir dabei wie eine Betrügerin vorkam. Aber Hunter hatte einmal behauptet, ich würde wie eine Nonne in Kriegszeiten lieben, was ich nicht auf mir sitzenlassen wollte.
Natürlich hatte er mich damit nur aufziehen wollen. Aber trotzdem...
Ich hörte ein leises Ächzen – nichts Weltbewegendes -, und dann herrschte auf einmal Stille. Einen Augenblick lang blieb ich noch im Wohnzimmer stehen. Mir fiel die dichte Staubschicht auf dem mexikanischen Tonkrug auf, und auch unter dem Sofa hatte ich schon lange nicht mehr gesaugt.
»Hunter?«
Stille.
»Hunter?«
Etwas raschelte. »Abra? Bist du das?«
»Ja, ich bin’s.« Ich wartete.
»Einen Moment...« Wieder hörte ich ein Rascheln. »Okay, komm rein.«
Ich ging ins Schlafzimmer. Hunter saß aufrecht gegen das Kopfteil unseres Bettes gelehnt und hatte die hellblaue Decke bis zum Bauch hochgezogen. Er hatte sich gar nicht erst die Mühe gemacht, die Fensterläden zu schließen. Im Zimmer roch es nach salziger Seeluft – oder nach einem Samenerguss. Er atmete noch immer so heftig, dass man deutlich sehen konnte, wie sich sein blasser schlanker Brustkorb hob und senkte. Seine dunkelbraunen Haare waren so lang geworden, dass sie ihm in die Augen und den Nacken fielen, während seine braunen Augen dunkel und eingesunkener wirkten als sonst. Doch obwohl er mitgenommen und erschöpft aussah, blieb er nach wie vor ein überaus attraktiver Mann.
»Ich habe dich gar nicht hereinkommen hören«, sagte er ohne einen Anflug von Scham.
»Weil ich durch das Fenster ins Wohnzimmer geklettert bin.«
»Versuchst du etwa, mich mit einer anderen Frau zu erwischen?«
Ich sah ihn an, ohne zu antworten.
»Okay, probieren wir es noch einmal. Warum hast du nicht die Tür benutzt?«
»Ich hatte keinen Schlüssel. Man hat mir meine Tasche gestohlen, und du hast weder das Telefon abgenommen noch die Tür geöffnet.« Ich bemühte mich darum, nicht allzu pikiert oder vorwurfsvoll zu klingen. Obwohl ich mich eigentlich genauso fühlte – pikiert und vorwurfsvoll.
»Du machst Scherze! Arme Abra.« Er wandte mir seine ganze Aufmerksamkeit zu, als er das sagte, und ich merkte, wie ich mich schon wieder von seinem Charme einlullen ließ. Hunter konnte so konzentriert zuhören, dass einem erst dabei bewusst wurde, wie die meisten Leute nur darauf warteten, selbst sprechen zu können.
»Ich mache keine Scherze!«
»Du bist wirklich durch unser Wohnzimmerfenster eingestiegen?« Hunter griff nach seiner Armbanduhr, die auf dem Nachtisch lag, und band sie um sein Handgelenk.
»Ich bin am Nachbarhaus hochgeklettert und dann zu unserem Balkon rübergestiegen.«
»Gütiger Himmel.« Hunter schüttelte bewundernd den Kopf. »Wahrscheinlich war das die einzig logische Art und Weise, ins Haus zu kommen – oder?«
»Ich musste einfach... ich muss noch ein paar Dinge erledigen.«
»Verstehe. Übrigens wurde deine Hose etwas in Mitleidenschaft gezogen.«
Ich beugte mich vor, um den Schaden zu begutachten und gleichzeitig darüber nachzudenken, wie ich meine nächste Frage formulieren sollte. »Äh... Hunter... hier ist sonst niemand anderes, oder?«
Er lachte, vermied es aber, mich anzusehen. Nun schien ihm das Ganze doch etwas peinlich zu sein. »Wie bitte? Meinst du, ich verstecke jemanden im Schrank oder was? Nein, Abra, hier ist sonst niemand.« Er blickte endlich auf und schaute mich ernst an. »Tut mir leid, das mit dem Telefon. Ich habe angenommen, es wäre wieder einer dieser nervenden Werbeanrufe.« Er klopfte auf die Matratze neben sich. »Komm, setz dich zu mir.«
»Ich muss meine Kreditkarten und Schecks als gestohlen melden.«
»Das kannst du doch gleich machen. Jetzt komm erst mal zu mir. Ich sehe doch, wie aufgewühlt du bist.«
Ich setzte mich neben ihn, und er nahm mich in die Arme. Er schien nicht einmal verschwitzt zu sein. In Hunters Familie entwickelte man bei weitem nicht so starke Körpergerüche wie in meiner. Während er mich an sich gedrückt hielt, sah ich, dass seine Tasche auf unserer Kommode lag. Visitenkarten, Wechselgeld, Dollarscheine und Zigaretten waren herausgerutscht und brachten meine ordentlich aufgereihten Parfümflakons und Schmuckkassetten durcheinander.
»Geht es wieder besser, Cadabra?«
Ich nickte, ohne mich von der Stelle zu rühren. »Hunter?« Wieder überlegte ich mir, wie ich meine nächste Frage formulieren sollte. »Liegt es an mir?«
Ich merkte, wie sich sein Körper anspannte. Dann löste er sich von mir. »Es hat nichts mit dir zu tun, Abs. Ich bin nur... es waren schwierige zwei Monate.«
In Wirklichkeit waren es drei Monate gewesen. Anfang Mai hatte ich auf unserer Chaiselongue aus Plastik gelegen, die wir seitlich auf unseren Balkon gezwängt hatten, und in einer Broschüre etwas über Block Island gelesen. Im Sommer gab es dort keine Autos, es war fast wie ein kleines Nantucket ganz in der Nähe. Mein praktisches Jahr am Institut sollte erst im Juli beginnen, und ich fragte Hunter, ob er Lust hätte, mit mir im Juni in den Urlaub zu fahren. Er klang unkonzentriert, als er mir antwortete. Er hätte gerade eine Idee für eine Story über ein mythisches Wesen in Rumänien gehabt.
Grob übersetzt bedeutete das: Ich habe schon den Flug gebucht, und du wirst mich erst wiedersehen, wenn die letzten Blätter von den Bäumen fallen.
Hunter hatte die vergangenen Jahre damit verbracht, Artikel für Zeitschriften wie Outside und Backpacker zu schreiben. Ich wusste, dass er ständig auf der Suche nach einer Geschichte war, die seiner journalistischen Karriere den nötigen Push gab, um einen Featureartikel in Vanity Fair, eine Absprache für ein Buch, einen Filmvertrag oder einen festen Auftrag als Verfasser einer Kolumne zu bekommen. Er brauchte nur noch einen Durchbruch – seinen persönlichen Mount Everest.
Deshalb war Hunter auch so darauf versessen gewesen, den Sommer lieber mit seinem Englisch-Rumänisch-Wörterbuch als mit mir zu verbringen. Offenbar war die letzte europäische Wolfspopulation in Rumänien in Gefahr, endgültig ausgerottet zu werden. In Ceauşescus totalitärem Regime hatte man sich nur um die nationalen Wälder und ihre Bewohner gekümmert, um das Ganze als Jagdgrund nutzen zu können. Die heutigen Rumänen kamen auf die Idee, reiche Amerikaner und Europäer in jene Gegenden zu locken, wo ihre Vorfahren noch Angst vor Trollen, Drachen und fleischfressenden Kreaturen gehabt hatten. Schließlich ging es hier um Transsylvanien, um das berühmte Land der Monster.
Und es gab einige Leute, die gerne viel Geld dafür ausgaben, ein Monster zu sehen.
Als die geschäftstüchtigen Rumänen ihre alten Baumbestände fällten und neue schicke Hotels errichteten, wurden die Wolfsbestände stetig kleiner. Und da Wölfe bei Touristenfamilien deutlich weniger beliebt sind als zum Beispiel Elche oder Adler, schreckten die Einheimischen auch nicht davor zurück, den jeweiligen Übeltäter zu töten, der ein Kalb oder ein Schaf gerissen hatte.
Wenn der erlegte Wolf groß genug war, nannte man ihn dann stolz einen Werwolf.
Es hörte sich wie eine überzeugende Story an, eine Geschichte mit Moral, einer kräftigen Prise Ironie und einem Touch billigem Dracula-Film. Hunter hatte sie zudem gut erzählt, an jenem Tag im Mai auf unserem kleinen Balkon in Manhattan.
Leider war die Story derart überzeugend, dass mein von Transsylvanien begeisterter Mann mich in drei Monaten gerade dreimal anrief. Zu mehr hatte er angeblich keine Zeit. Sobald ich mit meiner Arbeit im Institut anfing, war ich allerdings auch selbst beschäftigt genug. Man hatte mich dem Team von Malachy Knox zugewiesen, was sozusagen mit einer militärischen Spezialeinheit zu vergleichen war. Viel Gelegenheit hatte ich nun nicht mehr, mir über meinen fernen Liebsten groß Gedanken zu machen.
Doch jetzt war Hunter zurück. Darüber war ich erleichtert und dankbar, auch wenn ich ihn in diesem Augenblick am liebsten angebrüllt hätte: Mit wem hast du geschlafen? Wenn es nur eine Möglichkeit gegeben hätte, diese Frage zu stellen, ohne sie direkt formulieren zu müssen...
»Du hast mir noch nicht viel über deine Reise erzählt«, sagte ich.
»Abra, du wirst die Geschichte doch nicht ernst nehmen und aus einer Mücke einen Elefanten machen wollen – oder?«
Ich drehte mich zu ihm. Sein Tonfall zeigte mir, dass er bereit war, jeden Moment wütend zu werden, falls es nötig sein sollte.
»Ich wollte nur wissen, warum du nicht... warum du nicht mit mir...« Schlafen wolltest. Ich konnte den Satz nicht beenden. Lächerlich, ich weiß.
Hunter seufzte und zog mich wieder in seine Arme. Er legte sein Kinn auf meinen Kopf, was sich nicht sehr angenehm anfühlte.
»Ach, Abra. Ich habe mich einfach krank, erschöpft und kaputt gefühlt. Ich hätte dir sicher nicht gutgetan. Ich habe nur etwas... ich brauchte nur etwas Schnelles und Einfaches. Das ist alles.«
»Ich kann auch schnell und einfach sein.«
Hunter strich über meinen Rücken. Seine Hände wanderten unter mein Oberteil und zu meiner Taille. »Du bist wirklich süß.«
Ich merkte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen, und kämpfte dagegen an. »Ich muss jetzt meine Anrufe machen und dann ins Institut. Ich bin schon wahnsinnig spät dran, Hunter.«
»Dann ist es doch sowieso schon egal.« Sein Mund wanderte zu meinem Ohr. Sein Atem roch vom Schlaf noch etwas abgestanden.
»Hunter.« War das ein Zeichen seiner Zuneigung, erneuter Lust oder einfach nur Mitleid mit mir? Es war nie leicht, so etwas bei Hunter klar zu unterscheiden. Seine Lippen wanderten meinen Hals entlang nach unten. Dann schob er meine Tunika hoch, und seine Hände glitten unter meinen ebenso praktischen wie beigefarbenen BH.
»Mein Gott, du hast noch immer die Brüste einer dreizehnjährigen Jungfrau.« Es mochte vielleicht nicht in jedermanns Ohren wie ein Kompliment klingen, aber Sie können mir glauben – als solches war es gemeint. Hunter zog mir das Oberteil über den Kopf, und einen Augenblick lang verfing es sich in meinen langen Haaren.
»Die wirst du nie abschneiden, nicht wahr?«
Meine Haare reichten fast bis zur Taille hinab. »Nein«, murmelte ich.
Hunter wickelte meine Haare um sein Handgelenk und zog spielerisch daran. »Ich hab dich. Jetzt bist du meine Gefangene.«
Ich sah ihn mit zurückgelegtem Kopf an. »Ist es das, was du willst?«
Seine dunklen Augen funkelten, als er meinen Hals betrachtete. Dann blickte er an sich herab und zog die Augenbrauen hoch. »Was meinst du?«
Wir schauten einander einen Moment lang an. »Also gut. Einverstanden.«
Für eine Sekunde herrschte Stille. Dann ließ Hunter meine Haare los und zog mir die Hose herunter. »Einfach so? Ohne dich zuerst zu berühren? Schnell und einfach? Meine Gefangene?«
Ich beobachtete ihn. Wir hatten uns seit drei Monaten nicht geliebt. Als ich das letzte Mal in seinen Armen gelegen hatte, war er in Gedanken bereits Tausende von Kilometern entfernt gewesen, auf der Reise zu neuen Abenteuern. »Nein«, sagte ich vorsichtig und bewegte meinen Kopf, so dass meine Haare hin- und herflogen. »Nein, bitte. Nein.« Ich wollte sichergehen, dass er mein Spiel verstand und mein Nein nicht ernst nahm.
Hunter bog meine Arme nach oben und hielt meine Handgelenke fest. Er war stärker, als sein drahtiger Körper es vermuten ließ. »Spreiz sie.«
»Nein.« Wie sollte das gehen? Wenn er meine Handgelenke festhielt, konnte er unmöglich gleichzeitig meine Beine spreizen, wenn ich nicht mitmachte.
Hunter schob sein Knie zwischen meine Schenkel. »Los, spreiz sie schon.«
»Nein.«
In seinem Gesicht zeigte sich ein Ausdruck, der beinahe wie Wut wirkte. Für einen Moment befürchtete ich, etwas falsch gemacht zu haben. Dann hielt er meine Handgelenke mit der einen Hand fest und nutzte die andere dazu, seinen Weg in mich hinein zu finden. Nach einem Augenblick gab er jedoch auf, sah mich an und meinte: »Du solltest besser auf deinen Herrn und Meister hören, Sklavenmädchen.«
Auch ich verspürte nun den Anflug echter Wut. »Nein«, entgegnete ich erneut.
Hunter lehnte sich zurück und überlegte. Es war ein Spiel um Macht und Dominanz. Wie weit sollten wir gehen? Ich war neugierig. Und ziemlich erregt.
Was er als Nächstes tat, kam überraschend und unerwartet. Er sprang auf, riss mich hoch und drehte mich auf den Bauch. Dann packte er mich am Nacken, wie man das bei einer jungen Katze tut. Ich kam anscheinend auf der Fernbedienung zu liegen, denn etwas drückte gegen meine Brust.
»Hunter...«
Unser Bett war recht hoch, und Hunter stand, als er in mich stieß. Einen Moment lang spürte ich sein Drängen an meinem Eingang, ehe er begann, tiefer und schneller in mich hineinzufahren. Es war ein Rhythmus, der vor allem seiner Lust diente und nicht der meinen. Wieder hörte ich das Aufeinanderklatschen von Haut, so wie ich es zuvor vom Wohnzimmer aus belauscht hatte. Doch diesmal wusste ich, dass ich unter ihm lag. Ich hatte mich stärker danach gesehnt, als mir bewusst gewesen war.
»Hunter.«
Er hörte nichts mehr. Viel zu sehr war er in die Jagd vertieft und stieß mit einer rauen Heftigkeit in mich, die ich nicht kannte. Sie berührte auf eine beinahe schmerzhafte Weise einen Punkt tief in meinem Inneren. Es war kein echter Schmerz, denn ein Schmerz steigt nicht hoch, nimmt nicht so zu. Immer mehr, immer stärker...
Hunter kam viel zu schnell und mit einem tiefen Stöhnen, das so gar nicht nach ihm zu klingen schien. Dann brach er auf mir zusammen.
Nach einer Weile küsste er meinen Nacken. »Alles in Ordnung, Sklavenmädchen?« Tastend fuhr er mit seiner Hand zwischen meine zitternden Beine. »Ich war etwas zu schnell für dich, nicht wahr?«
»Nein, ich... Er bewegte seine Finger, und ich hielt unwillkürlich den Atem an.
»Na? Stimmt doch, oder? Komm schon, Abra. Lass mich machen.«
Ich stöhnte ein wenig, nur ein wenig. Ich wusste, dass ich niemals in der Lage sein würde, die Selbstbeherrschung zu verlieren, wenn Hunter mir dabei zusah und auf meine Reaktion wartete. Er bewegte die Finger schneller, da er die Laute, die ich von mir gab, als Anzeichen meiner Lust missverstand.
Endlich stöhnte ich laut auf und betrog damit nicht nur ihn, sondern auch mich. Hunter jedoch merkte nichts davon. Zufrieden und erschöpft sah er mich an.
Wolfstraeume Roman
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