18
»Ich hoffe, wir sind
nicht zu früh dran, Doc«, sagte Red, als er durch die Haustür trat.
Er musterte mich so rasch, dass ich für einen Moment glaubte, es
mir nur eingebildet zu haben. Nein, sein Blick wanderte tatsächlich
zu meinen Brüsten – unter einem grünen Pulli verborgen – und dann
wieder zu meinen Augen. Ich trug die Haare offen und hatte mir die
Wimpern getuscht. Offensichtlich gefiel ihm, was er sah.
»Nein, Sie sind genau rechtzeitig.«
Seine Augen schienen sich in die meinen zu
bohren. Ich hatte das Gefühl, als müsste er sich konzentrieren,
damit sie nicht wieder woanders hinwanderten. Er trug eine alte
Schaffelljacke, die noch ziemlich viel Schaf an sich zu haben
schien.
»Wir wollten da sein, ehe die Sonne untergeht,
damit ich Ihnen die Grenzen Ihres Landes zeigen kann.« Seine Augen
schossen nun unruhig hin und her, als wäre es ihm nicht mehr
möglich, mich klar anzuschauen. Zu meiner Überraschung stellte ich
auch fest, dass sich auf seinen Wangen rote Flecken zeigten.
Ich brachte Red offenbar zum Erröten...
»Klingt gut. Wie geht’s, Jackie?«
Galant half Red seiner Begleitung aus einer
grauenvoll hässlichen Jacke mit einem Pferdemuster. Sie hatten die
kalte Luft von draußen ins Haus gebracht, und Jackie roch stark
nach Zigarette.
»Nicht schlecht. Hier – für den Einstand.« Sie
reichte mir ein Päckchen mit Gästeseifen in der Form von
Schafen.
»Oh, vielen Dank. Das ist lieb von Ihnen. Hier –
ich nehme Ihnen die Jacken ab.« Der Zigarettenrauch war tief in den
Wollstoff eingedrungen. Ich hielt Jackies Jacke so weit wie möglich
von mir entfernt.
»Wow.« Jackie sah sich in dem alten Foyer mit
dem grüngelben Glasfenster um und stieß einen leisen Pfiff aus.
»Ich habe mich schon immer gefragt, wie es hier drinnen wohl
aussieht. Ich kannte den alten Hausmeister, Harvey, recht gut,
wissen Sie.«
»Dann wussten Sie also bereits, dass dieses Haus
in Wahrheit ein Mausoleum ist... Red? Wollen Sie mir auch Ihre
Jacke geben?« Er schnüffelte interessiert in die Luft, und ich
fragte mich, ob das Chili wohl angebrannt war.
»Oh... ja, klar. Ich hab mich nur... haben Sie
vielleicht einen Hund oder so?«
»Nein. Wieso?« Ich hängte Jackies Jacke in den
Schrank im Foyer. Wollte er damit andeuten, dass wir einen Wachhund
bräuchten?
»Manche sperren ihre Hunde ein, wenn Gäste
kommen. Aber Jackie und ich sind echte Hundeliebhaber. Für uns ist
es kein Problem, wenn man sie frei herumlaufen lässt.« Red zog
seine Jacke aus. Darunter trug er ein Flanellhemd mit
hochgekrempelten Ärmeln. Man konnte seine kräftigen Oberarme sehen,
seine Kojoten-Tätowierung war jedoch nur teilweise zu
erkennen.
»Nein, hier gibt es keinen Hund«, beteuerte ich
und hängte auch seine Jacke auf einen Kleiderbügel. »Ich habe
bisher nie die Zeit oder auch die Räumlichkeiten dafür gehabt, um
mir einen anzuschaffen und mich dann auch angemessen mit ihm zu
beschäftigen. Aber ich hatte mir schon überlegt, ob ich hier nicht
endlich einen haben könnte.« Ich drehte mich zu Jackie um. »Sie
haben Pia noch gar nicht vorbeigebracht«, sagte ich. »Hat sie
aufgehört, sich zu kratzen?«
Die Frau schüttelte den Kopf. »Nein, leider
nicht. Und nachts kommt sie jetzt gar nicht mehr zur Ruhe. Ich
wollte sie zuerst schon heute mitbringen. Aber sie verhält sich
manchmal wirklich seltsam, wenn sie neue Orte und Leute
kennenlernt. So hielt ich es dann doch für besser, sie zu Hause zu
lassen.«
»Soll ich vielleicht bald mal bei Ihnen
vorbeischauen und sie dort untersuchen?«
Jackie lächelte und entblößte dabei ein
Fleckchen Lippenstift auf ihren Zähnen. »Wäre toll, wenn Sie das
einrichten könnten.««
»Meine Fähigkeiten als Tierärztin sind
jedenfalls etwas weiter entwickelt als die als Köchin. Ich hoffe,
ihr beide mögt Chili.«
»Riecht gut. Sie wissen doch, dass wir Texaner
Chili lieben.«
»Tut mir leid, falls es mir nicht so ganz
gelungen sein sollte. Ich bin es nämlich nicht gewöhnt, mit Fleisch
zu kochen. Es gibt auch eines ohne Fleisch.«
»Oh, für mich gerne mit Fleisch.« Jackie
schenkte mir ein noch breiteres Lächeln. In ihrer ledernen Haut
zeigten sich tiefe Falten. Es schien Red nicht zu kümmern, dass
seine
Freundin weder perfekt noch jung war, was ihn mir noch
sympathischer machte.
»Also eine weitere Fleischesserin«, sagte ich.
»Hunter wird begeistert sein. Ich geh nur schnell nach oben und
sage ihm Bescheid, dass Sie da sind.«
»Soll ich währenddessen irgendetwas machen, Doc?
Zum Beispiel das Chili umrühren oder so?«
»Nein, danke, Red. Nett von Ihnen. Ist aber
alles unter Kontrolle.«
Jackie holte ein Päckchen Zigaretten aus ihrer
Handtasche. »Wow, ich kann mich nicht erinnern, wann du mich das
letzte Mal gefragt hast, ob du mir in der Küche helfen
kannst.«
Red blickte bedeutungsvoll auf die Zigarette,
die Jackie sich anzündete. »Vielleicht sollten wir damit lieber
nach draußen gehen, Jackie.«
Sie runzelte die Stirn. »Seit wann hast du denn
so gute Manieren, Red?«
»Kein Problem«, mischte ich mich hastig ein.
»Draußen wird es schon kalt. Wenn Sie hier drinnen rauchen möchten,
können Sie das gerne tun.««
Red sah seine Begleiterin durchdringend an. »Wir
möchten nicht unhöflich sein.«
»Nein, nein, das ist schon...««
Jackie ließ mich nicht aussprechen. Sie starrte
Red finster an. »O nein! Wir würden doch nicht im Traum daran
denken, unhöflich zu sein.« Mit diesen Worten stürmte sie aus dem
Haus und schlug donnernd die Tür hinter sich ins Schloss. Red warf
mir einen entschuldigenden Blick zu und folgte ihr dann hastig. Es
sah ganz so aus, als ob es ein interessanter Abend werden
würde.
Ich eilte mit den Schafseifen nach oben. Hunter
hatte zuvor in der Badewanne mit den Klauenfüßen gesessen und sich
ausgiebig gewaschen. Doch als ich das Badezimmer jetzt betrat, war
er schon wieder verschwunden. Es lag nur ein feuchtes Handtuch auf
dem Toilettensitz.
»Hunter? Hunter, sie sind da!« Er hatte sich
derart schlecht gelaunt gezeigt, weil Red und Jackie zum Abendessen
kamen, dass ich ihn wieder auf dem Dachboden vermutete. Da ich aber
keine Lust hatte, dort nachzusehen, ging ich wieder nach unten.
Wenn er sich nicht zeigen wollte, dann war das seine Sache.
Doch zu meiner Erleichterung entdeckte ich
Hunter unten, wo er mit Jackie auf der Veranda eine Zigarette
rauchte. Wahrscheinlich war er über die Hintertreppe
hinuntergegangen. Er lehnte an einem Pfosten und sah in seinem
kurzärmeligen T-Shirt auffallend muskulös und attraktiv aus. Als er
mich bemerkte, winkte er mir lässig zu.
»Hallo. Ich habe grade nach dir gesucht. Ist dir
nicht kalt?«
Er lachte. Erst jetzt fiel mir auf, dass auch
Red sein Flanellhemd ausgezogen hatte und ebenfalls nur noch ein
T-Shirt trug. Vielleicht gehörte das zu einem echten Mann, dieses
Macho-Gehabe. »Weißt du was, Abs?«, meinte mein Mann und zog an
seiner Zigarette. »Wie wäre es mit einem Drink, um uns zu
wärmen?«
»Oh, natürlich... Jackie, was möchten Sie? Wir
haben Wodka und Gin... ich glaube, da ist auch noch Bier... und
natürlich Rotwein...«
»Eine Bloody Mary wäre toll.«
»Ich seh mal nach, ob wir Tomatensaft haben«,
erwiderte ich und wandte mich zum Gehen.
»Abra.«
Ich drehte mich wieder um und blickte Hunter an,
der so breit grinste, als ob er gerade eine Wette gewonnen
hätte.
»Ja?«
»Du hast vergessen, Red zu fragen, was er
trinken möchte. Und ich nehme einen Gin Tonic. Danke.«
»Oh, tut mir leid, Red. Was möchten Sie?«
»Irgendein Bier, wenn Sie eins haben, Doc. Kann
ich Ihnen vielleicht behilflich sein?«
»Gerne. Wenn Sie wollen.« Ich ging mit dem
schrecklichen Gefühl in die Küche, in Anwesenheit unserer Gäste von
Hunter zurechtgewiesen worden zu sein – wie ein kleines Mädchen,
das glaubt, die große Gastgeberin markieren zu können und prompt
von Papi entlarvt wurde.
Red sah mir zu, wie ich Gin und Tonic
herausholte. »Kann ich mit den Gläsern helfen?«, fragte er.
»Die sind da drüben.« Ich zeigte auf einen
Küchenschrank. Er machte ihn auf, entdeckte darin aber nur Teller.
»Oh, Entschuldigung. Vielleicht da drüben. Ich kenn mich hier noch
nicht so gut aus.««
»Beruhigen Sie sich. Ist ja nichts passiert.« Er
trat zu mir, als ob er mich in den Arm nehmen wollte. In meinem
Kopf begann es leicht zu hämmern.
»Ich bin nur... es ist alles etwas viel. Der
Umzug und so. Keine Sorge, ich fang jetzt nicht zu weinen
an.«
»Okay.«
Ich holte Luft. Red machte eine Bewegung auf
mich zu und hielt dann inne. Ich konnte deutlich sein Verlangen
spüren, mich zu berühren. Er strahlte wie ein Magnetfeld, das mich
an sich ziehen wollte. So ist das also, dachte ich, wenn man in den
Augen eines anderen eine Bedeutung
hat. Ein Gefühl, das meine Mutter so gut kannte. Und natürlich
auch Hunter.
Ich holte erneut Luft. »Alles in Ordnung.«
An Reds Kiefer zuckte ein Muskel. »Ich kann
nicht. Sie berühren. Er würde es merken.«
»Was meinen Sie...««
»Ich möchte Ihnen helfen.«
»Es geht mir aber wieder gut«, erwiderte ich und
wandte ihm den Rücken zu. »Ich glaube, der Tomatensaft ist da
drüben und...«
»Hören Sie auf, sich etwas vorzumachen. So etwas
ist gefährlich.« Auf einmal umfasste er mit beiden Händen meine
Schultern und drehte mich sanft zu sich um. Einen Moment lang
standen wir uns schweigend gegenüber. Seine Hände fühlten sich
warm, ja fast heiß an. Ich rührte mich nicht, was ungewöhnlich war,
denn normalerweise mochte ich es nicht, wenn mir Leute zu
nahekamen. Aber Red strahlte eine so beruhigende Sanftheit aus, und
trotz der Hitze hatte ich das Gefühl, ganz einfach in ihn sinken zu
können – fast wie in einen ungefährlichen See. Ich räusperte
mich.
»Ich glaube, Sie bilden sich da etwas ein. Es
gibt nichts. Ich mache weder Ihnen noch mir etwas vor.«
»Wirklich nicht? Dann sind die Dinge also
genauso, wie sie das schon immer waren... zwischen Ihnen und
Ihrem... Ihrem Hunter.«
»Ich wüsste nicht, was Sie das angeht.« Das war
die schlechteste Antwort, die ich geben konnte. Ich hätte genauso
gut sagen können, dass er mich schlug und jede Nacht im Keller
einsperrte. »Hören Sie, das mag Sie vielleicht nicht überzeugen.
Aber Hunter und mir geht es gut.«
»Schön.« Seine haselnussbraunen Augen lagen tief
in ihren Höhlen. Auch wenn er lächelte, wirkten sie ein wenig
traurig. »Das freut mich. Und Sie haben natürlich Recht – es geht
mich wirklich nichts an. Aber Sie haben mir geholfen. Damals in New
York.«
»Ich habe nichts Besonderes getan.«
»Das mag sein, aber trotzdem bin ich Ihnen zu
Dank verpflichtet. Pia ist ein besonderes Tier.« Seine Hände lagen
noch immer auf meinen Schultern. »Und ich hatte gerade den
Eindruck, als steckten jetzt Sie in Schwierigkeiten. Da wollte ich
zur Abwechslung einmal Ihnen helfen.«
»Red, wir haben gerade unser ganzes bisheriges
Leben umgekrempelt. Vielleicht wirke ich deshalb etwas angespannt.
Es tut mir leid, wenn mein Mann bei unserem letzten Treffen gereizt
war, aber ihm geht es ähnlich wie mir.« Als ich den letzten Satz
aussprach, begannen meine Schläfen schmerzhaft zu pochen.
»Sie wollen mir damit also sagen, dass ich
völlig falschliege?« Seine Fingerkuppen glitten über meine Arme,
während er nachdenklich den Kopf schüttelte. »Vielleichr.«
»Es ist nicht so, dass ich Sie nicht nett finde,
Red. Es ist nur... na ja, ich bin verheiratet, und Sie... Sie haben
Jackie.« Ich wollte seine Gefühle nicht verletzen. Außerdem wäre es
unfair gewesen, ihm nicht auch zu sagen, dass ich ihn attraktiv
fand, nachdem er mir so eindeutig zu verstehen gegeben hatte, was
er für mich empfand.
»Jackie ist nicht meine Freundin. Schon seit
einer ganzen Weile nicht mehr.«
Ob sie das weiß?, dachte ich. »Oh... dann sind
Sie aber... eben befreundet. Was wir hoffentlich auch sind – gute
Freunde, meine ich.«
Red presste die Lippen aufeinander. »Sie
glauben, dass ich mich von Ihnen angezogen fühle. Oder verstehe ich
Sie da falsch?«
Jetzt war es an mir, zu erröten. Ich spürte, wie
meine Wangen und mein Nacken heiß wurden. »Äh, tut mir leid. Ich
dachte nur...«
Red lachte. »Sie müssen nicht rot werden. Ich
will damit nicht sagen, dass ich Sie nicht anziehend finde. Ich
finde Sie sogar äußerst anziehend. So wie Sie mich. Aber darum geht
es mir gar nicht...«
»Ich finde Sie nicht anziehend!««
Er zog spöttisch eine Augenbraue hoch.
»Ich will Sie nicht verletzten, Red, aber ich
finde Sie wirklich nicht in diesem Sinne anziehend, den Sie
anscheinend meinen.«
Er kam noch einen Schritt näher, senkte den
Blick und holte tief Luft. »Doch«, sagte er ruhig. »Das tun
Sie.«
Der Druck in meinem Kopf nahm zu. Es fiel mir
zusehends schwerer, mich zu konzentrieren. »Ich habe keine Ahnung,
wie Sie auf diese Idee kommen, dass ich mehr für Sie empfinden
könnte als Sympathie. Es stimmt ganz einfach nicht. Sie sind ein
netter Mann, aber...«
»Haben Sie Kopfweh?« Ehe ich protestieren
konnte, strich mir Red durch die Haare. Seine Finger berührten
dabei genau die Punkte auf meiner Kopfhaut, wo es schmerzte.
Plötzlich schien meine Schädeldecke glühend heiß zu werden. Eine
Sekunde später war der Schmerz verschwunden. Eine Hitzewelle
durchlief mich vom Scheitel bis zu den Brüsten, dann zum Bauch und
schließlich zum Schoß. Instinktiv lehnte ich mich an ihn. Seine
Stimme war kaum lauter als ein Flüstern, als sie in mein Ohr
drang.
»Wir müssen aufhören. Er kann mich sonst
riechen.«
Was sagte er da? Das ergab doch keinen Sinn. Und
ich wollte nicht mehr aufhören. Fast kam es mir so vor, als ob mir
Red zwei Schritte voraus wäre und meine Reaktionen kannte, ehe sie
mir selbst bewusst wurden. Fühlte ich mich etwa doch von ihm
angezogen? Ich konnte mich nicht dazu bringen, mich von ihm zu
lösen. Seine Hände zitterten. »Sie riechen?«, fragte ich mit
belegter Stimme.
Seine Finger strichen durch meine Haare.
»Bekommen Sie bald Ihre Tage?«
»Was? Nein!« Ich wich nun doch einen Schritt
zurück.
»Haben Sie oft Kopfschmerzen?«
War er ein Arzt oder was sollte diese Fragerei?
»Nein, normalerweise nicht.«
»Leidet auch Hunter unter Kopfschmerzen?«
»Ich glaube nicht. Nein.« Würde ich es denn
überhaupt erfahren, falls er es tat? »Also, vielen Dank für die
Akupressur, aber ich brauche keine medizinische Beratung. Und falls
doch, gehe ich zu einem echten Arzt.««
»Falls Sie das haben, was ich glaube, wird Ihnen
ein Arztbesuch auch nicht weiterhelfen können.«
Jetzt wurde ich wütend. Ich stemmte die Arme in
die Hüften und starrte Red finster an. »Und was habe ich Ihrer
Meinung nach?«
»Nun – als Erstes einmal einen untreuen
Ehemann.«
Mein Herz setzte einen Moment lang aus. Woher
wusste Red das? »Er hat mit dieser Bedienung doch nur geflirtet.
Sonst nichts.« Ich wandte mich ab, öffnete den Küchenschrank und
holte vier Gläser heraus. »Das bedeutet doch überhaupt
nichts.«
»Gut, wenn Sie wegsehen wollen«, antwortete Red.
»Aber ich schwöre Ihnen, in spätestens vierzehn Tagen werden Sie
mich um Hilfe bitten.«
Ich holte eine ungeöffnete Flasche Tomatensaft
aus dem Speiseschrank. »Ich habe wirklich keine Ahnung, wovon Sie
sprechen.«
»Nur dann wird es nicht mehr so leicht sein,
etwas zu unternehmen.«
Ich bedachte Red mit einem Blick, der selbst
meine Mutter dazu bringen konnte, zur Abwechslung einmal den Mund
zu halten. »Was wird nicht mehr so leicht sein?«
»Die Beseitigung des wilden Tieres.«
Ich brauchte einen Augenblick, um die Verbindung
herzustellen. Dann fiel mir ein, dass ich Red hatte fragen wollen,
was ich gegen die Besuche des Tieres tun konnte, das immer wieder
seine kleinen Präsente aus Innereien auf unserer Veranda
zurückließ. »Woher wissen Sie davon?«
Red sah mich aufmerksam an. »Was ist es? Sind es
so winzige Tiere? Mäuse? Maulwürfe?«
»Gestern war es ein Kaninchenjunges.«
»Auch irgendetwas im Haus?« Seine Stimme klang
jetzt scharf, ja beinahe zornig.
»Nein. Aber ich wollte Sie fragen, was ich
dagegen unternehmen kann. Außer Fallen aufzustellen, meine ich. Ich
möchte nichts umbringen.«
Red rieb sich das Kinn. »O je.« Er klang
frustriert.
»Tut mir leid, aber das will ich nicht.«
»Hören Sie. Wenn Sie meine Hilfe annehmen
wollen, dann können Sie keine Bedingungen daran knüpfen. Sie müssen
es mir überlassen, was ich für das Beste halte.«
»Dann vergessen Sie es«, entgegnete ich und
schenkte Gin in ein Glas. »Es ist ohnehin nicht so wichtig.«
»Vielleicht nicht.« Red stellte sich so hin,
dass er sich mit ausgestreckten Armen an der Wand abstützte und ich
dazwischen stand. »Aber vielleicht ist das Ganze auch größer oder
bedrohlicher, als Sie meinen. Manchmal sind kleine Beutetiere erst
der Anfang. Wie bei einem... bei einem jungen Kojoten oder einem
Rotluchs, wenn sie das Jagen erlernen.«
Ich blickte Red in die Augen und verspürte ein
ungewohntes Gefühl der Macht. Ich könnte mich von ihm küssen
lassen, dachte ich. Ich könnte ihm erlauben, mich zu berühren, sich
an mich zu drücken, ich könnte ihm alles erlauben und würde
trotzdem nicht die Kontrolle verlieren.
Ohne nachzudenken beugte ich mich vor und biss
ihn leicht in seinen Bizeps. Er sog hörbar die Luft durch die Zähne
ein. »Ich mag weder Fallen noch Gift, Red.« Ich duckte mich unter
seinem linken Arm hindurch und fasste nach einer Flasche Rotwein.
»Falls wir hier ein kleines Raubtier haben sollten, lege ich mir
lieber einen Hund zu.«
Ich steckte einen Korkenzieher in die Flasche
und versuchte den Korken herauszuziehen. Er blieb jedoch nach der
Hälfte stecken. So viel zu meinem Auftritt als gewandte,
verführerische Frau, die alles unter Kontrolle hat! Plötzlich
fingen meine Hände zu zittern an. Ich konnte kaum fassen, dass ich
gerade einen Mann in den Arm gebissen hatte.
»Lassen Sie es mich versuchen.« Red nahm die
Flasche und entkorkte sie im Handumdrehen. Er schenkte mir mit der
Genauigkeit eines geübten Kellners ein Glas ein. Ob er wohl mal in
einem Restaurant gearbeitet hatte? »Hören Sie, Abra. Es wird nichts
nützen, sich einen Welpen ins Haus zu holen. Eines Morgens werden
Sie nämlich aufwachen und statt Eichhörnchen und Mäusen liegt Fido
mit aufgerissenem Bauch und ein paar Innereien weniger vor Ihrer
Tür.«
Während ich die Zitrone für die Bloody Mary
aufschnitt, überlegte ich, ob ich Red von Hunters Erkrankung
erzählen sollte. Aber selbst wenn es Leute gab, die durch den
Lykanthropievirus eine Wolfsgestalt annehmen konnten – was ich noch
immer nicht so recht glauben wollte -, und sich mein Mann als einer
dieser seltenen Fälle herausstellte, so war er doch trotzdem mein
Mann. Ich kannte Hunter schon lange. Ich hatte ihn betrunken und
nüchtern, in bester Laune und tief deprimiert erlebt, ich hatte ihn
zu seinen guten und zu seinen schlechten Zeiten gesehen. Und ich
wusste, dass er mir nichts antun würde – ganz gleich, wie benebelt
er durch Alkohol oder die Krankheit auch sein mochte.
Mit ruhiger Stimme fragte ich: »Und warum sind
Sie sich so sicher, dass es sich nicht um einen Fuchs oder eine
Nachbarkatze handelt?« Ich gab einen Spritzer Tabascosauce in
Jackies Drink.
»Weil es weder nach Fuchs noch nach Katze
riecht. Deshalb.«
Mein Gott, dieser Mann hatte es wirklich mit
Gerüchen. Ich selbst besaß keine sonderlich empfindsame Nase. Für
meine Sinne roch ein Glas Wein nach Früchten und alten Socken, wie
das alle Weine für mich taten, ganz egal, ob ihnen ein schwaches
Pflaumenaroma, der Duft von Holz oder ein Vanillegeschmack
nachgesagt wurde.
»Dann also kein Hund«, sagte ich und rührte
Hunters Gin Tonic um. »Und falls sich die Kaninchenjungen in Lämmer
und Rehkitze verwandeln, melde ich mich.«
Red schüttelte den Kopf. Er wollte etwas sagen,
beschloss
dann aber, es sein zu lassen. »Gut. Wie Sie meinen«, erwiderte er
stattdessen. »Aber tun Sie mir einen Gefallen: Melden Sie sich auf
jeden Fall bei mir, bevor sich hier die Leichen zu stapeln
beginnen.«
Wieder hatte ich das Gefühl, dass Red wusste,
wovon er sprach. Oder vielmehr, von wem er sprach. »Aber bis dahin
geht es Sie nichts an. Okay?«
»Einverstanden«, erwiderte er. »Das wird
allerdings nicht lange so bleiben.«
Ich schüttete eine Dose mit Nüssen in eine
kleine Schale und holte für Red eine Flasche Bier aus dem
Kühlschrank, die ich ihm gemeinsam mit Jackies Bloody Mary reichte.
Er verließ mit den beiden Getränken die Küche und sah dabei in
seinen engen Jeans so mickrig aus, dass ich mich beinahe
schüttelte. Wie war ich nur auf die Idee gekommen, mich von einem
solchen Mann verführen zu lassen? Wieso hatte ich ihn überhaupt
gebissen?
Als ich ihm auf die Veranda hinaus folgte,
erkannte ich erst die Melodie, die er leise vor sich hinpfiff. Es
war Prokofjews Peter und der Wolf.