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Ich saß im
Untersuchungszimmer, als Red hereinstürmte. Seine Augen nahmen die
Situation blitzschnell wahr: die steril wirkenden hellgrünen
Krankenhauswände; die grellen Neonlampen an der Decke, die alles –
sogar eine Geburt – um so vieles schlimmer erscheinen ließen; und
dann mich in meinem zerknitterten und verbrannten
Hexe-von-Camelot-Kleid mit wilden Haaren und verkohlten Händen. Für
einen Moment sah er aus, als würde er in Tränen ausbrechen. Dann
eilte er zu mir und kniete sich neben mich.
»Mein Gott, Doc. Wie geht es dir?«, fragte er
voll zärtlicher Besorgnis.
Ich blickte in Reds haselnussbraune Augen, die
wesentlich offener und besser zu lesen waren als die dunkleren
Hunters. Der Assistenzarzt, der meine Hände versorgte, wandte sich
ab. »Nicht so gut«, erwiderte ich. »Ich habe meine Hände
verbrannt.«
»Ja, ich weiß.«
»Ich sollte mich um die Tiere meiner Mutter
kümmern, während sie nicht da ist.«
»Du musst dich erst mal um dich selbst kümmern,
Abra. Das weißt du doch, nicht wahr?«
Der Assistenzarzt, der meine Hände inzwischen
begutachtete, hielt auf einmal inne. »Wie alt sind Ihre
Verbrennungen genau?«
»Keine Ahnung. Eine halbe Stunde. Oder
vielleicht eine Stunde.« Ich schniefte wie eine Sechsjährige. »Wann
komme ich denn in den OP?« Red legte mir mitfühlend eine Hand auf
die Schulter.
»Lady, diese Verbrennungen sind schon mindestens
eine Woche alt. Wer hat Sie denn ursprünglich behandelt?«
Ich starrte den Assistenzarzt an. Er hatte ein
kreisrundes Gesicht mit großen Poren und eine einzige dicke Braue
über beiden Augen, was ihm einen leicht irritierten und verblüfften
Ausdruck verlieh. »Die Sanitäter haben mich vor etwa einer halben
Stunde behandelt. Wovon reden Sie? Eine Woche sollen die alt sein?
Man kann doch das Fettgewebe sehen, es gibt Verkohlungen...«
»Sind Sie Ärztin?« Das teigige Gesicht des
Mannes wirkte noch irritierter als zuvor.
»Ich bin Tierärztin.«
»Na also.« Er hielt mir meine Hände vor die
Nase, als würde es sich bei ihnen um wichtige Beweisstücke handeln.
Die Haut meiner Handflächen schimmerte hellrosa und sah schrecklich
aus, aber lange nicht mehr so schrecklich und stark verkohlt wie
noch vor wenigen Augenblicken. »Diese Wunden sind schon deutlich am
Verheilen. Würden Sie mir da zustimmen? Deutlich stärker verheilt
jedenfalls, als das nach einer Stunde der Fall wäre.«
Fassungslos betrachtete ich meine neue, noch roh
wirkende Haut. »Das verstehe ich nicht. Ich schwöre Ihnen, dass ich
mich erst vor circa einer Dreiviertelstunde verbrannt habe. Länger
nicht.«
»Hören Sie, Lady. Wir müssen gar nicht
weiterreden. Ich werde Ihnen einen sterilen Trockenverband anlegen
und Ihnen noch ein paar Verbände mit nach Hause geben. Sie werden
beim Wechseln der Verbände allerdings Hilfe brauchen.«
»Ich brauche keine Hilfe.« Meine Stimme klang
klein und verdruckst, was mir peinlich war. Ich hatte das Gefühl,
von dem Assistenzarzt nicht ernst genommen zu werden, und das
verstörte mich.
»Abra, wo ist Hunter?« Ich wandte mich dem
texanischen Singsang zu und fühlte mich besser. Red, der meine Hand
nicht nehmen konnte, hatte mir stattdessen den Arm um die Schultern
gelegt. Ich konnte sein Gesicht zwar nicht sehen, dafür aber seine
Brust hinter meinem Kopf spüren.
»Zu Hause.« Der Arzt wickelte den Verband um
meine Hand und schnitt dann ein Stück Pflaster ab.
»Und du bist...«
Ich war froh, ihn nicht ansehen zu müssen. »Bei
meiner Mutter in Beast Castle.«
Red reagierte nicht auf die Neuigkeit, dass
meine Mutter die frühere Vampirqueen Piper LeFever war, die hier in
der Gegend jeder kannte. Er holte nur tief Luft und sagte:
»Verstehe.« Dann hielt er mich fester als zuvor, und ich merkte,
dass ich weinte.
»So«, sagte der Arzt. »Das hätten wir.« Er
wandte sich an Red. »Sie bringen Ms. Barrow nach Hause? Dann muss
ich Ihnen noch ein paar Anweisungen mitgeben.«
Ich starrte auf das Ohr des Mannes, denn er
würdigte mich nun keines Blickes mehr. »Einen Moment, bitte. War’s
das schon? Ich brauche also keine intravenösen Antibiotika oder
etwas Ähnliches?«
»Lady, die haben Sie vielleicht vor einer Woche
gebraucht, aber jetzt nicht mehr.«
Ich sah Red an. »Aber ich hatte Verkohlungen,
alle meine Hautschichten waren betroffen, ich habe schon nichts
mehr gespürt...«
»Am besten sprechen Sie mit dem Arzt, der Sie
schon behandelt hat. Sie können sich auch gerne unser Schaubild
ansehen. Es handelt sich eindeutig um Verbrennungen zweiten
Grades.« Er zog seine Latexhandschuhe aus. »Also, wollen Sie jetzt
die Anweisungen hören, oder nicht?«
Red legte eine Hand auf meine Schulter. »Wir
wollen die Anweisungen, ja. Wenn Sie diese Freundlichkeit noch
aufbringen können...«
Ich hörte nicht hin, als der Assistenzarzt Red
mit säuerlicher Miene erklärte, wie meine verletzten Hände zu
behandeln waren. Als wir gehen wollten, kam eine große Frau in
einem tomatenroten Jackett auf mich zugeeilt. Ihre blonden Haare
hatte sie zu einer Frisur aufgetürmt, die an einen Truthahn
erinnerte. Ich fragte mich, ob sie sich für Thanksgiving
absichtlich so frisiert hatte.
»Sind Sie Ms. Barrow? Es tut mir leid, aber wir
konnten keine Nummer zu dem Namen finden, den Sie mir gegeben
haben.« Sie sah in ihrer Akte nach. »Red Mallin. Kann ich
vielleicht jemand anderen für Sie kontaktieren?«
Verwirrt wandte ich mich an Red. »Aber
irgendjemand muss ihn angerufen haben.«
»Nein«, erwiderte die Frau, nachdem sie noch
einmal in ihren Akten nachgesehen hatte. »Wir haben es versucht,
aber die Auskunft konnte uns keine Nummer für ihn geben. Tut mir
leid.«
»Schon in Ordnung«, meldete sich Red zu Wort und
lächelte die Frau freundlich an. »Ich bin jedenfalls da, und das
ist ja das Einzige, was zählt. Am besten bringe ich die Lady jetzt
nach Hause.«
Die Blondine mit dem roten Jackett sah uns
stirnrunzelnd nach, während Red mir den Arm um die Schultern legte
und mich zum Ausgang führte. Sein Körper war dem meinen ganz nahe,
und so spürte ich die Kraft, die in ihm steckte.
Er half mir beim Einsteigen in seinen Pick-up
und ging dann um das Auto herum zur Fahrertür.
»Du stehst aber nicht unter Schock, oder?«,
fragte er, nachdem er sich neben mich gesetzt hatte.
»Eigentlich sollte ich es. Das waren
Verbrennungen dritten Grades.«
Red rückte auf der breiten Bank des Wagens näher
zu mir hin, legte die Hand unter mein Kinn und brachte mich so
dazu, ihn anzusehen.
»Ich weiß, dass sie das waren. Doch als sich
dieser Idiot die Verbrennungen angeschaut hat, waren sie bereits am
Verheilen.«
»Aber das ist doch nicht möglich.«
»Ich hätte die verbrannte Haut gerochen, wenn es
so starke Verbrennungen gewesen wären, wie du meinst. Du wirst
deine Hände für eine Weile nicht benutzen können, und der ganze
Heilungsprozess wird noch etwas länger dauern, aber Verbrennungen
dritten Grades sind das nicht mehr. Da kannst du ganz ruhig
sein.«
»Red, Verbrennungen heilen aber nicht so einfach
ab. Vor allem nicht so tiefe. Die verschwinden doch nicht von einer
Minute auf die andere.«
Red strich mit dem Daumen über mein Kinn. »Doch,
das
tun sie, wenn dir dein Mann eine Dosis von dem verpasst hat, was
er dir verpasst hat.«
Auf einmal begriff ich, warum Red in jener Nacht
nicht mit mir hatte schlafen wollen. Natürlich – er wusste es. Ich
sah ihn an. »Du hast es die ganze Zeit gewusst, nicht wahr? Du
weißt, dass er sich mit dem Lykanthropievirus angesteckt hat?« Red
nickte. »Aber er hat behauptet, dass ich ihn nicht bekommen kann.
Es muss angeblich die richtige genetische Disposition dafür
vorhanden sein, um sich damit anzustecken. Das hat Hunter
gesagt.«
Er lehnte seine Stirn gegen die meine. »Dann
musst du wohl eine solche Disposition haben.«
»Das verstehe ich nicht. In all den Filmen, die
ich gesehen habe, kann man den Virus immer nur von einem Werwolf in
Wolfsform bekommen.«
Red ließ den Motor an. »Das stimmt auch... mehr
oder weniger.«
»Aber Hunter hat sich nie... ich habe nie
gesehen, wie er sich in einen Wolf verwandelt hat, und gebissen hat
er mich auch nicht.«
Red sah so aus, als wäre ihm die Unterhaltung
allmählich ein wenig unangenehm. »Nun«, sagte er und schaltete die
Scheinwerfer an. »Es muss keine Übertragung durch Blut gewesen
sein. Und wenn du eines Nachts vielleicht müde... oder etwas
angeheitert warst...« Er beendete den Satz nicht, aber ich
verstand, worauf er hinauswollte.
Er meinte jene Nacht, in der ich zuerst Wein
getrunken und dann mit Red Gras geraucht hatte. Damals schien sich
Hunters Rücken unter meinen Händen zu verwandeln, und seine Haare
hatten sich seltsam rau angefühlt.
Ich zog die Knie hoch, schlang die Arme um
meinen
Oberkörper und wandte den Kopf in Richtung Fenster. »Bring mich
einfach nach Hause.«
Es war bereits dunkel. Die Scheinwerfer warfen
nur einen schwachen Lichtstrahl auf die Straße, aber Red schien den
Weg genau zu kennen. Mir fiel ein, dass ich ihn gar nicht gefragt
hatte, woher er eigentlich wusste, dass er ins Krankenhaus kommen
musste, und weshalb jemand mit einem Tierbeseitigungsservice keine
Telefonnummer hatte, die bei der Auskunft zu erfragen war. Doch
noch ehe ich meinen Mund öffnete, nickte ich ein. Als ich wieder
aufwachte, fühlte ich mich wie ein Kind, das von seinem Vater ins
Bett getragen wird. Red trug mich vorsichtig ins Haus.
Er ist wirklich stark, dachte ich, während er
mich langsam auf ein Bett legte und dabei rasch die Decke unter mir
fortzog.
»Ich leide unter Schlaflosigkeit. Weißt du noch?
Ich werde nicht einfach so einschlafen.«
Red schaltete das Licht aus. »Seit wann kannst
du eigentlich nicht mehr schlafen?«
Ich gähnte. »Schon seit einigen Jahren. Ich weiß
nicht, wann es angefangen hat.«
Die Matratze gab unter seinem Gewicht nach.
»Hilft irgendwas? Hypnose, Übungen, Massagen, Sex?«
»Nichts.«
»Vielleicht gehörst du ja zu den Menschen, die
eigentlich nachts auf sein sollten und besser während des Tages
schlafen.«
Ich lehnte mich zurück und stellte fest, dass
ich dabei meinen Kopf auf Reds Arm legte. Wie warm er sich
anfühlte. »Aber ich will jetzt schlafen. Ich weiß nur einfach, dass
es nicht klappen wird.«
»Mach es dir einfach bequem, und ich streichle
dir den Rücken.«
»Das funktioniert bestimmt auch nicht.«
Red strich über meine Beine, bis er zu meinem
Bauch kam. »Dreh dich um«, sagte er.
Ich tat ihm den Gefallen. Er zog mir das Kleid
zur gleichen Zeit über den Kopf, während er mich mit der Decke
zudeckte. Dann begann er auf meiner nackten Haut irgendwelche
Buchstaben nachzufahren.
»Das ist sinnlos, Red.«
»Still. Versuch einfach, dich zu entspannen.
Atme tief ein und aus, und entspann dich.«
Ich schloss die Augen und folgte den Spuren
seines Fingers, wie er fremde Buchstaben bis zum Rand meines Slips
nachzeichnete.
»Ich habe versucht, dich zu erreichen. Nach
dieser Sturmnacht«, sagte er.
»Ich weiß. Es tut mir leid, Red.« Ich holte tief
Luft und zwang mich, es auszusprechen. »Ich habe herausgefunden,
dass ich von Hunter schwanger bin.«
Red antwortete nicht. Aber seine Hand hielt für
einen Moment inne, ehe er fortfuhr, mich zu streicheln. Seine
Berührung hatte etwas Beruhigendes, und ich ertappte mich dabei zu
wünschen, dass seine Hand weiter nach unten wandern möge. Das
müssen die Hormone sein, dachte ich, nicht meine Schuld...
Nach einer Weile verließen wir das Zimmer und
fanden uns in einem Wald wieder. Red war auf einmal ein Wolf, der
vor mir herlief.
»Warte«, rief ich. »Nicht so schnell.« Aber er
roch ein Kaninchen oder etwas Ähnliches und sprang in großen Sätzen
davon. Als ich ihn einholte, war er von einem Stinktier besprüht
worden und hatte seinen Schweif zwischen die Hinterläufe
geklemmt.
»Du bist so was von dämlich, Red.«
»Jetzt wirst du nie mit mir schlafen«, erwiderte
er. Ich legte meinen Arm um ihn und dachte: Ach, zum Teufel mit
meinen Vorsätzen! Zumindest hüpft er nicht von einem Bett ins
andere – so wie Hunter.