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Eines war klar:
Magdalena Ionescu gehörte nicht zu dem Typus Frau, den mein Mann
bisher bevorzugt hatte. Seine früheren Freundinnen waren hübsch
gewesen. Magda war das nicht. Magda gehörte eher zu jenen, die über
hübsche Frauen nur höhnisch lachen konnten, während man den eigenen
schlanken, geschmeidigen Körper im Spiegel bewunderte.
»Blutest du?«
Ich blickte in ihre dunklen mandelförmigen Augen
und wusste nicht, ob es besser war, zu lügen oder die Wahrheit zu
sagen.
»Auch egal. Setz dich. Ich untersuche dich. Ich
bin ausgebildete Sanitäterin.«
»Red auch. Es wär mir lieber, wenn du mich nicht
berührst.« Sie war gerade aus unserem Haus gekommen. Man brauchte
nur eins und eins zusammenzurechnen, um zu wissen, dass sie in
meinem Bett geschlafen hatte.
»Der kann nicht«, entgegnete sie und zeigte auf
Red. Er befand sich noch immer in seiner Wolfsgestalt, verletzt und
keuchend.
Ich sah Magda an. Ich wusste, dass die Maske
fallen würde, wenn ich sie jetzt abwies. Aber da ich noch nicht
bereit
war, sie in ihrer wahren Form zu erleben, willigte ich
notgedrungen ein. Ich setzte mich auf eine alte Holzbank, die auf
der Veranda stand, und erlaubte der Geliebten meines Mannes, sich
die Wunde an meinem Schenkel anzusehen. Meine Jeans war zerfetzt
und voller Blut. Magdas Nasenflügel bebten, als sie das Blut
roch.
»Falls du den Anblick von Blut nicht ertragen
kannst, bist du keine große Hilfe«, sagte ich kühl.
»Blut stört mich nicht. Weißt du, dass du bald
deine Periode bekommst? Nein, warte.« Wieder zitterten ihre
Nasenflügel, während ich Anstalten machte aufzustehen. »Es ist gar
nicht deine Menstruation. Du stehst vielmehr kurz vor einer
Verwandlung.« Sonderlich begeistert klang sie nicht. »Hunter, du
hast mir überhaupt nicht gesagt, dass deine Frau auch zu den
pricolici gehört«, rief sie meinem Mann
zu.
Der Unwolf namens Hunter gab einen grunzenden
Laut von sich, nicht unähnlich den unbestimmten Lauten, die er
manchmal auch in menschlicher Gestalt von sich gab. Einige Dinge
ändern sich also nicht mal bei Vollmond, dachte ich. Mir fiel auf,
dass sein Oberarm und sein Schenkel blutverschmiert waren. Ich
kümmerte mich jedoch nicht weiter darum.
Stattdessen musterte ich heimlich Magda. Sie war
größer als ich und schien schwerere Knochen zu haben. In dem
Rollkragenpulli kamen ihre vollen Brüste und ihre schmale Taille
gut zur Wirkung. Dazu trug sie einen schweren, breiten Ledergürtel,
dessen Schnalle beinahe mittelalterlich wirkte. Ein goldener Ring,
der eher nach einem Schlagring als nach einem Ehering aussah,
schmückte eine ihrer Hände. Die dunklen Haare waren jungenhaft
kurzgeschnitten und hatten eine weiße Strähne. Sie besaß jene Art
von geschwungenen
Lippen, die Männer dazu veranlassen können, ihre Unterhosen
zurechtzuziehen.
»Ich dachte, ihr seid nicht mehr zusammen«,
sagte sie zu mir und wandte sich dann erneut an Hunter. »Ich bin
nur deshalb gekommen, weil du gesagt hast...«
»Offenbar hat er uns beide betrogen«, stellte
ich lapidar fest.
Magdas Augen blieben ausdruckslos, als sie mich
ansah. »Du wirst für einige Stunden bluten. Man kann das Blut nicht
aufhalten, bis du deine Gestalt verändert hast. Vielleicht stirbst
du auch daran. Nicht jeder überlebt eine Metamorphose, weißt
du.«
»Offenbar hat man dir bei der
Sanitäterausbildung nicht beigebracht, wie man mit seinen Patienten
umgeht.« Ich markierte die Harte, aber in Wirklichkeit war mir so
schwindlig, dass ich mich für einen Moment an der Rücklehne der
Bank festhalten musste.
»Du solltest noch nicht aufstehen.« Sie streckte
die Hand aus, um mir zu helfen. Als sie mich berührte, lief es mir
eiskalt den Rücken hinunter. »Vielleicht möchtest du dich im Haus
ja frisch machen?« Sie warf einen Blick auf meine blurbefleckre
Jeans.
Wirklich eine reizende Gastgeberin. »Ich möchte
jetzt weg von hier.«
»So kannst du aber nicht fahren. Deine Hände
zittern. Außerdem habe ich nicht vor, dich umzubringen, wenn du das
befürchtest.« Sie lächelte eisig. »Wir sind doch alle zivilisierte
Menschen – oder etwa nicht?«
»Sind wir das?« Ich ging ohne ein weiteres Wort
ins Haus und verschwand dort im Badezimmer. Es war schwierig, mit
den bandagierten Händen die Jeans auszuziehen, aber
zumindest ging die Wunde, die mir Red zugefügt hatte, nicht so
tief wie befürchtet. Idealerweise hätte man sie zwar nähen müssen,
aber nun wusch ich sie eben und wickelte mir notdürftig einen
Verband darum. In meinem Schrank fand ich auch ein frisches Höschen
und zog dann eine lose Trainingshose an. Zumindest schienen meine
verbrannten Hände fast wieder ebenso brauchbar wie früher zu
sein.
Weniger erfreulich war allerdings die Tatsache,
dass Magdalenas Zahnbürste und ihr Make-up auf meinem Waschbecken
lagen.
Und ihr verdammter Wolfsgeruch hing eindeutig in
meinen Bettlaken.
Ich humpelte die Treppe hinunter und entdeckte
Red, der- wieder in menschlicher Gestalt – mit bleichem Gesicht
erschöpft auf dem Sofa in unserem Wohnzimmer hockte. Unter dem
rechten Auge hatte er einen tiefen Kratzer davongetragen, und an
seinem Hals zeigten sich Quetschungen. Er trug zwar eine Jeans,
sein Oberkörper aber war nackt. Gerade drückte er sich ein Kissen
mit roten Flecken an seine Rippen.
»Mein Gott, Red! Wie geht es dir?« Mir war nicht
klar gewesen, wie sehr er verletzt worden war.
Er lächelte gequält. »Geht schon wieder, Doc. Du
kannst deinem Mann gern sagen, dass dieser Kampf schon lange nicht
mehr darum geht, wer dich bekommt. Das sollte er sich ein für alle
Mal merken.«
Ich drehte mich zu Hunter um, der ebenfalls
mitgenommen aussah. Er konnte sich kaum mehr auf den Beinen halten.
Seine Augen glühten gelb, sein Haaransatz reichte weiterhin fast
bis zu seinen Augenbrauen. Er hatte sich die
Jeans und das T-Shirt wieder angezogen. Die Kleidungsstücke
hemmten die Verwandlung, wie mir jetzt klargeworden war.
»Du kannst nicht mit ihm gehen«, sagte er zu
mir. »Nicht, wenn du mein Kind in dir trägst.«
»Hunter«, erwiderte ich. »Hast du vorhin nicht
zugehört? Ich bin nicht schwanger.«
Magda sah Hunter scharf an. »Sie ist es wirklich
nicht, Hunter. Benutz deine Nase, falls du es nicht glaubst.«
»Und was hattest du vor, falls ich doch
schwanger gewesen wäre? Wolltest du mich im Gästezimmer
unterbringen, während du unser Bett mit dieser Frau hier teilst?
Oder hätten wir uns abwechseln dürfen?«
»Ich wäre niemals...«, begann die Rumänin, aber
Hunter versuchte sich schon auf mich zu stürzen. Seine verkrümmten
Beine machten es allerdings ziemlich schwierig für ihn, sich normal
zu bewegen.
»Ich bin nicht so vollkommen unsensibel, wie du
mich hier darstellst. Magda ist nach Northside gekommen, weil sie
sicherstellen wollte, dass ich mit den Veränderungen zurechtkomme.
Sie ist aber auch da, um dir zu
helfen.«
Ich stemmte die Arme in die Hüften. »Komisch,
dass sie erst jetzt auftaucht. Wo hast du sie denn die ganze Zeit
über versteckt? Bei Nachbarn? Oder etwa im Speicher? Und woher
hattest du die Energie – für sie und für Kayla? Kein Wunder, dass
du nichts mehr mit mir zu tun haben wollrest!«
»Sei nicht kindisch, Abs! Wenn Magda nicht da
gewesen wäre, hätte ich dir etwas angetan... Und ich dachte, du
wärst schwanger«, fuhr Hunter mit finsterer Stimme fort. »Ist dir
denn nichts aufgefallen? Keine Veränderungen?
Wie blind kann man eigentlich sein? Ich hätte dich in der Luft
zerfetzen können. Magda war da, um mich zurückzuhalten, wenn ich
mich nicht mehr unter Kontrolle hatte.«
Die Frau trat zu Hunter und legte ihm eine Hand
auf die Schulter. Mit einem Schlag wirkte er ruhiger. »Die erste
Zeit des Wandels ist von starken sexuellen Gefühlen bestimmt,
Abra.« Sie klang wie eine Lehrerin. Ihr Akzent kam mir trotz des
osteuropäischen Einschlags fast britisch vor. »Man kann in diesen
Monaten weder sanft noch beherrscht sein. Es ist eine Zeit des
Instinkts und der wilden Leidenschaft.«
»Aha. Soll ich dir auch noch dankbar dafür sein,
dass du mir die Bürde eines leidenschaftlichen Mannes abgenommen
hast? Leider sehe ich das Ganze etwas anders. Du warst es, die
meinen Mann angesteckt hat und mein Leben ruiniert...«
»Dein Freund hier versteht, was ich
meine.«
Wir drehten uns beide zu Red um, der peinlich
berührt woanders hinsah.
»Red?«, fragte ich überrascht.
Magda lächelte. »Er hat mir erlaubt, in seiner
Blockhütte zu wohnen. Da sie ganz in der Nähe ist, war das für
meine Besuche sehr praktisch.«
»Red?« Meine Knie wurden weich. Ich musste mich
dringend setzen.
Er versuchte aufzustehen, zuckte dann aber mit
schmerzverzerrtem Gesicht zusammen und ließ sich wieder aufs Sofa
fallen. »Doc, du musst das verstehen. Ich habe gewusst, was hier
vor sich geht. Ich habe gewusst, dass Hunter dich während einer
dieser verdammten Herr- und-Sklaven-Spiele
oder was auch immer ihr da gemacht habt, höchstwahrscheinlich
töten würde. Mir blieb keine andere Wahl.«
Woher konnte Red das mit dem Sklavenmädchenspiel
wissen? Ich blickte Hunter an. »Was geht hier eigentlich vor sich?
Kann mich endlich mal jemand aufklären?«
Er lächelte kalt, und ich sah seinen Vater vor
mir – hochmütig und sarkastisch. »Ach, komm schon, Abs. Du hast es
doch die ganze Zeit über gewusst. Müssen wir wirklich hier
herumsitzen und alles genau aufdröseln, als wären wir Darsteller
einer Seifenoper? Schätzchen, Red ist ein Therianthrop, und ich bin
es auch. Da hatte ich natürlich ein paar Fragen an ihn, und so
kamen wir ins Gespräch.«
Meine Augen schossen zwischen den beiden Männern
hin und her. »Okay... Bisher habe ich von Unwölfen, Werwölfen,
Metamorphen, Limmikin und Prico-wie-auchimmer gehört. Aber was zum
Teufel ist ein Therianthrop?«
»Pricolici ist ein rumänische Wort. Bei euch
sagt man zu so jemandem Unwolf oder Werwolf, wobei >Wer-< aus
dem Germanischen stammt und >Mann< heißt, weshalb ich mich
persönlich nie als Werwolf bezeichnen würde«, erklärte Magda. »Das
Wort Limmikin habe ich noch nicht gehört. In meinem Land nennen wir
so jemanden einen vârcolac, weil er Magie
gebraucht, um sich zu verwandeln. Und ein Therianthrop ist jedes
Wesen, das sich in eine Tiergestalt verwandeln kann. Wie ich
merke«, fügte sie hochmütig hinzu, »hast du offenbar keine
klassische Bildung genossen.«
»So etwas gehört garantiert nicht zu einer
klassischen Bildung«, empörte ich mich.
Sie sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
»Nun,
es hilft aber, wenn man die lateinischen und altgriechischen
Wurzeln versteht.«
Ich strich mir die Haare aus dem Gesicht. »Okay,
lassen wir den Vokabeltest und konzentrieren uns lieber auf die
Fakten. Hunter, du hast Red also von mir und unserem Sexualleben
erzählt? Um ihn um Rat zu bitten?«
»Und natürlich auch, um ihn zu quälen. Du
hättest ihn sehen sollen. Er war so unglücklich, als er hörte, wie
viel Spaß es dir macht, von mir festgehalten und derb behandelt zu
werden«, erklärte Hunter mit eisigem Blick. »Und als ich ihm dann
noch gesagt habe, dass ich nicht sicher bin, wie lange ich mich
zurückhalten kann, ehe ich echt grob werde, hat er vorgeschlagen,
dass ich doch besser Magda kontaktieren soll.«
In meinen Ohren begann es zu surren. »Wie
konntest du das vor mir verschweigen, Red?«
Es gelang ihm, sich mühsam zu erheben und auf
mich zuzukommen. »Ich hatte Angst, du würdest mir nicht glauben,
Doc.« Er versuchte mich in seine Arme zu ziehen, aber ich stieß ihn
fort.
»Lass mich in Ruhe! Es tut mir leid, Red, aber
ich bin wirklich nicht glücklich darüber, auf einmal erfahren zu
müssen, dass du offenbar alles Mögliche vor mir geheim gehalten
hast!«
Magda lachte spöttisch. »Einen Augenblick«, rief
sie, ohne weiter auf mich zu achten. »Ich glaube, ich habe doch
schon mal etwas über die Limmikin gehört. So weit ich weiß, hat mir
mein Vater erzählt...«
»Es ist ein Begriff der Mohawk«, unterbrach Red.
»Übersetzt bedeutet er Gestaltwandler.«
»Also auch ein Therianthrop«, sagte sie.
»Wirklich? Das
bedeutet Limmikin? Ich dachte immer, die amerikanischen Indianer
würden an Skinwalker glauben.«
»Das ist eine andere Tradition.«
»Aber du hast doch eine Wolfshaut in deiner
Blockhütte, nicht wahr?«
Red sah sie wütend an. Es war offensichtlich,
dass er die Wolfshaut versteckt hatte. »Die ist nicht magisch«,
erwiderte er mürrisch. »Ich brauche sie nicht, um mich zu
verwandeln. Es ist etwas Persönliches.«
»Trotzdem versteckst du sie und stellst sicher,
dass niemand an sie herankommt.«
Red warf Magda einen Blick zu, der mir deutlich
zeigte, dass er sie genauso wenig leiden konnte wie ich. »Ich bin
in der Lage, mich bewusst zu verwandeln«, sagte er. »Dazu benötige
ich weder eine Wolfshaut noch den Vollmond«, fügte er spitz
hinzu.
»Ehrlich?« Magda klang ernsthaft interessiert.
Ohne Vorwarnung zog sie ihren Pulli über den Kopf. Ihre üppigen
Brüste wirkten nicht mehr ganz fest. Sie stieg aus ihrem langen
Rock und stand dann nackt vor uns – eine fünfundvierzigjährige
Frau, muskulös und selbstbewusst. Lächelnd trat sie auf Red zu. Am
liebsten hätte ich ihr Einhalt geboten, doch irgendetwas hielt mich
zurück. Stattdessen sah ich halb fasziniert und halb angewidert zu,
wie sie sich neben ihn kniete und begann, langsam und ausführlich
seine Wunde zu lecken. Während sie leckte, zogen sich ihre
Brustspitzen zusammen. Ihre helle Haut rötete und verdunkelte sich.
Red legte den Kopf zurück. Er ließ ein tiefes Stöhnen hören, als
sie ihm die Jeans herunterzog. Ich trat einen Schritt zurück, als
auch Hunter hinter mir zu ächzen begann und ebenfalls seine Hose
auszog.
Als ich mich wieder Red zuwandte, hatte sich
dieser schon in einen Wolf verwandelt. Er war kleiner und röter als
das dunkle schlanke Weibchen mit den verblüffend blauen Augen, das
ihn weiterhin leckte. Sie war bis zu seinem Bauch vorgestoßen und
wanderte noch weiter nach unten. Dann zeigte sie ihm ihren Rücken
und hob ihren Schwanz. Hunter knurrte und verwandelte sich
ebenfalls in seine Wolfsgestalt. Er drängte sich zwischen Magda und
Red, bis sie ihre Nackenhaare aufstellte und ihm bedeutete: Bleib
auf deinem Platz.
Die Wölfin sah mich an, und ich verstand genau,
was sie mir mit ihrem Blick sagen wollte: »Ich bin hier das
Alphatier, ich gebe die Regeln vor. Ich werde mich mit beiden
Männchen paaren, und du kannst hilflos daneben stehen und
zuschauen, wie du deinen Mann verlierst und dann auch noch den
Mann, der dein Liebhaber geworden wäre.«
Red hatte mir eröffnet, dass auch ich den Virus
in mir trug. Er glaubte, dass ich mich vielleicht ebenfalls
verwandeln konnte. Aber würde ich tatsächlich dazu in der Lage
sein? Man musste die richtige genetische Zusammensetzung besitzen.
Hatte ich die passenden Gene, die richtige Mischung aus Magie und
Intuition?
Red wimmerte. Offenbar fühlte er sich hin und
her gerissen zwischen seinen animalischen Instinkten und etwas
anderem – etwas, das stark genug war, um ihn innehalten zu lassen.
Er zitterte vor Anstrengung, während ihm der brünstige Geruch des
Weibchens in die Nase stieg.
Hunter kannte keine solchen Bedenken. Er nutzte
die Gelegenheit, stürzte zwischen die beiden und packte das
Weibchen am Nacken, um es zu besteigen. Dann blickte er mich an. In
seinen Augen konnte ich noch immer etwas
Menschliches erkennen. Etwas, das es amüsant fand, wie ich da
stand und dem ganzen Treiben hilflos zusah.
Auf einmal fühlte ich mich nicht mehr hilflos,
sondern zog nun ebenfalls meine Kleider aus und wickelte die
Bandagen ab. Als ich völlig nackt war, überfiel mich auf einmal
eine große Unsicherheit. Absurderweise fragte ich mich, ob mein
Bauch herausstand. Ich zog ihn automatisch ein, wobei ein dumpfer
Schmerz durch mich hindurchschoss. Ich achtete nicht darauf.
Stattdessen schloss ich die Augen und versuchte, etwas in mir zu
erwecken: Zorn. Trauer. Eifersucht. Irgendwelche starken Gefühle,
die reichten, um Logik, Zivilisiertheit und aufrechtes Primatentum
hinwegfegen zu können.
Leider tobten zu viele Emotionen in meinem
Inneren, um mich vergessen zu lassen, was ich tat. Ich stand nackt
im Wohnzimmer von Hunters Familie, umgeben von den alten Möbeln der
Barrows. Dabei kam ich mir zugleich dämlich und lächerlich
vor.
In diesem Moment trat Red, der treue Red, zu mir
und fing an, meinen Handrücken zu lecken, ehe er mein Handgelenk in
sein Maul nahm und sanft daran zog. Er wollte mich offenbar zur Tür
führen.
»Nein, Red«, protestierte ich. »Ich will nicht
woanders hin.« Ich hatte keine Lust mehr, die Rolle des ewig braven
Mädchens zu spielen. Jetzt wollte ich zur Abwechslung auch einmal
zur beißwütigen Hündin werden. Doch dann zog er heftiger, so dass
mir nichts anderes übrig blieb, als ihm zu folgen. Knurrend und
fauchend schnappte er nach meinen Fingern und jagte mich nach
draußen.
Einen Augenblick lang genoss ich die frische
Luft im Garten. Dann wurde mir bewusst, dass ich splitterfasernackt
im
Mondlicht auf meiner Veranda stand. Ich hatte soeben alles an
Magda verloren – einschließlich meiner Kleidung. Red setzte sich
auf seine Hinterläufe und wedelte mit dem Schwanz, als hätte er
gerade etwas Großartiges vollbracht.
Enttäuscht und unglaublich wütend fuhr ich ihn
an. »Nein! Nein, verdammt nochmal! Du blöder räudiger... böser
Hund!« Ich jagte ihm hinterher, viel zu verärgert, um darüber
nachzudenken, was ich tat. Red sprang davon. Nie zuvor in meinem
Leben hatte ich einem Hund so sehr an die Gurgel gewollt. »Komm
hierher! Komm sofort hierher, du dämlicher Köter! Halt!
Hierher!«
Red verfiel in die altbewährte Hundetaktik, so
zu tun, als wäre alles eine Aufforderung zum Spielen. Er legte sich
mit den Vorderläufen auf den Boden und hob das Hinterteil in die
Luft. Sein Schwanz wedelte zuversichtlich.
»Nein, ich spiele jetzt nicht mit dir. Das ist
nicht lustig, Red...« Er sprang erneut vor mir davon, warf aber
immer wieder einen neckischen Blick nach hinten. Ich schaffte es,
ihn am Schwanz zu packen. Doch er entglitt mir wieder. Der Wolf gab
spielerische Knurrgeräusche von sich und schüttelte heftig den
Kopf, als würde er mit einem unsichtbaren Spielzeug kämpfen.
»Das... ist... kein... Spaß!«, brüllte ich und
zitterte vor Zorn. Erst nach einer Weile merkte ich, dass ich nicht
mehr aufhören konnte, am ganzen Körper zu zittern. Eine seltsame
Eiseskälte fuhr durch meine Glieder. Es fühlte sich beinahe wie die
Nachwirkungen einer starken Beruhigungsspritze an. Die ersten
Zuckungen kamen ganz unerwartet. Ich blieb abrupt stehen. Obwohl
meine Arme und Beine eigenartig betäubt waren, verspürte ich einen
unglaublich starken Schmerz. Es war viel schlimmer als der
schlimmste Krampf, den ich jemals während einer Periode erlebt
hatte. Ich sah Red an, der jetzt neben mir war und mich aus großen
Wolfsaugen besorgt betrachtete. Ich wollte etwas sagen, brachte
jedoch kein Wort mehr über die Lippen.
Der zweite Schub ließ den ersten wie eine fürs
Fernsehen gekürzte Version erscheinen. Ich sank auf die Knie und
stieß einen markerschütternden Schrei aus.
Der dritte gab mir das Gefühl, von innen nach
außen gestülpt zu werden. Dann folgten der vierte und der fünfte.
Jeder Gedanke in meinem Kopf erlosch. Ich gab auch keine Laute mehr
von mir, sondern konzentrierte mich auf das, was mit mir geschah.
Plötzlich schien etwas in meinem Inneren zu reißen, und ich war mir
sicher, diesen Anfall nicht zu überleben.
Doch nach einer Weile ließ der Schmerz nach.
Erschöpft öffnete ich die Augen. Irgendetwas stimmte mit meinem
Sehvermögen nicht. Alles wirkte auf einmal grau und verschwommen.
Ich versuchte aufzustehen, ehe ich merkte, dass sich mein Körper
nicht so verhielt, wie ich das von ihm gewöhnt war. Und dann
begriff ich, warum.
Ich war ein Wolf. Ich hatte mich in einen Wolf
verwandelt!
Magda jedoch, die gerade aus dem Haus trat,
schien ein deutlich größerer Wolf zu sein.