34
Eines war klar: Magdalena Ionescu gehörte nicht zu dem Typus Frau, den mein Mann bisher bevorzugt hatte. Seine früheren Freundinnen waren hübsch gewesen. Magda war das nicht. Magda gehörte eher zu jenen, die über hübsche Frauen nur höhnisch lachen konnten, während man den eigenen schlanken, geschmeidigen Körper im Spiegel bewunderte.
»Blutest du?«
Ich blickte in ihre dunklen mandelförmigen Augen und wusste nicht, ob es besser war, zu lügen oder die Wahrheit zu sagen.
»Auch egal. Setz dich. Ich untersuche dich. Ich bin ausgebildete Sanitäterin.«
»Red auch. Es wär mir lieber, wenn du mich nicht berührst.« Sie war gerade aus unserem Haus gekommen. Man brauchte nur eins und eins zusammenzurechnen, um zu wissen, dass sie in meinem Bett geschlafen hatte.
»Der kann nicht«, entgegnete sie und zeigte auf Red. Er befand sich noch immer in seiner Wolfsgestalt, verletzt und keuchend.
Ich sah Magda an. Ich wusste, dass die Maske fallen würde, wenn ich sie jetzt abwies. Aber da ich noch nicht bereit war, sie in ihrer wahren Form zu erleben, willigte ich notgedrungen ein. Ich setzte mich auf eine alte Holzbank, die auf der Veranda stand, und erlaubte der Geliebten meines Mannes, sich die Wunde an meinem Schenkel anzusehen. Meine Jeans war zerfetzt und voller Blut. Magdas Nasenflügel bebten, als sie das Blut roch.
»Falls du den Anblick von Blut nicht ertragen kannst, bist du keine große Hilfe«, sagte ich kühl.
»Blut stört mich nicht. Weißt du, dass du bald deine Periode bekommst? Nein, warte.« Wieder zitterten ihre Nasenflügel, während ich Anstalten machte aufzustehen. »Es ist gar nicht deine Menstruation. Du stehst vielmehr kurz vor einer Verwandlung.« Sonderlich begeistert klang sie nicht. »Hunter, du hast mir überhaupt nicht gesagt, dass deine Frau auch zu den pricolici gehört«, rief sie meinem Mann zu.
Der Unwolf namens Hunter gab einen grunzenden Laut von sich, nicht unähnlich den unbestimmten Lauten, die er manchmal auch in menschlicher Gestalt von sich gab. Einige Dinge ändern sich also nicht mal bei Vollmond, dachte ich. Mir fiel auf, dass sein Oberarm und sein Schenkel blutverschmiert waren. Ich kümmerte mich jedoch nicht weiter darum.
Stattdessen musterte ich heimlich Magda. Sie war größer als ich und schien schwerere Knochen zu haben. In dem Rollkragenpulli kamen ihre vollen Brüste und ihre schmale Taille gut zur Wirkung. Dazu trug sie einen schweren, breiten Ledergürtel, dessen Schnalle beinahe mittelalterlich wirkte. Ein goldener Ring, der eher nach einem Schlagring als nach einem Ehering aussah, schmückte eine ihrer Hände. Die dunklen Haare waren jungenhaft kurzgeschnitten und hatten eine weiße Strähne. Sie besaß jene Art von geschwungenen Lippen, die Männer dazu veranlassen können, ihre Unterhosen zurechtzuziehen.
»Ich dachte, ihr seid nicht mehr zusammen«, sagte sie zu mir und wandte sich dann erneut an Hunter. »Ich bin nur deshalb gekommen, weil du gesagt hast...«
»Offenbar hat er uns beide betrogen«, stellte ich lapidar fest.
Magdas Augen blieben ausdruckslos, als sie mich ansah. »Du wirst für einige Stunden bluten. Man kann das Blut nicht aufhalten, bis du deine Gestalt verändert hast. Vielleicht stirbst du auch daran. Nicht jeder überlebt eine Metamorphose, weißt du.«
»Offenbar hat man dir bei der Sanitäterausbildung nicht beigebracht, wie man mit seinen Patienten umgeht.« Ich markierte die Harte, aber in Wirklichkeit war mir so schwindlig, dass ich mich für einen Moment an der Rücklehne der Bank festhalten musste.
»Du solltest noch nicht aufstehen.« Sie streckte die Hand aus, um mir zu helfen. Als sie mich berührte, lief es mir eiskalt den Rücken hinunter. »Vielleicht möchtest du dich im Haus ja frisch machen?« Sie warf einen Blick auf meine blurbefleckre Jeans.
Wirklich eine reizende Gastgeberin. »Ich möchte jetzt weg von hier.«
»So kannst du aber nicht fahren. Deine Hände zittern. Außerdem habe ich nicht vor, dich umzubringen, wenn du das befürchtest.« Sie lächelte eisig. »Wir sind doch alle zivilisierte Menschen – oder etwa nicht?«
»Sind wir das?« Ich ging ohne ein weiteres Wort ins Haus und verschwand dort im Badezimmer. Es war schwierig, mit den bandagierten Händen die Jeans auszuziehen, aber zumindest ging die Wunde, die mir Red zugefügt hatte, nicht so tief wie befürchtet. Idealerweise hätte man sie zwar nähen müssen, aber nun wusch ich sie eben und wickelte mir notdürftig einen Verband darum. In meinem Schrank fand ich auch ein frisches Höschen und zog dann eine lose Trainingshose an. Zumindest schienen meine verbrannten Hände fast wieder ebenso brauchbar wie früher zu sein.
Weniger erfreulich war allerdings die Tatsache, dass Magdalenas Zahnbürste und ihr Make-up auf meinem Waschbecken lagen.
Und ihr verdammter Wolfsgeruch hing eindeutig in meinen Bettlaken.
 
Ich humpelte die Treppe hinunter und entdeckte Red, der- wieder in menschlicher Gestalt – mit bleichem Gesicht erschöpft auf dem Sofa in unserem Wohnzimmer hockte. Unter dem rechten Auge hatte er einen tiefen Kratzer davongetragen, und an seinem Hals zeigten sich Quetschungen. Er trug zwar eine Jeans, sein Oberkörper aber war nackt. Gerade drückte er sich ein Kissen mit roten Flecken an seine Rippen.
»Mein Gott, Red! Wie geht es dir?« Mir war nicht klar gewesen, wie sehr er verletzt worden war.
Er lächelte gequält. »Geht schon wieder, Doc. Du kannst deinem Mann gern sagen, dass dieser Kampf schon lange nicht mehr darum geht, wer dich bekommt. Das sollte er sich ein für alle Mal merken.«
Ich drehte mich zu Hunter um, der ebenfalls mitgenommen aussah. Er konnte sich kaum mehr auf den Beinen halten. Seine Augen glühten gelb, sein Haaransatz reichte weiterhin fast bis zu seinen Augenbrauen. Er hatte sich die Jeans und das T-Shirt wieder angezogen. Die Kleidungsstücke hemmten die Verwandlung, wie mir jetzt klargeworden war.
»Du kannst nicht mit ihm gehen«, sagte er zu mir. »Nicht, wenn du mein Kind in dir trägst.«
»Hunter«, erwiderte ich. »Hast du vorhin nicht zugehört? Ich bin nicht schwanger.«
Magda sah Hunter scharf an. »Sie ist es wirklich nicht, Hunter. Benutz deine Nase, falls du es nicht glaubst.«
»Und was hattest du vor, falls ich doch schwanger gewesen wäre? Wolltest du mich im Gästezimmer unterbringen, während du unser Bett mit dieser Frau hier teilst? Oder hätten wir uns abwechseln dürfen?«
»Ich wäre niemals...«, begann die Rumänin, aber Hunter versuchte sich schon auf mich zu stürzen. Seine verkrümmten Beine machten es allerdings ziemlich schwierig für ihn, sich normal zu bewegen.
»Ich bin nicht so vollkommen unsensibel, wie du mich hier darstellst. Magda ist nach Northside gekommen, weil sie sicherstellen wollte, dass ich mit den Veränderungen zurechtkomme. Sie ist aber auch da, um dir zu helfen.«
Ich stemmte die Arme in die Hüften. »Komisch, dass sie erst jetzt auftaucht. Wo hast du sie denn die ganze Zeit über versteckt? Bei Nachbarn? Oder etwa im Speicher? Und woher hattest du die Energie – für sie und für Kayla? Kein Wunder, dass du nichts mehr mit mir zu tun haben wollrest!«
»Sei nicht kindisch, Abs! Wenn Magda nicht da gewesen wäre, hätte ich dir etwas angetan... Und ich dachte, du wärst schwanger«, fuhr Hunter mit finsterer Stimme fort. »Ist dir denn nichts aufgefallen? Keine Veränderungen? Wie blind kann man eigentlich sein? Ich hätte dich in der Luft zerfetzen können. Magda war da, um mich zurückzuhalten, wenn ich mich nicht mehr unter Kontrolle hatte.«
Die Frau trat zu Hunter und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Mit einem Schlag wirkte er ruhiger. »Die erste Zeit des Wandels ist von starken sexuellen Gefühlen bestimmt, Abra.« Sie klang wie eine Lehrerin. Ihr Akzent kam mir trotz des osteuropäischen Einschlags fast britisch vor. »Man kann in diesen Monaten weder sanft noch beherrscht sein. Es ist eine Zeit des Instinkts und der wilden Leidenschaft.«
»Aha. Soll ich dir auch noch dankbar dafür sein, dass du mir die Bürde eines leidenschaftlichen Mannes abgenommen hast? Leider sehe ich das Ganze etwas anders. Du warst es, die meinen Mann angesteckt hat und mein Leben ruiniert...«
»Dein Freund hier versteht, was ich meine.«
Wir drehten uns beide zu Red um, der peinlich berührt woanders hinsah.
»Red?«, fragte ich überrascht.
Magda lächelte. »Er hat mir erlaubt, in seiner Blockhütte zu wohnen. Da sie ganz in der Nähe ist, war das für meine Besuche sehr praktisch.«
»Red?« Meine Knie wurden weich. Ich musste mich dringend setzen.
Er versuchte aufzustehen, zuckte dann aber mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammen und ließ sich wieder aufs Sofa fallen. »Doc, du musst das verstehen. Ich habe gewusst, was hier vor sich geht. Ich habe gewusst, dass Hunter dich während einer dieser verdammten Herr- und-Sklaven-Spiele oder was auch immer ihr da gemacht habt, höchstwahrscheinlich töten würde. Mir blieb keine andere Wahl.«
Woher konnte Red das mit dem Sklavenmädchenspiel wissen? Ich blickte Hunter an. »Was geht hier eigentlich vor sich? Kann mich endlich mal jemand aufklären?«
Er lächelte kalt, und ich sah seinen Vater vor mir – hochmütig und sarkastisch. »Ach, komm schon, Abs. Du hast es doch die ganze Zeit über gewusst. Müssen wir wirklich hier herumsitzen und alles genau aufdröseln, als wären wir Darsteller einer Seifenoper? Schätzchen, Red ist ein Therianthrop, und ich bin es auch. Da hatte ich natürlich ein paar Fragen an ihn, und so kamen wir ins Gespräch.«
Meine Augen schossen zwischen den beiden Männern hin und her. »Okay... Bisher habe ich von Unwölfen, Werwölfen, Metamorphen, Limmikin und Prico-wie-auchimmer gehört. Aber was zum Teufel ist ein Therianthrop?«
»Pricolici ist ein rumänische Wort. Bei euch sagt man zu so jemandem Unwolf oder Werwolf, wobei >Wer-< aus dem Germanischen stammt und >Mann< heißt, weshalb ich mich persönlich nie als Werwolf bezeichnen würde«, erklärte Magda. »Das Wort Limmikin habe ich noch nicht gehört. In meinem Land nennen wir so jemanden einen vârcolac, weil er Magie gebraucht, um sich zu verwandeln. Und ein Therianthrop ist jedes Wesen, das sich in eine Tiergestalt verwandeln kann. Wie ich merke«, fügte sie hochmütig hinzu, »hast du offenbar keine klassische Bildung genossen.«
»So etwas gehört garantiert nicht zu einer klassischen Bildung«, empörte ich mich.
Sie sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Nun, es hilft aber, wenn man die lateinischen und altgriechischen Wurzeln versteht.«
Ich strich mir die Haare aus dem Gesicht. »Okay, lassen wir den Vokabeltest und konzentrieren uns lieber auf die Fakten. Hunter, du hast Red also von mir und unserem Sexualleben erzählt? Um ihn um Rat zu bitten?«
»Und natürlich auch, um ihn zu quälen. Du hättest ihn sehen sollen. Er war so unglücklich, als er hörte, wie viel Spaß es dir macht, von mir festgehalten und derb behandelt zu werden«, erklärte Hunter mit eisigem Blick. »Und als ich ihm dann noch gesagt habe, dass ich nicht sicher bin, wie lange ich mich zurückhalten kann, ehe ich echt grob werde, hat er vorgeschlagen, dass ich doch besser Magda kontaktieren soll.«
In meinen Ohren begann es zu surren. »Wie konntest du das vor mir verschweigen, Red?«
Es gelang ihm, sich mühsam zu erheben und auf mich zuzukommen. »Ich hatte Angst, du würdest mir nicht glauben, Doc.« Er versuchte mich in seine Arme zu ziehen, aber ich stieß ihn fort.
»Lass mich in Ruhe! Es tut mir leid, Red, aber ich bin wirklich nicht glücklich darüber, auf einmal erfahren zu müssen, dass du offenbar alles Mögliche vor mir geheim gehalten hast!«
Magda lachte spöttisch. »Einen Augenblick«, rief sie, ohne weiter auf mich zu achten. »Ich glaube, ich habe doch schon mal etwas über die Limmikin gehört. So weit ich weiß, hat mir mein Vater erzählt...«
»Es ist ein Begriff der Mohawk«, unterbrach Red. »Übersetzt bedeutet er Gestaltwandler.«
»Also auch ein Therianthrop«, sagte sie. »Wirklich? Das bedeutet Limmikin? Ich dachte immer, die amerikanischen Indianer würden an Skinwalker glauben.«
»Das ist eine andere Tradition.«
»Aber du hast doch eine Wolfshaut in deiner Blockhütte, nicht wahr?«
Red sah sie wütend an. Es war offensichtlich, dass er die Wolfshaut versteckt hatte. »Die ist nicht magisch«, erwiderte er mürrisch. »Ich brauche sie nicht, um mich zu verwandeln. Es ist etwas Persönliches.«
»Trotzdem versteckst du sie und stellst sicher, dass niemand an sie herankommt.«
Red warf Magda einen Blick zu, der mir deutlich zeigte, dass er sie genauso wenig leiden konnte wie ich. »Ich bin in der Lage, mich bewusst zu verwandeln«, sagte er. »Dazu benötige ich weder eine Wolfshaut noch den Vollmond«, fügte er spitz hinzu.
»Ehrlich?« Magda klang ernsthaft interessiert. Ohne Vorwarnung zog sie ihren Pulli über den Kopf. Ihre üppigen Brüste wirkten nicht mehr ganz fest. Sie stieg aus ihrem langen Rock und stand dann nackt vor uns – eine fünfundvierzigjährige Frau, muskulös und selbstbewusst. Lächelnd trat sie auf Red zu. Am liebsten hätte ich ihr Einhalt geboten, doch irgendetwas hielt mich zurück. Stattdessen sah ich halb fasziniert und halb angewidert zu, wie sie sich neben ihn kniete und begann, langsam und ausführlich seine Wunde zu lecken. Während sie leckte, zogen sich ihre Brustspitzen zusammen. Ihre helle Haut rötete und verdunkelte sich. Red legte den Kopf zurück. Er ließ ein tiefes Stöhnen hören, als sie ihm die Jeans herunterzog. Ich trat einen Schritt zurück, als auch Hunter hinter mir zu ächzen begann und ebenfalls seine Hose auszog.
Als ich mich wieder Red zuwandte, hatte sich dieser schon in einen Wolf verwandelt. Er war kleiner und röter als das dunkle schlanke Weibchen mit den verblüffend blauen Augen, das ihn weiterhin leckte. Sie war bis zu seinem Bauch vorgestoßen und wanderte noch weiter nach unten. Dann zeigte sie ihm ihren Rücken und hob ihren Schwanz. Hunter knurrte und verwandelte sich ebenfalls in seine Wolfsgestalt. Er drängte sich zwischen Magda und Red, bis sie ihre Nackenhaare aufstellte und ihm bedeutete: Bleib auf deinem Platz.
Die Wölfin sah mich an, und ich verstand genau, was sie mir mit ihrem Blick sagen wollte: »Ich bin hier das Alphatier, ich gebe die Regeln vor. Ich werde mich mit beiden Männchen paaren, und du kannst hilflos daneben stehen und zuschauen, wie du deinen Mann verlierst und dann auch noch den Mann, der dein Liebhaber geworden wäre.«
Red hatte mir eröffnet, dass auch ich den Virus in mir trug. Er glaubte, dass ich mich vielleicht ebenfalls verwandeln konnte. Aber würde ich tatsächlich dazu in der Lage sein? Man musste die richtige genetische Zusammensetzung besitzen. Hatte ich die passenden Gene, die richtige Mischung aus Magie und Intuition?
Red wimmerte. Offenbar fühlte er sich hin und her gerissen zwischen seinen animalischen Instinkten und etwas anderem – etwas, das stark genug war, um ihn innehalten zu lassen. Er zitterte vor Anstrengung, während ihm der brünstige Geruch des Weibchens in die Nase stieg.
Hunter kannte keine solchen Bedenken. Er nutzte die Gelegenheit, stürzte zwischen die beiden und packte das Weibchen am Nacken, um es zu besteigen. Dann blickte er mich an. In seinen Augen konnte ich noch immer etwas Menschliches erkennen. Etwas, das es amüsant fand, wie ich da stand und dem ganzen Treiben hilflos zusah.
Auf einmal fühlte ich mich nicht mehr hilflos, sondern zog nun ebenfalls meine Kleider aus und wickelte die Bandagen ab. Als ich völlig nackt war, überfiel mich auf einmal eine große Unsicherheit. Absurderweise fragte ich mich, ob mein Bauch herausstand. Ich zog ihn automatisch ein, wobei ein dumpfer Schmerz durch mich hindurchschoss. Ich achtete nicht darauf. Stattdessen schloss ich die Augen und versuchte, etwas in mir zu erwecken: Zorn. Trauer. Eifersucht. Irgendwelche starken Gefühle, die reichten, um Logik, Zivilisiertheit und aufrechtes Primatentum hinwegfegen zu können.
Leider tobten zu viele Emotionen in meinem Inneren, um mich vergessen zu lassen, was ich tat. Ich stand nackt im Wohnzimmer von Hunters Familie, umgeben von den alten Möbeln der Barrows. Dabei kam ich mir zugleich dämlich und lächerlich vor.
In diesem Moment trat Red, der treue Red, zu mir und fing an, meinen Handrücken zu lecken, ehe er mein Handgelenk in sein Maul nahm und sanft daran zog. Er wollte mich offenbar zur Tür führen.
»Nein, Red«, protestierte ich. »Ich will nicht woanders hin.« Ich hatte keine Lust mehr, die Rolle des ewig braven Mädchens zu spielen. Jetzt wollte ich zur Abwechslung auch einmal zur beißwütigen Hündin werden. Doch dann zog er heftiger, so dass mir nichts anderes übrig blieb, als ihm zu folgen. Knurrend und fauchend schnappte er nach meinen Fingern und jagte mich nach draußen.
Einen Augenblick lang genoss ich die frische Luft im Garten. Dann wurde mir bewusst, dass ich splitterfasernackt im Mondlicht auf meiner Veranda stand. Ich hatte soeben alles an Magda verloren – einschließlich meiner Kleidung. Red setzte sich auf seine Hinterläufe und wedelte mit dem Schwanz, als hätte er gerade etwas Großartiges vollbracht.
Enttäuscht und unglaublich wütend fuhr ich ihn an. »Nein! Nein, verdammt nochmal! Du blöder räudiger... böser Hund!« Ich jagte ihm hinterher, viel zu verärgert, um darüber nachzudenken, was ich tat. Red sprang davon. Nie zuvor in meinem Leben hatte ich einem Hund so sehr an die Gurgel gewollt. »Komm hierher! Komm sofort hierher, du dämlicher Köter! Halt! Hierher!«
Red verfiel in die altbewährte Hundetaktik, so zu tun, als wäre alles eine Aufforderung zum Spielen. Er legte sich mit den Vorderläufen auf den Boden und hob das Hinterteil in die Luft. Sein Schwanz wedelte zuversichtlich.
»Nein, ich spiele jetzt nicht mit dir. Das ist nicht lustig, Red...« Er sprang erneut vor mir davon, warf aber immer wieder einen neckischen Blick nach hinten. Ich schaffte es, ihn am Schwanz zu packen. Doch er entglitt mir wieder. Der Wolf gab spielerische Knurrgeräusche von sich und schüttelte heftig den Kopf, als würde er mit einem unsichtbaren Spielzeug kämpfen.
»Das... ist... kein... Spaß!«, brüllte ich und zitterte vor Zorn. Erst nach einer Weile merkte ich, dass ich nicht mehr aufhören konnte, am ganzen Körper zu zittern. Eine seltsame Eiseskälte fuhr durch meine Glieder. Es fühlte sich beinahe wie die Nachwirkungen einer starken Beruhigungsspritze an. Die ersten Zuckungen kamen ganz unerwartet. Ich blieb abrupt stehen. Obwohl meine Arme und Beine eigenartig betäubt waren, verspürte ich einen unglaublich starken Schmerz. Es war viel schlimmer als der schlimmste Krampf, den ich jemals während einer Periode erlebt hatte. Ich sah Red an, der jetzt neben mir war und mich aus großen Wolfsaugen besorgt betrachtete. Ich wollte etwas sagen, brachte jedoch kein Wort mehr über die Lippen.
Der zweite Schub ließ den ersten wie eine fürs Fernsehen gekürzte Version erscheinen. Ich sank auf die Knie und stieß einen markerschütternden Schrei aus.
Der dritte gab mir das Gefühl, von innen nach außen gestülpt zu werden. Dann folgten der vierte und der fünfte. Jeder Gedanke in meinem Kopf erlosch. Ich gab auch keine Laute mehr von mir, sondern konzentrierte mich auf das, was mit mir geschah. Plötzlich schien etwas in meinem Inneren zu reißen, und ich war mir sicher, diesen Anfall nicht zu überleben.
Doch nach einer Weile ließ der Schmerz nach. Erschöpft öffnete ich die Augen. Irgendetwas stimmte mit meinem Sehvermögen nicht. Alles wirkte auf einmal grau und verschwommen. Ich versuchte aufzustehen, ehe ich merkte, dass sich mein Körper nicht so verhielt, wie ich das von ihm gewöhnt war. Und dann begriff ich, warum.
Ich war ein Wolf. Ich hatte mich in einen Wolf verwandelt!
Magda jedoch, die gerade aus dem Haus trat, schien ein deutlich größerer Wolf zu sein.
Wolfstraeume Roman
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