19
Es wurde allmählich peinlich. Hunter unterbrach alle zwei Minuten unsere Unterhaltung und verschwand hinter einem Baum, um sich zu erleichtern.
»Und du meinst also, dass gleich hinter dieser Baumlinie die Grenze verläuft? Einen Moment.« Hunters Hand war bereits an seinem Reißverschluss.
»Hunter«, zischte ich. »Das ist jetzt schon das dritte Mal. Kannst du nicht warten?«
Er wandte mir bereits den Rücken zu. »Muss wohl der ganze Kaffee gewesen sein, den ich heute getrunken habe«, sagte er und verschwand hinter einer Tanne. »Sorry, Leute.« Hinter ihm ging der Wald in ein Tal voller Kornfelder über, während sich auf der anderen Seite lavendelblau die Catskill Mountains erhoben.
»Hunter«, sagte ich erneut und kam mir dabei wie eine pikierte alte Jungfer vor. Mein Mann kehrte wieder zu uns zurück.
Er sah Jackie an. »Das ist dir doch nicht etwa peinlich – oder, Jackie?«, fragte er. Wir waren inzwischen zum Du übergegangen.
»So lange es nicht meine Rosen sind, kannst du tun und lassen, was du willst.«
Hunter strahlte sie jungenhaft an, ganz der geübte Charmeur.
»Wenn ihr nichts dagegen habt, muss ich mich auch mal kurz verdrücken«, verkündete Red und lief zu mehr oder weniger derselben Stelle, an der sich Hunter eben gerade erst erleichtert hatte. Ich fragte mich, was er da wollte. jackie warf mir einen Blick zu.
»Männer«, sagte sie mit einem Seufzer und schüttelte den Kopf.
»Müssen anscheinend immer ihr Territorium markieren«, erwiderte ich.
»He«, mischte sich Hunter ein. »Schließlich pinkle ich nicht auf fremden Rasen. Ein Mann hat ja wohl das Recht, auf sein eigenes Land zu pinkeln.«
Jackie und ich lachten.
Red tauchte hinter dem Baum wieder auf. »Was gibt es denn so Lustiges?«
Jackie zündete sich eine Zigarette an. »Ihr beide verhaltet euch wie Hunde.«
»Dann habe ich zumindest gewonnen. Der letzte Hund, der einen Baum markiert, ist der Sieger«, verkündete Red breit grinsend.
Hunter trat zu ihm und packte ihn an der Schulter. Er war einen guten Kopf größer als der Texaner. »Versuch dieses Gesetz der Natur mal den Leuten vom Grundbuchamt zu verklickern.«
Red legte den Kopf zurück, um dem jüngeren Mann besser in die Augen sehen zu können. »Vielleicht beiße ich die auch einfach.«
»Man sollte sein Schicksal nicht immer herausfordern«, entgegnete Hunter.
»Das Schicksal macht sowieso, was es will. Darum sollte man sich nicht kümmern.«
»Merkst du, Abra?«, fragte Jackie und schnippte ihre Asche weg. »Noch ein Pinkelwettbewerb – diesmal im Klopfen hohler Sprüche.«
»Kommt schon, Leute. Gehen wir weiter, ehe es ganz dunkel wird«, forderte ich die anderen auf.
Wir liefen also weiter. In der Abendluft surrten und schwirrten unzählige Insekten. Langsam ging die Sonne unter. Je tiefer wir in den Wald vordrangen und uns in Richtung von Reds Blockhütte bewegten, desto länger wurden die Schatten um uns herum.
»Ich werde hier bei lebendigem Leib aufgefressen«, beschwerte ich mich und scheuchte zum x-ten Mal die Stechmücken fort.
»Du solltest auch eine Zigarette rauchen«, schlug Jackie vor.
»Mögen Mücken keinen Zigarettenrauch?« In New York erfuhr man solche Dinge nie.
»Hasch mögen sie jedenfalls.« Red grinste, seine weißen Zähne blitzten kurz auf.
»Ich bin hier als Kind öfter spazieren gegangen«, erzählte Hunter. »Und ich bin mir sicher, dass das alles zu unserem Land gehört.«
»Still.« Red blieb plötzlich stehen. »Rehe.«
Im abendlichen Zwielicht konnte ich nichts erkennen. »Wo sollen...«
Etwas oberhalb konnte man das leichte Knacken von Geäst hören, als die Tiere verschwanden.
»Wow, toll«, murmelte ich. »Wie viele waren das genau?«
»Drei.«
Ich wandte mich Hunter zu, dessen Blick auf etwas gerichtet war, das ich nicht sehen konnte. »Das ist ja toll. Hast du die Rehe auch gesehen?«
»Genau so etwas hat mir Magdalena beigebracht. Fährten aufnehmen.«
»Was war es genau? Konntest du das auch ausmachen?«, hakte ich nach.
Ich beobachtete, wie Hunter an Red vorbeiblickte und überlegte. »Zwei Ricken und ein Kitz?«
»Ausgezeichnet.« Red klang beeindruckt. »Du musst eine gute Lehrerin gehabt haben.«
Wir gingen schweigend weiter, bis ich über einen Stein stolperte. Hinter uns ging die Sonne weiter unter. Es wurde allmählich richtig dunkel. »Ich kann kaum mehr etwas sehen«, sagte ich.
Hinter uns raschelten Blätter, dann drehten sich die beiden Männer blitzschnell um.
»Ein Waschbär«, erklärte Hunter.
»Ein Fuchs«, verbesserte ihn Red.
»Jetzt reicht es mir aber.« Jackie lief den Hügel hinunter, kam kurz ins Stolpern, lief dann aber weiter. »Verdammt«, fluchte sie, als sie auf etwas ausrutschte und doch noch hinfiel.
»Du solltest ihr lieber hinterhergehen«, sagte ich zu Red, der vorzuhaben schien, mit Hunter weiterzulaufen und Jackie ihrem Schicksal zu überlassen.
Er sah mich an. »Du hast Recht.« Er eilte hinter ihr her und hatte sie in vier großen Sätzen erreicht. Ich beobachtete, wie sich die Schatten der beiden berührten. Vermutlich nahm er sie fürsorglich an der Hand. Kurz darauf standen sie jedenfalls wieder neben uns.
Auch ich kam immer wieder ins Stolpern, während wir durch den dunkler werdenden Wald liefen, auch wenn jackie wesentlich öfter als ich das Gleichgewicht zu verlieren schien. Im Gegensatz zu Red machte sich Hunter allerdings nicht die Mühe, mir wieder aufzuhelfen oder mir etwa hilfreich unter die Arme zu fassen.
Im Gegensatz zu mir schien er genau zu wissen, wo er seinen Fuß hinsetzen musste, um nicht zu stürzen. Nach kurzer Zeit gaben wir es auf, Reds Hütte noch an diesem Abend zu besuchen, und machten uns wieder auf den Heimweg. Mein Mann ließ mich jedoch mit unseren Gästen allein und verschwand ohne ein weiteres Wort im Wald.
Wolfstraeume Roman
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