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Es wurde allmählich
peinlich. Hunter unterbrach alle zwei Minuten unsere Unterhaltung
und verschwand hinter einem Baum, um sich zu erleichtern.
»Und du meinst also, dass gleich hinter dieser
Baumlinie die Grenze verläuft? Einen Moment.« Hunters Hand war
bereits an seinem Reißverschluss.
»Hunter«, zischte ich. »Das ist jetzt schon das
dritte Mal. Kannst du nicht warten?«
Er wandte mir bereits den Rücken zu. »Muss wohl
der ganze Kaffee gewesen sein, den ich heute getrunken habe«, sagte
er und verschwand hinter einer Tanne. »Sorry, Leute.« Hinter ihm
ging der Wald in ein Tal voller Kornfelder über, während sich auf
der anderen Seite lavendelblau die Catskill Mountains
erhoben.
»Hunter«, sagte ich erneut und kam mir dabei wie
eine pikierte alte Jungfer vor. Mein Mann kehrte wieder zu uns
zurück.
Er sah Jackie an. »Das ist dir doch nicht etwa
peinlich – oder, Jackie?«, fragte er. Wir waren inzwischen zum Du
übergegangen.
»So lange es nicht meine Rosen sind, kannst du
tun und lassen, was du willst.«
Hunter strahlte sie jungenhaft an, ganz der
geübte Charmeur.
»Wenn ihr nichts dagegen habt, muss ich mich
auch mal kurz verdrücken«, verkündete Red und lief zu mehr oder
weniger derselben Stelle, an der sich Hunter eben gerade erst
erleichtert hatte. Ich fragte mich, was er da wollte. jackie warf
mir einen Blick zu.
»Männer«, sagte sie mit einem Seufzer und
schüttelte den Kopf.
»Müssen anscheinend immer ihr Territorium
markieren«, erwiderte ich.
»He«, mischte sich Hunter ein. »Schließlich
pinkle ich nicht auf fremden Rasen. Ein Mann hat ja wohl das Recht,
auf sein eigenes Land zu pinkeln.«
Jackie und ich lachten.
Red tauchte hinter dem Baum wieder auf. »Was
gibt es denn so Lustiges?«
Jackie zündete sich eine Zigarette an. »Ihr
beide verhaltet euch wie Hunde.«
»Dann habe ich zumindest gewonnen. Der letzte
Hund, der einen Baum markiert, ist der Sieger«, verkündete Red
breit grinsend.
Hunter trat zu ihm und packte ihn an der
Schulter. Er war einen guten Kopf größer als der Texaner. »Versuch
dieses Gesetz der Natur mal den Leuten vom Grundbuchamt zu
verklickern.«
Red legte den Kopf zurück, um dem jüngeren Mann
besser in die Augen sehen zu können. »Vielleicht beiße ich die auch
einfach.«
»Man sollte sein Schicksal nicht immer
herausfordern«, entgegnete Hunter.
»Das Schicksal macht sowieso, was es will. Darum
sollte man sich nicht kümmern.«
»Merkst du, Abra?«, fragte Jackie und schnippte
ihre Asche weg. »Noch ein Pinkelwettbewerb – diesmal im Klopfen
hohler Sprüche.«
»Kommt schon, Leute. Gehen wir weiter, ehe es
ganz dunkel wird«, forderte ich die anderen auf.
Wir liefen also weiter. In der Abendluft surrten
und schwirrten unzählige Insekten. Langsam ging die Sonne unter. Je
tiefer wir in den Wald vordrangen und uns in Richtung von Reds
Blockhütte bewegten, desto länger wurden die Schatten um uns
herum.
»Ich werde hier bei lebendigem Leib
aufgefressen«, beschwerte ich mich und scheuchte zum x-ten Mal die
Stechmücken fort.
»Du solltest auch eine Zigarette rauchen«,
schlug Jackie vor.
»Mögen Mücken keinen Zigarettenrauch?« In New
York erfuhr man solche Dinge nie.
»Hasch mögen sie jedenfalls.« Red grinste, seine
weißen Zähne blitzten kurz auf.
»Ich bin hier als Kind öfter spazieren
gegangen«, erzählte Hunter. »Und ich bin mir sicher, dass das alles
zu unserem Land gehört.«
»Still.« Red blieb plötzlich stehen.
»Rehe.«
Im abendlichen Zwielicht konnte ich nichts
erkennen. »Wo sollen...«
Etwas oberhalb konnte man das leichte Knacken
von Geäst hören, als die Tiere verschwanden.
»Wow, toll«, murmelte ich. »Wie viele waren das
genau?«
»Drei.«
Ich wandte mich Hunter zu, dessen Blick auf
etwas gerichtet war, das ich nicht sehen konnte. »Das ist ja toll.
Hast du die Rehe auch gesehen?«
»Genau so etwas hat mir Magdalena beigebracht.
Fährten aufnehmen.«
»Was war es genau? Konntest du das auch
ausmachen?«, hakte ich nach.
Ich beobachtete, wie Hunter an Red vorbeiblickte
und überlegte. »Zwei Ricken und ein Kitz?«
»Ausgezeichnet.« Red klang beeindruckt. »Du
musst eine gute Lehrerin gehabt haben.«
Wir gingen schweigend weiter, bis ich über einen
Stein stolperte. Hinter uns ging die Sonne weiter unter. Es wurde
allmählich richtig dunkel. »Ich kann kaum mehr etwas sehen«, sagte
ich.
Hinter uns raschelten Blätter, dann drehten sich
die beiden Männer blitzschnell um.
»Ein Waschbär«, erklärte Hunter.
»Ein Fuchs«, verbesserte ihn Red.
»Jetzt reicht es mir aber.« Jackie lief den
Hügel hinunter, kam kurz ins Stolpern, lief dann aber weiter.
»Verdammt«, fluchte sie, als sie auf etwas ausrutschte und doch
noch hinfiel.
»Du solltest ihr lieber hinterhergehen«, sagte
ich zu Red, der vorzuhaben schien, mit Hunter weiterzulaufen und
Jackie ihrem Schicksal zu überlassen.
Er sah mich an. »Du hast Recht.« Er eilte hinter
ihr her und hatte sie in vier großen Sätzen erreicht. Ich
beobachtete, wie sich die Schatten der beiden berührten. Vermutlich
nahm er sie fürsorglich an der Hand. Kurz darauf standen sie
jedenfalls wieder neben uns.
Auch ich kam immer wieder ins Stolpern, während
wir durch den dunkler werdenden Wald liefen, auch wenn jackie
wesentlich öfter als ich das Gleichgewicht zu verlieren schien. Im
Gegensatz zu Red machte sich Hunter allerdings nicht die Mühe, mir
wieder aufzuhelfen oder mir etwa hilfreich unter die Arme zu
fassen.
Im Gegensatz zu mir schien er genau zu wissen,
wo er seinen Fuß hinsetzen musste, um nicht zu stürzen. Nach kurzer
Zeit gaben wir es auf, Reds Hütte noch an diesem Abend zu besuchen,
und machten uns wieder auf den Heimweg. Mein Mann ließ mich jedoch
mit unseren Gästen allein und verschwand ohne ein weiteres Wort im
Wald.