32
»Es ist also so. Du bist kein Hund. Und auch kein Wolf oder ein Kojote oder etwas Ähnliches.«
Wir lagen auf dem Bett, mein Kopf befand sich auf Reds Brust, ein Bein auf seiner Hüfte. Wir waren zwar noch keine Liebhaber im üblichen Sinn, aber doch schon deutlich mehr als bloße Freunde.
»Nun... nein.« Gedankenverloren strich Red über meinen Rücken.
»Aber du hast doch gesagt, dass du dafür nur einen ekstatischen Zustand bräuchtest und...«
»Und dass ich nackt sein muss. Stimmt. Aber die Sache ist die, Liebling. Diesmal warst du in einem ekstatischen Zustand.«
Ich stützte mich mit einem Ellbogen auf Reds Brust ab. »Aber du hast doch gesagt...«
Er fing an, meine Armbeuge mit kleinen Küssen zu übersäen. »Ich liebe dich und bin zum Teil ein Wolf. Und jetzt will ich dich fressen.«
Ich zog meine Knie an und setzte mich auf. »Und warum bin ich dann kein Wolf, wenn ich mich mit dem Lykanthropie-Virus angesteckt habe?«
Nun war es an Red, sich mit dem Ellbogen abzustützen. »Weil der Virus erst seine Wirkung zeigt, wenn er sich in deinem Blut genügend angereichert hat. Wenn er denn überhaupt eine Wirkung zeigt. Bei manchen tut er das und bei anderen nicht. Außerdem hängt es vom Mond ab. Und wir befinden uns jetzt nicht innerhalb des Gebiets von Northside. Dieser Ort hat meist einen verstärkenden Effekt, wenn es um solche Verwandlungen geht.«
»Du hast dir die Filme meiner Mutter angesehen – nicht wahr? Und wiederholt jetzt einfach mehr oder weniger das, was da passiert?«
Red grinste. »Wir sollten jetzt besser deinen Verband wechseln.«
»Weich mir nicht aus.« Trotzdem streckte ich ihm meine Hände entgegen. Er stand auf und holte das Verbandszeug und die Wundsalbe.
»Jetzt schau dir das an.« Beide starrten wir auf meine Haut, als Red die Bandagen abgemacht hatte. Sie war nicht mehr so rot und roh wie noch am Tag zuvor. Die Verbrennungen sahen eher danach aus, als wären sie mindestens zwei Wochen alt.
»Spürst du das, Doc?« Er strich mit dem Finger vorsichtig über meinen Handrücken.
Ich folgte der Spur seines Fingers, konnte ihn aber nicht fühlen. Also schüttelte ich den Kopf.
»Das heilt so schnell, weil du den Virus in dir trägst. Glaubst du mir jetzt?«
Langsam bewegte ich meine Finger und berührte dann selbst meine Knöchel. »Ich kann das auch nicht fühlen.«
»Vielleicht wenn es einen vollständigen Wandel gibt... möchtest du, dass ich versuche, ihn schneller herbeizuführen?«
Dieser Vorschlag jagte mir einen echten Schreck ein. Rational konnte ich mir nicht ganz erklären, warum ich auf einmal solche Angst bekam. »Ich weiß nicht... ich glaube nicht, dass ich schon so weit bin.«
Red sah mich auf jene Weise an, wie man manchmal Hunde ansieht, die nicht parieren – mit einer auffordernden Beharrlichkeit. »Ich glaube, du bist schon wesentlich weiter, als du annimmst.«
Die Angst war genauso schnell verschwunden, wie sie gekommen war. Was ich jetzt empfand, war allerdings noch schwerer zu ertragen. »Oh, Red.« Insgeheim fragte ich mich, ob ich wohl jemals so viel für ihn empfinden würde, wie er das offenbar für mich tat.
»Wie wäre es damit? Ich verwandle mich, und dann finden wir eine Möglichkeit, wie wir dich verwandeln.«
»Einversranden«, erwiderte ich. »Dann zeig mir mal, was du kannst.«
Spöttisch zog Red eine Augenbraue hoch. »Redest du so... mit allen deinen Männerbekanntschaften?«
Ich strich ihm über die Wange und grinste verschmitzt. »Was soll ich denn sagen?«
Er kam so nahe, dass er mit seiner Nasenspitze die meine berührte. »Sag zum Beispiel: >He, ich wusste ja gar nicht, dass du so unglaublich se... <«
In diesem Moment klingelte das Telefon.
Wir erstarrten. Der Apparat stand direkt neben dem Bett. »Heb nicht ab, Doc.«
»Und wenn es ein Notfall ist?«
Er seufzte. Als ich mich aufsetzte, schaltete sich der Anrufbeantworter ein. »Sie sind mit BeastCastle, dem Tierheim für ausgesetzte, misshandelte sowie ungewollte Katzen und Hunde verbunden«, verkündete die Stimme meiner Mutter auf ihre theatralische Art. »Augenblicklich kümmern wir uns um unsere Pfleglinge. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht, und eine unserer aufopferungsvollen Helferinnen wird Sie so schnell wie möglich zurückrufen.«
»Ich bin auch aufopferungsvoll«, knurrte Red und stand auf.
»Still«, bat ich.
»Pagan? Ich rufe vom Flughafen aus an, um dir zu sagen, dass ich einen früheren Flug nach Hause nehme.« Es war meine Mutter, die ziemlich gestresst klang.
Red, der sich wirklich verblüffend schnell bewegen konnte, hatte schon abgehoben und hielt mir den Hörer ans Ohr, ehe ich auch nur darum zu bitten brauchte.
»Mom? Ich bin’s – Abra. Warum kommst du schon zurück? Du wolltest doch länger bleiben.«
»Abra. Wo ist Pagan?«
»Bei ihrem Freund. Mom, hör zu. Du musst dir keine Sorgen machen, aber ich wollte dir sagen, dass ich...««
»Warte. Es wird gerade etwas durchgesagt... nein, doch nicht. Abra, mein Flugzeug wird heute Abend landen, aber offenbar gibt es ein paar Verspätungen. Ich könnte also ziemlich spät eintreffen.«
Ich sah Red an, während ich mit meiner Mutter redete. Seine Iris zeigte dunkelgrüne und goldene Flecken, während seine Wimpern in Gold getaucht zu sein schienen. Ich strich über die kleinen Krähenfüßchen um seine Augen, die ausgeprägter erschienen, wenn er lächelte.
»Mom, hör zu. Bevor du zurückkommst, möchte ich dir erzählen, was passiert ist. Hunter und ich... wir... wir hatten Streit.«
»Das ist die Schwangerschaft, Abra. Hunter kann den Gedanken nicht ertragen, durch irgendetwas oder irgendjemanden gebunden zu werden. Ich habe dir das schon immer gesagt. Emotional ist er nie über das Alter von sechzehn hinausgekommen. Er will, dass du für ihn das Heim darstellst, das er immer wieder verlassen kann.«
Ich bemerkte, wie Reds Augen ein wenig schadenfroh zu blitzen anfingen. Offenbar konnte er jedes Wort meiner Mutter verstehen.
»Mom, ich bin nicht schwanger. Das war bloß ein Fehlalarm. Außerdem habe ich Hunter verlassen. Und da gibt es noch etwas.«
»Einen Moment... verdammt, da hat noch ein Flug Verspätung... Abra, ich brauche dringend etwas zu trinken, bevor wir weiterreden. Ich wollte eigentlich nur Pagan mitteilen, dass ich schon heute zurückkomme, und nicht mit emotionalen Neuigkeiten überschüttet werden.« Sie fuhr einen anderen Passagier an, ihr zu nahe gekommen zu sein und sprach einen Moment lang nicht mehr in ihr Handy.
»Abra? Bist du noch da? Hör zu, mir ist natürlich klar, dass du meine Tochter bist und deshalb deine Probleme bei mir abladen willst. Aber es wäre trotzdem nett, auch mal mich zu fragen, warum ich schon eine Woche früher als geplant nach Hause komme.«
Ich presste Red die Hand auf den Mund, um ihn davon abzuhalten, in lautes Gelächter auszubrechen. Zärtlich küsste er meinen Handballen. »Da muss ich nicht fragen, Mom. Du kommst jetzt schon zurück, weil sich Grania von dir getrennt hat. Sie ist emotional viel zu unreif für dich. Außerdem hast du sie dabei erwischt, wie sie mit einem anderen Gast geflirtet hat. Oder vielleicht auch mit einem Hotelangestellten. Vermutlich mit einem Mann«, riet ich.
Für einen Moment herrschte Schweigen. »Du glaubst wohl, dass nur du Probleme hast, die zählen, was?«, erklärte meine Mutter schließlich.
»Nein, Mom. So denkst du – nicht ich. Ich versuche dir nur seit zehn Minuten mitzuteilen, dass ich mir die Hände verbrannt habe und...« Mit einem Klick wurde die Verbindung unterbrochen. Red und ich starrten uns an.
»Wow«, murmelte er.
»Jetzt hast du also meine Mutter, die ungekrönte Königin des Psychodramas, kennengelernt.«
»Hm... ich denke, ich werde uns jetzt erst mal einen schönen Kaffee machen. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass du den ganz gut brauchen könntest. Später können wir jederzeit weitermachen.«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Es stimmte, dass ich nicht mit ihm schlafen wollte – also das heißt, dass ich keinen Sex mit ihm wollte. Denn nebeneinander geschlafen hatten wir ja bereits. Als ich jedoch so dagelegen hatte und Red zwischen meinen Beinen gewesen war, hatte ich jegliches Gefühl für Grenzen und Abgrenzungen verloren. Wenn er in diesem Augenblick drängender geworden wäre, hätte ich vermutlich nichts mehr dagegen eingewendet. Doch jetzt, nachdem ich nicht mehr erregt war, konnte ich es mir wieder kaum vorstellen, mit diesem – mir doch noch so fremden – neuen Mann den nächsten Schritt zu tun. Ihn jedoch einfach so stehenzulassen, das wollte ich allerdings auch nicht.
»Vergiss den Kaffee und leg dich auf den Rücken«, forderte ich ihn auf.
»Nein.«
»Nein?«
Red streckte die Hand aus und strich mir über die Wange. »Diesmal würde ich nicht mehr an mich halten können, Abra. Wenn du das für mich machst, dann kann ich dir nicht versprechen, dich nicht zu nehmen – in welcher Gestalt auch immer.«
Ich starrte ihn an. Kein Mann zuvor hatte mich jemals als Frau betrachtet, bei der es ihm schwerfiel, nicht die Beherrschung zu verlieren. »Was schlägst du also vor?«, wollte ich wissen.
Er kratzte sich so am Nacken, dass sich die Muskeln in seinem Arm und seiner Schulter zusammenzogen. »Also – ich möchte dir beweisen, dass mehr in mir steckt, als man auf den ersten Blick sehen kann. Wenn das nicht durch Sex funktioniert, dann...«
»Nein, ausgeschlossen.«
»Dann muss es eben Bier und Rock’n Roll sein.«
Da Bier und Rock ’n Roll vor zwanzig Uhr nicht sonderlich empfehlenswert waren, verbrachten wir den restlichen Tag damit, den kranken Katzen ihre Medizin zu verabreichen, einem zitternden Greyhound die Temperatur zu messen und den Pilzbefall des Burmesen mit Salbe zu behandeln.
Die Tiere reagierten seltsam auf Red. Die Katzen fauchten zuerst und zeigten ihre Krallen; doch dann wurden sie zutraulich und begannen, sich an ihm zu reiben und laut zu schnurren. Die Hunde hingegen wurden sofort ruhig, sobald sie nur an ihm geschnüffelt hatten. Der American Akita, der schon immer ziemlich unberechenbar gewesen war, sprang zuerst wild bellend um Red herum. Doch als dieser ihn scharf anblickte, legte auch er sich brav auf den Boden und rollte sich vor dem neuen Mann im Haus hin und her.
»Hunde haben offenbar nichts dagegen, dass du ein Unw... ein Limmikin bist.«
»Die meisten nicht. Ich kann gut mit Tieren umgehen. Das hilft.« Als könnte er meine Gedanken lesen, fügte er hinzu: »Du wirst auch weiterhin als Tierärztin arbeiten können, Doc. Keine Sorge. In der Zeit, in der du dich verwandelst – falls es überhaupt dazu kommt -, wirst du für die Tiere wie eine Mischung riechen: aus einem Weibchen, das seine Periode hat, und einem in der Brunftzeit. Aber deine Patienten werden deshalb nicht durchdrehen. Sie werden einfach nur stärker als sonst an dir schnüffeln.«
Ich nickte nachdenklich, sagte aber nichts weiter dazu. Um vier Uhr nachmittags legte ich mich für eine Dreiviertelstunde hin und stellte danach fest, dass Red eines der Gästezimmer aufgeräumt und geputzt hatte und es nun nicht mehr so stark nach Katzenurin und Schimmel roch. Ich stellte meine Tasche hinein und sah aus dem Fenster. Es handelte sich nicht um das Zimmer meiner Kindheit, in dem sich Pagan niedergelassen hatte. Aber es war der Raum, den mein Vater am meisten gemocht hatte, da man von hier aus den gesamten Garten überblicken konnte.
Red schrieb eine Nachricht für meine Mutter und eine weitere für Pagan, in die er alles Nötige hinsichtlich der Tiere, meiner Hände und der Zimmeraufteilung mitteilte. Er schien davon auszugehen, dass ich nach dem bevorstehenden Abend voll von Alkohol und Metamorphosen allein zu meiner Mutter zurückkehren wollte. Vermutlich hatte er Recht. Das war für den Moment wohl das Beste. Meine Mutter konnte sich um mich kümmern, bis ich wusste, was ich mit meinem Leben anfangen wollte.
Vielleicht würde ich mich ja in einen Unwolf verwandeln, und meine Hände heilten problemlos ab. Ich konnte nicht einschätzen, wie wahrscheinlich das war. Meine Mutter hatte sich zudem bisher nie als sonderlich fürsorglich erwiesen. Wer wusste, wie sie auftreten würde, wenn ich mich plötzlich als haariges Monster entpuppte?
Um sieben Uhr bürstete Red meine Haare und flocht sie zu einem Zopf. Seine Hände zeigten sich so geschickt und umsichtig wie beim ersten Mal. Dann half er mir in eine Bluse mit einer langen Knopfleiste und in eine Jeans. »Besser wohl kein Make-up, oder?«, sagte ich mehr zu mir selbst als zu ihm, während ich mich im Spiegel betrachtete. Ich kam mir wie eine Nonne vor, so wie Hunter mich immer genannt hatte.
»Wozu brauchst du Make-up?« Red schloss gerade die silbernen Druckknöpfe an seinem Jeanshemd.
»Ich dachte nur, dass mir etwas Rouge und Lippenstift vielleicht nicht schaden können...«
»Warte.« Er trat hinter mich und legte seine Hände auf meine Hüften, so dass ich uns beide hintereinander im Spiegel sehen konnte. Dann beugte er sich vor und küsste mich auf den Nacken.
»Wofür ist der?«
»Warre.«
Er lehnte sich vor und drehte meinen Kopf, bis sich unsere Lippen berührten und es zwischen meinen Beinen zu pulsieren begann. Offenbar bedurfte es immer weniger, mich zu erregen. Ich schien mich irgendwie auf Reds Innenleben einzustellen. Als er mich losließ, sah ich, dass meine Wangen leicht gerötet und meine Lippen leuchtend rot waren.
»Du brauchst keine künstlichen Hilfsmittel, um sexy auszusehen, Abra. Du siehst schon sexy aus.«
Da Red kein Lokal in der Nähe kannte, fuhren wir eine Stunde bis nach Northside.
»Wohin wollen wir?«, fragte ich.
»Dahin, wo es Bier und Rock ’n Roll gibt und wo ich mich zu Hause fühle.«
»O nein. Du willst doch nicht etwa ins Moondoggie’s, oder?«
»Doch, genau dahin. Soweit ich verstanden habe, ist dein Mann sowieso damit beschäftigt, diese Kellnerin zu belästigen...«
»Sehr witzig.« Trotz Reds Behauptung, dass wir dort vor Hunter sicher waren, hatte ich überhaupt keine Lust, in das Lokal zu gehen. Was würde geschehen, wenn Hunter auf einmal doch dort auftauchte?
Als wir bei Moondoggie’s eintrafen, ging Red zur Eingangstür und holte erst einmal tief Luft, als müsste er sich sammeln. Aber ich wusste, was er tat. Er schnüffelte, ob sich Hunter drinnen aufhielt.
»Die Luft ist rein.«
Wie konnte er sich da so sicher sein? Ich roch nichts weiter als Zigaretten und Bier.
Im Restaurantbereich saßen mehrere ältere Paare und aßen Truthahn und Süßkartoffeln. Die Bar war fast leer. Zu meiner Erleichterung handelte es sich bei der Bedienung hinter der Theke diesmal nicht um Kayla, sondern um eine dickliche Brünette mittleren Alters.
Red wandte sich zu mir. Erst jetzt fiel mir auf, dass er schwach nach Eau de Cologne duftete. »Was möchtest du trinken, Doc? Bier? Wein?«
»Nein, lieber ein Ginger Ale.«
Red legte leicht seine Hand auf meinen Rücken, als er bestellte. »Jelaine, ein Bier und ein Ginger Ale. Und hast du etwas dagegen, wenn ich ein bisschen Musik mache?«
»Schalt an, was du willst, Red.«
»Ich würde auch gern die Hintertür öffnen und auf die Terrasse raus. Ist das in Ordnung?«
Die Brünette lachte, während sie Red die Getränke hinstellte. »Von mir aus kannst du dir deinen Hintern abfrieren, solange du willst. Mir soll’s recht sein. Wollt ihr Gläser?«
Die beiden sahen mich an. »Nicht, wenn wir tanzen«, antwortete ich, woraufhin Red und die Frau lachten, als hätte ich etwas besonders Lustiges von mir gegeben.
Red führte mich zur Jukebox. Ich kam mir vor, als wäre ich wieder in der Highschool und zum ersten Mal mit einem Jungen ausgegangen. Die Musikauswahl war mehr oder weniger beschränkt auf Country Western und Achtziger-Jahre-Pop, aber Red schien zu wissen, wonach er suchte. Er schaltete hastig von einer Musikrichtung zur nächsten, ohne mich zu fragen, was ich hören wollte.
»Komm, Abra. Gehen wir.«
Die hintere Terrasse, die in wärmeren Monaten vermutlich als Tanzfläche diente, wurde von zwei roten und zwei rosafarbenen Scheinwerfern beleuchtet. Red öffnete die Türen nach draußen. Ich ärgerte mich, nicht noch einen Pulli unter mein Wolljackett gezogen zu haben. Er stellte die Getränke auf einen Tisch, und als der erste Song einsetzte, war es zu meiner Überraschung ein ganz altes Lied über die Schönheit der Natur und des Mondes.
Red fasste mich an der Taille und begann sich langsam zu bewegen. Zu meiner Verblüffung fiel es mir nicht schwer, ihm zu folgen. Ich hatte noch nie einen Tanzpartner gehabt, der so souverän zu führen verstand. Meine Füße schienen wie von selbst zu wissen, wohin sie sich bewegen mussten. Meine eingewickelte Hand löste sich aus der seinen und wanderte zu seiner Schulter, während meine Hüften im Takt der Musik hin und her schaukelten. Red hatte die Augen halb geschlossen, und wir drehten uns um unsere Achse.
»Das ist fantastisch, Red.«
»Tanzt dein Mann nicht?«
»Eigentlich war bisher immer ich diejenige, die nicht tanzt.« Ich lächelte.
Red trank sein Bier aus und bestellte ein neues. Der nächste Song war schneller, und wir bewegten uns erst voneinander fort, um uns dann wieder zu treffen. Vor Begeisterung über diese kinetische Art des Flirtens warf ich den Kopf zurück und lachte aus vollem Halse. Schweiß lief mir über die Stirn und zwischen meine Brüste. Red war so sehr ins Tanzen versunken, dass er nichts merkte. Nach einigen Minuten kam ein langsameres Stück.
»Darf ich bitten?«
Ich begab mich geradewegs in Reds Arme, während ein Sänger aus den siebziger Jahren verkündete, dass er an Wunder glaube, wenn ich es nur auch täte. Wir tanzten, wobei Reds Hand leicht über meinem Po ruhte. Sein Atem roch nach Malz und Hopfen. Beide schwitzten wir heftig.
»Hast du eigentlich jemals den Worten dieses Liedes zugehört, Doc?«
Ich lauschte. Der Sänger machte den recht eindeutigen Vorschlag, dieses Wunder könne leicht tantrisch erreicht werden.
»Das haben wir auch versucht, nicht wahr?« Ich grinste Red schelmisch an.
Er biss spielerisch in mein Ohr. »Wir haben es fast versucht.«
»Und? Verwandelst du dich bald? Bist du schon so weit?«
»Abra.« Er tanzte ein paar Schritte von mir fort, um mich dann wieder an sich zu ziehen. »Hat dich noch nie ein Kerl gefragt: >Und? War’s das? Bist du schon gekommen?«<
»Oh... ’tschuldigung.«
Danach vergaß ich, warum wir überhaupt hierher gekommen waren und genoss den Abend. Zwei weitere Paare – Teenager – kamen zu uns auf die Terrasse und tanzten ebenfalls. Ich entspannte mich derart, dass ich mich nicht sträubte, wenn Red mir in aller Öffentlichkeit einen Kuss auf mein Schlüsselbein oder hinter das Ohr gab. Ich erlaubte ihm sogar, mich hochzuheben und danach eng an seinem Körper wieder hinuntergleiten zu lassen. Wenn ich mich ein paar Schritte von ihm entfernte, war ich gleich wieder bei ihm und ihm dabei so nahe, dass es ein Vorspiel zu sein schien, das wir hier betrieben – und zwar nicht nur ein Vorspiel für die bevorstehende Metamorphose.
Mit einem Schlag blieben wir beide stehen und sahen uns an. Red schwitzte und wirkte jetzt sehr ernst. Seine Augen leuchteten dunkelgolden, und ich spürte, wie dringend er hinaus in die Natur musste.
»Gehen wir.«
Er folgte mir so dicht auf den Fersen, dass er ins Stolpern geriet. Ein Bekannter rief ihm etwas zu. Aber Red wirkte fast so, als sei ihm übel. Er war bleich, bewegte sich ungeschickt und schien derart auf mich konzentriert, dass ich es nicht mehr allein auf Lust zurückführen konnte. Er folgte mir so, als wäre ich die einzige Lichtträgerin in einer dunklen Welt.
»Alles in Ordnung, wir sind gleich da.« Ich führte ihn in die Bar und von dort aus zur Eingangstür, um mit ihm in den Wald in der Nähe unseres Hauses zu fahren. An der Theke saßen einige bärtige Northsider Jägertypen, die sich ein Bier genehmigten. Wäre ich noch in der Lage gewesen, klar zu denken, hätte ich Red einfach von der Terrasse aus direkt in den Wald geführt. Aber ich meinte es gut mit ihm. Ich wollte ihn in seine vertraute Umgebung bringen.
»Hallo, Abs.«
Ich blickte auf und sah einen bärtigen Mann mit zornigen Augen vor mir. Für einen Moment verstand ich nicht, was er von mir wollte. Doch dann erkannte ich ihn – trotz des gewaltigen schwarzen Bartes.
Es war Hunter.
Wolfstraeume Roman
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