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»Es ist also so. Du bist
kein Hund. Und auch kein Wolf oder ein Kojote oder etwas
Ähnliches.«
Wir lagen auf dem Bett, mein Kopf befand sich
auf Reds Brust, ein Bein auf seiner Hüfte. Wir waren zwar noch
keine Liebhaber im üblichen Sinn, aber doch schon deutlich mehr als
bloße Freunde.
»Nun... nein.« Gedankenverloren strich Red über
meinen Rücken.
»Aber du hast doch gesagt, dass du dafür nur
einen ekstatischen Zustand bräuchtest und...«
»Und dass ich nackt sein muss. Stimmt. Aber die
Sache ist die, Liebling. Diesmal warst du
in einem ekstatischen Zustand.«
Ich stützte mich mit einem Ellbogen auf Reds
Brust ab. »Aber du hast doch gesagt...«
Er fing an, meine Armbeuge mit kleinen Küssen zu
übersäen. »Ich liebe dich und bin zum Teil ein Wolf. Und jetzt will
ich dich fressen.«
Ich zog meine Knie an und setzte mich auf. »Und
warum bin ich dann kein Wolf, wenn ich mich mit dem
Lykanthropie-Virus angesteckt habe?«
Nun war es an Red, sich mit dem Ellbogen
abzustützen.
»Weil der Virus erst seine Wirkung zeigt, wenn er sich in deinem
Blut genügend angereichert hat. Wenn er denn überhaupt eine Wirkung
zeigt. Bei manchen tut er das und bei anderen nicht. Außerdem hängt
es vom Mond ab. Und wir befinden uns jetzt nicht innerhalb des
Gebiets von Northside. Dieser Ort hat meist einen verstärkenden
Effekt, wenn es um solche Verwandlungen geht.«
»Du hast dir die Filme meiner Mutter angesehen –
nicht wahr? Und wiederholt jetzt einfach mehr oder weniger das, was
da passiert?«
Red grinste. »Wir sollten jetzt besser deinen
Verband wechseln.«
»Weich mir nicht aus.« Trotzdem streckte ich ihm
meine Hände entgegen. Er stand auf und holte das Verbandszeug und
die Wundsalbe.
»Jetzt schau dir das an.« Beide starrten wir auf
meine Haut, als Red die Bandagen abgemacht hatte. Sie war nicht
mehr so rot und roh wie noch am Tag zuvor. Die Verbrennungen sahen
eher danach aus, als wären sie mindestens zwei Wochen alt.
»Spürst du das, Doc?« Er strich mit dem Finger
vorsichtig über meinen Handrücken.
Ich folgte der Spur seines Fingers, konnte ihn
aber nicht fühlen. Also schüttelte ich den Kopf.
»Das heilt so schnell, weil du den Virus in dir
trägst. Glaubst du mir jetzt?«
Langsam bewegte ich meine Finger und berührte
dann selbst meine Knöchel. »Ich kann das auch nicht fühlen.«
»Vielleicht wenn es einen vollständigen Wandel
gibt... möchtest du, dass ich versuche, ihn schneller
herbeizuführen?«
Dieser Vorschlag jagte mir einen echten Schreck
ein. Rational konnte ich mir nicht ganz erklären, warum ich auf
einmal solche Angst bekam. »Ich weiß nicht... ich glaube nicht,
dass ich schon so weit bin.«
Red sah mich auf jene Weise an, wie man manchmal
Hunde ansieht, die nicht parieren – mit einer auffordernden
Beharrlichkeit. »Ich glaube, du bist schon wesentlich weiter, als
du annimmst.«
Die Angst war genauso schnell verschwunden, wie
sie gekommen war. Was ich jetzt empfand, war allerdings noch
schwerer zu ertragen. »Oh, Red.« Insgeheim fragte ich mich, ob ich
wohl jemals so viel für ihn empfinden würde, wie er das offenbar
für mich tat.
»Wie wäre es damit? Ich verwandle mich, und dann
finden wir eine Möglichkeit, wie wir dich verwandeln.«
»Einversranden«, erwiderte ich. »Dann zeig mir
mal, was du kannst.«
Spöttisch zog Red eine Augenbraue hoch. »Redest
du so... mit allen deinen Männerbekanntschaften?«
Ich strich ihm über die Wange und grinste
verschmitzt. »Was soll ich denn sagen?«
Er kam so nahe, dass er mit seiner Nasenspitze
die meine berührte. »Sag zum Beispiel: >He, ich wusste ja gar
nicht, dass du so unglaublich se... <«
In diesem Moment klingelte das Telefon.
Wir erstarrten. Der Apparat stand direkt neben
dem Bett. »Heb nicht ab, Doc.«
»Und wenn es ein Notfall ist?«
Er seufzte. Als ich mich aufsetzte, schaltete
sich der Anrufbeantworter ein. »Sie sind mit BeastCastle, dem Tierheim für ausgesetzte,
misshandelte sowie ungewollte Katzen und
Hunde verbunden«, verkündete die Stimme meiner Mutter auf ihre
theatralische Art. »Augenblicklich kümmern wir uns um unsere
Pfleglinge. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht, und eine unserer
aufopferungsvollen Helferinnen wird Sie so schnell wie möglich
zurückrufen.«
»Ich bin auch aufopferungsvoll«, knurrte Red und
stand auf.
»Still«, bat ich.
»Pagan? Ich rufe vom Flughafen aus an, um dir zu
sagen, dass ich einen früheren Flug nach Hause nehme.« Es war meine
Mutter, die ziemlich gestresst klang.
Red, der sich wirklich verblüffend schnell
bewegen konnte, hatte schon abgehoben und hielt mir den Hörer ans
Ohr, ehe ich auch nur darum zu bitten brauchte.
»Mom? Ich bin’s – Abra. Warum kommst du schon
zurück? Du wolltest doch länger bleiben.«
»Abra. Wo ist Pagan?«
»Bei ihrem Freund. Mom, hör zu. Du musst dir
keine Sorgen machen, aber ich wollte dir sagen, dass ich...««
»Warte. Es wird gerade etwas durchgesagt...
nein, doch nicht. Abra, mein Flugzeug wird heute Abend landen, aber
offenbar gibt es ein paar Verspätungen. Ich könnte also ziemlich
spät eintreffen.«
Ich sah Red an, während ich mit meiner Mutter
redete. Seine Iris zeigte dunkelgrüne und goldene Flecken, während
seine Wimpern in Gold getaucht zu sein schienen. Ich strich über
die kleinen Krähenfüßchen um seine Augen, die ausgeprägter
erschienen, wenn er lächelte.
»Mom, hör zu. Bevor du zurückkommst, möchte ich
dir erzählen, was passiert ist. Hunter und ich... wir... wir hatten
Streit.«
»Das ist die Schwangerschaft, Abra. Hunter kann
den Gedanken nicht ertragen, durch irgendetwas oder irgendjemanden
gebunden zu werden. Ich habe dir das schon immer gesagt. Emotional
ist er nie über das Alter von sechzehn hinausgekommen. Er will,
dass du für ihn das Heim darstellst, das er immer wieder verlassen
kann.«
Ich bemerkte, wie Reds Augen ein wenig
schadenfroh zu blitzen anfingen. Offenbar konnte er jedes Wort
meiner Mutter verstehen.
»Mom, ich bin nicht schwanger. Das war bloß ein
Fehlalarm. Außerdem habe ich Hunter verlassen. Und da gibt es noch
etwas.«
»Einen Moment... verdammt, da hat noch ein Flug
Verspätung... Abra, ich brauche dringend etwas zu trinken, bevor
wir weiterreden. Ich wollte eigentlich nur Pagan mitteilen, dass
ich schon heute zurückkomme, und nicht mit emotionalen Neuigkeiten
überschüttet werden.« Sie fuhr einen anderen Passagier an, ihr zu
nahe gekommen zu sein und sprach einen Moment lang nicht mehr in
ihr Handy.
»Abra? Bist du noch da? Hör zu, mir ist
natürlich klar, dass du meine Tochter bist und deshalb deine
Probleme bei mir abladen willst. Aber es wäre trotzdem nett, auch
mal mich zu fragen, warum ich schon eine Woche früher als geplant
nach Hause komme.«
Ich presste Red die Hand auf den Mund, um ihn
davon abzuhalten, in lautes Gelächter auszubrechen. Zärtlich küsste
er meinen Handballen. »Da muss ich nicht fragen, Mom. Du kommst
jetzt schon zurück, weil sich Grania von dir getrennt hat. Sie ist
emotional viel zu unreif für dich. Außerdem hast du sie dabei
erwischt, wie sie mit einem anderen Gast geflirtet hat. Oder
vielleicht auch mit
einem Hotelangestellten. Vermutlich mit einem Mann«, riet
ich.
Für einen Moment herrschte Schweigen. »Du
glaubst wohl, dass nur du Probleme hast, die zählen, was?«,
erklärte meine Mutter schließlich.
»Nein, Mom. So denkst du – nicht ich. Ich
versuche dir nur seit zehn Minuten mitzuteilen, dass ich mir die
Hände verbrannt habe und...« Mit einem Klick wurde die Verbindung
unterbrochen. Red und ich starrten uns an.
»Wow«, murmelte er.
»Jetzt hast du also meine Mutter, die ungekrönte
Königin des Psychodramas, kennengelernt.«
»Hm... ich denke, ich werde uns jetzt erst mal
einen schönen Kaffee machen. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass du
den ganz gut brauchen könntest. Später können wir jederzeit
weitermachen.«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Es
stimmte, dass ich nicht mit ihm schlafen wollte – also das heißt,
dass ich keinen Sex mit ihm wollte. Denn nebeneinander geschlafen
hatten wir ja bereits. Als ich jedoch so dagelegen hatte und Red
zwischen meinen Beinen gewesen war, hatte ich jegliches Gefühl für
Grenzen und Abgrenzungen verloren. Wenn er in diesem Augenblick
drängender geworden wäre, hätte ich vermutlich nichts mehr dagegen
eingewendet. Doch jetzt, nachdem ich nicht mehr erregt war, konnte
ich es mir wieder kaum vorstellen, mit diesem – mir doch noch so
fremden – neuen Mann den nächsten Schritt zu tun. Ihn jedoch
einfach so stehenzulassen, das wollte ich allerdings auch
nicht.
»Vergiss den Kaffee und leg dich auf den
Rücken«, forderte ich ihn auf.
»Nein.«
»Nein?«
Red streckte die Hand aus und strich mir über
die Wange. »Diesmal würde ich nicht mehr an mich halten können,
Abra. Wenn du das für mich machst, dann kann ich dir nicht
versprechen, dich nicht zu nehmen – in welcher Gestalt auch
immer.«
Ich starrte ihn an. Kein Mann zuvor hatte mich
jemals als Frau betrachtet, bei der es ihm schwerfiel, nicht die
Beherrschung zu verlieren. »Was schlägst du also vor?«, wollte ich
wissen.
Er kratzte sich so am Nacken, dass sich die
Muskeln in seinem Arm und seiner Schulter zusammenzogen. »Also –
ich möchte dir beweisen, dass mehr in mir steckt, als man auf den
ersten Blick sehen kann. Wenn das nicht durch Sex funktioniert,
dann...«
»Nein, ausgeschlossen.«
»Dann muss es eben Bier und Rock’n Roll
sein.«
Da Bier und Rock ’n Roll vor zwanzig Uhr nicht
sonderlich empfehlenswert waren, verbrachten wir den restlichen Tag
damit, den kranken Katzen ihre Medizin zu verabreichen, einem
zitternden Greyhound die Temperatur zu messen und den Pilzbefall
des Burmesen mit Salbe zu behandeln.
Die Tiere reagierten seltsam auf Red. Die Katzen
fauchten zuerst und zeigten ihre Krallen; doch dann wurden sie
zutraulich und begannen, sich an ihm zu reiben und laut zu
schnurren. Die Hunde hingegen wurden sofort ruhig, sobald sie nur
an ihm geschnüffelt hatten. Der American Akita, der schon immer
ziemlich unberechenbar gewesen war, sprang zuerst wild bellend um
Red herum. Doch als
dieser ihn scharf anblickte, legte auch er sich brav auf den Boden
und rollte sich vor dem neuen Mann im Haus hin und her.
»Hunde haben offenbar nichts dagegen, dass du
ein Unw... ein Limmikin bist.«
»Die meisten nicht. Ich kann gut mit Tieren
umgehen. Das hilft.« Als könnte er meine Gedanken lesen, fügte er
hinzu: »Du wirst auch weiterhin als Tierärztin arbeiten können,
Doc. Keine Sorge. In der Zeit, in der du dich verwandelst – falls
es überhaupt dazu kommt -, wirst du für die Tiere wie eine Mischung
riechen: aus einem Weibchen, das seine Periode hat, und einem in
der Brunftzeit. Aber deine Patienten werden deshalb nicht
durchdrehen. Sie werden einfach nur stärker als sonst an dir
schnüffeln.«
Ich nickte nachdenklich, sagte aber nichts
weiter dazu. Um vier Uhr nachmittags legte ich mich für eine
Dreiviertelstunde hin und stellte danach fest, dass Red eines der
Gästezimmer aufgeräumt und geputzt hatte und es nun nicht mehr so
stark nach Katzenurin und Schimmel roch. Ich stellte meine Tasche
hinein und sah aus dem Fenster. Es handelte sich nicht um das
Zimmer meiner Kindheit, in dem sich Pagan niedergelassen hatte.
Aber es war der Raum, den mein Vater am meisten gemocht hatte, da
man von hier aus den gesamten Garten überblicken konnte.
Red schrieb eine Nachricht für meine Mutter und
eine weitere für Pagan, in die er alles Nötige hinsichtlich der
Tiere, meiner Hände und der Zimmeraufteilung mitteilte. Er schien
davon auszugehen, dass ich nach dem bevorstehenden Abend voll von
Alkohol und Metamorphosen allein zu meiner Mutter zurückkehren
wollte. Vermutlich hatte er Recht. Das war für den Moment wohl das
Beste.
Meine Mutter konnte sich um mich kümmern, bis ich wusste, was ich
mit meinem Leben anfangen wollte.
Vielleicht würde ich mich ja in einen Unwolf
verwandeln, und meine Hände heilten problemlos ab. Ich konnte nicht
einschätzen, wie wahrscheinlich das war. Meine Mutter hatte sich
zudem bisher nie als sonderlich fürsorglich erwiesen. Wer wusste,
wie sie auftreten würde, wenn ich mich plötzlich als haariges
Monster entpuppte?
Um sieben Uhr bürstete Red meine Haare und
flocht sie zu einem Zopf. Seine Hände zeigten sich so geschickt und
umsichtig wie beim ersten Mal. Dann half er mir in eine Bluse mit
einer langen Knopfleiste und in eine Jeans. »Besser wohl kein
Make-up, oder?«, sagte ich mehr zu mir selbst als zu ihm, während
ich mich im Spiegel betrachtete. Ich kam mir wie eine Nonne vor, so
wie Hunter mich immer genannt hatte.
»Wozu brauchst du Make-up?« Red schloss gerade
die silbernen Druckknöpfe an seinem Jeanshemd.
»Ich dachte nur, dass mir etwas Rouge und
Lippenstift vielleicht nicht schaden können...«
»Warte.« Er trat hinter mich und legte seine
Hände auf meine Hüften, so dass ich uns beide hintereinander im
Spiegel sehen konnte. Dann beugte er sich vor und küsste mich auf
den Nacken.
»Wofür ist der?«
»Warre.«
Er lehnte sich vor und drehte meinen Kopf, bis
sich unsere Lippen berührten und es zwischen meinen Beinen zu
pulsieren begann. Offenbar bedurfte es immer weniger, mich zu
erregen. Ich schien mich irgendwie auf Reds Innenleben
einzustellen. Als er mich losließ, sah ich, dass
meine Wangen leicht gerötet und meine Lippen leuchtend rot
waren.
»Du brauchst keine künstlichen Hilfsmittel, um
sexy auszusehen, Abra. Du siehst schon sexy aus.«
Da Red kein Lokal in der Nähe kannte, fuhren wir
eine Stunde bis nach Northside.
»Wohin wollen wir?«, fragte ich.
»Dahin, wo es Bier und Rock ’n Roll gibt und wo
ich mich zu Hause fühle.«
»O nein. Du willst doch nicht etwa ins Moondoggie’s, oder?«
»Doch, genau dahin. Soweit ich verstanden habe,
ist dein Mann sowieso damit beschäftigt, diese Kellnerin zu
belästigen...«
»Sehr witzig.« Trotz Reds Behauptung, dass wir
dort vor Hunter sicher waren, hatte ich überhaupt keine Lust, in
das Lokal zu gehen. Was würde geschehen, wenn Hunter auf einmal
doch dort auftauchte?
Als wir bei Moondoggie’s
eintrafen, ging Red zur Eingangstür und holte erst einmal tief
Luft, als müsste er sich sammeln. Aber ich wusste, was er tat. Er
schnüffelte, ob sich Hunter drinnen aufhielt.
»Die Luft ist rein.«
Wie konnte er sich da so sicher sein? Ich roch
nichts weiter als Zigaretten und Bier.
Im Restaurantbereich saßen mehrere ältere Paare
und aßen Truthahn und Süßkartoffeln. Die Bar war fast leer. Zu
meiner Erleichterung handelte es sich bei der Bedienung hinter der
Theke diesmal nicht um Kayla, sondern um eine dickliche Brünette
mittleren Alters.
Red wandte sich zu mir. Erst jetzt fiel mir auf,
dass er
schwach nach Eau de Cologne duftete. »Was möchtest du trinken,
Doc? Bier? Wein?«
»Nein, lieber ein Ginger Ale.«
Red legte leicht seine Hand auf meinen Rücken,
als er bestellte. »Jelaine, ein Bier und ein Ginger Ale. Und hast
du etwas dagegen, wenn ich ein bisschen Musik mache?«
»Schalt an, was du willst, Red.«
»Ich würde auch gern die Hintertür öffnen und
auf die Terrasse raus. Ist das in Ordnung?«
Die Brünette lachte, während sie Red die
Getränke hinstellte. »Von mir aus kannst du dir deinen Hintern
abfrieren, solange du willst. Mir soll’s recht sein. Wollt ihr
Gläser?«
Die beiden sahen mich an. »Nicht, wenn wir
tanzen«, antwortete ich, woraufhin Red und die Frau lachten, als
hätte ich etwas besonders Lustiges von mir gegeben.
Red führte mich zur Jukebox. Ich kam mir vor,
als wäre ich wieder in der Highschool und zum ersten Mal mit einem
Jungen ausgegangen. Die Musikauswahl war mehr oder weniger
beschränkt auf Country Western und Achtziger-Jahre-Pop, aber Red
schien zu wissen, wonach er suchte. Er schaltete hastig von einer
Musikrichtung zur nächsten, ohne mich zu fragen, was ich hören
wollte.
»Komm, Abra. Gehen wir.«
Die hintere Terrasse, die in wärmeren Monaten
vermutlich als Tanzfläche diente, wurde von zwei roten und zwei
rosafarbenen Scheinwerfern beleuchtet. Red öffnete die Türen nach
draußen. Ich ärgerte mich, nicht noch einen Pulli unter mein
Wolljackett gezogen zu haben. Er stellte die Getränke auf einen
Tisch, und als der erste Song einsetzte, war es zu meiner
Überraschung ein ganz altes Lied über die Schönheit der Natur und
des Mondes.
Red fasste mich an der Taille und begann sich
langsam zu bewegen. Zu meiner Verblüffung fiel es mir nicht schwer,
ihm zu folgen. Ich hatte noch nie einen Tanzpartner gehabt, der so
souverän zu führen verstand. Meine Füße schienen wie von selbst zu
wissen, wohin sie sich bewegen mussten. Meine eingewickelte Hand
löste sich aus der seinen und wanderte zu seiner Schulter, während
meine Hüften im Takt der Musik hin und her schaukelten. Red hatte
die Augen halb geschlossen, und wir drehten uns um unsere
Achse.
»Das ist fantastisch, Red.«
»Tanzt dein Mann nicht?«
»Eigentlich war bisher immer ich diejenige, die
nicht tanzt.« Ich lächelte.
Red trank sein Bier aus und bestellte ein neues.
Der nächste Song war schneller, und wir bewegten uns erst
voneinander fort, um uns dann wieder zu treffen. Vor Begeisterung
über diese kinetische Art des Flirtens warf ich den Kopf zurück und
lachte aus vollem Halse. Schweiß lief mir über die Stirn und
zwischen meine Brüste. Red war so sehr ins Tanzen versunken, dass
er nichts merkte. Nach einigen Minuten kam ein langsameres
Stück.
»Darf ich bitten?«
Ich begab mich geradewegs in Reds Arme, während
ein Sänger aus den siebziger Jahren verkündete, dass er an Wunder
glaube, wenn ich es nur auch täte. Wir tanzten, wobei Reds Hand
leicht über meinem Po ruhte. Sein Atem roch nach Malz und Hopfen.
Beide schwitzten wir heftig.
»Hast du eigentlich jemals den Worten dieses
Liedes zugehört, Doc?«
Ich lauschte. Der Sänger machte den recht
eindeutigen
Vorschlag, dieses Wunder könne leicht tantrisch erreicht
werden.
»Das haben wir auch versucht, nicht wahr?« Ich
grinste Red schelmisch an.
Er biss spielerisch in mein Ohr. »Wir haben es
fast versucht.«
»Und? Verwandelst du dich bald? Bist du schon so
weit?«
»Abra.« Er tanzte ein paar Schritte von mir
fort, um mich dann wieder an sich zu ziehen. »Hat dich noch nie ein
Kerl gefragt: >Und? War’s das? Bist du schon
gekommen?«<
»Oh... ’tschuldigung.«
Danach vergaß ich, warum wir überhaupt hierher
gekommen waren und genoss den Abend. Zwei weitere Paare – Teenager
– kamen zu uns auf die Terrasse und tanzten ebenfalls. Ich
entspannte mich derart, dass ich mich nicht sträubte, wenn Red mir
in aller Öffentlichkeit einen Kuss auf mein Schlüsselbein oder
hinter das Ohr gab. Ich erlaubte ihm sogar, mich hochzuheben und
danach eng an seinem Körper wieder hinuntergleiten zu lassen. Wenn
ich mich ein paar Schritte von ihm entfernte, war ich gleich wieder
bei ihm und ihm dabei so nahe, dass es ein Vorspiel zu sein schien,
das wir hier betrieben – und zwar nicht nur ein Vorspiel für die
bevorstehende Metamorphose.
Mit einem Schlag blieben wir beide stehen und
sahen uns an. Red schwitzte und wirkte jetzt sehr ernst. Seine
Augen leuchteten dunkelgolden, und ich spürte, wie dringend er
hinaus in die Natur musste.
»Gehen wir.«
Er folgte mir so dicht auf den Fersen, dass er
ins Stolpern geriet. Ein Bekannter rief ihm etwas zu. Aber Red
wirkte fast so, als sei ihm übel. Er war bleich, bewegte sich
ungeschickt
und schien derart auf mich konzentriert, dass ich es nicht mehr
allein auf Lust zurückführen konnte. Er folgte mir so, als wäre ich
die einzige Lichtträgerin in einer dunklen Welt.
»Alles in Ordnung, wir sind gleich da.« Ich
führte ihn in die Bar und von dort aus zur Eingangstür, um mit ihm
in den Wald in der Nähe unseres Hauses zu fahren. An der Theke
saßen einige bärtige Northsider Jägertypen, die sich ein Bier
genehmigten. Wäre ich noch in der Lage gewesen, klar zu denken,
hätte ich Red einfach von der Terrasse aus direkt in den Wald
geführt. Aber ich meinte es gut mit ihm. Ich wollte ihn in seine
vertraute Umgebung bringen.
»Hallo, Abs.«
Ich blickte auf und sah einen bärtigen Mann mit
zornigen Augen vor mir. Für einen Moment verstand ich nicht, was er
von mir wollte. Doch dann erkannte ich ihn – trotz des gewaltigen
schwarzen Bartes.
Es war Hunter.